Allerdings...
Ein kniffeliges Thema sind die Ähnlichkeit von Interpretationen. Manchmal meint man schon, daß ein Pianist die gleichen gestalterischen Mittel einsetzt wie ein anderer. Wer von beiden war der erste, der die Form gefunden, erarbeitet hat, das Stück so zu spielen?
Sind sie beide unabhängig voneinander auf die gleichen "Lösungen", Ansätze, gekommen, das Stück so zu gestalten, und nicht anders...? Oder hat der eine vom anderen kopiert?
Ziemlich unangenehme Fragen, denn ich sehe die Erarbeitung einer Gestaltung, einer Interpretation, als nicht gerade geringwertige musikalische Leistung an.
Auf jeden Fall ist das auch mit ein Grund, warum jeder Interpret versucht, sich von allen bisherigen abzuheben. Und, ein Pianist will "erkennbar" werden, ein Profil bekommen. Sicher auch als Spiegel seiner Stärken und seiner Persönlichkeit. Durchaus angenehm - vielleicht finden sich Menschen dann in ihrer eigenen Persönlichkeit wieder, was ihren Lieblingspianisten betrifft.
Eine Interpretation soll Aspekte an einem Werk zeigen, die man bisher nicht sehen konnte. Jemand sagte einmal, eine gute Interpretation solle einem das Gefühl geben, man höre ein Stück zum erstenmal. Da ist natürlich viel wahres dran.
Nur: wieviel Raum ist noch vorhanden für neue "Interpretationen"...? Irgendwann kommt wohl ein Punkt, wo neue Interpretationen sich von musikalischen Nerv eines Stückes entfernen müssen, um noch individuell zu sein.
Sind das dann "Lieder, die die Welt nicht braucht"...?
Natürlich will jeder Pianist aus Leidenschaft sich beweisen. Egal ob ein Werk schon zwanzig mal eingespielt wurde: die einundzwanzigste Einspielung kommt dann eben dazu...
In der Hoffnung, es besser zu machen, als alle zwanzig Pianisten zuvor? Wenn es denn auch mal besser wäre...
Vielleicht sollte man es lassen, wenn man schon merkt, daß man das nicht besser hinkriegt...? Eine provokante Frage, sicherlich.
Aber hinter allem steht auch der Kommerz. Dann werden eben bekannte und beliebte Musikwerke immer wieder aufs neue von jedem aufstrebenden Pianisten eingespielt. Denn das verkauft sich - und auch Musiker vermarkten sich, und werden vermarktet.
Manchmal werden solche Werke mit einer gewissen Berechtigung als "Gassenhauer der Klassik" bezeichnet. Manchmal werden aber auch große Meisterwerke der Musik mit diesem Begriff für meinen Geschmack übel verunglimpft.
Und im letzteren Fall ist es weniger lustig, schon wieder eine Aufnahme zu Ohr zu bekommen, die an musikalischer Schönheit nicht annähernd an die uralte Referenzaufnahme im CD-Wechsler heranreicht - welche man inzwischen völlig verinnerlicht hat.
Aber egal - man kann diesem zweifelhaften Hörgenuß als Privatmann und Musikamateur ja aus dem Weg gehen, wenn man will, und gut ist es.
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Andere finden es aber spannend, die musikalische Entwicklung eines Pianisten, oder ihres Idols, zu verfolgen, und darüber zu fachsimpeln, wie dieser sich wohl einordnen ließe, zwischen die bekannten Virtuosen.
Auch daran habe ich nichts auszusetzen - woher auch. Jedem das seine, ich bin da leidenschaftslos.
Solange ich in der unüberschaubaren Welt der Interpretationen immer wieder mal eine neue Perle finde, die mir gefällt, und an der ich mich erfreuen kann.
Und solange dürfen Pianisten auch gerne neue Einspielungen machen -
- wenn es sowieso nicht möglich ist, die "perfekte Interpretation" zu finden ;)
Viele Grüße :)
Dreiklang