Konzertgeschwätz

Stilblüte

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Gibt es schon einen allgemeinen Faden, in dem man von Klavierabenden und Konzerten berichten und zwangslos diskutieren kann? Ich finde, man muss nicht für jedes Konzert einen neuen aufmachen, dann sind auch einzelne Konzerte nicht so auf dem Präsentierteller. Namen von Pianisten sollten, v.a. bei negativer Kritik, nicht genannt oder leicht verfremdet werden, finde ich.

Soeben habe ich ein Konzert eines über 80-Jährigen Pianisten gehört (nicht mein Lehrer) - bis zur Pause. Der Saal war so voll wie zuvor noch nicht in dieser Reihe, und man hatte schon vor Konzertbeginn den Eindruck, dass gleich ein großer Meister spielen würde. Zunächst spielte er also die b-moll-Partita von Bach. Der erste Satz war noch ganz schön, aber je weiter er sich dem Ende der Suite näherte, desto mehr Pedal wurde eingesetzt - bis schließlich der letzte Satz auch als hochromantische Etüde hätte durchgehen können.

Danach kam Beethoven, op. 109 - für mich im Moment sowieso kein Stück, das ich hören will (bin übersättigt). Da setzte sich der Eindruck leider fort - eine große Soße, nebulös und ungenau, sehr viel Pedal, Klangflächen. Mir wird sowas irgendwann körperlich unangenehm. Dazu kam noch, dass mein Sitznachbar die ganze Zeit (hörbar) an seinen Fingernägeln herumgefummelt hat und auch nicht aufhörte, als ich ihn ziemlich eindringlich angestarrt habe.

In der Pause dann die große Frage: Bleiben oder gehen? Bei mir kämpft immer die Neugierde auf die Interpretation weiterer Werke mit dem Bedürfnis, nichts mehr zu hören. Nach der Pause sollten Impressionisten kommen, die viel besser zu seinem Stil gepasst hätten - davor allerdings eine ganze Weile Chopin, und Chopin in diesem Stil wollte ich heute nicht mehr ertragen müssen.

Dummerweise gibt dieser Mensch am Montag einen Meisterkurs, zu dem nur drei Schüler des ganzen Festivals zugelassen werden, welche auch noch von meinem Lehrer vorgeschlagen werden müssen - und mich schlägt er vor. Dumm gelaufen.
Kurzum: Ich bin trotzdem gegangen. Und frage mich (auch nach ein paar anderen Konzerten) verschiedene Dinge: Hört das stetig jubelnde Publikum eigentlich gar nichts? Erwartet es nichts? Oder erwarte ich zuviel?

Von Pianisten, die als "die besten der Welt" angekündigt werden wünsche ich mir durchsichtiges, verständliches Klavierspiel, das nicht gehetzt und nicht zäh ist, eine große dynamische Bandbreite hat und reich an verschiedenen Klängen, Farben und Ausdruck ist. Sowas habe ich in den letzten Jahren nur ziemlich selten gehört. Besagter Pianist, den ich kürzlich so hochgelobt habe, war dem noch am nächsten, doch auch bei ihm sind immer mal die Pferde durchgegangen und er gehört eher in die Kategorie "beeindruckender Virtuose mit Klangsinn".

So, jetzt beruhige ich mich wieder. Ich behaupte auch mit keiner Silbe, dass ich nur einen Deut besser bin. Ich wundere mich nur, wer so alles auf New Yorker Bühnen bejubelt wird.
Demnächst höre ich George Li, auf den bin ich gespannt.

EDIT: Ich suche gerade Aufnahmen aus YouTube, wo er Ravel spielt. Die klingen ganz anders. Sind vermutlich auch älter. Was die Frage bringt: Sollte man bis zum Ende auftreten, auftreten wollen, sollte einem jemand sagen, wenn es nicht mehr gut klingt, oder nicht? Ich weiß nicht mal, was ich da selber wollen würde. Eigentlich möchte ich es wissen - aber ändern könnte ich es ja doch nicht und wäre dann nur betrübt bis ans Lebensende.
 
