Ich werde dann auch mal von meinen eigenen Erfahrungen berichten:
Nach ein paar Jahren autodidaktischer Beschäftigung mit dem Klavier musste ich mit Beginn meines Klavierunterrichts im letzten Jahr so ziemlich alles umstellen, was ich mir bisher beigebracht hatte:
Sitzhöhe, Sitzhaltung beim Spiel, Handhaltung, fast sämtliche Fingersatzangewohnheiten (ich hatte sie intuitiv benutzt z.B. nach dem Motto: legato, was ist das?;)), Pedaleinsatz (geschah oft nur in Form eines Taktschlagens).
Ich habe dann tatsächlich bei Null angefangen, mit Legatoübungen im Fünftonraum, leichten Etüden, die nach und nach die verschiedenen Anschlagsarten durchnahmen, Erlernen der typischen Fingersätze; technischen Übungen zum richtigen Pedaleinsatz....Zum ersten Mal wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass ich Temposchwankungen in meinem Spiel hatte und meine Musik mit vielen unnötigen Bewegungen begleitete. Ich habe unzählige Kleinigkeiten erfahren von deren Existenz ich nicht einmal geahnt hatte. All diese Dinge müssen nun zusätzlich beim Üben beachtet werden.
Nach einem Jahr fällt es mir immer noch sehr schwer, Stimmen in den Stücken unterschiedlich zu gewichten, da ich in dieser Hinsicht vorher nie differenziert hatte. Die Pedalarbeit funktioniert nur, wenn ich mich gründlich darauf konzentriere. Bei der kleinsten Ablenkung falle ich hier noch in die alten Bewegungsmuster zurück.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, meine alten Stücke einzumotten, da ich mir nicht vorstellen konnte, in der Lage zu sein, die dort bereits automatisierten Bewegungsmuster löschen zu können. Der Zufall hat mich dann doch zu einem dieser Stücke geführt und zu meiner Überraschung habe ich es geschafft, dieses Stück (Regentropfenprelude) innerhalb kurzer Zeit komplett neu zu lernen. Ich habe nun ganz andere Tastenbilder, Fingersätze und Eselsbrücken im Kopf als vorher und erinnere mich an die ursprünglichen Bilder gar nicht mehr. Da ich es aber schon einmal in den Fingern hatte, die Noten bereits kannte und das Stück insgesamt im Ohr hatte, habe ich im Vergleich zu meiner ersten Erarbeitung der Prelude nur einen Bruchteil an Zeit gebraucht bis ich es einigermaßen durchspielen konnte (ca. zwei Wochen). Einzig bei der Pedalarbeit falle ich immer wieder in alte Muster zurück.
In anderen Lebensbereichen (hier: Sporttechniken) habe ich die Erfahrung gemacht, dass ein Ausmerzen ungünstiger Techniken nur möglich ist, wenn man konsequent über eine Zeit von einigen Wochen an ihnen arbeitet und die zu verlernenden Bewegungen nicht mehr einsetzt. Ich nehme an, dass sich die Erkenntnisse aus dem Sport in diesem Fall gut auf das Klavierspiel übertragen lassen. Ich bemühe mich, mich auch in der Musik daran zu halten.
In meinem Fall war es sicherlich trotz der vielen wacker geübten Fehler von Vorteil, vor der Aufnahme des Unterrichts schon am Klavier gearbeitet zu haben. Ich wäre ohne diese Vorarbeit mit Sicherheit nach einem Jahr noch nicht so weit, wie ich es heute bin. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es hierbei auch große individuelle Unterschiede gibt.