Anfangen, wer sich traut...
Hallo Krischu, hallo pennacken,
zu euren beiden Welten kann ich etwas sagen.
Vor gut 31 Jahren erwarb ich mein erstes eigenes Klavier und konnte es nicht lassen, es zu stimmen. Ich kaufte mir einen billigen Stimmhammer und schnitzte mir Dämpfkeile aus handelsüblicher Schuhsohle. Und weil meine handwerklichen und musikalischen Voraussetzungen gar nicht schlecht waren, und weil ich gleich den Ehrgeiz hatte, es möglichst gut zu machen, dauerte meine erste Stimmung auch "nur" anderthalb Tage. (Vor meinen damaligen Nachbarn verbeuge ich mich im Geiste noch heute mit zerknirschter Büßermiene.)
Ich weiß aber auch (weil ich halt nach der ersten Stimmung weiter am Ball blieb), was daraus werden kann, wenn man dabei das Bestreben, es richtig gut zu machen, jahrelang immer im Auge behält.
Nach meiner ersten Stimmung jedenfalls suchte ich genau wie du, Krischu, nach gescheiten Stimm-Anleitungen oder Lern-Möglichkeiten. Was ich fand, waren Wegweiser zum Umgang mit dem "großen Quintenzirkel". Ich hielt mich dran und kämpfte mich wieder und wieder durch das Temperatur-Legen. Regelmäßig war ich unendlich frustriert, wenn ich trotz anweisungsgenauer Vorgehensweise schon nach wenigen Tönen grauenvoll misslungene Intervalle produzierte. Und sehr schnell stellte sich bei mir das sichere Gefühl ein: das ist nicht der Weisheit letzter Schluss!
Weil ich aber weit und breit keine besseren Anleitungen fand, befragte ich meinen gesunden Menschenverstand. Und der wies mir schon nach meinen ersten ca. 10 bis 20 gelegentlichen Stimmungen einen ganz anderen Weg, weg vom "groben Quintenzirkus" und hin zu zuverlässig hörbaren Prüf-Intervallen. Vermutlich haben in aller Welt auch andere Suchende ähnliche Wege gefunden - aber die waren jedenfalls, als ich suchte und fand, nicht zugegen.
Mit meiner damals (ca. 1981) entwickelten Stimmfolge arbeite ich auch heute noch. Sie basiert im Wesentlichen auf Terzen und erbringt buchstäblich vom ersten Ton an zuverlässig hörbare korrekte Intervalle. Außerdem führt sie auf kürzest möglichem Wege zu einer chromatischen Tonfolge, von der aus – je nach Vorliebe – alle denkbaren Intervalle zum Überprüfen verfügbar sind. Technisch hat die Vorgehensweise auch noch einen weiteren großen Vorzug: Man braucht zum Temperatur-Legen keinen Rechen oder Filzstreifen, sondern stimmt vom ersten Ton an chorrein. (Aber natürlich erst, wenn man sich das schon ein paarmal eingeübt hat.)
Die gesamte Stimmfolge beschreibe ich jetzt nicht, dann wird das Posting zu lang. Aber wenigstens den Anfang. Am besten nimmst du dir ein Stimmgerät (gibt’s heute schon deutlich unter 20 Euro) und lässt dir damit die vorfindliche Tönhöhe deines Klavieres anzeigen. Dein A-1 sollte so zwischen 435 und 445 Hz liegen. Wenn du das Gerät darauf einpegeln kannst (son dass es "grün" zeigt), kannst du loslegen. Selbstverständlich brauchst du dafür gute Ohren; denn stur nach Stimmgerät Ton für Ton zu stimmen war und ist seit eh und je seelenlos und letztlich grob.
1) Du lässt dir vom Gerät das A-1 als Ton ausgeben. Das Stimmen beginnst du dann eine große Dezime tiefer beim Klein-F. Zwei der drei Saiten dämpfst du ab, vorzugsweise die beiden äußeren (du brauchst also zwei Abdämpfkeile). Die übrig bleibende (mittlere) Saite stimmst du mit deinem Stimmhammer so, dass du beim Anschlagen des Tons, bei gleichzeitig tönendem A-1 des Geräts, keine Schwebungen hörst. Wenn du dies ungefähr erreicht hast, stimmst du die Saite abwärts, bis du ca. 6-7 Schwebungen pro Sekunde hörst.
2) Danach schaltest du das Stimmgerät aus und gehst vom Klein-F eine große Terz aufwärts zum Klein-A. Dort dämpfst du wieder die beiden äußeren Saiten ab und stimmst die mittlere passend zum Klein-F: erst möglichst schwebungsfrei, und dann aufwärts (also zu groß), bis du ca. 6-7 Schwebungen pro Sekunde hörst. Dann schaltest du den Geräteton (A-1) wieder ein. Und wenn du nun dein soeben gestimmtes Klein-A dazu anschlägst, solltest du keine Schwebungen hören. Weil du nämlich eine genaue Oktave hast.
3) Erst jetzt stimmst du den "Kammerton", also das A-1 auf deinem Klavier, und zwar wieder im Vergleich mit dem Klein-F. Wieder musst du am Ende 6-7 Schwebungen pro Sekunde hören. Und wenn du das richtig gemacht hast und dann das Stimmgerät einschaltest, solltest du nun auch beim Anschlag des A-1 keine Schwebungen hören. Und auch beim Anschlag der Oktave von Klein-A zu A-1 sollte schwebungsfreie Reinheit ertönen.
Als erstes Ergebnis hast du nun dies: einen sauber nach gezählten Schwebungen angesteuerten Kammerton. Und eine sauber nach gezählten Schwebungen gelegte Oktave a – a'.
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So, das ist jetzt mehr als genug für ein Posting.
Aber dieses Nachwort muss noch sein: Mein erstes eigenes Klavier war sehr gutmütig und ließ sich bereitwillig ohne große Zicken stimmen. Schon bald danach begegnete ich Instrumenten zum Blut-und-Wasser-Schwitzen, und auch solchen, die sich gar nicht richtig stimmen ließen. Hätte ich sowas bei mir als Erstinstrument zu Hause gehabt, dann säße ich beruflich jetzt wohl irgendwo im Büro. Und nicht bei Klavierkunden überall in Deutschland.
BITTE beachte hierzu den Beitrag #52 in diesem Faden.
Gruß
Martin
PianoCandle
... und aus Krach wird Klang