Musik "verstehen"

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11. Feb. 2007
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Zitat von rolf:
wenn die vielen sinntragenden Bestandteile des "Notenbilds" vom Schüler nicht verstanden und in ihrer Notwendigkeit nicht berücksichtigt werden, liegt der Mangel - traurig zu sagen - am Unterricht.
Klavierspielen ist eben nicht nur das hier und da die Tasten runterdrücken - ich bin überzeugt, dass wir uns darin einig sind.

übrigens gerät man hier in die andernorts heftig bezweifelte Ansicht, dass es mindestens hilfreich ist, zu verstehen (und das sehr genau), was man tut - ja und zu diesem Verständnis zählen auch die an sich zu verstehen schlichten, mal mehr, mal weniger gehäuft notierten "Spielanweisungen".

je mehr man Schülern die Chance bietet, sich von Musik faszinieren zu lassen UND sie verstehen zu lernen, umso mehr kann der künftige "Klavierstudent" von solchen Grundlagen profitieren.

Was heisst eigentlich "Musik verstehen"? Das oben angeführte Zitat stammt aus einem anderen Faden hier im Forum und ich habe mir erlaubt, es hier meiner Frage voran zu stellen.
Als 08/15 Klavierschülerin ohne Konzertpianistenambitionen darf ich diese Frage stellen. Ich blicke oft in die Noten und versuche mit meinen rudimentären Kenntnissen rauszulesen, was da erklingen soll. Mit anderen Worten, ich versuche zu verstehen und nicht "bloß" nach dem Ohr zu spielen. Heisst also verstehen, das Werk zu analysieren unter verschiedenen Gesichtspunkten: Form, Harmonie, Kontrapunkt, Entstehungszeit, Komponistenbiographie, gefühlsmäßige Assoziationen zur Musik, etc. Dem Wald- und Wiesen-Klavierspieler sind bei solchen Überlegungen ja Grenzen gesetzt. Nicht umsonst gibt es Leute, die das studieren.
Ich wäre sehr glücklich, wenn sich ein Berufener findet und an einem konkreten (bitte einfachen, eben nicht für Konzertpianisten) Beispiel erklärt, was unter "Musik verstehen" zu verstehen :D ist. Vielleicht könnte da ja auch unter der Rubrik Aktivitäten ein kleiner Workshop draus werden. Eben kein Interpretations-Workshop sogleich, sondern vorgeschaltet das Verstehen des zu Interpretierenden.
Lieben Gruß,
Sesam
 
hallo,
ein "Berufener" mag ich nicht sein, aber da Du mich zitierst und um ein schlichtes (leicht spielbares und leicht verständliches) Beispiel bittest:

Chopin, Regentropfen-Prelude
- erst mal nach anfänglichem Gepampe anfangen, Stimmen zu differenzieren, Klangschichten zu erkennen (Bass - Füllharmonien - Binnenstimmen - Melodie) und, sowie sich der Klang gebessert hat, Korrespondenzen entdecken (a la warum reagiert die Binnenstimme hier, oder sagt sie was eigenes)
- - die Melodie gestalten, also cantabile phrasieren
- - - die Besonderheiten (das repetierte as) integrieren (ins Klangbild)
- - - - emotionale Stimmungen und Schwankungen wahrnehmen, aber auch entdecken (hat bissle was mit Harmonik zu tun)
- - - - - Besonderheiten entdecken (schöne Dissonanzen)
(und da hat man nebenbei, wenn man dazu angeleitet wird, manuell sehr sehr viel gelernt!!!!)
- der dumpfe, gespenstische "gregorianische" Choral wird zum Klanggewitter
- - quasi-barocke Vorhalte reagieren auf / erinnern an den Choral
- - - am Ende romantische Nonenakkorde bei der Aufhellung und dem nachlassenden Regen
(hoppla, die Art der Harmonik sagt also auch was --- usw usw)

es dauerte viel zu lange, dieses Meisterwerk Takt für Takt hier zu erklären (und es wäre auch nur eine von vielen sinnvollen Erklärungen), aber ich hoffe, das bietet Dir ein paar Ansätze, WIE und WORAN man ANFANGEN (!!!!) kann, sich ein VERSTEHEN von Musik anzugewöhnen

und enorm wichtig ist sensibles emotionales Reagieren auf alle die wunderschönen und ergreifenden "Geschichten/Erzählungen/Gedichte in Klängen"!

als Banalexmpel: hör Dir einen Anfänger mit der Inventio I und Gould an, um zwei Extreme zu vergleichen.

liebe Grüße vom zitierten
Rolf
 
Als Zuhörer versteht man Musik in etwa so, wie man Gestik und Mimik anderer Menschen versteht aber als Pianist sieht das etwas anders aus.

