Mit Toccaten durch die Epochen

Stilblüte

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Ich habe einen Faible für Toccaten - ich habe einen Blog eingerichtet, in dem ich versuche, möglichst viele schöne Toccaten zu sammeln, die für das Klavier komponiert wurden (https://www.clavio.de/forum/blog.php?b=137) und würde gern in irgendeiner Zukunft mal einen Klavierabend geben, an dem ich nur Toccaten spiele und damit durch die Epochen führe.
(Neueste Entdeckung: Toccata von Cécile Chaminade http://www.youtube.com/watch?v=_SG2OkKHyvE )

Da ist natürlich schon öfter mal die Frage aufgetaucht, ob denn die Epoche der (Wiener) Klassik da gar nichts zu bieten hat? Wäre schon irgendwie komisch, von Bach gleich zur Romantik überzugehen.
Gibt es da tatsächlich nichts? Diese Gattungsbezeichnung scheint vorübergehend unter den Komponisten unbeliebt gewesen zu sein...

Gruß mit Fuß :D
Stilblüte
 
Bei Bach würd ich dir auf jeden Fall die Toccata BWV 911 (Part 1) (Part 2) empfehlen (falls du die nicht kennst). Im Gegensatz zu der berühmten Orgeltoccata in d-moll, die du aufgezählt hast im Blog, ist die Toccata BWV 911 nämlich eine Klaviertoccata.

Auch die Toccata BWV 912 ist ganz hübsch!

Die einzige klassische Toccata, die mir spontan einfällt, ist die Toccata von Muzio Clementi.

Ansonsten ist mir die Toccata auch nur aus Barock und Romantik ein Begriff.
 
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Warum es aus der Klassik fast keine Toccaten gibt (Clementi-Toccata kannte ich gar nicht...sehr charmant!), ist mir auch nicht ganz klar, aber mir kommt es so vor, als ob der Gattungsbegriff der Toccata gewisse Bedeutungsänderungen erfahren hat...ich schreibe mal, was ich mir bisher so vorstelle (reine Spekulation), aber vielleicht kann ja jemand etwas fundierter klären:

Bei Bach gibt es zum einen die Orgeltoccaten: freie, improvisatorische (häufiger Charakterwechsel im Satz), spielfreudige Einzelsätze. Eins der grossartigsten Beispiele ist Toccata, Adagio und Fuge in C-Dur BWV 564. Besonders der Mittelsatz klingt in der Busoni-Bearbeitung für Klavier finde ich sogar noch besser als auf der Orgel (oje, was werden wohl die Orgel-Leute im Forum mit mir anstellen für diese Aussage :) )... Könnte man sagen, dass hier "Toccata" ganz ähnlich wie "Fantasie" gebraucht wird, nur vielleicht unter stärkerer Betonung des spielfreudigen Elements?

Dann gibt es die sieben Toccaten für Cembalo, die ja auch häufig auf dem Klavier gespielt werden (wie die von DonBos erwähnten) -- mehrsätzige Werke von grosser Vielfalt. Könnte man sie einfach als Steigerungen der einsätzigen Toccata ins mehrsätzige ansehen, oder kommen die aus einer anderen Tradition?

In der Romantik und danach ist eine Toccata eigentlich ein einsätziges, virtuoses ("motorisches") Charakterstück (bei Schumann trotzdem gleichzeitig ein Sonatensatz).

In grandiosem Rückblick auf Bach (also eben nicht in der neueren Traditionslinie Clementi-Schumann-Prokofiev...) und gleichzeitig kühnem Zukunftsentwurf hat Busoni seine Toccata entworfen, von der er selbst schrieb "Non è senza difficoltá che si arriva al fine." (Nicht ohne Schwierigkeiten erreicht man das Ende) -- sicher eines seiner besten, aber auch schwierigsten Werke, u.a. auch von Brendel sehr geschätzt und auf CD eingespielt.
 
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von Godowski und Schoeck gibt es auch interessante Toccaten, speziell die von Godowski ist ärgerlich schwierig (ähnlich wie Busoni)
 
Toccaten

Aus der Romantik, aber eher klassisch: Czernys Toccata in C-Dur
Romantik: Toccata von Balakirew.

Walter

P.s.: sorry, wurden beide im Blog schon genannt!
 
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Vielleicht findet man zugunsten eines epochenübergreifenden Programms auch einen "toccatenartigen" Satz aus der Klassik. Aus den Sonaten Beethovens fällt mir aber zugegebermaßen gerade keiner ein.