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Zu viel Pedal bei Bach regt mich auch jedesmal auf. Und wenn man das Spiel verkleistern muß, sollte man vielleicht doch kritisch abwägen, ob man sich öffentlich noch präsentieren möchte. Der Markt ist gnadenlos hart.
LG Doc88
 
Vergiss nicht, der gute Mann ist 82 (!) und seit vielen Jahren eher als Dirigent tätig. Er hat einige Einspielungen gemacht, die ich als legendär bezeichnen würde. Seine Aufnahme von Saint Säens 2 hat absolute Referenz
 
Hört das stetig jubelnde Publikum eigentlich gar nichts? Erwartet es nichts? Oder erwarte ich Zuviel?.

Ich weiss nicht um welchen Pianist es sich hier handelt, u.U. ein Europäer der sich dem amerikanischen Geschmack angepasst hat (= alles schön Kitschig spielen). Das die meisten Amis Kultur- und Essbanause sind, dürfte dir wohl bekannt sein. ;-)
 
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Hört das stetig jubelnde Publikum eigentlich gar nichts? Erwartet es nichts? Oder erwarte ich zuviel?
Eine Frage, die ich mir auch oft stelle. Da zitiere ich mal einen älteren Konzertbesucher, mit dem ich letzthin in einer Konzertpause ein Schwätzchen hielt:
Zum Glück wurden heute nicht so viele Sponsorenkarten vergeben, die klatschen in jeder Satzpause.
Ob man in der Pause besser geht oder nicht, habe ich mich auch schon nach manch schlechtem Konzertbeginn gefragt. Aber manchmal in der zweiten Hälfte eine überraschend hohe Qualität erlebt.
Ich weiche immer wieder von der allgemein hohen Meinung zu Stars ab: der Dirigent Andris Nelsons ist für mich ein Lärmfatzke - den werde ich mir nicht mehr anhören. Und Pogorelich werde ich auch meiden, allenfalls ein brutales, martialisches Werk könnte zu ihm passen.
 
Heute war ich auf einem Konzert von George Li. Darauf war ich sehr gespannt, weil er ja eine YouTube-Bekanntheit ist bzw. als Kind war (ich glaube, auch hier wurde er zerrissen). Seit einigen Jahren habe ich ihn nicht gehört, inzwischen hat er einige Wettbewerbe [fast] gewonnen und ich wollte hören, ob er sich weiterentwickelt hat.

Er spielte eine Haydn-Sonate, Chopin 2. Sonate, Corelli-Variationen und Liszt-Kracher zum Schluss. Seine Klaviertechnik erzeugt einen Wind, der einem noch in 20 Metern Entfernung die Tränen in die Augen trieb - sein Handwerk hat der junge Mann zweifelsohne unglaublich gut gelernt und erreichte zwischendurch Geschwindigkeiten, die sicher an der Grenze des mechanisch und körperlich Ausführbaren lagen. Dafür erntet er meine grenzenlose Bewunderung und Anerkennung, das wird mir in diesem Leben wohl nicht mehr passieren :-DIch tröste mich aber damit, dass ich dafür nicht ab der Kindheit jede Woche 40 Stunden geübt habe, sondern lieber im Dreck gewühlt habe und durchs Gebüsch gestiegen bin.

Abgesehen von den beinahe makellosen Ausführungen allerdings gab es nicht viel, was beeindrucken konnte - außer vielleicht das junge Alter des Pianisten, das auch noch ein Wachsen des Geistes erhoffen lässt. Obwohl natürlich das Grundhandwerk beherrscht wird, das selbstverständlich auch Dinge wie ein schönes Legato, gute Klänge etc. beinhaltet, wirkte die Musik noch etwas zusammengebaut. Ich hatte den Eindruck, jede Bewegung war sehr genau geplant, alle Wiederholungen klangen exakt gleich und sehr vorhersehbar. Der Sinn für das Besondere im Kleinst-Detail, der einem Stück etwas magisches, individuelles verleihen kann, fehlte an vielen Stellen noch. Wiederholte Töne oder Motive klangen zu gleich, besondere Momente wurden im Elan des 100sten Auftritts einfach überspielt.
Dachte sich wohl auch einer der Professoren, den ich in der Pause sprach und der mir sagte "Interessiert mich nicht, ich gehe jetzt. Das kann man sich zu studienzwecken mal anhören."

Es fragt sich also, was man will. Die Liszt-Rhapsodie war sehr beeindruckend, und wirklich klasse fand ich das Stück, das ich am wenigsten kannte - Carmen Fantasie als Zugabe.

