Hi Karl,
ich greife dieses "alte" Thema nochmals auf, weil es
a) noch nicht fertig und
b) sehr interessant ist
Ich tat mich wahrscheinlich auch deswegen mit dem Verständnis so schwer, weil die Begrifflichkeiten etwas vermischt sind, als Techniker bin ich da vielleicht etwas kleinkariert :wink:
Kraftfrei zu spielen ist unmöglich (das auszudrücken war meine ursprüngliche Intention):
Die heutigen Tasten sind mit ca. 50g gewichtet ich benötige also 50g *9,81 m/s^2 = 0,5N um die Taste überhaupt zu bewegen, also den leisest möglichen Ton zu erzeugen. Ein Anschlag normaler Lautstärke ist viel komplizierter zu berechnen, da verschiedene Teile der Mechanik verschiedenartige Bewegungen ausführen und verschieden beschleunigt werden. Je nach Fingerhaltung (eine gestreckte Fingerhaltung erfordert aufgrund der Hebelgesetze eine größere Kraft) ist die Kraft, die der einzelne Muskel aufwenden muß um ein Vielfaches höher. Grob geschätzt liegt der Kraftaufwand für einen einzelnen Ton in Zimmerlautstärke (erzeugt durch die Bewegung eines einzelnen Fingers) bei irgendwo zwischen 10 und 20 N, was schon ganz beträchtlich ist, wenn man bedenkt, dass in einem Konzert vielleicht 30.000 Noten gespielt werden. Die verrichtete Arbeit ist hierbei enorm, so dass Kraft und Ausdauer schon entwickelt werden müssen.
Die Methode, die du beschreibst, bezieht sich vermutlich auf 100% verspannungsfreies Spiel. Verspannung bedeutet ja, dass ich durch die Benutzung der jeweiligen Antagonisten die Fingermuskulatur "einsperre" um mehr Kontrolle zu erhalten. Um bei dem Zahlenbeispiel zu bleiben:
Wendet der jeweilige Antagonist auch 20 N auf, muss das der Protagonist durch zusätzliche 20 N kompensieren, will er die Bewegung dennoch ausführen. Insgesamt werden dann für diese Bewegung 60 N anstatt 20 N aufgewendet, was pure Kraftverschwendung ist. Je höher die aufgewendete Kraft ist, desto mehr geht die leistbare Ausdauerleistung zurück, so dass die Muskulatur dann schnell komplett verspannt und ermüdet. Abgesehen davon leidet natürlich die Schnelligkeit darunter.
Wenn ich dich richtig verstanden habe, beschreibst du, dass man zum vollständig entspannt spielen am besten den Kontakt zu den Tasten hält und soweit es geht sogar ein wenig gedrückt hält. Ich kann mir das für den Triller, den du beschreibst, sehr gut vorstellen:
Ich stelle mir die Tastenbewegung näherungsweise als sinusförmige Bewegung vor. Wenn ich die Tastenbeschleunigung betrachte, so ist diese im ersten und vierten Viertel der Periode positiv, im zweiten und dritten negativ. Die Tastengeschwindigkeit beginnt bei 0 und nimmt im ersten Viertel zu, im zweitenn Viertel bereits wieder ab!
Das ist eine wichtige Erkenntnis, denn damit ist das optimale Zeitfenster um die Taste zu beschleunigen das erste Viertel der angenommenen Sinusperiode (oder der halbe Tastenweg nach unten). Wird darüber hinaus weiter beschleunigt, dann wirkt dies der Bewegung entgegen. Ich wäre so zwar in der Lage den lauteren Ton zu erzeugen, muss aber überproportional mehr Kraft dafür aufwenden.
Nun stimmt das natürlich nur bedingt, da die Tastenbewegung nun mal kein Sinus ist. Aber näherungsweise sollte die Überlegung im Grundsatz auch hier Gültigkeit haben.
Zurück zum Triller:
Das hieße also, dass ich die beiden zu trillernden Tasten zwischen den Fingern sanft hin und her- "prallen" lasse, sie den größten Teil der Bewegung selbst ausführen lasse und sie lediglich im ersten Viertel der Sinusbewegung beschleunige. Das deckt sich im übrigen mit meiner Erfahrung vom Spielplatz: Wenn ich schaukele, dann beschleunige ich auch im ersten Viertel (oder werde dort angeschubst), nämlich wenn ich auf dem Weg nach vorn bin, wobei ich hier natürlich noch die Gegenrichtung zur Beschleunigung nutzen kann, bei der Klaviertaste geht das nicht :wink:
Analogie zum Verbrennungsmotor:
Zur Kraftentwicklung zündet die Zündkerze nahe dem oberen Totpunkt des Kolbens das zundfähige Gasgemisch. Der Verbrennungsdruck drückt den Kolben nach unten, und noch ehe dieser den unteren Totpunkt erreicht hat, öffnet das Auslassventil, lässt den Druck entweichen und stösst das heiße Abgas aus.
Was mir beim Triller einleuchtet und ich in der Praxis auch nachvollziehen kann, fällt mir bei anderen Passagen schwer:
Immer, wenn ein umgreifen oder ein Wechsel der Handposition erforderlich ist, geht mir das zu schnell, als dass ich noch in Ruhe die Finger auf den Tasten positionieren könnte, ehe ich weiter spiele. Gerade bei artistischen Stücken wie die von Liszt (La Campagnella habe ich noch nicht gespielt, aber ein Blick auf die Noten verrät mir, dass es dazu gehört :wink: ) tue ich mich schwer, das nachzuvollziehen. Ist es eher so, dass diese Spielweise als Ideal anzustreben ist um eben möglichst nahe heran zu kommen? Ähnlich wie es ja Sinn machen kann sich vorzustellen absolut "kraftfrei" zu spielen, und in Wirklichkeit löst man dadurch eben seine Verspannungen?
In der Hoffnung darauf, dass ich heute wieder etwas dazu lerne
Der Hartmut