Wobei vielleicht der 3.Satz der Appasionata in die Nähe einer Toccata rückt. Toccaten haben ja auch oft diesen perpetuum mobile Effekt.

Die C-Moll Variationen von Beethoven könnte ich mir auch in einem Toccaten-Programm vorstellen.

lg marcus
 
Könnte man sagen, dass hier "Toccata" ganz ähnlich wie "Fantasie" gebraucht wird, nur vielleicht unter stärkerer Betonung des spielfreudigen Elements?

Dann gibt es die sieben Toccaten für Cembalo, die ja auch häufig auf dem Klavier gespielt werden (wie die von DonBos erwähnten) -- mehrsätzige Werke von grosser Vielfalt. Könnte man sie einfach als Steigerungen der einsätzigen Toccata ins mehrsätzige ansehen, oder kommen die aus einer anderen Tradition?


In grandiosem Rückblick auf Bach (also eben nicht in der neueren Traditionslinie Clementi-Schumann-Prokofiev...) und gleichzeitig kühnem Zukunftsentwurf hat Busoni seine Toccata entworfen, von der er selbst schrieb "Non è senza difficoltá che si arriva al fine." (Nicht ohne Schwierigkeiten erreicht man das Ende) -- sicher eines seiner besten, aber auch schwierigsten Werke, u.a. auch von Brendel sehr geschätzt und auf CD eingespielt.


Hallo,

auch wenn ich gerne Orgel spiele: die Busoni-Bearbeitungen klingen verflixt gut auf dem Klavier, höre ich sehr gerne.

Wenn man in die Generation vor Bach schaut, ergibt sich ein anderer Blickwinkel. Nehmen wir Frescobaldi: Bei ihm sind die Toccaten grundsätzlich mehrteilig, teilweise bis ins extrem. Die "einsätzige" Form ist eher eine Erfindung des 19. Jh. Bach bewegt sich in den Klaviertoccaten auf sehr üblichem Grund und Boden. Da eine "Erweiterung" zu sehen, halte ich für schwierig, da die frühbarocken Toccaten eigentlich nie einteilig sind. Bach reduziert eher auf eine einheitliche Form (immer im Vergleich zu Frescobaldi). Die Entwicklung der Gattung verläuft da in umgekehrter Richtung.

Busoni kannte Frescobaldi offenbar auch, denn hier zitiert er ihn. "Non senza fatiga si giunge al fine" steht am Ende der Toccata nona aus dem 2. Buch der Toccaten.

Grüße
Axel
 
Hallo Axel,

vielen Dank, das ist sehr interessant! Besonders dass Busoni mit seinem Motto Frescobaldi zitiert war mir nicht klar; jetzt finde ich das Zitat umso schöner!

Liebe Grüsse,
Tobias


Hallo,

auch wenn ich gerne Orgel spiele: die Busoni-Bearbeitungen klingen verflixt gut auf dem Klavier, höre ich sehr gerne.

Wenn man in die Generation vor Bach schaut, ergibt sich ein anderer Blickwinkel. Nehmen wir Frescobaldi: Bei ihm sind die Toccaten grundsätzlich mehrteilig, teilweise bis ins extrem. Die "einsätzige" Form ist eher eine Erfindung des 19. Jh. Bach bewegt sich in den Klaviertoccaten auf sehr üblichem Grund und Boden. Da eine "Erweiterung" zu sehen, halte ich für schwierig, da die frühbarocken Toccaten eigentlich nie einteilig sind. Bach reduziert eher auf eine einheitliche Form (immer im Vergleich zu Frescobaldi). Die Entwicklung der Gattung verläuft da in umgekehrter Richtung.

Busoni kannte Frescobaldi offenbar auch, denn hier zitiert er ihn. "Non senza fatiga si giunge al fine" steht am Ende der Toccata nona aus dem 2. Buch der Toccaten.

Grüße
Axel
 
Vielleicht findet man zugunsten eines epochenübergreifenden Programms auch einen "toccatenartigen" Satz aus der Klassik. Aus den Sonaten Beethovens fällt mir aber zugegebermaßen gerade keiner ein.

Hallo,

das Scherzo aus der C-Dur Sonate (aus op.10) ist in diesem Sinne toccatenartig.

Interessant hier ist, dass die Toccata während der so genannten "Klassik" (haydn, Mozart, Bethoven) aus der Mode gekommen war - das war mir noch gar nicht aufgefallen!