Seinen jüngeren Bruder habe ich im Publikum herumschleichen sehen. Ich erinnere mich, dass mir vor ein paar Jahren sein Klavierspiel noch mehr imponiert hat, weil es sehr musikalisch war. Vielleicht hört man von dem ja später auch noch mehr.

Fazit: Man kann auch auf hohem Niveau meckern :lol: Nur kein Neid. Mal abwarten, wie der junge Herr in zehn bis zwanzig Jahren spielt.
 
Ich denke, ich muss noch von zwei Konzerten berichten, die mich auf die eine oder andere Weise beeindruckt haben.

Nach George Li gab es am nächsten Tag ein in jeder Hinsicht gegensätzliches Konzert - ein Freund von mir hat gespielt, Alexander Schimpf, der auch mal in Würzburg studiert hat. Seit er Cleveland gewonnen hat, startet er als Pianist richtig durch.
Sein Konzert war in meinen Ohren (und nicht nur meinen) eines der besten in diesen zwei Wochen. Er spielte Brahms op. 76, Debussy Images II und danach Beethoven op. 111. Alles vom Feinsten, sehr durchdacht, wunderbare Klänge, Durchsichtig. Sehr groß und ganz ohne Hektik und Polemik. So etwas kann man sich auch mit der besten Technik nicht "erarbeiten", denn das kommt von woanders her. Uneingeschränkte Empfehlung - wer die Gelegenheit hat, sollte sich das anhören.

Schließlich hörte ich noch Alexander Kobrin, der erst einen sehr guten Satz aus dem Konzert ohne Orchester von Schumann spielte, danach die verrückte zweite Brahmssonate (sehr energiegeladen, schnell, laut, aber überwiegend verständlich). Und nach der Pause die B-Dur-Sonate von Schubert.
Ich bin noch nicht ganz sicher, wie mir letztere gefallen hat, in jedem Fall war die Darbietung äußerst eindrücklich - Mit sehr (!) wenigen Ausnahmen spielte er die ganze Sonate im extremen Pianissimo. So leise, dass ihm im ersten Satz trotz seiner atemberaubenden Technik leider erstaunlich viele Töne verloren gingen, was verdeutlicht, wie leise er gespielt hat. Außerdem waren der erste und zweite Satz extremst langsam.
Man spürte regelrecht, wie das Publikum fast unangenehm berührt war durch so viel Stille und Innigkeit, es passiert ja nicht so oft, dass man fast eine Stunde lang seinen Nachbarn atmen und schlucken hört und gleichzeitig still sitzt. Der dritte war dann atemberaubend schnell (immernoch pp), wobei die wenigen Fortestellen in jedem Satz wirklich sehr Forte waren - und am merkwürdigsten war der letzte Satz. Aus dem wollte er etwas machen, was er nicht ist, er hat ihn in einer Ernsthaftigkeit geknetet, die er meiner bescheidenen Meinung nach nicht unbedingt hat.

Der Effekt des Pianissimos war sehr stark, allerdings ging sämtliche Kantabilität der Sonate verloren und auch das Quirlige, was doch hin und wieder vorhanden ist. Die drei jungen Studentinnen neben mir waren so verdutzt, dass sie während der Zugabe sehr viel Mühe hatten, sich ein lautes Loslachen zu verkneifen! ("Der Dichter spricht" - für mich die "lasst mich in Ruhe"-Zugabe).

Letztlich muss ich wohl sagen - kann man mal machen, und manche fanden das sicher geniehaft, ich fand es zwar eindrücklich, aber auch sehr merkwürdig und würde mir das kein zweites Mal anhören wollen. Zu anstrengend und auch zu einseitig. Schubert war zwar schon fast tot als er die Sonate schrieb, aber nur im zeitlichen Sinne - sein Gehirn war eindeutig noch recht lebendig.
 
Und nach der Pause die B-Dur-Sonate von Schubert.
Ich bin noch nicht ganz sicher, wie mir letztere gefallen hat, in jedem Fall war die Darbietung äußerst eindrücklich - Mit sehr (!) wenigen Ausnahmen spielte er die ganze Sonate im extremen Pianissimo. So

Interessant, hätte ich sehr gerne gehört. Denn erstens mag ich diese Sonate sehr und zweitens finde ich passt leise sehr gut zu Schubert.
Ich ertappe mich selbst manchmal Schubert sehr, sehr leise zu spielen. Fast wie wenn sich die Musik im Nichts auflöst. Vielleicht ist das eine Faszination von Schubert's Musik, das unheimliche, bedrohliche aber doch tröstende Nichts, dass da leise durchscheint.
 
