Konzertgeschwätz

aber meine Schlußfolgerung daraus, eine Horde handyspielender Pubertierender mit einer Sologeige zu beharken, ist in Richtung "Freude an der Klassik entwickeln" eher sehr ungünstig... ;-):-D:-D

Offensichtlich funktioniert es doch - zumindest wenn ein gazettenbekannter Stecher mit Pferdeschwanz (ich meine die Frisur!) den pubertierenden Gören was geigt ...
 
@mick

"Was ihr den Geist der Zeiten heißt, // Das ist im Grund der Herren eigner Geist, // In dem die Zeiten sich bespiegeln."
Goethe, Faust I, Vers 577 ff.

Eine Wanda Landowska war davon überzeugt, daß sie (als einzige) den Geist der Barockmusik erfaßt habe, ein Busoni oder Karl Richter waren ebenso davon überzeugt. Hört man sich Aufnahmen von August Wenzinger, Harnoncourt oder Reinhard Goebel an, so liegen interpretatorische Welten dazwischen - und alle waren / sind davon überzeugt, daß ihre Auffassung den Geist der Barockmusik widerspiegelt. Die Grenze zu ziehen zwischen Willkür und legitimer interpretatorischer Freiheit ist nicht immer leicht.
 
Zunächst:
...warum sollte jemand langweilig spielen, wenn er über möglichst hohes spieltechnisches Können verfügt???
:-)
Weiterhin:
Warum jemand das sollte frage ich mich auch, ich kenne nämlich keine Antwort. Er / sie sollte nicht. Viele tun aber - jedenfalls für meine, und auch für andere geschulte Ohren, die zu mir bekannten Köpfen gehören. Tatsächlich frage ich mich (ganz im Ernst!) - Warum?
 
Eine Wanda Landowska war davon überzeugt, daß sie (als einzige) den Geist der Barockmusik erfaßt habe, ein Busoni oder Karl Richter waren ebenso davon überzeugt. Hört man sich Aufnahmen von August Wenzinger, Harnoncourt oder Reinhard Goebel an, so liegen interpretatorische Welten dazwischen - und alle waren / sind davon überzeugt, daß ihre Auffassung den Geist der Barockmusik widerspiegelt. Die Grenze zu ziehen zwischen Willkür und legitimer interpretatorischer Freiheit ist nicht immer leicht.


Ich finde es überhaupt nicht verkehrt, dass es so unterschiedliche Ansätze gibt. Allerdings weiß ich, dass Harnoncourt nicht die Hybris hatte, seine Auffassung als die einzig richtige anzusehen. Er hatte immer gesunde Selbstzweifel, und seine Interpretationen haben sich im Laufe der Jahre (und angelehnt an eigene musikwissenschaftlichen Erkenntnisse) sehr verändert. Über Reinhard Goebel habe ich allerdings gehört, dass er grundsätzlich jeden Musiker außer sich selbst für einen Vollidioten hält - nun ja, das ist auch ein Ansatz ...

Dass eine Interpretation immer auch ihrer Zeit verhaftet ist, steht wohl außer Frage. Aber ebenso steht für mich außer Frage, dass man wissenschaftliche Erkenntnisse nicht einfach ignorieren kann. Es mag sein, dass sich manches, was wir heute als richtig ansehen, durch neue Quellenfunde später als fragwürdig herausstellt. Aber es kann wohl als gesicherte Erkenntnis gelten, dass es ein Dauerlegato, wie es Richter oder Rilling spielen ließen, im Barock niemals gegeben hat. Wie man zu artikulieren hat, ist sicher diskussionswürdig und teilweise eine Interpretationsfrage. Aber dass man zu artikulieren hat, ist es ganz sicher nicht. Insofern kann man aus heutiger Sicht sagen, dass Harnoncourt möglicherweise falsch lag. Über Richter und Rilling kann man jedoch sagen, dass sie auf jeden Fall falsch lagen. Und mit diesem Wissen fällt es mir sehr schwer, solche Aufnahmen überhaupt noch anzuhören.

