Was unterscheidet Klassik und Jazz?

...was ein Häretiker empfinden würde, ist also ein relevantes Kriterium. Muss der wissbegierige Mitleser nun nachschlagen, was Ketzer, Bogomilen etc empfinden würden?

"...
Einige Musikbeflissene nennen das Konzept des Groove einen subjektiven und schwer fassbaren Begriff; unter erfahrenen Musikern allerdings besteht ein gemeinsames, intuitives und praxisbasiertes Verständnis und Empfinden für den Begriff Groove.
..."
https://de.wikipedia.org/wiki/Groove_(Musik)

Also, wenn Du wissen möchtest, was Groove ist, dann versuche mit anderen, einen Groove zu spielen. Wenn Du ihn gefunden hast, dann versuche, dieses Gefühl in der Klassik zu finden. :-)


Und etwas ernster:
Ich habe das Gefühl, dass üblicherweise in der Klassik alle Mitspieler gleichzeitig die Time stauchen oder dehnen. Im Jazz hingegen läuft der Puls durch, aber Bass, Begelitung, Solist haben verschiedene Positionen innerhalb dieses Pulses und das erzeugt Spannung.

So ganz grob:
Klassik: Puls wird gedehnt/gestaucht, Position innerhalb des Pulses bleibt gleich
Jazz: Puls bleibt gleich, aber innerhalb diese wird gedehnt/gestaucht/verschoben


Ich kann das interesanterweise schwer in Worte fassen, obwohl ich schon seit Jahrzehnten beides mache, in verschiedenen Rollen. Es fühlt sich unterschiedlich an, nicht besser oder schlechter.

Grüße
Häretiker

*)
Ja, ich weiß, beim Walzer wieder anders ... :-)
 
Ich habe nicht gesagt, dass bei Klassik Microtime unwichtig ist.
Aber der Umgang mit Microtime ist ganz anders.

Und Klassik hat fast immer nicht das, ws ich als 'Groove' empfinden würde.

Ich glaube, du vermischt das Attribut Groove mit einer bestimmten Ausprägung.

Nur weil etwas nicht groovy ist, fehlt nicht der Groove. Es ist nur ein anderer.

Der erste Satz der Mondscheinsonate hat (braucht) einfach einen anderen Groove, als Ravels Bolera.
Auch wenn keins davon als groovy empfunden wird, würde man es merken, wenn der Vortragende den passenden Groove nicht treffen würde.
 
Nur weil etwas nicht groovy ist, fehlt nicht der Groove. Es ist nur ein anderer.

Nur weil etwas nichthopolonisch ist, fehlt nicht Hopolon. Es nur ein anderes Hopolon. Aha. :-)

Ich glaube, wir streiten hier über Begriffe. Für Dich ist wohl 'hat Groove' = 'korrekter Umgang mit Microtime'. So gesehen hat Techno dann auch einen Groove: Umts, Umts, Umts, Umts, ....

Bei der Mondscheinsonate und beim Bolereo zuckt bei mir kein Körperteil. Wenn überhaupt, mag ich da meinen ganzen Körper bewegen. Aber wenn Musik richtig grooved, dann isses ganz anders. Fühlt sich ganz anders an. Ich gehe da ganz anders mit meinem Körperschwerpunkt um, was die einzelnen Glieder machen.

Hast Du mal Groove gespielt? Also, im Sinne, wie ich ihn meine? Mal einn Funk Groove gespielt in einer Band? Oder sowas?


Grüße
Häretiker
 
Ich habe das Gefühl, dass üblicherweise in der Klassik alle Mitspieler gleichzeitig die Time stauchen oder dehnen. Im Jazz hingegen läuft der Puls durch, aber Bass, Begelitung, Solist haben verschiedene Positionen innerhalb dieses Pulses und das erzeugt Spannung.

Ist das so? Mozart war da anderer Ansicht:

Zitat von W.A. Mozart - Brief vom 24.10.1777 an Leopold Mozart:
Daß ich immer accurat im tact bleybe. über das verwundern sie sich alle. Das tempo rubato in einem Adagio, daß die lincke hand nichts darum weiß, können sie gar nicht begreifen.
 
Bei der Mondscheinsonate und beim Bolereo zuckt bei mir kein Körperteil. Wenn überhaupt, mag ich da meinen ganzen Körper bewegen. Aber wenn Musik richtig grooved, dann isses ganz anders. Fühlt sich ganz anders an. Ich gehe da ganz anders mit meinem Körperschwerpunkt um, was die einzelnen Glieder machen.

Hast Du mal Groove gespielt? Also, im Sinne, wie ich ihn meine? Mal einn Funk Groove gespielt in einer Band? Oder sowas?

Ja.

Ich kann auch beschreiben, warum etwas im engeren Sinne Groovt (groovy ist) oder nicht.