Für den Spieler geht es darum, Struktur in die Noten zu bekommen, z.B. das Hauptthema (die Hauptmelodie) zu erkennen, feststellen, wo Spannung auf- und abgebaut wird - z.B. durch Vorhalte und Dissonanzen und deren Auflösungen und so weiter. Es gibt auch oft Frage-Antwort Schemata, die man durch unterschiedliche Spielweise hervorheben kann.

Bei vielen dieser Dinge reicht das Bauchgefühl aus, weitere Erkenntnisse gewinnt man durch eine Analyse des Stückes (und leider auch Fehlschlüsse durch Überbewertung von Details). Es ist also auf die Dauer wichtig, etwas Harmonielehre und auch andere Musiktheorie zu lernen.

Man kann Musik zwar als Sprache auffassen, sie drückt aber keine klaren Sachverhalte aus, sie ruft Stimmungen hervor oder "erzählt" sie. Für den Pianisten ist es also wichtig, zu erkennen, was da gemeint ist und so zu spielen, daß es auch das Publikum erreicht. Das Problem ist nämlich, daß man sehr ausdrucksvoll spielen und trotzdem völlig daneben liegen kann. Viele Stücke klingen dann sogar interessant, lustig oder sogar gut aber eben nicht so, wie der Komponist es gemeint hat. Der Idee des Stückes auf die Spur zu kommen, das ist eigentlich mit "verstehen" gemeint - sowohl für den Musiker wie auch für das Publikum.

Ich vermute auch, daß viele Geschichten, die zu Kompositionen erzählt werden, zwar vielleicht ein Körnchen Wahrheit enthalten aber in Wirklichkeit viel mehr um die Musik herum zusammenfantasiert wurden.

Aha, da hat auch noch Rolf geschrieben. Das Regentropfenpräludium ist ein schönes Beispiel.

Erstmal eine leicht melancholische aber leichte Einführung, die nichts Böses ahnen läßt.
Im zweiten Teil grummelt der Baß und es wird immer lauter, sehr dramatisch.
Der dritte Teil ist dann irgendwie konsterniert, das Auge im Sturm oder so aber es ist im Hintergrund immer noch wild.
Zum Schluß wird der erste Teil wieder aufgegriffen, eigentlich nur kurz zitiert, dann kommt eine kleine Schlußmelodie.

Die Geschichte dazu habe ich leider vergessen aber im Prinzip saß Chopin in seinem Klavierzimmer und spielte selbstvergessen vor sich hin, als er eine schlimme Nachricht erhält. Gleichzeitig bricht ein Gewitter los. Zum Schluß beruhigt er sich wieder und das Gewitter zieht davon aber irgendwie ist jetzt alles ganz anders. Das Gewitter und eine schlimme Nachricht sind gute Interpretationshilfen, wenn man weiß, wie man das mit den vorliegenden Noten spielen kann. Und dafür braucht man wieder das detallierte Verständnis der Noten. Es gibt viele Feinheiten, die auf den ersten Blick nicht so offensichtlich sind. Je besser man aber die musikalischen Zusammenhänge versteht, desto leichter findet man den so oft benannten "Zugang" zum Stück, kann es also "richtiger" und meistens auch schöner spielen.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Schönes, interessantes und wichtiges Thema!

Verstehen hat viele verschiedene Aspekte.
Die erste Annäherung an ein neues Stück ist wie wenn man einen fremden Menschen kennenlernt. Vielleicht einen, der eine ganz andere Sprache spricht, und mit dem man sich nur mit Handzeichen verständigen kann.
Ich beginne erstmal zaghaft ein paar Töne zu spielen und Kontakt aufzunehmen. Meist sagen einem die ersten Töne schon was über den Charakter, z.B. ob es sich um ein lyrisches, ein kämpferisches, ein übermütiges oder ein tänzerisches Stück handelt. Dann "unterhält" man sich mit dem Stück. Wenn man offene Ohren hat, erzählt einem das Stück eine Menge.