Etwas anders liegt es, wenn man Barockmusik auf dem modernen Klavier spielt. Im Grunde spielt man dann immer Transkriptionen, und man muss einen Kompromiss finden, der sowohl dem Komponisten als auch dem Instrument gerecht wird, das ja eine Erfindung des 19. Jahrhunderts ist. Hier ist meiner Meinung nach die Bandbreite akzeptabler Interpretationen sehr viel größer als bei Orgel-, Chor-, Kammer- oder Orchestermusik.
 
...und genau das meinte ich: jeder hat seinen ganz persönlichen Zugang zu einem Werk oder Komponisten. Du hast deinen bereits gefunden und weißt, welche Erwartungen du an einen Konzertmusiker stellst. Du möchtest eine möglichst authentische Interpretation hören. Ich wollte das hier niemanden ausreden oder madig machen, überhaupt nicht ;-) Nur finde ich, dass auch andere, freie Interpretationen ihren Platz haben sollten. Ohne dem Musiker (oder Zuhörer) sofort zu unterstellen, man wäre "musikalisch ungebildet" und wüsste es demnach nicht besser.

Zudem: ich handhabe es bei Konzerten immer so, dass ich mir vorher Informationen einhole, zum Ensemble, Organisten, Cembalisten... ganz gleich, wer da spielt. Über das Internet (oder das persönliche Umfeld) hat man ja alle Möglichkeiten dieser Welt. Und wenn ich dann sehe, dass sich der Künstler auf eine Weise barocker Musik nähert, mit der ich so gar nichts anfangen kann, (lassen wir die unterschiedlichen Möglichkeiten der Interpretation einfach mal außen vor), dann besuche ich das Konzert einfach nicht.

...und das Risiko, auch mal ein Konzert zu besuchen, dass nicht gefällt (aus den unterschiedlichsten Gründen) besteht ja sowieso immer. Von daher :coolguy:

Trotzdem möchte ich noch mal fragen, weils mich wirklich interessiert: was würdet ihr mit Schülern machen, die die barocke Spielweise kennen (theoretisch, sowie auch spielerisch), aber keinen Gefallen daran finden?

Richtig. Kurz und banal gesagt: Musik ist halt keine exakte Wissenschaft. Und was die Schüler angeht: gute Frage, nächste Frage. Wie @mick auch bin ich kein Klavierlehrer. Ich vermute mal "an der größtmöglichen Orgelpfeife festbinden, alle Register ziehen und die ersten Takte der d-moll Toccata und Fuge anschlagen" ist kein didaktisch akzeptabler Ansatz :-D. Aber Spaß beiseite: wenn jemand partout kein Barock mag wirst du ihn nicht dazu zwingen können.
 
Ich vermute mal "an der größtmöglichen Orgelpfeife festbinden, alle Register ziehen und die ersten Takte der d-moll Toccata und Fuge anschlagen" ist kein didaktisch akzeptabler Ansatz :-D
Hier geht es nicht um Didaktik, sondern um Aufmerksamkeit, Interesse wecken. Die meisten denken doch, Barockmusik sei:müde: weihnachtliches Gedudel von einem stehenden Streichorchester oder ohrenmassakrierenden:dizzy: Laien- Blockflötenensemble.

Ich bin mir außerdem sicher eine ordentliche Chaconne im Kirchenschiff oder ähnlich akkustisch bombastischen Raum:bomb: hinterlässt seine Wirkung.
 
Ich habe die Frage nur deshalb in den Raum geworfen, weil es mir zB. so geht. Ich bin mit der barocken Spielweise (bzw. authentischen Interpretation) groß geworden (damals aber auf einem anderen Instrument, Violine/Einzeluntericht, sieben Jahre, drei davon Mitglied in einem Kammerorchester), bin also musikalisch nicht ganz "ungebildet".

Allerdings gefällt es mir nicht. Ich finde, barocke Spielregeln im Einzelnen betrachtet, sehr schön und wende die ein- oder andere auch auf der Orgel oder am Cembalo an, aber alles in einem (Tempo/Registrierung/Artikulation) Stück vereint, sagt mir einfach nicht zu.

