Wisst Ihr eigentlich, dass im Hamburger Hauptbahnhof seit einigen Jahren
klassische Musik dazu verwendet wird, Penner zu vertreiben?
Wir hatten das Thema schon mal an anderer Stelle.
Aber nicht Penner sind die Zielgruppe, sondern Drogenabhängige -
ein großer Unterschied, auch wenn es zwischen den Gruppen Schnittmengen gibt.
Die Beschallung ist dezent, ungefähr der hier a.a.O. diskutierten Barpiano-Lautstärke ähnlich.
Bei der Musik, die imstande ist, Junkies den Aufenthalt am Hauptbahnhof zu vermiesen,
handelt es sich vorwiegend um Barock-Gedudel, nichts Prominentes,
womit sich ein Querbezug zur Diskussion im "Galina Vracheva"-Thread ergibt.
Ich wüßte gerne, wer für die Repertoireauswahl zuständig gewesen ist.
Es muß ein Fachmann gewesen sein, der aus dem Berg an Triosonaten, Tafelmusiken, Concerti grossi,
gewissermaßen der MUZAK des Generalbaßzeitalters, oder auch aus klassischen Divertimenti
den Bodensatz herausgesucht hat - zu unbekannt, um bei Klassik-Freaks ob des Mißbrauchs
ihrer Lieblingsstücke Empörung hervorzurufen, aber gut genug,
um Junkies das Leben künstlich zu erschweren.
Anhand dieses traurigen Themas lassen sich Wesensmerkmale der sogenannten klassischen
Musik herausarbeiten, die für drogenabhängige Nichtliebhaber offenbar unaushaltbar sind:
häufige Harmoniewechsel, oft auf jeder Zählzeit, statt ausgedehnter Klangteppiche,
permantes Kadenzieren, also ausgeprägte Tonalität, statt der im Pop oft bevorzugten Modalität,
komplexere Stimmenverläufe, d.h. Durchpolyphonisierung der Stimmen oder durchbrochene Arbeit,
statt undurchbrochener Oberstimmenmelodik.
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