Auf Vorrat üben

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Alter Tastendrücker

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31. Aug. 2018
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Ich möchte hier etwas vorstellen und diskutieren, was für mich immer ziemlich nützlich war und ist, worüber ich aber noch kaum was gelesen habe. Ich nenne es: " Auf Vorrat üben."
Wenn ich weiß, dass ich im kommenden Jahr bestimmte Stücke lernen oder wiederholen möchte/muss, dann suche ich mir bestimmte typische/schwere/unbequeme Stellen oder Figuren, die ich dann schon, bevor das Stück selbst auf den Übeplan kommt, zum Einspielen nutze, oder als Ausklang der Übezeit arbeite. Beispiel: linke Hand Anfang des 4. Satzes der ersten Beethoven Sonate, Oktavenstellen Liszt Sonate, Finale Chopin b-Moll Sonate, ... .
 
Diese Idee habe ich bei meinem aktuellen Stück (Mendelssohn op. 19 Nr. 4) auch mit meiner KL besprochen. Ich fühle mich bei diesem Stück, was die Mehrstimmigkeit in einer Hand bzw. das Herausheben der Melodiestimme angeht, noch nicht genug vorbereitet. Zumal dies auch z. B. bei Takt 2 bei mir nicht so gut in der Hand liegt, da ich keine großen Hände habe. Das Stück finde ich sehr schön und ich möchte es auch gern spielen und zwar auch so, dass es so weit wie möglich meiner Vorstellung entspricht. Daher die Idee, ein "Vorbereitungsstück" davor einzuschieben, was die Schwierigkeiten des Stückes aufgreift, aber einen Tick einfacher ist, um dann darauf aufbauen zu können. Wir sind da noch auf der Suche.
Insofern finde ich es gut zu lesen, dass das "auf Vorrat üben" für dich nützlich war.
 
Bei Stücken, die ich unbedingt spielen möchte (KL muss nicht alles sofort wissen;-)), fahnde ich nach solchen Stellen und übe die nebenher, bis ich Land sehe, bevor ich mich in die Nesseln setze... außerdem geht dann das "offizielle" Einstudieren schneller.
 
Von den Experten ist da nichts zu vernehmen? Hm.

Orchestermusiker müssen ja "Stellen" üben, da gibt es eigene Notenausgaben dazu.

Beim Vorspiel für eine Stelle werden dann Stellen auf Zuruf abverlangt.

Mich wundert es ein wenig, weshalb es keine Stellenbücher für Klavier gibt oder wenigstens für Korrepetition und Kammermusik.
 
Die Notenausgaben von gesammelten Probespiel-Stellen für Orchesterinstrumente haben meiner Meinung nach nur deshalb einen gewissen Markt, weil es Orchesterstimmen üblicherweise nicht einzeln zu kaufen gibt. D. h. das Orchester kauft / besitzt einen entsprechenden Stimmensatz, der ausgegeben wird. Beim Klavier ist das anders, die einschlägigen Werke sind problemlos einzeln erhältlich.
 
Im Studium haben wir in gemeinschaftlichen Schülervorspielen bei meinem ersten Prof. u.a. viele besonders schwierige oder herausfordernde Stellen besprochen bei Chopin-Etüden, Beethoven-Sonaten etc.. Fingersätze, Klang, Realisation, Übetricks ... . Insofern mache ich das auch so wie @Alter Tastendrücker!

Liebe Grüße

chiarina
 
Mich wundert es ein wenig, weshalb es keine Stellenbücher für Klavier gibt oder wenigstens für Korrepetition und Kammermusik.
Für Opern-Korrepetition kennt die "üblichen" Stellen jeder, der in dem Metier tätig ist. Wenn du

Figaro - Finale 2. Akt
Carmen - Schmugglerquintett
Holländer - Chorszene aus dem 3. Akt
Salome - Judenquintett
Elektra - Anfang (Mägdeszene)
Wozzek - Doktorszene

zum Vortanzen mitbringst (inklusive Markieren aller Gesangseinsätze) und dich darüberhinaus als sattelfester Blattspieler zeigst, hast du schon ganz gute Karten.

Beim Blattspiel können allerdings beliebig fiese Sachen drankommen - ich durfte mich da schon mal an einer Oper von Rautavaara beweisen. Da muss man sehr selbstbewusst mit vielen falschen Noten umgehen und trotzdem die musikalische Geste möglichst gut treffen.
 
Das ist eine interessante Idee!
Das könnte man ja für die Beethoven Sonaten mal einem Verlag anbieten!!
Fangen wir mal an :-D:angst::

op. 2 Nr. 2: Dezimvorschläge

op. 13: (1. Grave:) abwärtige chromatische Tonleiter rhythmisch korrekt

op. 27 Nr. 2: Oktav"tremolo" (Ihr wisst schon), gegen Ende: aufwärtige chromatische Tonleiter rhythmisch korrekt,

op. 28: die Sechzehntel ganz am Schluss

op. 31 Nr. 1 (Strawinski): die zwei Sechzehntel nach dem punktierten Viertel rhythmisch korrekt (so aus dem legendären Beethoven-Buch von J. Kaiser, leider auch antiquarisch noch völlig überteuert)

op. 31 Nr. 2: natürlich die Tonrepetitionen

(privat für mich: es gibt auch eine etwas doofe thematische Stelle in der lH)

op. 53: Oktavglissandi, mit Basston - was sonst?

op. 57: 1. Satz: die unangenehmen Tonrepetitionen in diesem as-Moll-Zwischensatz

3. Satz: das Presto-Gestampfe en bloc bringen

(privat: davor auch so eine thematische linke-Hand-Stelle :-/ )

op. 81a: Wiedersehen: die ulkigen Sechzehntelfigurationen

op. 90: die Spreizungen in der linken Hand (auch so ein Humor)

Uuuund...
le tout Cinq: opp. 101,...,111 :lol::lol::lol:

Spaßfrage: Was ist die wirklich schwerste Stelle in der Fuge von op. 106? Wahrscheinlich irgendwas, bei dem man das nicht denken würde...

