Klavierstimmen lernen

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Krischu

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3. März 2007
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Es hört sich abwegig an, aber gibt es die Möglichkeit, irgendwo Klavierstimmen zu erlernen?
 
Es hört sich abwegig an, aber gibt es die Möglichkeit, irgendwo Klavierstimmen zu erlernen?

Ja, es gibt sog. Stimmkurse. Ich habe selber einen belegt, wurde von der Musikhochschule angeboten und hat ungefähr 120 Euro gekostet. Ob man danach aber ein guter Stimmer ist, bleibt fraglich, weil man ja einfach nicht viel zum Stimmen hat (außer vllt. sein eigenes Instrument). Und man braucht für gute Stimmungen vorallem eines: Praxis, Praxis und noch einmal Praxis. Je mehr Klaviere und Flügel man stimmen kann, desto besser und langlebiger werden die Stimmungen.
 
Hallo Krischu,

nur aus Interesse und Spaß an der Sache, oder vielleicht noch, um gelegentlich einen Ton am eigenen Instrument nachstimmen zu können, dafür wäre es noch sinnvoll. Aber wirklich brauchbar stimmen wirst Du nicht in einem Kurzlehrgang lernen. Ich hatte im Januar einen Klavierbauer, der "auch stimmen kann" an meinem Flügel. Der hat seine Sache eigentlich nicht schlecht gemacht, aber vor einigen Tagen war Michael hier - und da habe ich gesehen (und gehört!) wie wirklich perfekt gestimmt wird, da liegen Welten zwischen, und das lernt man eben nur in vielen Jahren Praxis.

Die Zeit kann man - meine persönliche Meinung - mit spielen bzw. üben besser nutzen, es sei denn, man will nur wissen, wie es gemacht wird.

LG

Pennacken
 
Anfangen, wer sich traut...

Hallo Krischu, hallo pennacken,
zu euren beiden Welten kann ich etwas sagen.

Vor gut 31 Jahren erwarb ich mein erstes eigenes Klavier und konnte es nicht lassen, es zu stimmen. Ich kaufte mir einen billigen Stimmhammer und schnitzte mir Dämpfkeile aus handelsüblicher Schuhsohle. Und weil meine handwerklichen und musikalischen Voraussetzungen gar nicht schlecht waren, und weil ich gleich den Ehrgeiz hatte, es möglichst gut zu machen, dauerte meine erste Stimmung auch "nur" anderthalb Tage. (Vor meinen damaligen Nachbarn verbeuge ich mich im Geiste noch heute mit zerknirschter Büßermiene.)

Ich weiß aber auch (weil ich halt nach der ersten Stimmung weiter am Ball blieb), was daraus werden kann, wenn man dabei das Bestreben, es richtig gut zu machen, jahrelang immer im Auge behält.

Nach meiner ersten Stimmung jedenfalls suchte ich genau wie du, Krischu, nach gescheiten Stimm-Anleitungen oder Lern-Möglichkeiten. Was ich fand, waren Wegweiser zum Umgang mit dem "großen Quintenzirkel". Ich hielt mich dran und kämpfte mich wieder und wieder durch das Temperatur-Legen. Regelmäßig war ich unendlich frustriert, wenn ich trotz anweisungsgenauer Vorgehensweise schon nach wenigen Tönen grauenvoll misslungene Intervalle produzierte. Und sehr schnell stellte sich bei mir das sichere Gefühl ein: das ist nicht der Weisheit letzter Schluss!

Weil ich aber weit und breit keine besseren Anleitungen fand, befragte ich meinen gesunden Menschenverstand. Und der wies mir schon nach meinen ersten ca. 10 bis 20 gelegentlichen Stimmungen einen ganz anderen Weg, weg vom "groben Quintenzirkus" und hin zu zuverlässig hörbaren Prüf-Intervallen. Vermutlich haben in aller Welt auch andere Suchende ähnliche Wege gefunden - aber die waren jedenfalls, als ich suchte und fand, nicht zugegen.

Mit meiner damals (ca. 1981) entwickelten Stimmfolge arbeite ich auch heute noch. Sie basiert im Wesentlichen auf Terzen und erbringt buchstäblich vom ersten Ton an zuverlässig hörbare korrekte Intervalle. Außerdem führt sie auf kürzest möglichem Wege zu einer chromatischen Tonfolge, von der aus – je nach Vorliebe – alle denkbaren Intervalle zum Überprüfen verfügbar sind. Technisch hat die Vorgehensweise auch noch einen weiteren großen Vorzug: Man braucht zum Temperatur-Legen keinen Rechen oder Filzstreifen, sondern stimmt vom ersten Ton an chorrein. (Aber natürlich erst, wenn man sich das schon ein paarmal eingeübt hat.)

Die gesamte Stimmfolge beschreibe ich jetzt nicht, dann wird das Posting zu lang. Aber wenigstens den Anfang. Am besten nimmst du dir ein Stimmgerät (gibt’s heute schon deutlich unter 20 Euro) und lässt dir damit die vorfindliche Tönhöhe deines Klavieres anzeigen. Dein A-1 sollte so zwischen 435 und 445 Hz liegen. Wenn du das Gerät darauf einpegeln kannst (son dass es "grün" zeigt), kannst du loslegen. Selbstverständlich brauchst du dafür gute Ohren; denn stur nach Stimmgerät Ton für Ton zu stimmen war und ist seit eh und je seelenlos und letztlich grob.