Okay, das war jetzt vielleicht nicht das, was du hören wolltest. Man kann an ein Stück auch wie ein Musikwissenschaftler rangehen. Erstmal sezieren und dann wieder zusammenflicken. Ist bei den meisten Stücken aber erstmal ein Umweg. Analysieren ist wesentlich interessanter, wenn man sich mit dem Stück bereits angefreundet hat und dann noch mehr über seine Lebensumstände erfahren möchte. :)
 
Lieber Rolf!

Ein herzliches Dankeschön für deine sehr erhellende Erklärung. Auch ohne Konzertpianisten-Ambitionen meinerseits liegt mir viel daran, das, was ich spiele oder gar interpretiere auch zu verstehen. Und als (dennoch ambitionierter) Laie finde ich dein Beispiel gut nachvollziehbar. Ich würde mir wünschen, diese Überlegungen eines Tages selbständig anstellen zu können. Denn abseits des Klavierunterrichts bleiben natürlich viele Fragen dieser Art an ein Stück unbeantwortet oder zumindest unbefriedigend beantwortet. Oder noch schlimmer: die Fragen stellen sich gar nicht erst. Oft bleibt man eben doch im Stadium der bloßen manuellen Fertigkeit, die einen in die Lage versetzt das Stück "spielen " zu können, stecken. Und es bedarf großer Hingabe und Leidenschaft und letztlich auch Wissen, um in die Musik hineinzuschlüpfen.
Das eine kommt ohne das andere nicht aus.

Lieben Gruß, Sesam
 
Musik versteht jeder ein bisschen anders und individuell. Klar, es gibt die festen Grundlagen, aber jeder Musiker oder Zuhörer bringt sich doch noch selbst mit ein.

Der eine bekommt bei einem Stück Gänsehaut, den anderen lässt es kalt. Der eine spielt es so, der andere so.

Manche Musiker verstehen es einen zu packen! Sie fesseln einen mit ihrer persönlichen Interpretation eines Stückes. Es ist als würden sie uns eine Geschichte vorlesen und sie so bildlich darstellen, man klebt gerade zu an ihnen und kann es nicht erwarten zu hören wie es weiter geht. Bei anderen ist man wieder froh, wenn es vorbei ist.

Es sind die selben Noten, Anweisungen etc. die zwei Musiker spielen und doch können es doch zwei komplett andere Interpretationen sein.

Ich glaube Musik verstehen ist nicht nur Theorie und ist für jeden ein bisschen anders und persönlich. Musik ist mit vielen Sinnen erleben.

Ich habe vor 2 Jahren mal eine ganz aussergewöhnliche Inszinierung erlebt. Es war die Auferstehungs-Sinfonie von Mahler in der Kölner Philharmonie. Die Musik wurde duch spezial Effekt 3 Dimensional dargestellt. Ich kann mich nicht erinnern, Musik jemals so intensiv gefühlt zu haben. Man kann es nicht beschreiben, für mich war es gigantisch.
Liest man hingegen die Kritiken zu dieser Inzinierung so können sie unterschiedlich nicht sein. Die einen empfanden es wie ich, die anderen als absolutes No-Go. Für mich war es ein einmaliges, unvergessliches Klangerlebniss.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Im zweiten Teil grummelt der Baß und es wird immer lauter, sehr dramatisch.
.

:)

meinen wir wirklich beide das Prelude op.28 Nr.15 Des-Dur? meine Noten haben da alle einen zweistimmigen "quasi gregorianischen" Choral, der immer hübsch auf der Quinte endet

:)

zürne mir nicht, war nur ein Scherz

liebe Grüße, Rolf

(ach die biograf. Geschichte dazu, von George Sand erzählt, soll sich in der Kartause von Valldemossa ereignet haben, bei argem Regen, und weit schrecklicher, als Du sie ausmalst - - - sehr romantisches Künstlerbild, das die Dichterin da entwirft (und wohl ziemlich weit entfernt vom realen Chopin...))
 
