Komplexe Stücke gesucht

S

Sunset

Dabei seit
20. Dez. 2006
Beiträge
6
Reaktionen
0
Hallo,

ich suche nach komplexen Gesamtwerken, die vielleicht ein wenig "progressiv" sind.
Beispielsweise habe ich gehört, dass spätere Brahms-Werke komplex sein sollen,
ich weiss aber nicht, ob dies tatsächlich so ist.

Wer kann mir Empfehlungen geben?
Danke.
 
ich suche nach komplexen Gesamtwerken, die vielleicht ein wenig "progressiv" sind.
Das ist mal eine interessante Frage!
Was ist komplex?
Beispiele:
Bach die Fuge aus BWV 904: Doppelfuge mit reichlich Chromatik und ziemlich progressiv, a-Moll Fuge aus WtC I , sehr komplexe Engführungen, lang.
cis-Moll aus WtC I 5-stimmig mit reichlich polyphonen Raffinessen
Beethoven op. 106: alle Schweinereien (technisch wie musikalisch) auf einem Haufen;
Liszt Weinen, Klagen: hochartifizielle Chromatik sehr progressiv!
Balakirew Islamey technisch und harmonisch sehr abwechslungsreich oder dito verschärft Ravel Scarbo
Schönberg op. 11,3 wilde atonale Akkordik
Sorabji fast nicht lesbare, fast unspielbare Komplexität am äußersten Rand der Tonalität (ähnlich Godowski Passacaglia), ....

Man könnte noch hunderte weiterer Beispiele anführen. Was also ist Komplexität?
 
Das Opus summum eines mitteldeutschen Barockkomponisten ist für deine Ansprüche sicher zu alt, unterkomplex und nicht "ein wenig "progressiv"" und soll deshalb hier nicht erwähnt werden.
 
Hallo,

ich suche nach komplexen Gesamtwerken, die vielleicht ein wenig "progressiv" sind.
Beispielsweise habe ich gehört, dass spätere Brahms-Werke komplex sein sollen,
ich weiss aber nicht, ob dies tatsächlich so ist.

Wer kann mir Empfehlungen geben?
Danke.
Um dir Empfehlungen abzugeben zunächst einmal die Frage: Warum interessierst du dich für solche Musik? Erzähle doch vielleicht ein bisschen mehr, dann wäre es einfacher passende Stücke zu empfehlen.

Das ist mal eine interessante Frage!
Was ist komplex?
Beispiele:
Bach die Fuge aus BWV 904: Doppelfuge mit reichlich Chromatik und ziemlich progressiv, a-Moll Fuge aus WtC I , sehr komplexe Engführungen, lang.
cis-Moll aus WtC I 5-stimmig mit reichlich polyphonen Raffinessen
Beethoven op. 106: alle Schweinereien (technisch wie musikalisch) auf einem Haufen;
Liszt Weinen, Klagen: hochartifizielle Chromatik sehr progressiv!
Balakirew Islamey technisch und harmonisch sehr abwechslungsreich oder dito verschärft Ravel Scarbo
Schönberg op. 11,3 wilde atonale Akkordik
Sorabji fast nicht lesbare, fast unspielbare Komplexität am äußersten Rand der Tonalität (ähnlich Godowski Passacaglia), ....

Man könnte noch hunderte weiterer Beispiele anführen. Was also ist Komplexität?

Ja... eine gute Frage! In der Naturwissenschaft hängt Komplexität immer irgendwie mit der "Anzahl der möglichen Mikrozustände" eines Systems ab. Ein Glas Wasser ist zum Beispiel relativ komplex, weil es aus Quadrillionen von Molekülen besteht, die alle für sich genommen schon in verschiedenen Zustände sein können und dementsprechend in der Menge eine unfassbar große Menge an Zuständen "abgrasen" können.

Auf die Musik übersetzt könnte man vielleicht sagen: Ein Musikstück ist komplex, wenn es im zeitlichen Verlauf viele verschiedene (harmonische/melodische/rhythmische/...) Elemente "abgrast". Davon unabhängig wäre wohl die formale Komplexität, welche angibt, wie auf einer größeren Ebene verschiedene Sinnzusammenhänge miteinander in Wechselwirkung treten.