1) Du lässt dir vom Gerät das A-1 als Ton ausgeben. Das Stimmen beginnst du dann eine große Dezime tiefer beim Klein-F. Zwei der drei Saiten dämpfst du ab, vorzugsweise die beiden äußeren (du brauchst also zwei Abdämpfkeile). Die übrig bleibende (mittlere) Saite stimmst du mit deinem Stimmhammer so, dass du beim Anschlagen des Tons, bei gleichzeitig tönendem A-1 des Geräts, keine Schwebungen hörst. Wenn du dies ungefähr erreicht hast, stimmst du die Saite abwärts, bis du ca. 6-7 Schwebungen pro Sekunde hörst.

2) Danach schaltest du das Stimmgerät aus und gehst vom Klein-F eine große Terz aufwärts zum Klein-A. Dort dämpfst du wieder die beiden äußeren Saiten ab und stimmst die mittlere passend zum Klein-F: erst möglichst schwebungsfrei, und dann aufwärts (also zu groß), bis du ca. 6-7 Schwebungen pro Sekunde hörst. Dann schaltest du den Geräteton (A-1) wieder ein. Und wenn du nun dein soeben gestimmtes Klein-A dazu anschlägst, solltest du keine Schwebungen hören. Weil du nämlich eine genaue Oktave hast.

3) Erst jetzt stimmst du den "Kammerton", also das A-1 auf deinem Klavier, und zwar wieder im Vergleich mit dem Klein-F. Wieder musst du am Ende 6-7 Schwebungen pro Sekunde hören. Und wenn du das richtig gemacht hast und dann das Stimmgerät einschaltest, solltest du nun auch beim Anschlag des A-1 keine Schwebungen hören. Und auch beim Anschlag der Oktave von Klein-A zu A-1 sollte schwebungsfreie Reinheit ertönen.


Als erstes Ergebnis hast du nun dies: einen sauber nach gezählten Schwebungen angesteuerten Kammerton. Und eine sauber nach gezählten Schwebungen gelegte Oktave a – a'.

---

So, das ist jetzt mehr als genug für ein Posting.
Aber dieses Nachwort muss noch sein: Mein erstes eigenes Klavier war sehr gutmütig und ließ sich bereitwillig ohne große Zicken stimmen. Schon bald danach begegnete ich Instrumenten zum Blut-und-Wasser-Schwitzen, und auch solchen, die sich gar nicht richtig stimmen ließen. Hätte ich sowas bei mir als Erstinstrument zu Hause gehabt, dann säße ich beruflich jetzt wohl irgendwo im Büro. Und nicht bei Klavierkunden überall in Deutschland.
BITTE beachte hierzu den Beitrag #52 in diesem Faden.

Gruß
Martin
PianoCandle
... und aus Krach wird Klang
 
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Hallo, allen die bisher geantwortet haben meinen herzlichen Dank. Insbesondere aber Dir, Martin, für Deinen ermutigenden und auch technisch sehr interessanten Beitrag.

Mit A-1 meinst Du das zweittiefste A? Und ist a-a' die mittlere Oktave mit a' als Ton 440Hz?

--
Christoph
 
Die Eins ist in der Mitte

Mit A-1 meinst Du das zweittiefste A? Und ist a-a' die mittlere Oktave mit a' als Ton 440Hz?

Danke, Krischu/Christoph.

Zur Klarstellung: A-1 ist der Kammerton, also standardmäßig 440 Hz.

Auf dem gesamten Klavier sind dies die A's, von links nach rechts:

Subkontra-A
Kontra-A
Groß-A
Klein-A
A-1
A-2
A-3
A-4

Oder in anderer, nur bei genauem Hinsehen narrensicherer Schreibweise:

A'', A', A, a, a', a'', a''', a''''.


Gruß
Martin
PianoCandle
 
oder in amerikanischer Schreibweise von tief nach hoch (links nach rechts):

A0, A1, A2,A3............
 
Zeit für eine Fortsetzung

Hallo.
Bevor ich nun ein weiteres Kapitel über das Klavierstimmen schreibe, hier ein Bild zur Oktavenfolge beim Piano. So, wie sie mir seit Jahrzehnten im Umfeld der klassischen Musik geläufig ist.
Wie weit sich eure erwähnte amerikanische Notierungsweise hier zu Lande durchsetzt, weiß ich nicht. Aber sicher wird die hier bisher übliche Weise noch lange von großer Bedeutung sein.
 

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Zweites Kapitel: Chorrein stimmen für Einsteiger/innen

Im ersten Kapitel ( https://www.clavio.de/forum/149253-post4.html "Anfangen, wer sich traut...") habe ich das Erzielen dreier sauber gestimmter Töne beschrieben. Aber jeweils nur für eine der drei Saiten pro Ton. Das hat den Sinn, überhaupt erst einmal einen Start mit überprüfbar sauberen Tönen/Intervallen hinzukriegen.

Wie schon früher gesagt: Ich stimme stets vom ersten Ton an chorrein. Das geht aber nur, wenn man die Besonderheiten beim Chorrein-Stimmen kennt und ggf. gleich nachkorrigieren kann. Dann kann man die zwei wichtigsten Arbeitsschritte - Intervallkorrektheit und Chorreinheit - auch simultan ausführen. Doch hier geht es nun darum, den Weg zur Chorreinheit erstmal zu erläutern.


1) Punktgenaue Gleichtönigkeit zweier Saiten hinzukriegen ist ganz schön schwierig. Und zwar nicht nur wegen der notwendigen feinen Bewegungen des Stimmwerkzeugs, sondern auch deshalb, weil das Ohr beim Hören von Reinheiten sowohl erstaunlich tolerant ist, als auch sich leicht stören und "verrückt machen" lässt. Darum fange ich, um es mir nicht unnötig schwer zu machen, meistens mit der mittleren Saite das Stimmen eines Tones an. Wenn ich mich nun dem bereits auf der mittleren Saite gestimmten Klein-F zuwende, stimme ich eine der beiden äußeren Saiten so genau wie möglich dazu. Die dritte Saite bleibt abgedämpft.