Oh, in der Zwischenzeit haben auch Guendola und Haydnspaß geschrieben! Euch auch vielen Dank natürlich.

Mir geht es (dank neuer KL zunehmend seltener) so, dass ich vor lauter "Ui, ein neues Stück lernen!" ganz vergesse, wie ich beim ersten Anklingen dabei empfinde. Je schwieriger das Spielen in manueller Hinsicht ist (und bezeichnenderweise werden diese Schwierigkeiten je weniger Verständnis da ist, umso größer), desto mehr Gefahr laufe ich, mich dem Klang gar nicht hingeben zu können, mir also auch gar nicht zuhören zu können. Da ist das dann mit den "offenen Ohren" ein frommer Wunsch. Deshalb mein Anliegen, diesem Umstand einen Schritt voraus zu sein und eben eine klare Vorstellung von dem zu entwickeln, was ich hören möchte. Am Beispiel des Regentropfen-Preludes ist das gut illustriert. Nur, ich möchte kein Spielverderber sein, das ist auf meinem Niveau sehr schwierig umsetzbar. Trotzdem ich eine ganz vorzügliche Klavierlehrerin habe, die großen Wert auf das "Verstehen" legt, kommt es mir manchmal vor, nur ein Staubkorn von dem Universum erhascht zu haben, woraus die Musik entspringt.

Lieben Gruß, Sesam
 
hallo Sesam,

dann nimm Dir doch, wenn Dir das Prelude (noch) zu anspruchsvoll erscheint, ein paar Stücke aus Tschaikowskis "Album für die Jugend" - z.B. "in der Kirche" ist ganz wunderbar, und es ist verständliche Musik, allerdings in diesem "pädagogischen" Bereich auf höchstem Niveau. Die Sachen da drin sind überwiegend wirklich große Klasse.

oder nimm Dir die beiden ersten Stücke aus den "Bildern der Kindheit" von Chatschaturjan - da gilt das selbe.

oder das Mendelssohnsche "Lied ohne Worte" in E-Dur (habe die op.Nr. nicht parat)

liebe Grüße, Rolf
 
meine Noten haben da alle einen zweistimmigen "quasi gregorianischen" Choral, der immer hübsch auf der Quinte endet

Auch wenn das nur eine scherzhafte Bemerkung war

An diesem Beispiel sieht man sehr deutlich, daß eine rein technische Analyse eines Musikstücks sehr wenig zum Verstehen der Musik beiträgt. Ohne das mehrmalige crescendo (jeweils beginnend bei sotto voce bzw. p, sich steigernd zum ff) wäre diese Stelle nicht, was sie ist. Das (Todes-)Visionäre und die Dramatik dieses Preludes ergibt sich einerseits aus dem Pseudo-Mönchsgesang und einer Dynamik und Harmonik, die dazu in völligem Kontrast steht. Eine musikalische Collage sozusagen.
 
Es ist ein super-thread und ein SUPER-Thema, danke!!!!

Was mir - als Neuling hier im Formum - extrem auffällt ist, wie selten hier in diesem Forum im Zusammenhang mit Musik, Spielen, Lernen... etc. das Wort "HÖREN" erwähnt wird.

Ich weiß schon, Musik erreicht uns nicht nur über das Ohr, aber primär. Von da aus findet sie ihren Weg in uns und löst Gefühle aus, Assoziationen, Irritationen, was auch immer.

Der Schlüssel zum "Musik verstehen" (was immer das heißen mag) ist HÖREN.

Der ZUGANG dann... um sie selbst so spielen zu können, wie man es auch gerne möchte (abgesehen von technischen Grenzen), der ist so individuell wie die MEnschen: Analytisch, Gesamtheitlich, mit und ohne Noten... NICHTS von all diesen Aspekten ist eine notwendige Voraussetzung dafür, Musik zu "verstehen" (ich mag den Begriff hier nicht, er ist mir an sich schon zu rational).

Musik drückt Dinge in einer Komplexität aus, die unserer Sprache trotz aller Bemühungen von Autoren einfach nicht inne wohnt.

Hm... Blödsinn?