Diese Untereilung zeigt bereits: Über die Komplexität von Musik zu urteilen ergibt wenig Sinn, wenn man sich nicht klar ist, in welchen Parametern sich die Komplexität abspielt. In dem Sinne kann man vielleicht sagen, dass es harmonische Komplexität (= große Anzahl verwendeter Harmonien), rhythmische Komplexität (= große Anzahl verwendeter Rhythmen), melodische Komplexität (= viele verschiedenartige Phrasen innerhalb der Melodik), und eine komplexe Form (= Viele verschiedene Querbezüge zwischen dem musikalischen Material), usw. gibt.

Schwierig und offensichtlich ist nun, dass es allein mit der Menge des verwendeten Materials nicht getan ist: Ich könnte sofort ein "komplexes" Stück mit einer Unmenge an (zufälligen) Harmonien und wilden Melodien schreiben. Allerdings wäre ein solches Stück eventuell sehr unverständlich, weil unser Gehirn beim hören nicht in der Lage wäre Zusammenhänge zu erkennen. Und genau das macht guten Musikgenuss aus: Unser Gehirn assoziiert beim Musikhören dauerhaft: Einerseits werden Zusammenhänge innerhalb des Musikstückes erkannt und andererseits werden Musik(stück)ferne Assoziationen mit dem gehörten verwoben. Also darf Musik auch nicht zu komplex sein, sodass der Hörer sie noch verstehen kann.

In der Musikgeschichte sieht man darum häufig, dass Werke, welche in einem Parameter sehr kompliziert sind in einem anderen Parameter oft relativ einfach sind. Eben damit die Musik verständlich bleibt. Ein Beispiel wären hier z.B. die späten Klaviersonaten Skrjabins: Harmonisch sehr kompliziert und progressiv aber formal verhältnismäßig einfach. Ein anderes Beispiel wäre z.B. nahezu jede der mittleren Klaviersonaten Mozarts: Melodisch kompliziert aber harmonisch relativ einfach.

Außerdem sieht man fast bei jedem Musikstück, dass die Komplexität im zeitlichen Verlauf ansteigt. Zunächst werden wenige Elemente eingeführt, und wenn der Zuhörer diese verstanden hat, werden sie variiert, verknüpft oder es werden neue hinzugefügt. Um zu sehen wie wichtig dieser allmähliche Anstieg der Komplexität für den Musikgenuss ist, kann man einfach mal in die Mitte eines Musikstückes spulen und erst dort mit dem Hören beginnen. In allen Epochen wird man hier (einige) Stücke finden, bei denen man – wenn man in der Mitte mit dem Hören beginnt – nichts mehr versteht.

Natürlich gibt es auch Musik, die in allen Parametern sehr komplex ist. Es gibt sogar eine gesamte Stilrichtung innerhalb der Neuen Musik, nämlich die sogenannte "New Complexity". Hier wäre einer der bekanntesten Vertreter Brian Ferneyhough:


View: https://www.youtube.com/watch?v=LYMXbM0RCeU
 
Zuletzt bearbeitet:
Mir fällt da Charles Ives‘ „Concord-Sonate“ ein. Zu einfach? Immerhin können Pianisten wie Herbert Henck und Alexej Lubimov das Monstrum sogar auswendig. (Ob ihnen dabei falsche Töne unterkommen, kann ich bei der Masse an Noten nicht heraushören.)
 
Die Etüden von Ligeti sind sehr komplex, bzw. eigentlich alles von ihm.
 
Vielen Dank für die wertvollen Hinweise.
Das Wort "komplex" war zunächst im umgangssprachlichen Kontext gemeint. Gibt es eine exakte musiktheoretische Definition? alibiphysiker hat ja schon eine gute Definition vorgebracht.

Warum ich mich dafür interessiere? Ich finde solche Musik spannender. Z.B. Le Sacre bezogen auf die Rythmik.

Wie sieht es denn bei Klavierkonzerten aus?
Gibt es da Werke, die nach meiner Definition eher komplex sind?
 

