Hat Ravel sich verkomponiert?

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Tokoloko

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Ich habe mal den 2. Satz des G-Dur-Klavierkonzerts gespielt (zumindest ansatzweise, weil das noch mit meinen pianistischen Fähigkeiten halbwegs vereinbar war) und ich stelle fest, dass es eine Stelle gibt, wo ich andere Noten, als die, die Ravel vorgesehen hat, wesentlich schlüssiger finde (und ich spiele dann auch immer meine Version). Die Stelle ist folgende:
Im Original:
Ravel_orig.jpg

Meine Version (die Änderung rot umkringelt):
Ravel_me.jpg

Ich habs auch mal aufgenommen, damit Ihr Euch den Unterschied anhören könnt. Das Original ist hier:
Den Anhang Ravel_orig.mp3 betrachten
Und meine Version ist diese:

Den Anhang Ravel_me.mp3 betrachten

Meinungen dazu? Ist mein Geschmack schräg? Oder hab ich was entdeckt, auf was Ravel nicht gekommen ist? Fragen über Fragen...

Grüße,
Thorsten
 
Mit Deiner Version isses halt ein stinknormaler Gis7-Akkord, mit Ravels hingegen ein Gis-Übermäßig.

Du hast die Stelle also langweiliger, weil 08/15-mäßiger, gemacht.

Eigentlich dürften Dir dann eine Menge Stellen in dem Klavierkonzert nicht so zusagen :005:
 
In der Kunst ist "falsch" sehr schwer festzustellen. Man kann Verstöße gegen Regeln finden, aber das kann der Künstler ja gezielt machen, für einen bestimmten Effekt. Das bricht zwar eine Regel, ist aber deswegen noch lange nicht falsch.

Vielleicht hatte Ravel ganz einfach Spaß daran, gis-e lange gleich zu lassen und immer mit einem anderen Basston zu kombinieren.

Die übermäßige Quint alleine klingt schon recht dissonant, aber vielleicht gewollt. Druckfehler gibt es auch immer wieder. Fragen können wir Ravel leider nicht mehr...
Gibt es eine Regel, die deiner Meinung nach verletzt wurde? Beziehst du dich auf Akkordfolgen / Harmonien, wenn du es "schlüssiger" nennst, oder meinst du einfach nur, dass es für die Ohren angenehmer klingt?

Es kann dich aber niemand davon abhalten, deine Version zu spielen. Wenn dir das viel besser gefällt, tu es einfach. Nur wenn du es mit einem Orchester gemeinsam spielst, solltet ihr euch absprechen. ;-)
 
Wie ich schon schrieb: Es gibt diverse wesentlich ungewöhnlichere Zusammenklänge in dem Stück, über die man stolpern könnte, als ausgerechnet diese harmlose kleine Stelle.
 
Das Ravel sich hier verkomponiert hätte, ist eine sehr abenteuerliche These. Wenn man weiß, wie akribisch Ravel die Druckfahnen seiner Werke kontrolliert hat, ist es sogar eine ganz und gar undenkbare These.