Mein Lehrer spielt ausgezeichnet Orgel und Cembalo und kennt sich mit Barockmusik sehr gut aus. Ich setze mich ebenfalls damit auseinander und möchte irgendwann in der Lage sein, ein Werk von Bach möglichst korrekt spielen zu können. Ich sage ja nicht: verbannt den authentischen Zugang aus dem Unterricht.

Deshalb finde ich es auch in Ordnung, wenn ich beide Wege gehe, nämlich: mir von meinem Lehrer alles über Bach und seine Zeit beibringen zu lassen, weils mich interessiert und ich es auch für wichtig halte, aber auch die Freiheit zu haben, meinen eigenen Weg in der Musik von Bach zu finden. Und mein Lehrer schaffte es bislang, beides im Unterricht zu vereinen. Er bringt mir alles wichtige bei, sagt mir, wie man ein Barockstück zu gestalten und aufzubauen hat. Aber er lässt mir auch die Freiheit, mich ein wenig auszuprobieren und gibt mir Raum, über verschiedene Interpretationen zu sprechen und die Unterschiede darin zu finden und herauszuarbeiten. Aber ich darf mich wie gesagt auch ausprobieren und eigene Ideen einbringen.

Zu Karl Richter: dass er Bach nicht authentisch aufführte, weiß ich. Allerdings finde ich seinen Zugang, den er für Bachs Musik gewählt hat, wunderschön. Was aber auch nicht bedeutet, dass ich alles, was er gemacht hat, automatisch gut finde.
 
Etwas anders liegt es, wenn man Barockmusik auf dem modernen Klavier spielt. Im Grunde spielt man dann immer Transkriptionen, und man muss einen Kompromiss finden, der sowohl dem Komponisten als auch dem Instrument gerecht wird, das ja eine Erfindung des 19. Jahrhunderts ist.

Nicht nur das Instrument zwingt zur Transkription sondern noch in viel größerem Ausmass die Zeit.
Erweckt man diese alte Musik heute zum Leben, transkribiert man sie zwangsläufig ins Heute.
 
@devasya: Ach so, ich dachte du redest über deine eigenen Schüler. Da bin ich allerdings auch nicht gerade der Fachmann. Wenn dein Klavierlehrer dir da genügend Raum für eigene Interpretationen gibt ist dass wahrscheinlich ein Schritt in die richtige Richtung, würde ich mal meinen. Ansonsten kannst du dich ja mal in Richtung Transkriptionen umtun. Ich habe mir z.B. eine Transkription für Klavier der Suite aus der Partita für Violine in E-Dur von Bach/Rachmaninoff bei Imslp heruntergeladen. Das ist Barock mal anders :-).
 
Allerdings gefällt es mir nicht. Ich finde, barocke Spielregeln im Einzelnen betrachtet, sehr schön und wende die ein- oder andere auch auf der Orgel oder am Cembalo an, aber alles in einem (Tempo/Registrierung/Artikulation) Stück vereint, sagt mir einfach nicht zu.
Wenn dir Barock nicht gefällt, wieso bist du dann ausgerechnet auf Cembalo und Orgelspiel gekommen - bin jetzt etwas irritiert :denken:
 

@devasya: Ach so, ich dachte du redest über deine eigenen Schüler. Da bin ich allerdings auch nicht gerade der Fachmann. Wenn dein Klavierlehrer dir da genügend Raum für eigene Interpretationen gibt ist dass wahrscheinlich ein Schritt in die richtige Richtung, würde ich mal meinen. Ansonsten kannst du dich ja mal in Richtung Transkriptionen umtun. Ich habe mir z.B. eine Transkription für Klavier der Suite aus der Partita für Violine in E-Dur von Bach/Rachmaninoff bei Imslp heruntergeladen. Das ist Barock mal anders :-).