Und nach der Pause die B-Dur-Sonate von Schubert.
Ich bin noch nicht ganz sicher, wie mir letztere gefallen hat, in jedem Fall war die Darbietung äußerst eindrücklich - Mit sehr (!) wenigen Ausnahmen spielte er die ganze Sonate im extremen Pianissimo. So leise, dass ihm im ersten Satz trotz seiner atemberaubenden Technik leider erstaunlich viele Töne verloren gingen, was verdeutlicht, wie leise er gespielt hat. Außerdem waren der erste und zweite Satz extremst langsam.
Man spürte regelrecht, wie das Publikum fast unangenehm berührt war durch so viel Stille und Innigkeit, es passiert ja nicht so oft, dass man fast eine Stunde lang seinen Nachbarn atmen und schlucken hört und gleichzeitig still sitzt. Der dritte war dann atemberaubend schnell (immernoch pp), wobei die wenigen Fortestellen in jedem Satz wirklich sehr Forte waren - und am merkwürdigsten war der letzte Satz. Aus dem wollte er etwas machen, was er nicht ist, er hat ihn in einer Ernsthaftigkeit geknetet, die er meiner bescheidenen Meinung nach nicht unbedingt hat.

Der Effekt des Pianissimos war sehr stark, allerdings ging sämtliche Kantabilität der Sonate verloren und auch das Quirlige, was doch hin und wieder vorhanden ist. Die drei jungen Studentinnen neben mir waren so verdutzt, dass sie während der Zugabe sehr viel Mühe hatten, sich ein lautes Loslachen zu verkneifen! ("Der Dichter spricht" - für mich die "lasst mich in Ruhe"-Zugabe).
Danke für diesen interessanten Konzertbericht!
Ich bin, bei aller Skepsis, ob dieses Experiment gelungen ist, ein wenig für den Pianisten eingenommen. Er hat sich eine eigene Interpretation getraut und das Publikum hat ein sehr berühmtes Werk mal anders gehört. Ich weiß, damit kann man auch jede total unsinnige Interpretation rechtfertigen :) aber ganz ehrlich: Ich höre lieber ein mutiges Experiment, was dann vielleicht schief geht, als den üblichen Einheitsbrei.

lg marcus
 

Es war eine Interpretation für die Leute, die die Sonate schon gut kennen. Wer das zum ersten Mal gehört hat, wird sich sehr gewundert haben. Viele Aspekte gingen eben dabei verloren, die eigentlich auch dazugehören und die Sonate schön und besonders machen.
 
Viele Aspekte gingen eben dabei verloren, die eigentlich auch dazugehören und die Sonate schön und besonders machen.

...aber ist nicht auch das, in der letzten Konsequenz gedacht, "relativ" bzw. eine Frage des persönlichen Geschmackes, sowie der individuellen Herangehensweise des Zuhörers und/oder Musikers?

Ich erlebe das immer wieder, zumindest in der Orgelmusik, und ganz besonders bei Bach, das vorgeschrieben werden möchte, was "richtig" ist und somit auch "was als schön" empfunden werden sollte, und was nicht. Ich persönlich finde das sehr schade. Und finde diesen Aspekt auch nicht gut.

Man kann alles lehren und weitergeben und natürlich sollte man sich, egal ob als Student, Lehrer oder Musiker, mit allen Möglichkeiten der Interpretation auseinandergesetzt haben. Aber man sollte auch Gegenteiliges stehen lassen dürfen oder die Kreativität und das "experimentelle Auseinandersetzen" der Studenten (an Hochschulen zB.) mit positiven und nicht mit "abwertendem" Verhalten "maßregeln" (mir fällt grade kein passenderer Begriff ein, ich hoffe, man versteht trotzdem, worauf ich hinaus will...).

"Wenn du bei uns an der Uni den Namen Karl Richter öffentlich ausgesprochen hast, wurdest du ausgelacht und vom Professor nicht mehr ernst genommen"... hat mir ein Bekannter, der an der UNI xy studiert hat, grade neulich erzählt.