2) Wenn du das so gemacht hast, wie eben beschrieben, dann kommt wieder das Stimmgerät zum Einsatz und lässt den Referenzton A-1 (a', amer. A4) ertönen. Jetzt kommen die ersten und sehr wichtigen Überprüfungen, während die dritte Saite noch abgedämpft bleibt:
- a) Abwechselnd dämpfst du die mittlere und die nachgestimmte Saite ab und überprüfst, ob beim Anschlagen deines Tons die hörbaren Schwebungen zum Stimmgerät-A nach Ermessen deines Ohres identisch sind. Wenn das der Fall ist, hast du eine hinlängliche Gleichstimmung deiner beiden Saiten erzielt. Wenn nicht, dann solltest du nachkorrigieren, bis du es erreicht hast.
- b) Du musst auf jeden Fall überprüfen, ob die Schwebungszahl immer noch bei den ursprünglich angesteuerten 6-7 Schwebungen pro Sekunde liegt. Das ist natürlich zu wünschen - aber ziemlich häufig verstimmt sich die erste gestimmte Saite bereits in Nuancen, während du die zweite hinterherstimmst. Im Ergebnis hättest du dann zwei gleich gestimmte Saiten, und beide falsch! Dann - es hilft nichts - musst du von vorn anfangen. Eine Saite zum Geräteton passend mit korrekter Schwebungszahl stimmen, dann die zweite hinterher. Bis sowohl die Reinheit als auch die Schwebungszahl korrekt sind.

3) Wenn du so weit bist, dann dämpfst du die nachgestimmte äußere Saite ab und stimmst die andere Außensaite (nach Dämpfkeil-Entnahme) zur Mittelsaite rein. Wenn die sich dabei leicht verziehen sollte, dann jault sie wenigstens nicht gegen die bereits nachgestimmte Saite, was das Reinstimmen erschweren würde. Überprüfen musst du anschließend auch wieder genau, wie unter Punkt 2 beschrieben. Und abschließend nimmst du dann den Dämpfkeil ganz weg und überprüfst, gemäß Punkt 2, alle drei Saiten einzeln und gemeinsam auf klangliche Chorreinheit und schwebungsmäßige Intervallkorrektheit.



Das hier Beschriebene ist gar nicht so kompliziert wie es hier vielleicht klingt. Aber wunder dich nicht, wenn du viel Zeit brauchst und manches doppelt und dreifach machen musst. Wenn dir dies alles gelingt, bist du schon ganz schön weit! Denn dann hast du mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Piano, das sich halbwegs willfährig bearbeiten lässt. Und dann kannst du dich auch an die nächsten Schritte herantrauen, die ich demnächst beschreiben werde.

Solltest du allerdings schon beim Einrichten des ersten Tons feststellen, dass du eine Sisyphus-Arbeit machst, weil Chorreinheit und Intervallkorrektheit immer wieder wechselweise aus dem Ruder geraten, dann lass lieber die Finger (und vor allem deine Nerven) von diesem Instrument. Denn dann hast du womöglich eines der herausfordernden Pianos vor dir, an denen sich sogar erfahrene Fachmenschen mitunter die Zähne ausbeißen.

Aber hoffen wir mal das Beste!

-- Fortsetzung folgt --


Gruß
Martin
PianoCandle
... und aus Krach wird Klang
 
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Drittes Kapitel: Drehen, Drücken, Schlagen

In den bisherigen Kapiteln habe ich das Erzielen eines intervallgestützten Referenztones beschrieben, sowie das Erzielen der Chorreinheit bei einem jeweiligen Ton. Das sind zwei der wichtigsten Eckpfeiler des Klavierstimmens.
Bevor ich nun weitere Intervallschritte beschreibe, wende ich mich hier dem dritten Eckpfeiler zu, und zwar der Bedienung des Stimmhammers.

Die Ausführung der richtigen Handbewegungen beim Klavierstimmen ist das mit Abstand Schwierigste bei der Tätigkeit. Im Wesentlichen hat das zwei Gründe, die ineinander greifen:
a) Die diesbezüglich verfügbaren Anleitungen sind häufig entweder unvollständig oder falsch. Wer sich penibel an sie hält, kann leicht zu frustrierenden Ergebnissen kommen.
b) Im Unterschied zu den akustischen Wegen und Besonderheiten beim Stimmen, sowie im Unterschied zu vielen handwerklichen Nebentätigkeiten, kann man die Bewegungen des Stimmhammers nur in einem sehr geringen Maße anhand von Anleitungen "nachmachen". Für das Akustische gibt es Referenzen, angefangen bei der Stimmgabel, bis hin zu raffinierten Tongenerier- und -messgeräten. Für vieles Mechanische gibt es optisch zweifelsfreie und mit Maßzahlen hinterlegte Bildvorlagen. Dagegen gehen die Bewegungen des Stimmhammers nahezu ausschließlich über das Fühlen. Und da kriegt man nichts vorgemacht, da muss man selbst stets nahezu bei Null anfangen.