Nene, ich bin keine Lehrerin, sondern Hobbymusikerin, bzw. mache derzeit den C-Schein in Orgel- und Kirchenmusik. Ich hab' damals mit fünf Jahren begonnen Violine zu spielen, so ca. bis ich 13/14 Jahre alt war. Hab' Einzelunterricht genommen, später dann drei Jahre lang in einem Kammerorchester gespielt und immer wieder mal an diversen Workshops teilgenommen. Mir hats immer viel Freude bereitet, aber die Violine war eben nie "mein Instrument". Seit zwei Jahren spiele ich Orgel (nebenher noch ein bisschen Cembalo, hab' seit einem halben Jahr ein eigenes) und hab, bevor ich damit angefangen habe, ein halbes Jahr lang Klavierunterricht genommen. Ich bin einfach nur leidenschaftlich gerne am Musizieren, das ist alles ;-) Allerdings spiele ich mit dem Gedanken, Kirchenmusik und Orgel im Anschluss zu studieren. Ist vielleicht ein mehr als gewagter Wunsch, aber ich möchte es zumindest versucht haben.

Nachtrag: zumal, wenn ich Orgellehrerin wäre, würde ich ebenfalls einen Mittelweg mit meinen Schülern gehen. Wissen vermitteln, was wichtig ist und zur Bildungsverantwortung mit dazu gehört. Aber eben auch frei in ein Werk oder eine Epoche einsteigen. Dem Schüler die Möglichkeit geben (nicht immer, aber ab und an) ein Werk ganz nach seinen/ihren Maßstäben kennen zu lernen. Ideen und Wünsche des Schülers zulassen, sie mit ihm/ihr gemeinsam besprechen und auch Raum für Interpretationen zu lassen, die möglicherweise nicht ins barocke Klangbild passen. Ich würde Musik nicht nur als technisches Handwerk verstehen, sondern auch als experimentelles Spielfeld der eigenen Persönlichkeit und Welt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn dir Barock nicht gefällt, wieso bist du dann ausgerechnet auf Cembalo und Orgelspiel gekommen - bin jetzt etwas irritiert :denken:

Mir gefällt Barockmusik. Bachs Kompositionen (um bei ihm als Beispiel zu bleiben) sind wunderbar! Ich komme lediglich mit der Ausführung derselben nicht zurecht, bzw. bevorzuge einen Mittelweg aus "barocker und romantischer Spielweise". Das ist alles ;-)
 
Wissen vermitteln, was wichtig ist und zur Bildungsverantwortung mit dazu gehört. Aber eben auch frei in ein Werk oder eine Epoche einsteigen. Dem Schüler die Möglichkeit geben (nicht immer, aber ab und an) ein Werk ganz nach seinen/ihren Maßstäben kennen zu lernen. Ideen und Wünsche des Schülers zulassen, sie mit ihm/ihr gemeinsam besprechen und auch Raum für Interpretationen zu lassen, die möglicherweise nicht ins barocke Klangbild passen.

Das ist dann aber ein Ritt auf der Rasierklinge.

Ein Schüler ist ein Schüler weil er (sehr) viele Dinge nicht weiß und aufgrund des fehlenden Wissens u.A. noch unzureichende Klangvorstellungen hat.

Deswegen kann sich ein Lehrer nie sicher sein, ob der Schüler ein Stück vielleicht nur deswegen so "anders" spielt weil dieser zum Notenbild eine nur ungenügende Klangvorstellung entwickelt hat und einfach so lange herumprobierte, bis etwas dabei herauskam, was er als "schön" erachtet.

Daher denke ich, bevor ein Schüler anfängt, ein barockes Werk nach seinen eigenen Maßstäben zu interpretieren sollte er erst zu 100% in der Lage sein, sie klanglich in einer dem Ursprungswerk und dem Instrument unter seinen Fingern gerecht werdenden Weise umzusetzen zu können.
 
Dass eine Interpretation immer auch ihrer Zeit verhaftet ist, steht wohl außer Frage. Aber ebenso steht für mich außer Frage, dass man wissenschaftliche Erkenntnisse nicht einfach ignorieren kann. Es mag sein, dass sich manches, was wir heute als richtig ansehen, durch neue Quellenfunde später als fragwürdig herausstellt.
Neben Interpretatation und historisch gesicherter Spielweise finde ich, dass entscheidenste ist, was sagt die Musik selbst aus. Gute Musik braucht nicht bearbeitet zu werden*), damit für den Ausführenden sich die richtige Spielweise erschließt. Vielmehr drängen die vom Komponisten gesetzten Stücke von selbst auf die richtige Spielweise.