Davon mal abgesehen ist die "verbesserte" Version hier schwach und sehr untypisch für Ravel im Allgemeinen und für dieses Werk im Besonderen. Um am Ende einer Phrase neue Spannung aufzubauen, hat Ravel sehr häufig auf den Einsatz übermäßiger Akkorde zurückgegriffen; so auch schon im Übergang zwei Takte zuvor. Zudem sorgt eine synkopische Überbindung der Melodie ohne Harmonieschärfung hier für einen Spannungsabfall, der den riesigen Bogen des ganzen Klaviersolos nicht nur stört, sondern zerstört.
Es kann dich aber niemand davon abhalten, deine Version zu spielen. Wenn dir das viel besser gefällt, tu es einfach. Nur wenn du es mit einem Orchester gemeinsam spielst, solltet ihr euch absprechen.
Sorry, aber da gibt es nichts abzusprechen. Auf solche interpretatorischen Willkürakte wird sich kein Dirigent mit klarem Verstand einlassen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Du hast die Stelle also langweiliger, weil 08/15-mäßiger, gemacht.
Schlimmer als das. Warum? Das Charakteristische an diesem bewusst sehr transparent gehaltenen Satzbild sind die sehr raffiniert eingeführten Spannungswerte, indem Ravel ebenso bewusst Dissonanzspannungen bei Akkordfortschreitungen asynchron auflöst. Mitunter werden die Akkorde sogar mehrdeutig, weil die vermeintlich störenden Töne sowohl auf den vorausgegangenen als auch auf den folgenden Akkord bezogen sein könnten. Im Takt vor dem mit der Änderung sind die strukturellen Spannungen sogar stärker. Der ganze zweite Satz bleibt immer in der Schwebe und das Reizvolle daran sind die sich ergebenden dissonierenden Spannungen. Diese einzuebnen nimmt der Vorlage den Reiz und lässt das Satzbild stereotyp, wenn nicht sogar schulmeisterlich klingen. Beispiel eines anderen Komponisten, den Ravel seinerseits geschätzt hat: Mussorgsky, dessen Klavierzyklus "Bilder einer Ausstellung" Ravel kongenial orchestriert hat. Dessen Kollege Rimski-Korsakow hat oftmals in Bearbeitungen seiner Werke Eingriffe in die Harmonik und in Stimmführungen vorgenommen, um vermeintliche Härten zu glätten und auszubügeln. In den meisten Fällen geht Charakteristisches verloren, weil Rauhes und Urwüchsiges entfernt wurde, das Mussorgsky bewusst einsetzte. Ravel nahm solche Eingriffe nicht vor und ließ das für Mussorgskys Klangsprache Typische weiterhin zur Geltung kommen. Allerdings würde ich der wirklich guten und gelungenen Ravel-Fassung diese hier immer noch vorziehen:



Bezeichnend ist übrigens auch das Notenbild: Mussorgskys Handschrift ist eine der klarsten und präzisesten Notationen aus der Hand eines Komponisten - wer so schreibt, weiß absolut genau, was er will. Von wegen frustrierter kleiner russischer Staatsbeamter wider Willen, der sich totgesoffen hat... . Dem Finnen Funtek gelingt es, Mussorgskys Personalstil mit dem Kenntnisreichtum vom Orchesterapparat eines Rimski-Korsakow meines Erachtens optimal zu verbinden, während Ravel die Bandbreite zwischen Licht und Schatten noch breiter ausfüllt und damit einen sehr eigenständigen Ansatz wählt, der "westlicher" oder "internationaler" und weniger "russisch" herüberkommt. Vorsicht also mit Veränderungen... .

LG von Rheinkultur
 
Da gab es mal jemanden, der Ravel bei einem Kompositionsauftrag umfangreiche Notentextänderungen abzufordern versuchte:



Es ist bekannt und überliefert, dass Ravel davon alles andere als begeistert war, gelinde gesagt. Der sehr eigenwillige Solist nahm sich die Freiheit, ihm nicht zusagende Auftragswerke dann doch nicht aufzuführen. Darunter waren Stücke von Hindemith und Prokofiew... .

LG von Rheinkultur
 
Danke für die Rückmeldungen!
In gewisser weise beruhigend, dass das nicht eine Änderung ist, wo jeder sagt "na klar, klingt doch viel besser - warum ist Ravel nicht selbst drauf gekommen". So ist es nur mein eigener, verquerer Geist, der so denkt.

Witzigerweise ist es gerade nicht die Dissonanz, die mich stört und die ich mit der Änderung versuche "auszugleichen". (Wenn man Skrjabins späte Sonaten mag, sollte man mit Dissonanzen kein Problem haben...) Im Gegenteil, ich finde die Stelle nicht sehr dissonant, allerdings - da die gleichen zwei Tönen einen Takt später noch mal auftauchen - eher etwas langweilig. So als wäre ihm im neuen Takt nicht so viel neues eingefallen. Zumal ich finde, dass meine Version (da ein G#7) mehr Strebewirkung zum C# hat als der G#+. Und die Strebewirkung finde ich an dieser Stelle ziemlich passend.
Zwar werde ich nie in die Verlegenheit kommen, das mit einem Orchester auszuprobieren (es gibt ja auch noch 2 weitere Sätze, und die perlenden Läufe am Schluss des 2. Satzes werde ich nie so hinbekommen), allerdings ist es ja eine Klavier-Solo-Stelle - nun ja, da kann man sich ja schon mal verspielen ;-)
 
Und die Strebewirkung finde ich an dieser Stelle ziemlich passend.

Wenn Ravel die gewollt hätte, hätte er sie vermutlich auch geschrieben.