Lg, Ernst
 

Der Schlüssel zum "Musik verstehen" (was immer das heißen mag) ist HÖREN.

Das auf jeden Fall!

Wir haben nun leider das Pech, daß es zu Bachs, Beethovens und Chopins Zeiten noch keine Schallaufzeichnung gegeben hat. Wir können also nur hören, was andere Leute aus Bach, Beethoven, Chopin etc. gemacht haben.

Deshalb gibts den ganzen Streit um die richtige Interpretation. Wir wissen definitiv nicht, wie die Komponisten ihre Stücke gespielt haben wollten. Wir müssen es aus den Noten heraus raten. Das ist das große Problem jedes Musikers, der klassische Musik spielt.

Bei neuerer Musik gibt es Aufnahmen der Komponisten selbst, oder von Leuten, die der Komponist geschätzt hat. Da weiß man, wie es sein soll. Im Prinzip braucht man es den anerkannt guten Vorbildern einfach nur nachzumachen.
 
Auch wenn das nur eine scherzhafte Bemerkung war

An diesem Beispiel sieht man sehr deutlich, daß eine rein technische Analyse eines Musikstücks sehr wenig zum Verstehen der Musik beiträgt. Ohne das mehrmalige crescendo (jeweils beginnend bei sotto voce bzw. p, sich steigernd zum ff) wäre diese Stelle nicht, was sie ist. Das (Todes-)Visionäre und die Dramatik dieses Preludes ergibt sich einerseits aus dem Pseudo-Mönchsgesang und einer Dynamik und Harmonik, die dazu in völligem Kontrast steht. Eine musikalische Collage sozusagen.

cui bono?
wem nützt das?? und speziell hier, wo doch eine verständliche und berechtigte Frage gestellt worden ist.

Dein Verdikt - a la "sieht man deutlich" etc - ist schlichtweg inhaltlich und sachlich falsch. sorry.
1. habe ich oben keine "rein technische Analyse" verzapft, sondern ein paar Denkanstöße gegeben, die helfen können, sich in das Regentropfenprelude mehr und mehr verstehend hineinzufinden (und das mit einem Vokabular, das überwiegend auf "musiktechnische Kompliziertheiten" verzichtet; dass man mit dem Wort Choral aber was anfangen kann, setze ich voraus: so gering ist der Wortschatz bei uns allen denn doch wohl nicht).
2. verehrter Haydnspaß, auch Dir kann einleuchten, dass zwischen schnell getippten "Benennungen" wie mein "pseudogregorianischer Choral" oder Deinem "Pseudo-Mönchsgesang" kein Unterschied besteht - oder muss man hier künftig die Takte einfügen? das nämliche gilt für Dein als große Erkenntnis vorgebrachtes Erwähnen vom Crescendo im Mittelteil - ist sich zum Gewitter steigernd nicht dasselbe? schweigen und säuseln die Gewitter seit neuestem??
-- ich kann also weder logisch noch inhaltlich zustimmen.
3. fragwürdig ist die von Dir so genannte "Collage"... ich will hier sicherheitshalber niemanden über Collage in der 1. Hälfte des 19. Jh. aufklären müssen... falls aber fälschlich der Eindruck entstünde, Chopin habe gute 80 Jahre vor Döblin, Strawinski oder Picasso die Collage erfunden, so mag ich dafür nicht verantwortlich zeichnen - - - Chopin setzt Stilisierungen, Ankänge, Andeutungen ein: die "angedeutete Mönchsgregorianik" (na, können wir uns auf diese Benennung einigen?) kann die Entfernung der musikalischen aus dem pp und Dunkel hervorkommenden Spukgestalten wahrnehmbar machen - das Prelude lässt sich ANFANGS in seiner Dramatik ganz gut als "Spukgeschichte" oder "Albtraum" in Klängen wahrnehmen und erklären.
4. die Harmonik ist schlicht und überschaubar - da gibts nichts verrätseltes oder kompliziertes, sondern bestenfalls feine Andeutungen (und ich liste das jetzt nicht mit dem entsprechenden Vokabular auf)

Hier war nach einem Einstieg in "Musik verstehen" gefragt - ein Einstieg also, um mal dahin zu gelangen. Am besten macht man das an einem möglichst eingängigen Beispiel: ich habe dafür das Prelude in Des gewählt und mit einfachen Begriffen ein paar Denkanstöße in diese Richtung gegeben.