...und da frage ich mich ganz persönlich: geht somit nicht ein ganz wesentlicher Teil des Musizierens verloren? Nämlich: die Möglichkeit zu haben, ein Stück auf vielfältige Art entdecken und erleben zu dürfen?

Musik ist für mich manchmal wie ein großes Mysterium, das es zu entdecken gilt. Ich liebe es zB. Stücke immer wieder anders zu spielen und dabei zu erleben, wie vielfältig sich Töne zeigen und präsentieren können. Man stelle sich nur EINEN einzigen Takt vor... dieselben Noten, dieselbe Tonart... aber indem ich die Artikulation, die Phrasierung und Registrierung (auf die Orgel bezogen) ändere, öffnen sich mir ganze Welten an Farben und Emotionen. Ein Stück wächst dadurch und wird größer, bekommt Tiefe und Substanz.

Ich zB. finde diesen Aspekt sehr wichtig und möchte ihn in der Musik (als selbst Musizierende, aber auch als leidenschaftlich gerne Zuhörende) nicht missen... selbst bei Interpretationen, die mir nicht gefallen.
 
Aber man sollte auch Gegenteiliges stehen lassen dürfen oder die Kreativität und das "experimentelle Auseinandersetzen" der Studenten (an Hochschulen zB.) mit positiven und nicht mit "abwertendem" Verhalten "maßregeln" (mir fällt grade kein passenderer Begriff ein, ich hoffe, man versteht trotzdem, worauf ich hinaus will...).
Ist halt immer schwierig, in einer Prüfung nicht 'konform' zu spielen.
Später kannst Du das machen wie Du willst, es muß halt schlüssig und konsequent sein.
Toni
 
Ist halt immer schwierig, in einer Prüfung nicht 'konform' zu spielen.
Später kannst Du das machen wie Du willst, es muß halt schlüssig und konsequent sein.
Toni

Ich finde, dass es durchaus möglich ist, beides innerhalb einer Prüfung zu bewerten. Wenn zB. mehrere barocke Werke auf dem Programm stehen, könnte man einen Teil davon historisch-korrekt spielen (bzw. dies innerhalb der Prüfung vorgeben, mit allem, was dazugehört) und alles weitere dem Studenten überlassen - immer unter der Vorraussetzug, dass der zu Prüfende seine "Motive" auch entsprechend erklären kann, dh. eine intensive Auseinandersetzung mit dem Stück sollte stattgefunden haben und der Student sollte dies auch entsprechend zeigen und veranschaulichen können. Ein, "weils halt schön klingt" (ums überspitzt zu formulieren) würde ich als Argument nicht stehen lassen. Egal wie man's macht, aber man sollte seine Vorgehensweise gut begründen können.

Mir ist bewusst, dass Kreativität als solche schwer zu bewerten ist. Aber ich finde, dass sie auch Teil der Ausbildung/Prüfung sein sollte. Nämlich (auf ein Stück bezogen):

- eigene Ideen und Vorstellungen zu entwickeln/zu haben und als Konsequenz dann auch einen Umgang damit zu finden
- zu experimentieren: Bachs passacglia barock, aber auch romantisch gespielt kennenzulernen und sich im Anschluss dann mit der Frage auseinanderzusetzen: was macht das mit mir? Welchen Stil bevorzuge ich und warum?
- oder: unterschiedliche, musikalische Perspektiven einzunehmen, dh. ein- und dasselbe Stück aus mehreren Blickwinkeln aus zu betrachten (wie hat Bach sein Werk möglicherweise verstanden? Was mache ich damit und auf welche Weise begreife ich seine Werke?)
- den persönlichen Anteil stärker in die Musik zu bringen

Ich finde, dass man diese Aspekte gut in den Unterricht (ob an einer Musikschule oder Universität) einbringen kann und dass sie für den Schüler/Studenten, aber auch für den Lehrer eine gewinnbringende Erfahrung sein können. Für den Studenten: er lernt (um bei Bach zu bleiben) die barocke Spielweise kennen, erweitert seinen Horizont und erhält ein gutes und fundiertes Wissen über den Komponisten und seine Zeit. Er bekommt aber auch die Möglichkeit, sich auszuprobieren, persönliche Ideen in den musikalischen Prozess einzubringen und eigene Erfahrungen zu machen. Was, in vielerlei Hinsicht, Selbstwertgefühl gibt und für den weiteren, musikalischen Prozess meiner Ansicht nach sehr wichtig ist. Und für den Lehrer/Professor: er kann sein Wissen weitergeben (Technik, barocke Spielweise) und den Schüler "auf das musikalische Leben" vorbereiten. Kommt aber auch immer wieder mit Neuem (denn: jeder Schüler ist anders und bringt dementsprechend andere Farben in ein Stück) in Berührung.
 