Ich hatte mal ein Choralbuch in der Hand, in dem ein/e Organist/in die Sätze mit ähnlicher "Logik" (absichtlich in Gänsefüßchen) handschriftlich angepasst hatte, mit dem Resultat, dass sie a) langweilig wurden und b) simple Tonsatzregeln missachtet wurden. Die Person war von ihrer Herangehensweise möglicherweise ähnlich überzeugt wie Du von Deiner - musikalisch sinnvoll muss es deshalb trotzdem nicht sein.

Lass Dich auf das ein, was im Notentext steht. Vielleicht musst Du es Dir ja auch noch "zurechthören". Zu den musikalischen Zusammenhängen wurde ja schon einiges geschrieben.
 
Wenn Ravel die gewollt hätte, hätte er sie vermutlich auch geschrieben.
Wenn ich es spiele, bin ich dreist genug, es so zu spielen, wie es mir gefällt. Ravel muss ja nicht zuhören ;-) (vermutlich bin ich für sklavische Notentreue zu jazzaffin...)
Lass Dich auf das ein, was im Notentext steht. Vielleicht musst Du es Dir ja auch noch "zurechthören". Zu den musikalischen Zusammenhängen wurde ja schon einiges geschrieben.
Drauf einlassen muss ich mich nicht mehr. Ich liebe das Stück seit mehr als 30 Jahren...
 

Liebst Du das Stück oder Deine Version davon? :denken:
Schon das Stück. Ich habs ja jetzt nicht komplett umgeschrieben, sondern 4 Noten ausgetauscht ;-)
(und da bin ich auch mehr zufällig drauf gestoßen, als ich es jetzt mal selber gespielt hab). Es ist jetzt nicht so, dass ich Ravels Version unerträglich finde...

Horowitz hatte bei einem Mozart-Klavierkonzert auch mal ein paar Töne ausgetauscht, weil er der Meinung war, dass Mozart sich verkomponiert hat. Und ja, es gibt da so einen Spruch mit "Jovi" und "Bovi"... ;-)
 
@Tokoloko
Wenn du das Klavierkonzert komplett hörst, fällt dir diese Stelle dann auf, bzw. findest du den 2. Satz dann "irgendwie langweilig" oder monoton?

Konzerte, Sonaten, Suiten und noch viele andere klassische Formen sind nicht so gedacht, dass man einzelne Stücke aus ihnen isoliert betrachtet. Bei der Analyse muss man das selbvstverständlich machen ... aber man sollte nicht an einem einzelnen Stück versuchen, zu ergründen, warum jeder eizelne Ton dort steht und nicht dort.
Eventuell ging es Ravel an der Stelle genau um die Wirkung, die dir nicht so gefällt.
Bei Kompositionen sollte man zunächst davon ausgehen, dass das genau so gedacht ist, wie es da steht.
 
Nein, wenn man es hört, ohne drauf zu achten, fällt der Unterschied gar nicht auf. Mir zumindest nicht. Beim selber spielen gefällts mir halt besser.

Wie gesagt, hier gehts um einen Takt. Wenn der anders gespielt wird, als der Komponist sich das gedacht hat oder als ich mir das "besser" vorstelle - dann versaut das nicht das ganze Stück. Zumindest nicht für mich. Für die Puristen vermutlich schon ;-)

Und, wie ebenfalls schon gesagt - wenn ich das für mich spiele, dann ist mir das ehrlich gesagt völlig egal, wie Ravel sich das vorgestellt hat. Im Prinzip ist der Notentext für mich ein Vorschlag, was ich spielen könnte. Meistens bleibt es dabei - aber eben nicht immer...
 
Mit der Änderung werden T. 27 (Fis7) und T. 28 (Gis7) so dermaßen ein Stock im Rücken, dass die Linie ab T. 29 aufgesetzt rhapsodisch wirkt.

Sehr feinfühlig, dass Ravel mit der Nicht-Kadenz in T. 28 den Raum zur großen Linie eröffnet.

Ok. Die Achtelgriffe links ganz preußisch als Marschakkorde spielen, die beiden Kadenzierungen klar herausheben, dann wird der liederliche baskische Impressionist ordnungsgemäß eingehegt.

Im Ernst: Ich finde es aber sehr gut, dass Du Dir solche Gedanken um einzelne Stellen machst. Das gibt es nicht oft, und manche "Verbesserungen" werden berühmt (wie der Schwencke-Takt).
Ich hoffe, dass die Reaktionen letztlich nicht harsch ankommen, sondern als pointierte Gegendeutungen aufgenommen werden. :-)
 

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