Mir fällt da Charles Ives‘ „Concord-Sonate“ ein. Zu einfach? Immerhin können Pianisten wie Herbert Henck und Alexej Lubimov das Monstrum sogar auswendig. (Ob ihnen dabei falsche Töne unterkommen, kann ich bei der Masse an Noten nicht heraushören.)
Vergleicht man die zweite Ausgabe der Concordsonate mit der Erstausgabe, so fällt auf, dass bei letzterer einige Töne hinzugekommen sind. Auch sagte Ives soetwas wie, dass Musik, sobald sie notiert wird, ihr Geburtsrecht verlöre... Somit sind richtige oder falsche Töne bei Ives eher vernachlässigbare Kategorien :-D . Gerade bei dieser Sonate bin ich allerdings noch immer nicht so ganz mit mir im reinen, für wie komplex ich sie eigentlich halten soll. Sie klingt jedenfalls sehr kompliziert! (Aber gut finde ich sie in jedem Fall).

Wenn dir Strawinskys Tonsprache gefällt, kannst du dir auch mal seine Klaviersonate anschauen!
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie sieht es denn bei Klavierkonzerten aus?
...was den grausig überladenen und widerborstigen Klaviersatz betrifft (das 3. Konzert von Rachmaninov ist in dieser Hinsicht ein Wunder an Durchsichtigkeit und grifftechnischer Ökonomie!) kann man dir guten Gewissens das Klavierkonzert von Max Reger empfehlen!

Um bei Reger zu bleiben, allerdings Klavier solo:
Bachvariationen
Improvisation über den Donauwalzer

Was Strawinski betrifft:
es gibt eine spielenswerte Transkription von Sacre du Printemps
natürlich auch Strawinskis eigene Transkription von Petruschka (trois mouvements de Petrouchka)

Man kann auch versuchen, mit Bachs "Kunst der Fuge" am Klavier zurecht zu kommen (ein sehr heikles Unterfangen in jeder Hinsicht)

Bzgl Skrjabins Sonaten: die 6. und 7. Sonate sind beide ein verblüffend komplexes Dickicht (dagegen sind Rachmaninovs Sonaten übersichtlich und harmonisch harmlos) - ab der 5. Sonate (sauschwer zu spielen, aber hinreißend!) modifiziert Skrjabin das einsätzige Lisztmodell, indem er es komprimiert: hier muss ich @alibiphysiker deutlich widersprechen: die Skrjabinsonaten 5 bis 10 sind formal durchaus komplex! (satztechnisch und pianistisch auch, wobei 5, 7 und 10 technisch grässlich schwierig sind)

Balakirev scheiterte in der Lisztnachfolge an der Gestaltung einsätziger Sonaten, die Fantasie Islamey ist formal banal, harmonisch harmlos, spieltechnisch aber relativ anspruchsvoll (es macht keinen Unterschied, ob man diese oder Schumanns Toccata übt: beide sind quasi "normale" romantische Virtuosenstücke) - allerdings "komplex" ist dieses (zu lange) Klavierstück keinesfalls.

Die im Notenbild komplex erscheinenden frei atonalen Klavierstücke von Leo Ornstein (am schönsten das glitzernde "a la chinoise") sind technisch schwierig, aber formal traditionell.

Ein verwunderlich kompliziertes (teils konzentriert artifizielles, teils holperiges) Ausnahmeexempel für komplexe Klaviermusik ist die Fantasie "Rudepoema" von Villa-Lobos

Eine andere Sorte Komplexität bietet die Transkription aus dem Rosenkavalier von Stuart Grainger, dem es tatsächlich gelungen ist, das bunt glitzernde Orchester aufs Klavier zu übertragen (nur spielbar auf Instrumenten mit zuverlässig funktionierendem mittleren Pedal, was leider keine Selbstverständlichkeit ist...)

Das alles sind - leider - Beispiele, deren spieltechnische Anforderungen von sehr schwierig (Islamey) bis extrem (Skrjabin 5. Sonate, Strawinski Petruochka) zu nahezu unspielbar (Reger, Grainger) reichen... willst du solche Mühen auf dich nehmen????

Formal und harmonisch, auch (klavier)satztechnisch hochkomplex ist Chopins 4. Ballade - im Reigen der erwähnten Sachen ist diese noch am ehesten spieltechnisch zugänglich, dito die Polonaise-Fantaisie.
(bevor man sich mit musikal. Komplexität a la Skrjabin oder Strawinski, Reger oder Schönberg befasst, empfehle ich zu testen, ob man "leichteres" wie die 4. Ballade überhaupt verstehen und dann spielen kann...)
 