Wer einen Einstieg mit Wortungetümen wie "das (Todes-)Visionäre" (...da muss man erst mal drauf kommen...) anbietet... ich stell mir mal ein 8-9 jähriges Kind vor, welches das Prelude gehört hat, toll findet und die Regentropfen auch SPIELEN KÖNNEN WILL - - - - dem sollte man wohl eher keine Wortungetüme vorsetzen, sondern evtl (ich bin da nicht das Maß aller Dinge) lieber die Albtraum/Spukgeschichte. Und dann Klangzusammenhang für Klangzusammenhang immer mehr wahrnehmbar und erfahrbar und darstellbar machen.

...und weil das Prelude eine EINFACHE und VERSTÄNDLICHE Klangsprache und Spieltechnik verwendet, kann es ganz gut als Einstieg in romantische Klaviermusik eingesetzt werden - ok, falls es manuell doch zu schwierig ist, dann die erwähnten Tschaikowskisachen.

nebenbei: einfach ist nicht trivial, simpel oder banal

Gruß, Rolf
 
Hallo Hayndnspaß ...
ich gehe einen Schritt weiter: Egal wie lange man in den noten sucht, was der Komponist wirklich emfpand wird uns ewig ein Rätsel bleiben.

Daher darf interpretiert werden. Wer mag, soll sich von anderen Interpreten deren SPiel anhören und danach richten, wer nicht, der soll eine eigene Interpretation wählen.

Wieso soll es überhaupt das Ziel sein, es so zu spielen wie der komponist es vielleicht im Ohr hatte?

Ich finde das Rätseln und die Suche nach Möglichkeiten so spannend, da spielt es wenig Rolle, ob es genau den Intentionen des Komponisten entspricht.

Ist nicht genau das das Schöne?

Vielleicht spiele ich etwas auf eine Art, die ein ganz anderes Verständnis dokumentiert? Wer weiß! Und bei jemdem Hörer wird sowieso wieder etwas anderes ausgelöst.

Ich finde das so schön mystisch, dass die ganze "verstehen" Diskussion womöglich in die falsche Richtung führt!

lg, Ernst
 
Vorneweg: was das "Hören" und die "Analyse" betrifft, da sind wir uns hoffentlich einig, dass dies keine Frage von Entweder-Oder ist.

Wenn die Angelegenheit so einfach wäre, dass das Hinhören genügte, dann frage ich mich, warum es so viele schreckliche Interpretationen oder Vorspiele gibt, von denen die Urheber aber glattweg überzeugt sind, eine wundervolle Darbietung hingelegt zu haben. Dass es in Wirklichkeit ganz grauslig klingt, bleibt ihnen verborgen.
Nach Gespür und Gefühl zu musizieren, ist ganz bestimmt kein verkehrter Weg, aber die Feinheiten einer Komposition bleiben da vielleicht doch auf der Strecke. Und ich bin sehr davon überzeugt, dass dem Spielen nach Gefühl dort Grenzen gesetzt sind, wo es drum geht, größere musikalische Zusammenhänge zur Darstellung zu bringen. Das Gefühl reicht grad mal von einem Effekt zum nächsten, die sogenannte große Linie bleibt dann eher Zufall.
Und ausserdem: Gefühle sind meiner Meinung nach dort am substantiellsten und nachhaltigsten, wo sie ein tiefes menschliches Wissen und Sehen (nicht Sehnen!!) offenbaren. Gefühle, die nur so schwelgerisch, oberflächlich daherkommen, was sind das für Gefühle? Ballade pour Adeline?:D
Die Kunst besteht doch darin, eben benennen zu können, wie, mit welchen musikalischen Mittel diese und jene Stimmung, dies und jenes Gefühl evoziert wird. Im Umkehrschluss: erkenne ich Derartiges im Notentext, dann ist das doch ein wichtiger Schlüssel zur Interpretation, die dann obendrein in all ihrer Gefühlshaftigkeit sehr viel überzeugender ist, weil wichtige Nuancen gestaltet werden können, die ohne jegliche Kenntnis dessen, was ich da eigentlich spiele, untern Tisch fallen.