Zu a: Typischerweise liest man in Anleitungen, man solle den Stimmwirbel mit feinen Bewegungen drehen, und zwar vorzugsweise bis der erwünschte Ton ganz minimal zu hoch ist, dann solle man ihn wieder (durch Drehen, versteht sich) auf die angestrebte Tonhöhe herunterlassen. Auf keinen Fall solle man den Wirbel in die richtige Tonhöhe drücken, weil dann die Stimmung nicht halte.
Diplomatisch kann man derartigen Anweisungen zugutehalten, dass wohl etwas Wahres dran ist. Streng genommen aber, im Sinne einer wirklichen Hilfe, sind diese Aussagen schlicht falsch.
Die Wahrheit ist viel komplexer:

Die Tonhöhe einer Saite erzielt man in allen Fällen grob durch Drehen auf die passende Höhe. Aber zusätzlich muss man ausloten, in welchem Maße sich die Elastizität des Wirbelsitzes, sowie die Reibungen an den Saitenumlenkungen bemerkbar machen. Und das geht nur durch Drücken und durch z. T. sehr starkes Tonanschlagen.
Wenn man nach dem Drehen den Wirbel aufwärts oder abwärts drückt und dabei den Ton anschlägt, dann sollte er höher oder tiefer werden und sich bei nur schwachem Federn des Wirbels in der richtigen Tonhöhe einfinden. Das ist der günstigste, aber nichts weniger als der häufigste Fall. Meistens muss man nach dem Aufwärts- und/oder Abwärtsdrücken nochmals nachdrehen und das Ganze mehrfach. Sehr häufig gibt es auch Instrumente, die auf Wirbeldrehen nur sehr zögerlich und auf Wirbeldruck kaum reagieren. In diesen Fällen sind die Saitenumlenkungen so stramm, dass das Erzielen einer zuverlässigen dauerhaften Tonhöhe allein durch Wirbeldrehen vollkommen aussichtslos ist. Dann muss stattdessen der Wirbel von einer zu niedrig angedrehten Tonhöhe aus hochgedrückt werden, unter mehrfachem starken Tonanschlagen. Gelangt er dabei auf die richtige Tonhöhe, ohne dass diese bei starkem Anschlag sofort absackt, dann gibt es Chancen auf erreichte Stimmstabilität. In wieder anderen Fällen muss der vorgedrehte Wirbel abwärts gedrückt und dabei der Ton stark angeschlagen werden, damit die Tonhöhe nachsackt und dann nochmals durch Drehen korrigiert werden kann.
Es gibt noch viel mehr und wieder ganz anders gelagerte Fälle. Sie alle zusammen bilden die Wahrheit über einen komplexen handwerklichen Vorgang, der beim Zuschauen zwar ziemlich einfach aussieht. Aber wer das Klavierstimmen lernen will, hat am ehesten Chancen, wenn er/sie sich von Anfang an die Komplexität der Vorgänge auf der Zunge zergehen lässt, statt simplen Faustregeln oder neunmalklug erhobenen Zeigefingern zu folgen.


Zu b: Selbst wer das soeben Gesagte beherzigt, kann sich den Lernstoff fürs Klavierstimmen locker innerhalb eines Tages aneignen. Das Erlernen, rein mental, ist ziemlich einfach. Es wirklich zu können, dauert hingegen Jahre. Das ist eine Binsenweisheit, die die Spatzen von den Dächern pfeifen (aber wenigstens kein Ammenmärchen, im Unterschied zu den Simplifizierungen der notwendigen Handbewegungen). Hier möchte ich nun sagen, warum das so ist.

Computer können sehr viel, wenn man sie mit den entsprechenden Programmen bestückt. Menschen funktionieren in manchen Hinsichten ähnlich wie Computer, aber man kann sie nicht mit Programmen bestücken. Was Menschen können, beruht auf dem Erwerben von Lebenserfahrung. Vieles von diesem Erwerben lässt sich im Wege des Lehrens und Lernens deutlich abkürzen und beschleunigen. Und genau das geht beim Klavierstimmen definitv nicht. Das versierte Können eines/r guten Klavierstimmers/in lässt sich nicht im Wege des Unterrichts oder Vormachens auf andere Personen übertragen. Das Gehirn jedes/r Klavierstimmers/in muss von Anfang an im Laufe langer Zeit ein Programm "schreiben", das bei den zu bearbeitenden Instrumenten die jeweils notwendigen Handgriffe im jeweils erforderlichen Sinn und Ausmaß jederzeit flink abrufbar macht, damit sie von der Person ausgeführt werden können.
Und das dauert tatsächlich viele Monate bis hin zu mehreren Jahren. Weil nämlich, was deutlich erschwerend hinzukommt, es unzählige völlig unterschiedlich beim Stimmen reagierende Pianos gibt. Und weil deshalb eine zuverlässige Stimmroutine erst dann gegeben ist, wenn die jeweilige Person ein großes Spektrum unterschiedlicher eigener (!) Erfahrungen hat, und demgemäß das "geschriebene Programm" sich bereits bei den ersten Handgriffen auf das jeweilige Gegenüber einstellt.


Also: Wenn du nach dem jetzt Gesagten noch Lust hast, bei deinem Flügel oder Klavier Hand anzulegen, dann hast du bei angemessenem handwerklich-akustischen Geschick durchaus Aussicht auf Erfolg. Sofern du, wie bereits in den ersten beiden Kapiteln erwähnt, ein leidlich gutmütig reagierendes Instrument vor dir hast. Allerdings darfst du damit rechnen, dass du für das Erzielen eines im günstigen Fall akzeptablen Ergebnisses leicht zehn bis fünfzehn Mal so lange brauchen könntest, wie eine erfahrene Fachperson für ein gutes Ergebnis.


-- Fortsetzung folgt --


Gruß
Martin
PianoCandle

... Klang dauert
 
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Reaktionen: Leb
Hi PianoCandle,

danke für die tolle Beschreibung.