In der Romantik und danach diente die Gattungsbezeichnung Toccata (neben der eindeutigen Etüde) wohl dazu, mit einem altehrwürdigen Namen einem virtuosen und spielfreudigen Klavierstück quasi Seriösität zu verleihen (Schumann)

toccatenartig im besten Sinne sind Chopins Etüde op. 10 Nr.4 und Liszts Mazeppa-Etüde
 

Sehr spannend, was da so geschrieben wird!

Und selbstverständlich gibt es bei den meisten Komponisten wohl "toccatenartige" Stücke, aber ich würde schon welche wollen, die auch als solche benannt sind.

Ich bin immer noch ganz begeistert von der Toccata von Chaminade - die raubt mir im übrigen gerade die zweite Nacht in Folge den Schlaf... :rolleyes:
 
Und selbstverständlich gibt es bei den meisten Komponisten wohl "toccatenartige" Stücke, aber ich würde schon welche wollen, die auch als solche benannt sind.

schade, denn damit verzichtest Du z.B. auf den fetzigen Scherzosatz in Skrjabins erster Sonate (f-Moll) und auf noch manches andere

fraglich ist, ob in den Klaviertoccaten der Spätromantik und Frühmoderne abgesehen von der Gattungsbezeichnung überhaupt noch ein "barocker" Rest mitschwingt - fraglicher noch, ob eine "Toccata" überhaupt so zu sagen "neobarock" zu sein habe

einige Konzertetüden könnten zaglos als Toccaten bezeichnet werden, aber sie sind nun mal als "Etüden" gesammelt

interessant zu lesen:
http://www.sim.spk-berlin.de/static/hmt/HMT_SIM_Toccata.pdf
 
toccatenartig im besten Sinne sind Chopins Etüde op. 10 Nr.4 und Liszts Mazeppa-Etüde

op. 10/4 habe ich auch immer als Toccata angesehen!

Mazeppa dagegen bisher gar nicht (eher als Ballade) - strophischer Aufbau, stark rhythmisiert (ich assoziiere mit Toccata immer mehr so etwas perpetuum mobile-mäßiges)....

Aber keine dieser Gattungen hat ja eine richtige Definition; insofern ist es vielleicht immer eine Frage der persönlichen Assoziation.
 
Na wenn schon Beethoven, dann aber der 2. Satz von op. 54. Klingt stellenweise wie Schumanns Toccata.

Mir scheint, dass die meisten Formen barocker Klaviermusik von den Klassikern nicht fortgeführt wurden, die schrieben weder Toccaten noch Präludien, Partiten oder Suiten. Und Fugen sind auch spärlich gesät. Die wollten eben mal andere Sachen ausprobieren.
 
3. Satz Italienisches Konzert - vielleicht auch so eine Art Toccata....?
 
Bei Bach würd ich dir auf jeden Fall die Toccata BWV 911 (Part 1) (Part 2) empfehlen (falls du die nicht kennst). Im Gegensatz zu der berühmten Orgeltoccata in d-moll, die du aufgezählt hast im Blog, ist die Toccata BWV 911 nämlich eine Klaviertoccata.

Auch die Toccata BWV 912 ist ganz hübsch!

Hallo,

Ich finde sämtliche Klaviertoccaten von Bach hier unbedingt einmal einzeln erwähnenswert, die da wären :

d-Moll BWV 913 (Frühere Toccata)
g-Moll BWV 915 (Frühere Toccata)
e-Moll BWV 914 (Frühere Toccata)
D-Dur BWV 912 (Frühere Toccata)
c-Moll BWV 911
fis-Moll BWV 910
G-Dur BWV 916

Jede einzelne davon hat ihren ganz eigenen Charakter und erinnert bereits jetzt schon an Beethovens berühmte Worte : Bach sollte nicht Bach, sondern Meer heißen.

Klaus Wolters hat in seinem Handbuch was sehr schönes dazu geschrieben :
Viel satztechnisch Unausgefeiltes, Unproportioniertes, mitunter Gewagtes steht in diesen Stücken, aber ein hinreißendes Temperament gelangt da zum Durchbruch, ein unwiderstehlicher Ausdruckswille, der sich wenig um die Form, nur um die Intensität der Aussage bemüht. Solche Freizügigkeit hat sich Bach später nie mehr gegönnt.


eine sehr schöne davon ist die in g-moll :

http://www.youtube.com/watch?v=idHtKzCpsaU

entstanden, wie sämtliche 7 Toccaten, etwa zwischen 1704-1714, hier kann man also den jungen Bach in vollem jugendlichen Elan erleben.
 

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