Das Spiel eines Azubis "nachäffen" - wie macht ihr das?

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Vor einem halben Jahr hat mein bester Schüler das Handtuch geschmissen. Er kam mit über 60 Jahren in die allererste Klavierstunde seines Lebens mit der A-Dur Sonate von Mozart, die er sich autodidaktisch irgendwie selbst bei gebracht hatte.
Erst einmal: Chapeau!

Aber natürlich waren null Technick vorhanden und Basics fehlten völlig. Pedal war eine Katastrophe (ist bei Mozart eh ein Thema...) ok. Vier Jahre späte spielt mein Schüler mittlerweile sehr sehr gut, ich würde sagen auf überdurchschnittlichem Niveau! Sehr musikalisch, einfach der Hammer.

In der letzten Klavierstunde dann habe ich eine Stelle aus einer Sonate dann mal selbst in die Finger genommen um zu begreifen: was ist mit der Stelle los, wie muss man die phrasieren, welche Fallen verstecken sich darin usw. Das Stück war irgendwie eine klassische Sonate, vielleicht ein Diabelli.

Habe dann also die ca 6 Takte untersucht und auch den Knackpunkt gefunden. Es lag am Verständnis der Einteilung der Phrasen. Das ging aus dem Notentext jetzt nicht so wirklich hervor und ich musste mein ganzes Wissen hervor kramen um die Nuss zu knacken - war jetzt aber kein Hexenwerk.

Also spielte ich die Stelle in den verschiedenen Möglichkeiten des Denkens vor, was sich dann auf Betonungen und Linienführungen auswirkte. Ich habe einfach nur verschiedene Interpretationsmöglichkeiten des Textes darlegen wollen um dann das "richtige" vom "falschen" heraus zu arbeiten.

Er wurde dermaßen wütend, weil ich "ihn nachäffen" würde und so fürchterlich würde er gar nicht spielen. Außerdem hilft es ihm nicht, wenn ich ihm das "falsch" vorspielen würde. Ich wäre eine schlechte Pädagogin, so könne ich nicht mit meinen Schülern umspringen.

Er packte seine Sachen zusammen und ging. Hat sich auch nie wieder gemeldet.

Also ich stehe nach wie vor dazu, dass man Stellen vergleichend vorspielt. So kann man lernen die Unterschiede zu hören und zu begreifen. Ich hatte auch früher schon einmal den Verdacht, dass er den Unterschied bei einigen Phrasen im Vergleich gar nicht "hört". Also nicht, weil er schwerhörig ist, sondern weil das Gehör noch nicht geschult genug ist.

Wie haltet ihr das, geschätzte Kollengen: spielt ihr die Passagen auch schon mal "falsch" und dann "richtig" vor?
 
Ich antworte mal als Schülerin darauf. Mein Klavierlehrer spielt mir auch gelegentlich Stellen falsch vor (so wie ich sie spiele) und dann richtig. Bei mir war es tatsächlich so, dass ich die Unterschiede in der Betonung von Noten oder eines Trillers oder in der Phrasierung eines Taktes erst in dem Moment "richtig" gehört habe. Meist kann ich mich dann auch sofort umstellen. Ich finde gerade diese Methode des nachmachenden falschen Spiels und dann des Spielens des richtigen als besonders hilfreich in manchen Situationen.
 
Ja, mach ich. Zwischen passiv hören und aktiv spielen liegen oft Empfindungswelten.
Wein ihm keine Träne nach....
 
Wir haben im Studium gelernt, dass man nie 'falsch' vorspielen soll

Ich mache es aber manchmal trotzdem

Bei manchen Schülern hilft aber weder noch :-)
 
Aus Schülersicht...