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@devasya Letztendlich führt das auf die Frage zurück, was ein Musikstück ist, was man damit tut, ausdrücken oder bezwecken möchte und ob es eine Art kultur-ethische Verpflichtung gibt. Damit meine ich: Ist es "erlaubt" ein Stück bewusst zu verfremden und in einer Weise zu spielen, an die der Komponist nicht gedacht hat, die er nicht beabsichtigt hat oder die ihm vermutlich sogar nicht gefallen hätte? Ist es "erlaubt" sehr wichtige Bestandteile des Stückes, die nicht der Notentext an sich sind, zu ignorieren und ändern - wie z.B. Tempo- und Dynamikangaben, Artikulation, Klang ("dolce", "cantabile"...), Pedal oder Agogik?

Das ist letztendlich eine philosophische Frage. Die meisten Pianisten sind so eingestellt, dass sie einem Werk selbst nichts "kompositorisch" hinzufügen (außer Kadenzen, Verzierungen etc.), sondern es möglichst authentisch und echt darbieten möchten, und zwar durch die eigenen Augen. Die Grenze zwischen Interpretation und Verfremdung ist natürlich sehr unscharf. Und wenn etwas stark genug verändert ist, ist es auch schon wieder eine neue Art von Komposition.

Schwierig - aber wenn man von der anderen Seite draufschaut: Dürfte ich eine Mozartsonate völlig romantisiert spielen, mit viel Pedal und Rubato, ohne mich um Dynamik und Phrasen zu kümmern - auch wenn es "schön" klingt? Verbieten kann es mir wohl keiner, aber in der Klassikwelt würde ich überwiegend belächelt. Und sobald man irgendwie verglichen oder bewertet wird (Hochschule, Wettbewerb, Bewerbung) hat man sofort verloren.

Und deshalb meinte ich, dass bei der Schubertsonate viel nicht hörbar war, was eigentlich zum Stück dazugehört.
 
@devasya Letztendlich führt das auf die Frage zurück, was ein Musikstück ist, was man damit tut, ausdrücken oder bezwecken möchte und ob es eine Art kultur-ethische Verpflichtung gibt. Damit meine ich: Ist es "erlaubt" ein Stück bewusst zu verfremden und in einer Weise zu spielen, an die der Komponist nicht gedacht hat, die er nicht beabsichtigt hat oder die ihm vermutlich sogar nicht gefallen hätte? Ist es "erlaubt" sehr wichtige Bestandteile des Stückes, die nicht der Notentext an sich sind, zu ignorieren und ändern - wie z.B. Tempo- und Dynamikangaben, Artikulation, Klang ("dolce", "cantabile"...), Pedal oder Agogik?

Ich persönlich finde schon, dass es so etwas wie eine "kultur-ethische Verpflichtung" gibt. Der Schüler sollte sich nicht nur mit seinen ganz persönlichen Vorlieben auseinandersetzen, sondern den Komponisten und seine Zeit auch in möglichst originaler Form kennen und spielen lernen. Ich kann mich auf der einen Seite mit den "barocken Spielregeln" auseinandersetzen, mich darin vertiefen und ein Werk von Bach streng nach seinen Maßstäben (was auch immer das heißen mag) spielen lernen. Aber andererseits sollten meine Gefühlswelt und die persönliche Beziehung, die ich zu den Stücken im Laufe der Zeit aufbaue, ebenfalls Raum bekommen. Ich finde, dass beides möglich ist und innerhalb des Unterrichtes (oder Konzertes) Platz haben sollte.

Es kommt auch ein wenig auf die jeweilige Rolle an, in der ich mich aktuell befinde. Bin ich Lehrer oder Schüler, würde ich beides erwarten/verlangen. Gute Fachkenntnisse, aber auch Flexibilität, Neues zu versuchen, Perspektiven zu wechseln und Musik experimentell wahrzunehmen. Bin ich allerdings Konzertmusiker, so habe ich die Freiheit, zu wählen.

