Ich halte es zwar für eine menschliche Schwäche, aber es ist nun mal so, dass wir Dinge in vertrauter Verpackung mögen. Zu brauner Soße gehört einfach als Etikett das Bild vom Parlamentsgebäude, Kräutertee würde in einer roten oder blauen Verpackung ziemlich komisch aussehen, während ein Bankmanager in Jeans manche Kunden abschrecken würde.
Dass ich, wie ich meine, eine AUsnahme von dieser Regel bin, ist für mein Weiterkommen gleichzeitig förderlich und hinderlich.
Die Kleidung, in der ich auftrete, ist ehrlich gesagt nicht das Ergebnis geschickter Berechnung.
( Anm. Olli: Fasse das Folgende zusammen: Er kam zu spät zum Auftritt und konnte am Sonntag in England nur auf dem Camden Market ein paar gebrauchte Sachen kaufen: Schwarzen Smoking, Hose, Weste, weißes Hemd ohne Kragen - daher brauchte er keine Krawatte - schwarze altväterliche Schuhe "Vorkriegsware" ).
Doch da sich niemand daran zu stören schien, gab ich mich ganz der Sache der Musik hin. Und siehe da, die Show kam gut an, und die Kritiker nahmen mich nicht auseinander. Das fand ich interessant, denn ich fühlte mich in diesem Kostüm - von den Schuhen mal abgesehen - wunderbar leicht und frei beweglich. Beim Geigespielen muss man sich ständig mit Krawatten, Rockaufschlägen und Jacketts rumschlagen, denn die schränken die Bewegungsfreiheit unheimlich ein. Aber nachdem ich mal ein Konzert ohne solche Hemmnisse gemeistert hatte, sagte ich mir, warum nicht immer so ?
Doch wurde daraus natürlich ein Stein des Anstoßes - und was für einer! Von nun an betrachtete man mich im Musikgeschäft wie in den Medien unweigerlich als eine Art "Off-Beat". Da dies aber nun mal so war, störte es auch nicht weiter, wenn ich mir Trophäen und Glücksbringer an die Jacke heftete. Sollte ein Bergkristall wirklich Energie anziehen oder sonstwie helfen, dann braucht ein Geiger ihn sicherlich nirgendwo dringender als auf der Bühne.[...]
Ich sah mir die Frauen an, die sich in der klassischen Musik umtun. Niemand hätte ihnen je vorschreiben können, in was für einem Kleid sie auftreten oder wie sie frisiert sein sollen.[...]
( Anm. Olli: Zum Haarschnitt sagt er: )
Nebenbei gesagt, erregt man zwar als gefeierter Geiger aus dem fernen Russland möglicherweise die Aufmerksamkeit der "Puristen" etwas leichter, aber derart lange Haare sind beim Geigespielen völlig unpraktisch. Hier kann viel eher der Verdacht aufkommen, dass sich jemand nur ein bestimmtes Image geben will, als wenn einer sein Haar an den Seiten kurzgeschoren trägt, damit es ihm nicht im Weg ist. Die gelegentliche Unterstellung, es handle sich nur um eine Masche, ich wolle eben mit diesem Haarschnitt nur als Punk-Geiger auffallen, stört mich nicht groß. [...]
Frauen dürfen auf dem Konzertpodium bis zu einem gewissen Grad tragen, was sie wollen, während alle Männer immer in die gleichen Klamotten gezwängt werden. Hier zweierlei Maß anzulegen ist völlig falsch, und es überrascht keineswegs, wenn das Publikum die männlichen Orchestermitglieder kaum als Individuen wahrnimmt, solange das Management bestimmt, dass sie allesamt auf der Bühne gleich gekleidet sind.[...]
Lasst Euch niemals von den Vorstellungen Eurer Lehrer oder Lehrerinnen einengen. Wenn ich ins Publikum schaue, dann könnte ich in ihm leicht nur die kompakte, gleichförmige Masse sehen. Aber dann fällt mir wieder ein, dass es nicht das Publikum, sondern eine Lehrerin war, der es nicht passte, dass ich mein Jackett auszog. Nicht alle Leute nippen nach einem Konzert zu Hause ehrfürchtig neben einer Mozartbüste an einem Sherry. In ihren Schallplattensammlungen stehen auch Jazz-, Rock- und Pop- Platten; Der schwarze Anzug und das lange Abendkleid hängen neben Nietenjacke und Jeans. Die Beschränktheit geht nie vom Publikum aus; es sind vielmehr die engen Grenzen des Unterrichts und der etablierten Verhaltensweisen, die vieles unterdrücken. Lernt alles, was es zu lernen gibt, aber gebt niemals Eure eigenen Ziele auf! [...]