Bei meinem neuen Flügel hab' ich gemerkt, dass ich wohl sehr stark auf kleinste Chorunreinheiten reagiere.

Ein Klavier komplett stimmen, will ich definitiv nicht, da ist mir die verlorene Spiel/Übe-Zeit zu schade.

Ist es aber möglich und sinnvoll für einzelne Töne nur eine leichte Chorunreinheit zu beheben?

Kann man wenigstens das relativ leicht lernen und durchführen?
Und hast du (und andere) dafür auch ein paar Tipps aus der Praxis?

Gruß
 
Dank zurück, Bachopin.
Klar geht das.
Mit meinen Beschreibungen ziele ich darauf, möglichst alles, ohne simplifizierende Augenwischerei, aber auch ohne geheimniskrämerisches Brimborium, einsehbar zu machen.
Wer sich dann traut... warum nicht? Dein jeweiliges Maß wirst du schon finden. Wie du ja selbst gesagt hast.
Allerdings, bei deinem neuen Flügel, rein im Sinne der Bedachtsamkeit, lass mal erstmal ein paar Wochen oder Monate Zeit ins Land gehen... ;)

Gruß
-m-
 
Danke, Pianocandle, für die schönen Anleitungen und Beschreibungen. Endlich mal jemand, der ohne Arroganz die Sache angeht und hier ein bißchen hinter die Kulissen schauen läßt.

Kannst Du mal etwas zum richtigen Handwerkzeug sagen? Stimmhammer z.B.

Mein Klavierstimmer hatte einen , der so ein bißchen wie ein Steckschlüssel mit Ratsche aussah, während ich selber bei meinem Anfängerbesteck nur einen der "üblichen" länglichen mit Holzgriff habe, so leicht abgeschrägt, also ziemlich langer Hebelarm.

Ich höre immer wieder, Anfänger "versauen" die Stimmnagelsitze durch Verziehen, also nicht Drehen des Wirbels sondern Verbiegen. Man kann sich das vorstellen, aber wie drehe ich ohne zu biegen?

Ich kann mir schon mal vorstellen, daß der Stimmhammer gut am Wirbel sitzen muß, also kein Spiel zwischen Nagel und 4Kant (8Kant).

Also bitte etwas zum Thema, "wie man richtig dreht".

Danke im voraus.

--
Christoph
 
Viertes Kapitel: Der Stimmhammer und seine Bedienung

Danke für die freundlichen Äußerungen und Anfragen, hier nun also ein paar Worte zum Stimmhammer. Natürlich, das fiel mir auch schon ein, dass hierzu noch meinerseits Worte fehlten - allerdings glaube ich durchaus, dass hierzu in vielen anderen Beschreibungen die Aussagen brauchbar sind.

Mein erster Stimmwerkzeug war sehr preiswert, ein einfacher Stimmhammer mit Sternloch halt. Anfangs hielt ich es für normal, dass er immer auf den Wirbeln wackelte und die Wirbel ein bisschen "vergniedelte", er hinterließ also immer Macken am Wirbel. Das war aber nicht wirklich normal, sondern lag daran, dass er einfach ein senkrecht ausgebohrtes Sternloch hatte, statt konisch zugerichtet zu sein.

Ich kam zunächst damit zurecht - aber nur weil da, wo ein Wille war, auch ein Weg war. Aus heutiger Sicht sind solche einfachen Gerätschaften rundweg abzulehnen.

Demgemäß ist als erstes festzuhalten:
Der Stimmhammer muss einen sorgfältig ausgearbeiteten, konisch zugerichteten Sternloch-Einsatz haben. Auf den Wirbeln, die er bearbeiten soll, muss er anschmiegsam sitzen. (Wenn das Loch zu klein ist, fasst es den Wirbel nicht - ist es zu groß, dann hält es ihn nicht.)

Die diesbezüglichen deutschen und amerikanischen Produkte sind, soweit ich sie kenne, alle brauchbar. Inzwischen gibt es natürlich auch Billigprodukte aus Fernost, mühelos z. B. über eBay zu beziehen. Da hab ich schon manches in der Hand gehabt, was mich nicht zufrieden stellte, aber in der Regel selbst dann noch besser war als mein allererstes "Spielzeug".

Es gibt teures professionelles Werkzueg mit verschiedenen Köpfen und Einsätzen, sowie ausziehbaren Griffen. Zum Anfangen bzw. gelegentlichen Nachstimmen ist das natürlich nicht erforderlich. Insbesondere muss gesagt werden: Ein Stimmhammer mit sehr langem Griff erleichtert natürlich das Drehen. Aber für einen Anfänger könnte die große Hebelwirkung beim stets ebenfalls notwendigen Drücken der Wirbel gefährlich werden und ungewollten Beschädigungen Vorschub leisten.

Daher mein zweiter Tipp zum Anfangen:
Der Stimmhammer sollte ca. 25 cm lang sein, nicht wesentlich länger. Und der Stimmkopf mit Einsatz sollte, ab Mitte Hammerstielvorderende, etwa 5-6 cm lang sein.

Was die richtige Stellung des Stimmhammers beim Arbeiten betrifft, erwähne ich zum Vergleich das Geigespielen. Als Laie denkt man gern, der Geigenspieler hält die Geige mit dem linken Arm auf der linken Schulter zur linken Seite gerichtet. Die Wahrheit ist: Linke Schulter und linker Arm stimmen natürlich. Aber nicht zur Seite gerichtet. Vielmehr ist der linke Arm sowohl an der Schulter als auch im Ellenbogen sehr stark eingedreht, so das die Geige praktisch geradeaus nach vorn weist. Die Spannungen im Arm sind dabei groß und gewöhnungsbedürftig. Aber genau in dieser Haltung erst kann die linke Hand auf dem Griffbrett der Geige richtig locker und flüssig laufen.

