Berufschancen

die Entdeckungsreise in 1000 vergessene Werke wird sicher das eine oder andere wiederbelebenswerte erbringen - ich befürchte aber, dass letztere eher in der Minderzahl sind.

die Messlatte Schumann-Chopin-Liszt-Brahms ist arg hoch, daran wird eine Wiederbelebung von Moscheles, Alkan, Burgmüller et. al. kaum was ändern; nicht anders ist es mit der Messlatte Debussy-Ravel-Skrjabin-Rachmaninov.

wo die Befähigung vorhanden ist, mit diesen umzugehen, ist das schön - wo diese Befähigung nicht vorhanden ist, scheint mir ein "sich einnisten wollen" in der Nische des "selten Gespielten" ein recht kritisches Unterfangen.

im schlimmsten Falle: schlecht gespielt ist schlecht gespielt - egal ob in bekannten Strawinskis-Sachen oder unbekannten Korngoldsonaten.

Gruß, Rolf

Eine wie auch immer begründete Flucht in die Nischen des anscheinend weniger Schwierigen wird nicht zum Erfolg führen.

Selbst wenn Andere es nicht immer bemerken weiss man doch selbst um die Gründe dieser Flucht und dies wird eine permanente Selbstschwächung bedeuten.

Insofern muss ich da Rolf wirklich zustimmen.

auf der anderen Seite ist es aber auch unnötig hier ausweichen zu wollen, denn das Potential mit den Grossen Sachen umzugehen ist entweder bereits vorhanden oder wird erworben. Soviel Zuversicht sollte sein.

Die Messlatte der genannten Komponisten ist hoch aber nicht jedes Stück des Gesamtwerkes wird verlangt. Auch der arrivierte Pianist darf sich aus diesem Füllhorn die Werke heraussuchen, die ihm liegen.

Man muss weder alle 24 Etuden von Chopin, auch nicht alle Etuden von Liszt und Rachmaninow spielen und auch nicht das Gesamtwerk von Debussy oder Ravel. Es gibt genug Pianisten von Weltrang, die hier eine Auswahl getroffen haben.

Zum glück gibt es keinen Mangel an guten Stücken.
 
...Auch war mir noch nicht bekannt, dass der Tractatus dem Klavierspiel direkt hilfreich ist...

Wer weiß?

Davon abgesehen habe ich eben nicht von Alkan, Burgmüller, Korngold, Moscheles et al.
gesprochen. Wenn Du willst, lieber Rolf, halte Dich doch 'mal an ein paar Namen,
die ich genannt habe: Frescobaldi, die Virginalisten, Ives.

Und eine zweite Bitte: Nicht immer das eine durch den Rekurs auf das andere
entwerten. Was ein Komponist in seiner Zeit mit der ihm eigenen Sensibilität
getan hat, wird nicht dadurch entwertet, daß ein anderer Komponist es
zur selben oder zu späterer Zeit auf ganz andere Weise vollbracht hat.

Für die nach einer Nische suchenden Pianisten könnte das wirklich heißen,
dem Fetischismus der "100 Meisterwerke" (und was "Focus"-Ranking-Listen
an Begrifflichkeiten so hergeben) zu entsagen, dem Publikum Unvertrautes
zur Diskussion zu stellen und es zum Vertrauten in Beziehung zu setzen.
 
Für die nach einer Nische suchenden Pianisten könnte das wirklich heißen,
dem Fetischismus der "100 Meisterwerke" (und was "Focus"-Ranking-Listen
an Begrifflichkeiten so hergeben) zu entsagen, dem Publikum Unvertrautes
zur Diskussion zu stellen und es zum Vertrauten in Beziehung zu setzen.

nichts gegen Ives :) !!! - aber der wird gar nicht sooo selten gespielt, d.h. in einer Nische verbirgt sich das Oeuvre von Ives schon lange nicht mehr (dass nicht alle seine Concord-Sonate spielen, kann ich nachvollziehen: die ist sehr schwierig!)

allerdings halte ich es für unangebracht, die Lisztsonate oder Ravels Gaspard zu einem Mitglied von "100 Meisterwerken" oder "Fokus-Ranking" zu reduzieren, sofern mit solchen Begriffen eine Abwertung intendiert sein sollte!

dass es entdeckenswertes, wiederbelebensertes wenn auch in sicher nicht spektakulärer Anzahl gibt, steht außer Zweifel - aber dieser Umstand ändert an manchem, was seit langem da ist und sich bewährt hat, gar nichts.