Also ganz ehrlich...Wenn ein Klavierlehrer zu mir sagt: "Schau mal...Du spielst das so, deshalb klingt es so. Es muss aber so klingen und das erreichst du, indem du das so machst. Hörst und verstehst du den Unterschied?", finde ich daran absolut nichts verwerflich, selbst wenn der Lehrer zur Veranschaulichung übertreiben sollte. Das habe ich in dieser Form auch schon oft genug erlebt und Erkenntnisse daraus gewonnen. Ich kann die Reaktion des Schülers aus der Situation heraus, wie du sie beschreibst, daher nicht nachvollziehen.

Viele Grüße!
 
Ich mache das ständig, von Anfang an, und oft auch überspitzt. Ich sage dann, schau, ich übertreibe gerade, so extrem machst du es nicht, aber damit klar wird, was ich meine, verdeutliche ich es jetzt etwas, okay? Hat noch nie Probleme gegeben.
Kann es sein, dass Du es gerade bei ihm bis dahin noch nie gemacht hast und er diese pädagogische Methode gar nicht kennengelernt hat?
 
Mir haben oft Lehrer vorgemacht wie ich spiele (auch und vor allem übertrieben!). Das ist zwar ein bisschen unangenehm, aber ich fand es hilfreich und augenöffnend. Wenn der 60-Jährige vorher nie Klavierunterricht hatte, wusste er offenbar nicht, dass "der Klavierunterricht kein Ponyhof" ist. Sprich - es funzt nicht, wenn er immer nur verlangt und bekommt, was er haben will. Denn er weiß überhaupt nicht, was er braucht.
 
Ich spiele meinen Schülern die Fehler vor - in der Hoffnung, daß sie es hörend eher wahrnehmen als wenn Sie selbst spielen. Ich leite das "falsche" Spiel allerdings immer mit den Worten ein: "Ich übertreibe jetzt mal maßlos" (selbst, wenn es gar nicht nötig ist, zu übertreiben).

Die Reaktion Deines Schülers: Vergiß es und verbuche ihn unter "durchlaufende Posten".
 
Nach vier Jahren Unterricht kann das eigentlich nur ein Tropfen gewesen sein, der das Fass zum Überlaufen brachte. Entweder hatte er mit dem Unterricht oder seinem Klavierspiel vorher schon genug Schwierigkeiten, dass die Reaktion so heftig ausfällt.
Das kann jetzt gerne als Küchenpsychologie verurteilt werden.
 

Hallo Viola,
ich bin froh, wenn ich den direkten Vergleich zwischen falsch und richtig gezeigt bekomme.

Wahrscheinlich dachte der Schüler, er würde gut spielen und wollte nur gebauchpinselt werden. Was will er dann von Dir noch lernen?
Er muss jetzt eine für ihn scheinbar bittere Erkenntnis verarbeiten. Was natürlich schräg ist. Es hat nix mit Dir zu tun, alles richtig gemacht aus meiner Sicht. Ich meine, wenn jemand in diesem Alter bei so etwas ausflippt, dann hat er nicht arg viel Selbstbewustsein.
Lass ihn! Vielleicht kommt er wieder. Oder er sucht sich einen Lehrer, dem egal ist, wie er spielt.
 
Nach vier Jahren Unterricht kann das eigentlich nur ein Tropfen gewesen sein, der das Fass zum Überlaufen brachte. Entweder hatte er mit dem Unterricht oder seinem Klavierspiel vorher schon genug Schwierigkeiten, dass die Reaktion so heftig ausfällt.
Das kann jetzt gerne als Küchenpsychologie verurteilt werden.

Ich glaube nicht, dass das Küchenpsychologie ist. Wenn jemand in diesem Alter wegen einer Sache austickt, muss sich vorher schon einiges angesammelt haben. (Oder er hatte schlicht einen rabenschwarzen Tag, sowas gibt's.) Ich würde tatsächlich auch fragen: Gab es vorher Anzeichen dafür?
 
Wie haltet ihr das, geschätzte Kollengen: spielt ihr die Passagen auch schon mal "falsch" und dann "richtig" vor?