Ja, es ist letztenendes eine philosophische Frage und ich glaube, dass es hierfür auch keine allgemeingültig-richtige Antwort gibt. Jeder muss selbst entscheiden, auf welche Weise man sich einem Werk nähert. Da gibt es kein "richtig" oder "falsch", sondern nur unterschiedliche Möglichkeiten und Wege, die aber alle ihre Berechtigung und ihren künstlerischen Wert haben.

Ich kann nur für mich selbst sprechen: wenn ich ein Werk spiele, an der Orgel, oder es singe, oder dirigiere (waren bislang nur sehr kleine und einfache Sachen), dann trete ich diesen musikalischen "Geschenken" mit sehr viel Respekt und Leidenschaft gegenüber.

Ich finde es spannend, ein Werk ganz im Sinne des barocken Stiles, kennenzulernen. Ist wie eine kleine, musikalische Zeitreise... aber die Kombination aus barocker Artikulation, Phrasierung, "Tempoauseinandersetzung" und Registrierung berühren mich nur bedingt. Ich finde darin keinen emotionalen Zugang. Damit will ich nicht sagen, dass ich alle historisch-korrekt gespielten Aufnahmen schlecht finde. Beiweitem nicht. Aber ich finde mich eher in der romantisch (wobei der Begriff hier nicht ganz zutreffend ist, aber am Besten die Elemente zusammenfasst, die mir in der Musik wichtig sind) ausgelegten Form wider.

In der letzten Konsequenz habe ich dann zwei Möglichkeiten: entweder ich spiele Bach überhaupt nicht... oder ich spiele seine Werke historisch-korrekt, aber ohne emotionalen Bezug. Mit beidem kann ich mich nicht abfinden, also habe ich für mich die Entscheidung getroffen, mir alles offen zu halten: ich lerne die barocke Spielweise und setze mich mit Bach (um bei ihm als Beispiel zu bleiben) und seiner Zeit auseinander. Lasse mir aber auch die Freiheit, meinen Weg in der Partitur zu gehen. Das Notenbild bleibt, aber sein äußeres Erscheinungsbild ändert sich und wird meinen persönlichen Empfindungen angepasst. Ich finde, dass ein Musiker diesen Raum bekommen sollte.

Schwierig - aber wenn man von der anderen Seite draufschaut: Dürfte ich eine Mozartsonate völlig romantisiert spielen, mit viel Pedal und Rubato, ohne mich um Dynamik und Phrasen zu kümmern - auch wenn es "schön" klingt?

Wenn sich der Künstler intensiv mit Mozart auseinandergesetzt hat und das sein Zugang ist, dessen Musik zu begreifen, würde ich sagen: ja.

Die Musik und "ihre lebendige Energie", die sie beinhaltet, würde doch stagnieren, würde man es immer nur so machen, wie vom Komponisten ursprünglich beabsichtig. Wobei sich auch hier die Frage stellt: woher will man wissen, was Mozart wirklich wollte?

Es braucht das historisch-informierte, aber auch das Neue.

Verbieten kann es mir wohl keiner, aber in der Klassikwelt würde ich überwiegend belächelt.

...und das finde ich persönlich sehr schade. Man kann diskutieren, sich austauschen, kann Kritik üben, Zweifel äußern, Interpretationen vergleichen und sich lebendig austauschen. Aber jemanden belächeln? Ich finde, man sollte sich immer auf gleicher Augenhöhe begegnen... und einen Musiker zu belächeln, nur weil er anders spielt (ob bei einem Konzert, oder Wettbewerb, oder wo auch immer) halte ich für fraglich, sehr schade und nicht in Ordnung.

Hattest du bislang noch nie den Wunsch, ein dir bekanntes Stück mal ganz anders zu hören und kennenzulernen? Dich bei einem Konzert überraschen zu lassen? Selbiges beim Musizieren selbst... Die eigenen Ideen und Vorstellungen kommen beim Spielen/Üben ja von ganz alleine... ich frage mich (und das meine ich nicht abwertend (!), sondern wirklich nur fragend und interessenhalber) wie man es schafft, diese immer wieder zu unterdrücken, weil sie vielleicht nicht in "das klanglich-vorgegebene Bild" des Stückes passen...
 
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