Die Chaconne von Bach wird jeder als mächtig, emotional usw. Empfinden, dagegen ein einfach gesetztes Mozarttänzchen, liedchen auch als fröhlich schwingend begreifen. (Gleichwohl gibt es auch von Mozart emotional dunkles aufrührendes ....)

*) Damit meine ich nicht bearbeiten im Sinne von dem Lernenden Hilfestellungen z.B. hinsichtlich des Fingersatzes zu geben
 
Gestern abend schaute ich mal in Netz nach, was es denn im Raum Wiesabden in nächster Zeit so an Konzerten gibt. Siehe da: Rundfunk-Sinfonie-Orchester Prag mit einer Glinka-Ouvertüre, Brahms' Violinkonzert und Tschaikowskis 5. Sinfonie - gerade noch rechtzeitig entdeckt und sofort hingefahren.

Trotz des Gassenhauer-Programms gab es noch Karten. Ich nahm eine im Rang (zum stolzen Preise von 61€), knapp links der Mitte hinten. Unten im Parkett gab es nur noch Randplätze, wo der Rang wie ein Dach darüber liegt. Hier oben wird man von der Musik umgeben, aber durchscheinend ist das Klangbild nicht, eher etwas verwaschen und fern.

Glinkas Ruslan und Ludmilla spielten sie in einem rasenden Tempo, aber sauber. Beim Brahms hörte man schon in den ersten Takten, daß es nun anders wird: angenehm langsam, dem lyrischen Charakter angemessen. Die Geigerin Conunova-Dumorti spielte schön. Sie gab noch eine Zugabe, leider habe ich den Komponisten und den Werkstitel nicht verstanden (ich vermute Suk).

Nach der Pause ging es weiter mit Tschaikowski, der mir auch gut gefallen hat. Es gab noch zwei Zugaben, Dvoraks Slavischer Tanz Nr. 2 und Brahms' Ungarischer Tanz Nr. 5 (wenn ich's recht identifizier habe).

Als Stilblüte diesen Thread eröffnete, schien sie auch ein wenig lästern zu wollen. Mir schelmischen Schalk macht Lästern besonders viel Spaß, also lasset mich mal beginnen.

Es war das erste Mal, daß ich mich ins Wiesbadener Kurhaus begab. Das ist ein Spielkasino mit angehängtem Konzertsaal. Einer der Nebenräume ist nach Dostojewski benannt - will Wiesbaden damit zum Ausdruck bringen, daß es sich mit dem von ihm vergebenen Ehrennamen "Roulettenburg" schmücken darf? Ich schwankte früher zwischen Baden-Baden und Bad Homburg, aber vielleicht sind es ja alle drei, oder gar noch weitere, wo Dostojewski der Spielsucht erlag.

Im Foyer stehen große Monitore, die auf besondere Angebote der Spielbank aufmerksam machen. Gestern abend war dies "Signalkabel prüfen", was für so manchen Computernutzer tatsächlich ein Glücksspiel ist.

Um seine Bildung glänzend erscheinen zu lassen, ließ der Geldadel das Foyer antik anmutend ausstatten. Es stehn ein paar Statuen herum, bei denen sauber vermerkt ist, welches Original kopiert wurde. Ob auch das Copyright zur Nachbildung und zur Ausstellung der Nachbildung erworben wurde, ist leider nicht angegeben. Vielleicht sollte man die griechische Regierung drauf aufmerksam machen, daß sie im Namen des Hellenistischen Bildhaukunstrechteinhaberverbandes angemessene Tantiemen einfordert.

Antike Szenen bieten die Chance, viele wohlgeformte spitze Brüste darzustellen. Und dann gibt es noch ein paar Mosaike. Haidanai, sind die was von verpixelt! Ham die sich keine High Definition Mosaics leisten können?