Bin kein Kollege, habe aber folgende Erfahrung gemacht:

In der ALLERALLERERSTEN Stunde warnte mich meine KL, sie werde mitunter zu Demonstrationszwecken meine "Fehler" ganz übertrieben darstellen und eine empfohlene Variante danebenstellen. Motto: Zuspitzung verdeutlicht.

Ich fand diesen Warnhinweis lustig und finde es nach wie vor heimlich erheiternd, wenn sie sich immer gesondert erklärt, dass sie jetzt mal "ganz übertrieben" einen Fehler von mir demonstriert. Habe mich immer gefragt, warum sie das so herausstreicht, denn ich kapiere immer sofort, was sie meint, und finde diese Demonstrationen hilfreich. Bin halt ein schlichtes Gemüt und lerne gern durch "nachmachen".

Nach dem von Dir geschilderten Leberwurst-Effekt beginne ich zu verstehen, warum sie da so vorsichtig agiert. :lol:
 
Ich glaube nicht, dass das Küchenpsychologie ist. Wenn jemand in diesem Alter wegen einer Sache austickt, muss sich vorher schon einiges angesammelt haben. (Oder er hatte schlicht einen rabenschwarzen Tag, sowas gibt's.) Ich würde tatsächlich auch fragen: Gab es vorher Anzeichen dafür?

Es traf mich wie aus heiterem Himmel - wobei... es gab schon einmal eine Sache, zwei Jahre zuvor, wo er den Unterschied nicht gehört hat, also weder was ER spielte noch was er spielen SOLLTE... für ihn hörte sich das GLEICH an. Verständlich, dass er sauer war, aber das hatten wir geklärt.

Und nein, es war eine völlig normale Unterrichtssituation, wir hatten vorher noch zusammen gelacht und ein wenig privat geplaudert (außerhalb der Unterrichtszeit selbstverständlich)
 
@Viola Meiner Meinung nach hast du keinen Fehler gemacht. Der Typ muß wohl erst noch erwachsen werden.
 
spielt ihr die Passagen auch schon mal "falsch" und dann "richtig" vor?

Ich bekomme meine (musikalischen) Fehler des oefteren vorgespielt und richtig unter die Nase gerieben. Das finde ich sehr hilfreich. Manchmal ein biszchen uebertrieben ausgebreitet, aber es hilft. Das Dumme ist, dasz ich oft weisz, dasz ich eine Passage schlecht spiele, aber mir die musikalische Loesung schwerfaellt. Oft habe ich es nach der Demonstration aber sofort kapiert und kann es auf Anhieb besser.

Jannis
 
Ach, das muss man doch gar nicht weiter diskutieren - selbstverständlich ist das vergleichende Vorspielen von "falsch / unzweckmäßig" vs. "richtig / zweckmäßig" ein gutes und wichtiges methodisches Mittel im Unterricht.

Die Situation ist doch häufig, dass der Schüler, weil auf anderes fokussiert, manche Dinge, die er tut - musikalisch oder technisch - gar nicht mitkriegt. Und dann muss man sie ihm demonstrieren.

In solchen Fällen schmeiße ich (z.B. wenn der Schüler mir nicht glaubt, dass er das und das Unzweckmäßige tut) manchmal auch das Smartphone an und drehe ein kurzes Video, damit er selber hört und sieht, dass meine Wahrnehmung zutreffend ist.

Dein Schüler, Viola, hat wegen so einem Pipifax gleich alles hingeschmissen. Das ist ein dämliches Verhalten und sollte kein Anlass für Selbstzweifel sein.
 
Dein Schüler, Viola, hat wegen so einem Pipifax gleich alles hingeschmissen. Das ist ein dämliches Verhalten und sollte kein Anlass für Selbstzweifel sein.

...oder ist zum nächsten Lehrer/in gewechselt in der Hoffnung gebauchpinselt zu werden. Wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass. Wäre ich Klavierlehrerin wäre ich froh, so jemanden nicht mehr unterrichten zu müssen.
 

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