Liebe Leute,
die Diskussion: "Wer kann Jazz spielen?" bzw. "Ist Jazz spielen schwierig (bzw. für einen Klassiker schwierig)?" geht m.E. am wesentlichen Punkt vorbei.
Ist Mozart spielen leicht?
Vom Standpunkt des "Noten-Hinkriegens" würde man sagen: "Ja, Mozart ist eher leicht, hat keine hohen technischen Anforderungen."
Jedoch ist es bekannte Tatsache, daß selbst die größten klassischen Pianisten Mozarts Kompositionen mit größtem Respekt begegnen, da es eine ganz andere Sache ist, diese Stücke
gut zu spielen! Es gibt nur wenige wirklich renommierte Mozart-Interpreten.
Und warum ist das so? Weil Mozart auf ganz bestimmte Weisen gespielt werden muß, sonst driftet es total leicht in Richtung "zu niedlich - putzig - leicht" oder aber in Richtung "zu beethovenisch". Es bedarf einer ganz bestimmten Leichtigkeit und Klarheit, soll aber nicht banal oder motorisch klingen, sondern emotional berühren. Etc. pp.
So, und bei Jazz ist das ganz genauso, das weiß jeder, der sich schon mal ernsthaft damit auseinandergesetzt hat. Zwar gibt es eine große Bandbreite von Möglichkeiten, dennoch ist sofort zu hören, wenn jemand zwar "die Noten hinkriegt", aber nicht das richtige Feeling hat. Timing, Swing/Groove, Voicings, Linien,..., alles muß stimmig und schlüssig sein, und es erfordert normalerweise viel Arbeit über zahlreiche Jahre, um hierin Professionalität und dazu noch emotional ansprechende Präsenz zu erreichen! Es hat schon seinen Grund, daß es, genau wie es wenig hervorragende Mozart-Spieler gibt, trotz allgegenwärtiger Jazz-Pädagogik nach wie vor nur wenige wirklich ernstzunehmende Jazzpianisten gibt! Natürlich kann jeder hingehen und sagen: Ich improvisiere jetzt rhythmusbetont und nenne das dann Jazz - aber das heißt noch lange nicht, daß es auch Jazz ist.
Klar, ein erfahrener Klassiker wird es schnell hinkriegen, mit der linken Hand immer die Offbeats "4 und" (= vorgezogene "1") und "2 und" (= vorgezogene "3") zu spielen. Aber wird er es schaffen, dies so swingend und genau mit dem richtigen Klang und Timing zu tun wie z.B. Red Garland (
YouTube - Red Garland-What Can I Say, Dear? )? Das ist dann nämlich eine GANZ andere Geschichte!
Deswegen schrieb ich letztens nämlich auch, daß Rolf erstmal ein paar Mal Unterricht bei einem fähigen Jazzpianisten nehmen sollte, und dann können wir ja mal sehen, ob er immer noch so leichtfertig daherredet, daß "Offbeats ja auch schon massenhaft in Klassikstücken vorkommen und daher nix Besonderes sind". Dieses leichtfertige Gerede ist tatsächlich ist nicht anders, als wenn ein wenig erfahrener Klassiker prahlte: "Pah, ich kann schon Chopin und Rachmaninow spielen, also werde ich mit dem popligen Mozart mit links klarkommen!" Jeder, der sich auskennt, weiß das das falsch ist.
Häufig finden wir Pianisten, die rhythmisch gut und genau sind und gut im Bandkontext einsetzbar sind. Sie besitzen eine professionelle Einstellung und üben fleißig Arrangements bzw. erstellen welche. Die meisten von diesen besitzen aber Schwächen in Improvisation und sprechen das Publikum nicht sonderlich emotional an. "Ablieferer" halt. Auf der anderen Seite gibt's die Kreativlinge, die die ganze Zeit am Sachen-Selber-Ausdenken sind, jedoch keine Standards beherrschen und häufig rhythmisch eine interessanterweise immer wieder ähnliche groove-arme, etwas waberige Art besitzen. Diesen fehlt also die groovige professionelle Genauigkeit der ersten Gruppe.
Ein echter Jazzpianist besitzt aber beides. Und das gibt's nun mal selten, und zwar weil es neben Talent einfach viel Arbeit und Ernsthaftigkeit voraussetzt.
Am Mozart-Spielen ist also im Grunde etwas ganz Ähnliches "die Kunst" wie am Jazzpiano-Spielen: Nicht Noten-Hinkriegen oder Virtuosität oder verrückte neue Einfälle, sondern das Feinfühlig-genau-auf-die-richtige-Art-Spielen.
Das verlinkte Video des Brad Mehldau Trios (No Moon At All) zeigt dies übrigens auf sehr schöne, superdeutliche Art. Das Stück ist simpel, aber fast keiner kann's auf diese überragende Art spielen.
LG,
Hasenbein