...dass "der große Lümmel" (vgl. bei Goethe) recht unreflektiert "wertet", mag ihm eigen sein - aber auch das ändert nichts an Liszt oder Ravel :)

Unvertrautes findet sich übrigens auch zuhauf bei manchem großen Komponisten, den man nicht erst in irgendeiner Nische aufspüren muss: stellvertretend für viele sei nur Liszts Spätwerk, Smetanas Klavierwerk oder Bizets Klavierwerk genannt (allein Mitte bzz. zweite Hälfte des 19. Jh.)

Und natürlich wird seit langem "Raritätensuche" betrieben - warum gäbe es sonst Aufnahmen von Henselt-, Kalkbrenner-, Moscheleskonzerten usw?

Gruß, Rolf
 
Unvertrautes findet sich übrigens auch zuhauf bei manchem großen Komponisten, den man nicht erst in irgendeiner Nische aufspüren muss: stellvertretend für viele sei nur Liszts Spätwerk, Smetanas Klavierwerk oder Bizets Klavierwerk genannt (allein Mitte bzz. zweite Hälfte des 19. Jh.)

Da sind wir doch völlig d'accord, lieber Rolf - aber "Nuages gris" und
"R.W.Venezia" sind wohl eher etwas für Kenner und Liebhaber -
und Smetanas "Six morceaux caractéristiques op.1" auch nicht gerade
der massenkompatible Kassenknüller. Mit dieser Musik bewegst Du Dich
auch schon in einer Nische, abseits von Lang Lang & Co.

Und was mich stört, ist der Begriff des "großen" Komponisten - Größe ist
eine Kategorie für inferiore Geister, die Allmachtsphantasien ausleben wollen,
ein Begriff der bürgerlichen Geschichtsschreibung, ein Marketingbegriff
(womit wir auf andere Weise wieder beim Thema wären).
Man wird Liszts Sonate und Ravels "Gaspard de la Nuit"
mit dem trivialen Begriff der Größe nicht gerecht.

Da fällt mir ein Bonmot des von Dir so geschätzten Heinrich Heine ein,
der über Meyerbeer sagte: "Er ist berühmt durch seinen Ruhm."
Damit sind auch die hier gerade diskutierten Marketingmechanismen
genauestens beschrieben.

Herzliche Grüße,

Christoph
 
off-topic Exkurs

Da fällt mir ein Bonmot des von Dir so geschätzten Heinrich Heine ein,
der über Meyerbeer sagte: "Er ist berühmt durch seinen Ruhm."

und nicht nur das :), auch: auch das "Festgedicht" widmet sich diesem:

Beeren-Meyer, Meyer-Beer!
Welch ein Lärm, was ist der Mär?
Willst du wirklich jetzt gebären
Und den Heiland uns bescheren,
Der verheißen, der versprochen?
Kommst du wirklich in die Wochen?
Das ersehnte Meisterstück
Dreizehnjähriger Kolik,
Kommt das Schmerzenskind am End,
Das man »Jan von Leyden« nennt?
Nein, es ist nicht mehr Erfindung
Der Journale - die Entbindung
Ist vollbracht, sie ist geschehen!
Überstanden sind die Wehen;
Der verehrte Wöchner liegt
Mit verklärtem Angesicht
In dem angstbetränten Bette!
Eine warme Serviette
Legt ihm Gouin auf den Bauch,
Welcher schlaff wie 'n leerer Schlauch.
Doch die Kindbettzimmerstille
Unterbricht ein laut Gebrülle
Plötzlich - es erschmettern hell
Die Posaunen, Israel
Ruft mit tausend Stimmen: »Heil!«
(Unbezahlt zum größten Teil)
»Heil dem Meister, der uns teuer,
Heil dem großen Beeren-Meyer,
Heil dem großen Meyer-Beer!
Der, nach Nöten lang und schwer,
Der nach langen, schweren Nöten
Uns geboren den Propheten!«