Das Wiesbadener Konzertpublikum verfügt über hohe musikalische Bildung und sieht Konzerte als einen Wettbewerb unter den Zuhörern an: wer den letzten Ton eines Werkes erkannt hat, klatscht sofort los, möglichst in diesen Schlußton heinein. Erster!
Manchmal ist das ein wenig zu früh: wenn es sich um eine Satzpause handelt... Aber zum Glück stand kein Bruckner auf dem Programm, mit seinen hinterhältigen Generalpausen.

So, genug gelästert. Um keinen falschen Gesamteindruck zu erwecken, gibt es eine dreisätzige Zusammenfassung:

Schön war's.
Spaß hat's g'macht.
Da Capo!
 
Trotz des Gassenhauer-Programms gab es noch Karten. Ich nahm eine im Rang (zum stolzen Preise von 61€), knapp links der Mitte hinten. Unten im Parkett gab es nur noch Randplätze, wo der Rang wie ein Dach darüber liegt.

erlaube mir mal eine kleine Bemerkung zum "stolzen Preis von 61€ "

von diesen 61€ gehen ca.15% an den Ticket Verkäufer wie Eventime, reservix u.a.
für jeden nicht verkauften Platz muss bezahlt werden. Auch jeder Freiplatz der vom Veranstalter reserviert wird für Presse, Personal, Freunde muss bezahlt werden.
Die Saalmiete kann je nach Ort weit über 10000 Euro kosten je nach Grösse. Dazu kommt noch das Personal, jeder extra Wunsch, wie Lautsprecher, Beleuchtung usw. muss zusätzlich bezahlt werden. Für so eine Veranstaltung braucht es Versicherungen, für Schäden die durch die Besucher, Musiker, Ausfälle usw.entstehen.
Die Kosten für so ein Orchester aus dem Ausland, belaufen sich je nach Bekanntheitsgrad um die 50000 Euro dies kann auch etwas günstiger oder mehr sein.
Ein richtiger Brocken ist die Werbung, da können leicht zehntausende von Euro geschluckt werden.
Das Personal welches dies alles auf die Beine stellt muss bezahl werden, Büro Spesen usw.
Das sind jetzt nur einige Dinge die ich erwähnt habe, ja eines noch, Papa Staat will seine Mehrwertsteuer 19 % und 15% von der Gage aller Musiker die aus dem Ausland kommen.
Jetzt weisst Du wenigstens für was was Deine 61€ gebraucht werden.:-(
 
Zuletzt bearbeitet:
Zeit, hier mal wieder etwas zu schreiben!

Ich habe eben zum ersten mal das Tschaikowsky-Konzert live aus dem Publikum gehört (tatsächlich!), und zwar im Lincoln-Center mit Kirill Gerstein am Klavier und Semyon Bychkov am Stäbchen, das Orchester waren wie so oft The New York Philharmonic.

Warum ich dazu was schreibe: Gerstein hat die "unbekanntere", ältere Version des Konzertes gespielt, die kürzlich "wiederentdeckt" wurde.
http://site-323590.bcvp0rtal.com/de...no-concerto-no.-1-1879-version?autoStart=true

Um ehrlich zu sein wäre es kaum aufgefallen, wenn ich nicht von diesen Fassungen wüsste. Die einzigen Änderungen waren:
1. Die eröffnenden Akkorde im Klavier werden leiser und arpeggiert gespielt. Dies wurde so gelöst - der (saubere!) Anfang im Horn war groß und majestätisch, nach der Kadenz und mit Einsatz des Klaviers war der "große" Anfang bereits vorbei und es wurde etwas lyrischer. Das Thema kommt ja dann noch einmal, da kann man dann ein bisschen mehr die Sau rauslassen.
Mein Kommentar: Das klingt zwar sehr schön. Aber es macht einfach auch wahnsinnig Spaß, einen so kräftigen, lauten und vollen Anfang zu spielen und zu hören. Ich denke, der ist u.a. auch am Erfolg dieses Konzerts schuld.
2. Der 3. Satz ist ein paar Takte länger. Es scheint beinahe keinen Unterschied zu machen ob die Takte da sind oder nicht.. Ich persönlich finde sie schön, aber ohne geht auch nicht wahnsinnig viel verloren :heilig:

Der Pianist hat sehr souverän und mit deutlicher "Bewusstheit", was er will und zeigen will gespielt. Bei so großem Orchester geht leider die Hälfte des Klaviers verloren, der beste Platz ist der auf dem Klavierstuhl :lol:
Er hat das so gelöst, dass er einzelne Themen oder Akkorde extrem rausgehämmert hat, damit sie das Publikum (oder an manchen Stellen der Dirigent bzw. das Orchester) auch hören. Das hat das Zuhören einfacher gemacht, empfand ich aber manchmal auch etwas flach. Manches kam mir ein bisschen zu sehr gewollt rüber, wenn die Melodie gar nicht und dafür irgendeine Tenorstimme hörbar war.
Von der Schönheit des Mittelteils im 2. Satz war leider kaum etwas hörbar, weil es sich in der Geschwindigkeit verloren hat. Aber wenn man das Konzert schon 100 Mal gespielt hat, wird man vermutlich immer schneller. Obwohl er sich im 1. Satz sehr zusammengerissen hat, der war gar nicht überschnellt.

Alles in allem jedenfalls sehr gelungen, auch dem Publikum hat es (natürlich) gefallen. Ich fand's toll, dass er keine Zugabe gespielt hat. Eine Unsitte ist das mit den ganzen Zugaben. Eine, die mit mir im Konzert war, hat sich darüber allerdings beschwert :-D

Nach der Pause gab es noch die "Manfred Symphony after Byron" von Tschaikowsky. Sehr düster und lang, ein krasser Gegensatz zu diesem Unterhaltungsklavierkonzert.
 
Heute war ich wieder in einem Konzert, und zwar einem Klavierabend von Alexander Melnikov. Ist der bekannt? Ich meine, den Namen mal gehört zu haben.
Die Biographie überschlägt sich geradezu vor Superlativen, darunter eine Auszeichnung für eine seiner Aufnahmen "50 Greatest Recordings of All Time".

Gespielt hat er die Chopin- und Corelli-Variationen von Rachmaninov und Debussy Préludes 2. Band.

Mein persönlicher Eindruck: Solide gespielt und im Debussy wunderbare Pianissimi gezaubert. Berührt hat mich das alles aber nicht besonders. Der Rachmaninov war für meine Begriffe nicht klar genug, manchmal gehetzt, ungenau, zu viel Pedal, teilweise etwas gepfuscht.
An einer leisen Debussy-Stelle klingelte ein penetrantes Handy von irgendeiner Oma, die vermutlich nicht wusste wie es ausgeht. Da bekomme ich Mordgelüste. Vor allem, wenn es 10 Sekunden später dann noch einmal klingelt... :angst:Wie ignorant kann man eigentlich sein, in ein Konzert zu gehen ohne zu wissen, wie das Handy ausgeht? Geht mir nicht in die Birne...

Interessant war, dass der Pianist mit Ipad oder ähnlichem electronic device vor der Nase gespielt hat. Er hat das Ding aber nie berührt, wie hat das Teil denn geblättert? Einerseits ist das ungewohnt, andererseits finde ich toll, dass er sich das "traut". Diese merkwürdige Sitte des Auswendigspielens um jeden Preis ist doch affig, der einzige triftige Grund dagegen ist, dass man einen Blätterer braucht und es deshalb umständlich ist. Der ist anscheinend jetzt überholt.

Viel Freude scheint er nicht an dem Konzert gehabt zu haben, er kam noch zweimal lustlos auf die Bühne gelatscht, hat aber keine Zugabe gespielt. Vielleicht war er auch sauer, weil das olle Publikum so unruhig war.
 
Vielleicht hat er nur seinen WhatsApp-Stream während des Konzertes verfolgt. Da muss man ja nicht blättern.
:-)

Ich kenne Melnikov bisher nur als Kammermusiker. Da ist er wirklich sehr gut.
 

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