Diesen Satz hänge ich mir übers Klavier:

Zitat von Rolf:
Und dann Klangzusammenhang für Klangzusammenhang immer mehr wahrnehmbar und erfahrbar und darstellbar machen.

Danke, Rolf!

LG, Sesam
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Die Kunst besteht doch darin, eben benennen zu können, wie, mit welchen musikalischen Mittel diese und jene Stimmung, dies und jenes Gefühl evoziert wird. Im Umkehrschluss: erkenne ich Derartiges im Notentext, dann ist das doch ein wichtiger Schlüssel zur Interpretation, die dann obendrein in all ihrer Gefühlshaftigkeit sehr viel überzeugender ist, weil wichtige Nuancen gestaltet werden können, die ohne jegliche Kenntnis dessen, was ich da eigentlich spiele, untern Tisch fallen.

LG, Sesam

Applaus!!!!

Rolf (und das ist ernst gemeint, speziell bzgl. des letzten Satzes!)
 
Danke für den Interessanten Beitrag. Ich halte dennoch die Auseinanderseitzung mit den geschriebenen Noten für 100& verzichtbar.

Ernstens weil die Notenschrift sowieso in keinster Weise dazu geeignet ist das Werk zu transportieren (es fehlt viel zu viel INformation) und zweitens bitte folgt mir bei einem Gedankenspiel:

Nehmt an, die Musik wäre niemals notiert worden. Nur gespielt (ja das geht ... :o))) )....

Wäre dann eine Interpretation in der Folge von vornehrein unmöglich?

Das Geschriebene beantwortet viele Fragen in keiner Weise. WÜrde es das tun, gäbe es garkeine verschiedenen Interpretationen...

Im Übrigen sehe ich keinerlei Evidenz dafür, dass die Auseinandersetzung mit dem geschriebenen Notenbild die Fähigkeit zur Erfassung der Emotionen im Stück in irgend einer Weise steigert.

"Kenntnis dessen, was ich spiele":.. bedeutet HÖREN, aber nicht LESEN.

:guitar2:
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
@ Ernst61: ....na dann hoffe ich mal, dass du das, wogegen du hier votierst auch wirklich kennst! Ich nehme an, du wärst im Zweifelsfall kompetent und könntest, wenn du wolltest, ein Stück analysieren. Ansonsten ...... ;)
 
Hi Sesam, allerdings... ich "kann" ...

Ich mag es nur, Kontrapositionen einzunehmen.

Der Punkt ist für mich ... ich überzeichne es natürlich... dass ich grundsätzlich mit den rationalen Zugängen zu Musik ein Problem habe. Ich gestehe, dass Analyse (auch des eigenen Spiels) Verbesserung herbeiführen kann. Subjektiv, für mich. Allerdings weit überwiegend im analytischen Hören als im Musik "anschauen".

lg, Ernst
 
bitte folgt mir bei einem Gedankenspiel:

Nehmt an, die Musik wäre niemals notiert worden. Nur gespielt (ja das geht ... :o))) )....

Wäre dann eine Interpretation in der Folge von vornehrein unmöglich?

Das Geschriebene beantwortet viele Fragen in keiner Weise. WÜrde es das tun, gäbe es garkeine verschiedenen Interpretationen...

Im Übrigen sehe ich keinerlei Evidenz dafür, dass die Auseinandersetzung mit dem geschriebenen Notenbild die Fähigkeit zur Erfassung der Emotionen im Stück in irgend einer Weise steigert.

"Kenntnis dessen, was ich spiele":.. bedeutet HÖREN, aber nicht LESEN.

:guitar2:

problematischer Gedanke - die Musik wäre dann wohl (wir alle sind ja fehlbare Menschlein) in einer Weise überliefert worden, wie Gerüchte, Wanderlegenden oder "stille Post" ... ... :)
(ich möchte nicht wissen, wie das bei der Fuge aus op.106 aussähe)
--nein nein, sind wir mal lieber dankbar, das Bach/Mozart/Beethoven&Co ihre Klänge zu papier gebracht, und nicht dem hörensagen überlassen haben...

Gruß, Rolf
 

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