Aber es ist für mich nicht das zentrale Merkmal von Jazz.
Genauso wenig wie Improvisation.

Es gibt auch Jazz, bei dem die Beine nicht zucken, der eher einen langweiligen Umta-Groove hat, genauso wie es streng ausnotierten Jazz gibt.

Außerdem fehlt mir hier das restliche Feld der U-Musik (neben Jazz), für die viele dieser angeblichen Alleinstellungsmerkmale des Jazz auch gelten.
Wobei natürlich viel davon seine Wurzeln im Blues hat.

Mit irgendwelchen platten / oberflächlichen Laiendefinitionen kommen wir hier nicht weiter.

@hasenbein hat den Blick schon in die richtige Richtung gelenkt: die Historie, die dahinter steckt, oder eben nicht
 
Aber es ist für mich nicht das zentrale Merkmal von Jazz.

Original schrieb ich: "Das Konzept "Groove" findet man Klassik eher selten."
Ich habe damit nicht gemeint, dass etwas Groove haben muss, um Jazz zu sein.
Oder automatisch Jazz ist, wenn es grooved.

'For the Love of Money' fühlt sich anders anders als "la fille aux cheveux de lin" oder "Ich beuge meine Knie" (Schütz) oder "Work Song" (Adderley).

Mit irgendwelchen platten / oberflächlichen Laiendefinitionen kommen wir hier nicht weiter.

Dann warte ich auf die erleuchteten Definitionen der Auserwählten. Viele sind berufen, aber nur wenige sind auserwählt. Ich bin da offensichtlich bestenfalls berufen.

@hasenbein hat den Blick schon in die richtige Richtung gelenkt: die Historie, die dahinter steckt, oder eben nicht[/QUOTE]

Flankierend könnte man sich "Play Your Own Thing - Eine Geschichte des europäischen Jazz " anschauen.

Grüße
Häretiker
 
Außerdem fehlt mir hier das restliche Feld der U-Musik (neben Jazz), für die viele dieser angeblichen Alleinstellungsmerkmale des Jazz auch gelten.
Wobei natürlich viel davon seine Wurzeln im Blues hat.

Ok das heißt du widersprichst meiner These dass jemand der Jazz und klassisches Klavier studiert hat grundsätzlich auch alles im U-Bereich/Pop-Bereich mitspielen kann? Da kommt deiner Meinung nach nochmal eine grundsätzlich neue Spielweise/ Rhythmusgefühl dazu?
Häretiker hat für mich grad ganz gut beschrieben wie beispielsweise unterschiedlich mit dem Puls umgegangen wird in Jazz und Klassik und man es deshalb ganz anders wahrnimmt. Wie fühlt sich der Puls im Pop an? Ich würde behaupten das setzte sich aus den Spielweisen in Jazz und Klassik zusammen.
Oder auch um Bezug auf die Ausdrucksform/ das Empfinden beim Hören zu nehmen: Jazz körperbetont, direkt...Klassik rational, indirekt...was macht dann Pop? Ich würde wieder sagen eine Mischform. Bei einem Popsong empfinde ich oft beide Elemente.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein wichtiger Unterschied zwischen der "Klassik"-Rhythmusauffassung und der Jazz-Rock-Pop-Rhythmusauffassung ist übrigens:

In der Klassik ist es üblich, dass Musiker, wenn sie eine zu spielende Phrase vorsingen, auf der schweren Zählzeit so etwas singen wie "JAM". Also JAM-pam-pada-pam oder so.

Jazz-Rock-Pop-Musiker würden das NIE so vorsingen. Nicht nur aus "Insider-Tradition", sondern weil es bei ihnen gar nicht so etwas gibt wie diesen "breiten Schwung" und die timingmäßige "Großzügigkeit", die das "JAM" suggeriert. Vielmehr fühlt sich jeder Ton bzw. Tonbeginn quasi "punktförmig" an, er wird haargenau gegenüber dem Beat plaziert. Auch das "Vorausdirigieren", in der Klassik ja normal und notwendig, ist im Jazz absolut undenkbar.
 
Ich finde es zu vereinfacht, die Abgrenzung Jazz - Klassik am Rhythmus festzumachen.
Ich auch. Deshalb habe ich ja weiter oben geschrieben:
Ich finde die Frage zu allgemein. Sowohl Jazz als auch Klassik sind viel zu breit gefächert. Ich würde jedoch die Frage, auf einen Unterschied reduziert, für mich beantworten mit: Rhythmus bzw. dessen Herkunft.

Gerade die Herkunft des Jazz / dessen Wurzeln* ist halt ein entscheidender Unterschied zur Klassik und der drückt sich für mich am meisten im Rhythmus aus.

*)
wirklicher Jazz...ist eine Musik mit folkloristischen Wurzeln in der schwarzen Kultur Amerikas
 

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