Mit dem Stimmhammer verhält es sich so: Typischerweise sieht man ihn auf Abbildungen beim Flügel nach hinten und beim Klavier nach oben gerichtet, und immer deutlich nach rechts verdreht, also in Stellung "Zehn nach" (uhrzeigermäßig). Diese Stellung ist zunächst einmal ergonomisch günstig. Für Rechtshänder jedenfalls, bei Linkshändern wäre es entsprechend ca. "Zehn vor". Das Drehen des Wirbels ist aus dieser Haltung spontan einigermaßen sensibel hinzukriegen. Insofern sollte man die ersten Dreh-Übungen auch in dieser Stellung des Stimmhammers beginnen.

Auf Dauer gesehen, ist diese Stellung aber nicht optimal. Denn das stets ebenfalls notwendige Drücken des Wirbels erfordert eine Stellung, die annähernd dem Verlauf des Saitenanhangs ab Wirbel abwärts (Klavier) bzw. rückwärts (Flügel) entspricht.

Dritter Tipp deshalb:
Anzustreben ist ein Stimmhammer-Ansatz, der weitgehend gerade nach oben bzw. vorn weist.
Bei manchen Bassbezügen ist, wegen der Saitenführung, sogar eine nach links verdrehte Grundstellung anzuraten. In solchen Fällen kann die Stimmung dieses Bereiches (von Rechtshändern) aus ergonomischen Gründen nur im Stehen ausgeführt werden.


Und noch etwas sehr Wichtiges.
Die Reibung der Saiten ist an ihren Umlenkungen häufig sehr beträchtlich. Schon eine kleine ungünstige Bewegung kann, insbesondere bei alten Klavieren, zum Reißen von Saiten führen. Um hier vorzubeugen, kommt nun mein vorerst letzter Tipp dieses Kapitels:

Jede Saite sollte, bevor ihre Wunschtonhöhe angesteuert wird, zunächst minimal gelockert werden, bis das deutlich hörbar ist. Damit wird unterstützt, dass sie wenigstens im Prinzip in ihren Umlenkungen nicht festgefressen ist, sondern gleiten kann.


-- Fortsetzung folgt --


Gruß
Martin
PianoCandle


... Klang ist ein Wagnis
 
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Hallo Martin,

Deine Beschreibung über das Klavierstimmen ist ein tolles Werk! Ich hab so eine exakt formulierte Anleitung über das Stimmen auch noch in keinem Buch gelesen. Hut ab!

Ich will noch zwei Dinge ergänzen, die mit dem Stimmen einhergehen:

Das Erste ist die Position des Stimmhammers beim Flügel bzw. wo ist die Position des Stimmers Kopf oder seiner "Helfer". Man muss immerzu daran denken, dass man mit übergroßen Stahl-Gummiringerl ziehlt. :D

Nie weiß man, wann eine Basssaite reißt und wo sie reißt und die Power von einem Geschoss entwickelt. Nach hinten abgeschossen kann sie ein paar Meter weit fliegen. Daher: Der Stimmer hat Sorge zu tragen, dass sich niemand hinter dem Flügel befindet, wenn er stimmt. In manchen Fällen, z.B. bei heiklen Statuen, Tapeten oder Brokatvorhängen direkt hinter dem Instrument, schließe ich den Deckel vorsichtshalber. Auch setze ich mich nie in das Schussfeld beim stimmen, selbst wenn es die vermeintlich günstigste Position wäre. Der extremste Fall (GAU) war der, wo ein Klavierstimmer gestorben ist, weil ihm eine am Anhangstift gerissene Basssaite in die Gurgel schnalzte. Er wurde tatsächlich in einer Blutlache aufgefunden.:(

Das zweite ist die Tonhöhe, auf die man ein Klavier stimmen kann. Viele Stimmer stimmen Klaviere aus Angst, es könne was passieren viel zu tief. So habe ich mitunter erst knapp 30 Jahre junge, vollkommen gesunde Klaviere gesehen, die nach mehrmaliger Bearbeitung einen halben Ton zu tief standen.

Schlimmer bzw. gefährlicher ist der umgekehrte Fall. Wenn die Konstruktion eine hohe Stimmung nicht zulässt, und jemand versucht, unbedingt auf Normalton a=440 Hertz zu stimmen. Das kann verheerende Folgen haben bis hin zu Gefahr für Leib und Leben.

Ein Stimmer muss das Instrument vor dem höher stimmen in jedem Falle untersuchen. Es darf an heiklen Stellen keine Risse im Rahmen haben. Er muss informiert sein, was die Konstruktionstonhöhe war bzw. selbst errechnen und herausfinden was der Zustand jetzt noch an Tonhöhe erlaubt bevor er ans Werk geht.

LG
Michael
 
Exkurs ins Abenteuer

Danke, Michael!
Auch ein Mutmacher braucht Mut-gemacht-Kriegen... ;)

In der Tat, die Stimmhöhe ist ein wichtiges Thema, womöglich ein ganz eigenständiges. Zunächst mal meine ich:
Wer als Fahrschüler/in sich zur ersten Fahrstunde ins Auto setzt, wird von seinem/r Fahrlehrer/in kaum auf die Autobahn geschickt werden.
Demgemäß sollte eine stimm-neugierige Person ihren Erstversuch auch nicht gerade mit einer Tonhöhenveränderung starten.
Falls eine Tonhöhenveränderung nötig ist - und das ist zugegebenermaßen oft der Fall! - bitte Erstversuch verschieben, Fachmenschen rufen.