Aus dem Jubilantenchor
Tritt ein junger Mann hervor,
Der gebürtig ist aus Preußen
Und Herr Brandus ist geheißen.
Sehr bescheiden ist die Miene
(Ob ihn gleich ein Beduine,
Ein berühmter Rattenfänger,
Sein Musikverlagsvorgänger,
Eingeschult in jeden Rummel),
Er ergreifet eine Trummel,
Paukt drauf los im Siegesrausche,
Wie einst Mirjam tat, als Mausche
Eine große Schlacht gewann,
Und er hebt zu singen an:

»Genialer Künstlerschweiß
Hat bedächtig, tropfenweis,
Im Behälter sich gesammelt,
Der mit Plauken fest verrammelt.
Nun die Schleusen aufgezogen,
Bricht hervor in stolzen Wogen
Das Gewässer - Gottes Wunder!
's ist ein großer Strom jetzunder,
Ja, ein Strom des ersten Ranges,
Wie der Euphrat, wie der Ganges,
Wo an palmigen Gestaden
Elefantenkälber baden,
Wie der Rheinstrom bei Schaffhausen,
Wo Kaskaden schäumen, brausen
Und Berliner Studiosen
Gaffend stehn mit feuchten Hosen,
Wie die Weichsel, wo da hausen
Edle Polen, die sich lausen,
Singend ihre Heldenleiden
Bei des Ufers Trauerweiden;
Ja, er ist fast wie ein Meer,
Wie das Rote, wo das Heer
Pharaonis mußt ersaufen,
Während wir hindurchgelaufen
Trocknen Fußes mit der Beute -
Welche Tiefe, welche Breite!
Hier auf diesem Erdenglobus
Gibts kein beßres Wasser-Opus!
Es ist hochsublim poetisch,
Urtitanisch majestätisch,
Groß wie Gott und die Natur -
Und ich hab die Partitur!«

(ich weiss - ein langes Gedicht... aber ich wollt´ es nicht vorenthalten, es ist gar zu hübsch)

ansonsten bietet aber der beanstandete Begriff des "großen Komponisten" einen kleinen Vorteil: nämlich diesen von den kleineren zu unterscheiden. Betrachtet man z.B., was sich (nach wie vor in einer Nische befindend) in der Nachfolge der Lisztsonate auf demselben Gebiet (einsätzige Klaviersonate) versucht hat (u.v.a. Balakirev), so ist eine deutliche Unterscheidung zwischen Liszt und seinen Nachahmern keine sonderliche Schwierigkeit.

auf die Schnelle getippt, ist eine Chiffre wie "große Komponisten" meiner Ansicht nach eine sehr kleine Sünde :)

herzliche Grüße, Rolf
 
Ich bin auch der Auffassung, dass man sein Publikum, seine Fans finden muss. Und es gibt dazu einen interessanten Artikel, der besagt, dass man nur 1.000 wahre Fans braucht, um gut davon leben zu können.



Die Alternative: entweder begabter Künstler mit Erfolg und Agenturverträgen oder andereseits Klavierlehrer- meist an einer Musikschule - wird ja meist unwidersprochen hingenommen und dritte Wege nicht gesehen bzw. nicht gewagt.




tatsächlich sind dritte Wege nicht nur möglich, sondern auch nötig.



Hallo allerseits,

ein grundsätzlicher Konsens scheint ja bei allen zu sein, dass in der heutigen Zeit mit ihren noch nie dagewesenen Möglichkeiten z.B auch im Medienbereich, mit denen man ein erheblich größeres und anders geprägtes Publikum als noch vor zwanzig Jahren erreichen kann, neue Wege in der Vermittlung der eigenen Fähigkeiten/Interessen bzgl. des Marktes beschritten werden können und wahrscheinlich auch sollten. Gleichzeitig gibt es die Probleme einer immer älter werdenden Zielgruppe von klassischer Musik und eine noch nie dagewesene Konkurrenz (auch durch die Globalisierung) von gut ausgebildeten Pianisten.

