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Franz
Guest
Man darf halt nicht den Fehler machen, seine Interpretation als allein glücklich machen anzusehen und nichts Anderes daneben zu dulden.
Natürlich kann letztlich jeder spielen wie er will - das hatten wir schon mal. :D
Dennoch möchte ich mal zur Sprache bringen, dass mir die Begriffe "Interpretation" und "Geschmack", wie sie hier im Forum häufig benutzt werden, manchmal Sodbrennen bereiten.
Ich denke, gerade der Anfänger oder der fortgeschrittene Anfänger, sollte zunächst mal die Wichtigkeit der eigenen Person, des eigenen "Geschmacks" zurück nehmen und nach der "Wahrheit" suchen.
Daniel Barenboim hat es, finde ich, sehr treffend ausgedrückt:
Wenn man Musik machen will, muss man unbedingt einen eigenen Standpunkt entwickeln, aber keinen beliebigen, rein subjektiven. Vielmehr geht es um eine Auffassung von Musik, die auf uneingeschränktem Respekt vor den aus der Partitur ersichtlichen Informationen, der Kenntnis der physischen Gegebenheiten des Klangs sowie dem Einblick in die wechselseitige Abhängigkeit aller musikalischer Elemente - also Harmonie, Melodie, Rhythmus, Lautstärke und Tempo - basiert. Uneingeschränkter Respekt für die Partitur bedeutet, dass man dem gehorcht, was auf einer Seite gedruckt steht - also dort piano spielt, wo es angegeben ist, und nicht aus einer Laune ein forte daraus macht.
Doch wie leise ist piano? Diese einfache Frage zeigt, wie wichtig es ist, dass man eine eigene Auffassung von der Quantität und Qualität von Lautstärke hat. Einfach nur leise zu spielen, weil auf dem Notenblatt piano steht, mag ein Zeichen für Bescheidenheit sein, aber es ist auch eine Unterlassungssünde. Die drei Fragen, die ein Musiker sich unablässig stellen muss, sind: warum, wie und zu welchem Zweck? Wer diese Fragen nicht stellen will oder nicht zu stellen vermag, der unterwirft sich einer stumpfsinnigen Buchstabentreue, die dem Geist der Musik nicht gerecht werden kann. (Daniel Barenboim: Klang ist Leben S.24, Siedler 2008 )
Ich will niemandem zu nahe treten oder den Spaß verderben. Diese Wichtigkeit der eigenen Person, dieses Streben nach Originalität kann mMn aber beim Lernen sehr kontraproduktiv sein.
Ein kleines Beispiel: Eine diskussionsfreudige Schülerin spielt "Morgen kommt der Weihnachtsmann". Bei den "Ga-ben" betont sie ziemlich unwirsch die letzte Silbe, das "-ben" Ich spiel es ihr mit korrekter Betonung vor und frage: "Was hörst Du? Was habe ich anders gemacht?"
"Du hast die letzte Note leiser gespielt, aber das ist doch Geschmacksache, ich interpretier das eben anders." - "Nun, Du interpretierst das also anders, sing's mir doch mal vor. "Ich kann doch nicht singen" - "Na dann sing ich es Dir vor: ... bringt uns viele Gabeeen" Darauf musste sie schallen lachen und war überzeugt.
Leider ist es bei einer Bach Invention nicht so einfach und klar, es gibt keinen Text, meistens auch keine Bögen, dennoch verstecken sich in so einem Notentext ganz viele "Ga-ben", die eben richtig betont werden wollen. Ich behaupte, da ist nicht alles Interpretations- oder Geschmacksache.
Meine Aufgabe als Lehrer sehe ich in erster Linie darin, dem Schüler/Studenten beizubringen wie man einen Notentext korrekt liest und sinnvoll umsetzt, sicher ist das nicht immer einfach und manches ist am Ende doch eine Frage der Interpretation. Meiner Erfahrung nach benutzt der Schüler aber zu oft das Argument "meine Interpretation" um die Lösung musikalischer Aufgaben zu umgehen und da nehme ich mir schon heraus, dem einen oder anderen "die flügel zu stutzen" natürlich in humorvoller, liebevoller Weise.
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