Was die seit Jahrzehnten kursierende spektakuläre "Mord-durch-Saite-Geschichte" betrifft... nun ja, da neige ich deutlich eher zu einer andersherum gerichteten Empfehlung.
Lasst euch nicht ins Bockshorn jagen.
Etwas frech gesagt: Lieber Mutmachen als Blutlachen. :)
Die verschiedenen Arten, in denen Saiten reißen können, sind meistens ungefährlich.
1) Weitaus meistens reißen Saiten direkt am Ringansatz beim Wirbel. Beim Klavier landen sie dann, nach Steilflug hinter der schützenden Mechanik, postwendend auf dem Pedalboden, Verletzungsgefahr nahe Null.
2) Reißt eine Flügelsaite am Wirbelansatz, dann schießt sie durch die Agraffe oder den Kapodaster. Da sie davor in der Regel aufwärts abgelenkt ist, kriegt die Saite beim Durchschießen einen deutlichen Abwärtsdrall zum Resonanzboden hin. Und bevor sie dennoch als Geschoss nach hinten rausfliegen will, muss sie erstmal die Reibung an den Stegstiften austricksen. In der Regel hat sie dazu keine Lust. Deshalb bleiben die meisten Flügelsaiten, vor allem die im Bass, nach dem Reißen am liebsten auf dem Resonanzboden liegen. In sehr vielen Fällen bleiben sie, trotz des kräftigen Rucks, sogar noch brav an ihrem Anhängestift.
3) Eine Flügelsaite, die am Anhängestift reißt, ist schon etwas kritischer. Aber auch die kriegt, wegen der Aufwärtsführung vor Agraffe / Kapodaster, einen Drall nach unten und muss überhaupt erstmal durch die Stegstifte durch. In der Regel passiert dabei nichts wirklich Gefährliches.
4) Bedenklicher ist der seltenere Fall, dass eine Saite direkt an Agraffe / Kapodaster reißt. Dann fehlt der Abwärtsdrall. Die Saite fliegt schon eher. Aber erst, wenn sie durch die Stegstifte durchkommt und dann auch noch die Höhe der Zarge überwindet. Recht selten, das.
5) Und natürlich gibt es auch die richtig gefährlichen Fälle Man stelle sich eine straff gespannte Flügel-Basssaite vor, die nicht durch eine Agraffe oder einen Kapodaster geht, sondern über eine Silie mit Umlenkstift oder vorgelagertem Druckstab läuft, wie oft beim Klavier, und dann an ihrem Vorderende nicht aufwärts sondern abwärts abgelenkt wird. Wenn die dann hinten reißt, womöglich auch noch (was äußerst selten ist) am vorderen Stegstift, dann kann das wirklich lebensgefährlich werden.

(Korrekterweise muss man, in Ergänzung zu 5, sagen, dass bei vielen alten Wiener Flügeln auch die Fälle 2 und 3 etwas gefährlicher sind, weil dort oftmals die Saiten vorn mittels Silie und Druckstab umgelenkt wurden. Aber auch dort gibt es mildernde Umstände: Die Saite, die mit dem etwaigen Aufwärtsdrall nach oben wegfliegen will, muss erstmal irgendwie durch den dicken Dämpfer-Balken der Wiener Mechanik durch. Gar nicht so einfach.)

Also stimme ich zu:
Vorsicht ist auf jeden Fall geboten!
Die unvermeidliche Gefahr beim Saiten-Reißen ist allerdings viel subtiler. Es ist der Schreck, den man dabei kriegt und die damit verbundene Adrenalin-Ausschüttung. Eine Chance dagegen hat man kaum. Klingt zwar nicht sonderlich dramatisch - aber wenn im Verlauf einer Piano-Bearbeitung gleich eine ganze Reihe Saiten reißt, dann darf man sich am Abend desselben Tages nicht wundern, wenn man vollkommen fix und fertig ist.

Auch weitere Gefahren sollen nicht unerwähnt bleiben.
- An herumliegenden Saiten oder irgendwo-hingeflogenen Saitenresten kann man sich böse verletzen.
- Zu fest sitzende Wirbel können verbiegen oder sogar abbrechen, oder zu verreißenden Fehlbewegungen Anlass geben, mit denen schlimmstenfalls das Werkzeug oder der Stimmstock beschädigt werden.
- Beim Klavier kann ein ungünstig aufgesetzter oder sonstwie schlecht sitzender Stimmhammer herabfallen und womöglich Klavierhämmer oder andere Mechanikteile beschädigen.

Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wenn mir weiteres Wichtiges einfällt, trage ich es hier nach.


Gruß
Martin
PianoCandle


... KRACKS!! ... und wieder Klang
 
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Reaktionen: Leb
Rechtliches

Nachdem oben bereits von Gefahren die Rede war, und bevor ich nun weiter in die Details des Stimmens gehe, kommen hier zunächst zwei leider unvermeidliche rechtliche Hinweise.

1) Selbstverständlich gelten für alle Äußerungen im Forum clavio die Richtlinien des Urheberrechts. Für alle meine Tipps in Sachen Klavierstimmen und insbesondere für genuin eingeführte Begriffe gilt daher (c) clavio-Mitglied PianoCandle, ab dem Datum des jeweiligen Beitrags.