Eine andere Sorte Komplexität bietet die Transkription aus dem Rosenkavalier von Stuart Grainger, dem es tatsächlich gelungen ist, das bunt glitzernde Orchester aufs Klavier zu übertragen (nur spielbar auf Instrumenten mit zuverlässig funktionierendem mittleren Pedal, was leider keine Selbstverständlichkeit ist...)
Percy hieß er.
 
Ob es dir vergleichsweise komplex genug ist- müsstest du probieren, aber mir reicht es zum Komplexe bekommen aus.
:017: Das sind Schumanns "Sinfonische Etüden".
 
@rolf @Alter Tastendrücker

An der formalen Komplexität der spätern Klaviersonaten von Skrjabin scheint sich ja nun ein "kleiner Streit" zu entzünden. Den Beitrag #13 von @Alter Tastendrücker deute ich so, dass er meiner These "Skrjabins Sonaten sind formal relativ einfach" zustimmt (?).

Ich habe nun leider gerade keine Zeit lange nachzudenken, aber ich merke gerade, dass "formale Komplexität" doch etwas schwierig zu fassen ist. Ich kann mal versuchen zu skizzieren, weswegen mir Skrjabins späte Sonaten formal relativ einfach gestrickt vorkommen:

- Die "Formfunktionen" der einzelnen Abschnitte sind für mich oft sehr direkt ersichtlich und sehr eindeutig. Die Abschnitte sind oft sehr deutlich voneinander abgegrenzt.
- Das motivisch-thematische Material wird (melodisch) kaum variiert und meist schon zu Beginn der Sonate komplett vorgestellt. Die Variation besteht meist in einer Veränderung des Klaviersatzes und/oder des harmonischen Kontextes. Somit sind die Sinnzusammenhänge innerhalb des Sonatensatzes oft sehr eindeutig und klar ersichtlich.

Ich denke mal noch etwas weiter nach... So aus dem Stehgreif fällt mir nun nämlich auch weder ein "formal wirklich komplexes Klavierstück" ein, noch kann ich wirklich auf den Punkt bringen, was formale Komplexität für mich eigentlich bedeutet.

Ich bin gespannt auf eure Meinungen,

Liebe Grüße,

Daniel
 
So aus dem Stehgreif fällt mir nun nämlich auch weder ein "formal wirklich komplexes Klavierstück" ein,
- die Mixtur aus Sonatensatzform, Variation und Rondo (Chopin Ballade Nr 4)
- die einsätzige Sonate (Thementransformation, Expositionen/Reprisen - Liszt)
Dergleichen fällt nicht vom Himmel und ist "formal komplexer" als ein "normales" Sonatenmodell.
 
Formal komplex sind m. E. auch Werke, deren an sich recht einfache Form hörend schwer nachzuvollziehen ist.
Beispiel Schönberg op. 11,1, eigentlich ist es ja eine variierte Strophenform mit Zwischenspielen, aber wer hört/sieht das auf Anhieb. Auch die Symmetrien bei den Variationen op. 27 von Webern sind meist nicht wirklich komplex, aber wer hört das? Und muss man das hören, um das Stück angemessen zu rezipieren?
Zu den späten Scriabin Sonaten, die sich nicht so leicht über einen Kamm scheren lassen, vielleicht etwas später noch was!
 
was den grausig überladenen und widerborstigen Klaviersatz betrifft (das 3. Konzert von Rachmaninov ist in dieser Hinsicht ein Wunder an Durchsichtigkeit und grifftechnischer Ökonomie!) kann man dir guten Gewissens das Klavierkonzert von Max Reger empfehlen!

Um bei Reger zu bleiben, allerdings Klavier solo:
Bachvariationen

Leider sehr wahr!
Wer mal das Reger Konzert geübt hat, der flucht! Ist dennoch ein sehr gutes Stück!
Die Bach Variationen h-Moll sind etwas zugänglicher. Dennoch schwer zu lesen und schwer zu spielen.
Sehr interessant auch die Werke für 2 Klaviere. Auch denen ist eine gewisse Überladenheit zu eigen. Trotzdem gehören die Beethoven Variationen zu meinen liebsten Werken für diese Besetzung.
 

Ähnliche Themen


Zurück
Top Bottom