Insofern finde ich es sehr spannend, zu schauen, wie solche dritten Wege aussehen könnten, habe aber zunächst auch keine Antwort darauf. Auf "normalem" Wege, also ausschließlich über die eigene Qualifikation als Pianist/in eine Solokarriere zu erreichen, halte ich für einen Klavierstudenten (leider :( ) für fast unmöglich. Auch zu meiner Zeit gab es viele gute Pianisten an unserer Hochschule, aber eine Solistenkarriere ohne unterrichten zu "müssen" hat noch keiner geschafft. Selbst die meisten Professoren an den Hochschulen schaffen das nicht. Also geht der "normale" Weg schon über den Gewinn eines Wettbewerbs und/oder über besonders auffallende Begabungen/Interpretationen, wie ihn Stilblüte schon beschrieben hat. Und wer kann als Klavierstudent schon so etwas für sich behaupten. Da muss man schon solchen Meisterklassen wie der von Natochenny in Frankfurt angehören... .

Ich denke auch, dass man nur Stücke spielen kann, zu denen es einen zieht. eine Auswahl nur deswegen zu treffen, weil sie besonders selten oder abseits eingefahrener Pfade liegt, wird nicht funktionieren, weil das Publikum immer spürt, wie ehrlich ein Interpret hinter den Werken steht, die er/sie vorträgt.



Künstlerisches Profil hat aber nichts zu tun mit dem Marktwert im Konzertbetrieb. Die großen Pianisten sind nicht groß geworden, weil sie sich Gedanken über ihr "künstlerisches Profil" gemacht haben, sondern weil sie auf ihre "innere Stimme" gehört haben. (Entschuldigung für die esoterische Formulierung.)


Ich denke, diese Ansichten sind der Grundstein für die Überlegung, andere Wege zu beschreiten. Wenn man sich nur aus marktwirtschaftlichen Überlegungen auf etwas einlässt, wird es nichts werden. Auch das scheint hier allgemein Konsens zu sein. Ein Kommilitone von mit war z.B. völlig begeistert von Alkan's Klavierwerk und hat dann auch eine CD aufgenommen. Aber ohne diese Begeisterung..... . Insofern ist eure Diskussion, Rolf und Gomez de Riquet, ein Ansporn, über solche Dinge nachzudenken!

Ansonsten denke ich immer noch, dass es große Möglichkeiten im Bereich der Kammermusik und der Präsentationen von Konzerten gibt. Aber auch hier gilt: es muss einem wirklich am Herzen liegen und vor allem muss man es können :D!

Interessant finde ich es z.B., über die Karriere von David Garrett (Geiger) nachzudenken. Mit seiner Art der Musikvermittlung, die wohl dem eines Rock-/Popkonzertes nicht unähnlich ist, seinem guten Aussehen, der Auswahl seiner Stücke ( Klassik, Crossover...) und der Präsenz in vielen Medien schafft er es, der bekannteste Geiger in Deutschland zu sein und jede Menge Geld zu verdienen. Unsereins kennt dann doch eher Julia Fischer, Hilary Hahn, Arabella Steinbacher.... , um mal ein paar ebenso junge Geiger zu nennen.
Und da sind wir wieder beim künstlerischen Profil: ob das bei Garrett so ausgeprägt ist ...?? Und kann man nur auf Kosten der künstlerischen Ernsthaftigkeit/Entwicklung eine solche Karriere machen. Will man das überhaupt? Der Fragen sind also mehr als der Antworten. Andererseits: wir brauchen solche Leute wie Garrett dringend, denn sie bringen ein wesentlich jüngeres Publikum zur klassischen Musik. In meinem Bakanntenkreis kennt ihn fast jeder und sogar völlig an klassischer Musik uninteressierte Leute haben sich seine und! auch andere klassische CD's gekauft.

Auf weitere Meinungen gespannt

chiarina
 

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