2) Die Formulierung aller Tipps erfolgt nach bestem Wissen und Gewissen, doch bleiben ggf. Irrtümer oder Fehler, sowie deren Korrektur, jederzeit vorbehalten. Die Anwendung aller gegebenen Tipps durch Dritte erfolgt ausschließlich auf deren eigenes Risiko. Eine Haftung seitens clavio-Mitglied PianoCandle wird ausdrücklich ausgeschlossen.



PianoCandle
19. Juli 2010
 
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Fünftes Kapitel: Oktaven-Brücke und Große-Terzen-Treppe

Mit meiner Empfehlung, zunächst das Klein-F zu stimmen und von dort aus den Kammerton A-1 anzusteuern, habe ich, "historisch" gesehen, zwei Schritte überschlagen.
1981, als ich meine Stimmfolge entwarf, und seither jahrzehntelang, habe ich selbstverständlich stets zuerst das A-1 gestimmt, und zwar direkt nach der Stimmgabel. Wonach auch sonst. Ein Stimmgerät habe ich nie wirklich benötigt und besitze erst seit einigen Monaten eines, dank einer Supermarkt-Gelegenheit.
Dem A-1 ließ ich das Klein-A folgen, stimmte also gemäß konventioneller Anweisung eine "reine Oktave". Doch stellte ich schon nach kurzer Zeit fest, dass meine erste freihändig gelegte Oktave a-a' des öfteren einer peniblen Intervallprüfung nicht standhielt. Was mich natürlich verdross, denn ich musste daraufhin ja etliches innerhalb der ersten Oktave nachkorrigieren.
Deshalb suchte ich eine Brücke, von der aus die Oktave von A-1 abwärts nach Klein-A zuverlässig sauber hinzukriegen ist. Und fand als Brücke das Klein-F.
Denn:
Die Intervall-Schwebungszahl bildet sich stets anhand dessen tiefen Tons. Deshalb ist die Schwebungszahl bei der Terz f-a und der Dezime f-a' exakt gleich.
Seither beginne ich jede Stimmung stets mit dem Legen der "Oktaven-Brücke" aus A-1, Klein-F und Klein-A.


Nach wie vor beginne ich übrigens das Stimmen, ganz konventionell, immer mit dem Kammerton, weil ich es vom Arbeiten mit der Stimmgabel so gewohnt bin. Die direkte Ansteuerung eines Dezimen-Intervalls nach der Stimmgabel ist ziemlich fummelig. Meine Empfehlung, direkt als erstes das Klein-F zu stimmen, ist dem Komfort eines Stimmgeräts zu verdanken, dessen ggf. eingeschalteter Dauer-Kammerton einem etliche Handgriffe erspart.

Nun geht es weiter:
Die Oktave von Klein-A nach A-1 besteht aus drei aufeinander stehenden großen Terzen, nämlich a-cis', cis'-f', f'-a'. Große Terzen sind beim Klavier immer deutlich hörbar falsch, nämlich viel zu groß. Und außerdem gilt dies: Je höher eine Terz liegt, desto schneller ist ihre Schwebungszahl.
Du legst nun als nächstes die "Große-Terzen-Treppe" an.
Dazu machst du Folgendes: Ausnahmsweise dämpfst du mit deinen beiden Stimmkeilen jeweils zwei Saiten des Cis-1 und des F-1 ab, so dass jeweils nur eine Saite hörbar bleibt. Dann stimmst du das Cis-1 so zum Klein-A, dass du keine Schwebungen hörst. Das klingt dann geradezu unwirklich sauber, wie ein Transformator.
Anschließend stimmst du das F-1 nach diesem Cis-1 ebenso sauber. Im Ergebnis hast du bis dahin zwei reine große Terzen - und eine extrem unreine, viel zu große Terz von F-1 nach A-1.
Geh nun wieder zum F-1 und stimme es so nach, dass die Schwebungen cis'-f' und f'-a' möglichst gleich schnell sind.
Anschließend gehst du zum Cis-1 und stimmst dieses so nach, dass die Schwebungen a-cis' und cis'-f' möglichst gleich schnell sind.
Und dann gehst du nochmal zum F-1. Stimme es jetzt so nach, bis die Terz cis'-f' schneller ist als a-cis', aber langsamer als f'-a'.
Wenn du das erreichst, dann ist dein Ergebnis zwar nicht 150prozentig richtig, aber schon sehr deutlich innerhalb dessen, was zu tolerieren oder zu akzeptieren ist.


Gerade eben hab ich es nochmal bei meinem eigenen Klavier ausprobiert. Es geht wirklich gut. Du kannst aber durchaus noch weiter gehen. Du hast ja Zeit, wenn du sie dir nimmst.
Du hast ja schon, gemäß Kapitel 1, die korrekt gelegte Terz von Klein-F nach Klein-A. Somit hast du bis jetzt also schon vier aufeinander stehende große Terzen.
Überprüf nun also, ob alle vier, von unten nach oben, kontinuierlich schneller werden. Falls es etwas zu korrigieren gibt, tu das - aber nur am Cis-1 und/oder F-1.
Wenn du diesbezüglich am Ende ein gutes Gefühl hast, dann kannst du dir eine nette Kontrolle erlauben: Überprüf mal die Oktave von Klein-F nach F-1. Die hast du ja gar nicht direkt gelegt. Aber wenn du die großen Terzen in der beschriebenen Weise sorgfältig legst, dann wird diese Oktave quasi von selbst ziemlich genau stimmen.

Geschafft? - Dann kannst du bei cis' und f' die Keile rausnehmen und die beiden Töne chorrein stimmen. Natürlich möglichst so, dass die Intervalle sich dabei nicht wieder verändern...

-- Fortsetzung folgt --


Gruß
Martin
PianoCandle


... und aus Jaul wird Klang, nach und nach
 
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