(geschrieben beim Mittagessen)
 
Mich wundert es ein wenig, weshalb es keine Stellenbücher für Klavier gibt.
Gibt es! - allerdings nicht von deutschen/europäischen Verlagen. Die Amerikaner denken da etwas pragmatischer (nähere Infos liefere ich nach, wenn ich mal wieder in der Bibliothek bin). Und der japanische Verlag ZEN ON hat ebenfalls solche „Sammlungen intrikater Stellen“ im Programm. Leider (oder aus Absicht?) lassen sich die Noten nicht über den europäischen Importeur (Schott) beziehen. Wohl dem, der Japanisch kann …
 

Coole Sache... dann müsste es ja auch japanische oder USamerikanische Weblinks dazu geben können... falls Sch*tt nicht bei G**gle europäisches Geoblocking veranlasste...

Warum will man das nicht in Europa ausliefern lassen können? Hm.
 
Haha :)

finde das Stellenüben ein interessantes Konzept. Allerdings habe ich auch oft die Erfahrung gemacht, dass "schwierige" Stellen im Gesamtkontext betrachtet werden müssen und es absolut notwendig ist zu sehen, woher die Stelle kommt und wie es sich danach weiterentwickelt. Stellen können gut geübt sein und dann tritt trotzdem Versagen ein, wenn man das Stück durchspielt, weil diese Integration nicht stattgefunden hat, die meines Erachtens aber absolut notwendig ist. Jedenfalls sollte der musikalische "Zustand" mit eingeübt werden.
 
habe ich auch oft die Erfahrung gemacht, dass "schwierige" Stellen im Gesamtkontext betrachtet werden müssen und es absolut notwendig ist zu sehen, woher die Stelle kommt und wie es sich danach weiterentwickelt.
Sonst bekommen wir das was ich mal in einem Konzert erlebte:
Gute Musik bis einen halben Takt vor der 'schweren Stelle' , dann klick Metronom an und völlig mechanisch durch die 'Stelle' , danach wieder Musik.
Es war die Sonate von Liszt mit etwa 20 solcher Metronominseln. Gruselig!!
 
Hier wie versprochen die bibliographischen Angaben:
• Neil Stannard: The Pianist‘s Guide to Practical Technique: 111 Technical Studies from Music You want to play. 2 Bde.
ISBN 978-1495924200
ISBN 978-1495932557
• Neil Stannard: The Pianist‘s Guide to Practical Scales and Arpeggios.
ISBN 978-1503344730
• Neil Stannard: The Pianist‘s Guide to Practical Technique: Excerpts from instrumental Duos and Art Songs.
ISBN: 978-1511947862
• Kurt Herrmann: Lebendige Klaviertechnik. 3 Bde. Sikorski (Hamburg 1952) 197, 198, 199
• Kurt Herrmann: Vom Blatt. Primavista-Lehrgang für Klavierspieler. 4 Spielhefte. Musik HUG 10971, 10972, 10973, 10974. (Der Fokus liegt, wie ja der Titel sagt, auf dem Primavista-Spiel. Aber die Beispiele aus der Musikliteratur lassen sich vorzüglich auch als „Etüden“ nutzen.)
 
Hübsch ist auch:
Beethoven Übungen aus Fragmenten. Hrsg. von Takashi Yamazaki. ZEN ON Piano library. ISBN 978-4111095605. (Gemeine Passagen aus Beethovens Skizzenbüchern. Das umfangreiche Vorwort ist leider nur auf Japanisch veröffentlicht. Schade eigentlich, weil die dort versammelten Informationen somit Herrschaftswissen der japanischen Pianisten bleiben.)
 
Die heiklen Stellen im Vorfeld eines ganzen Stückes zu üben pflege ich auch.

Sie aber zum Einspielen zu verwenden - davon bin ich wieder abgekommen.
Grund: ich will die Haptik dieser Stellen im warmgelaufenen Zustand verinnerlichen und nicht die unbewusste Erinnerung an den Kaltstart in mein Gedächtnis einpflegen.
Meine Übezeit ist enger begrenzt als das bei einem professionellen Pianisten sein sollte, daher achte ich auch auf solche Feinheiten.

Damit meine Einspielzeit nicht nur ein Warmlaufen mit Tonleitern o.ä. ist, sondern dass sie auch einen Repertoirenebeneffekt hat, verwende ich zur Zeit zum Einspielen die Rhapsodie D´Auvergne von Camille Saint Saens. Eigentlich ein Konzertstück mit Orchester, ich übe aber die Originalbearbeitung des Komponisten. Stellenweise hat das Stück etüdenhaften Charakter, ist aber als erstes Stück für ein Konzertprogramm geeignet - "einspielen" eben. :-)
Das werde ich ein paar Monate so machen und habe dann ein weiteres Stück im Repertoire - fast nebenbei.

Nach dem Einspielen sind erst die "Stellen" der anderen Sachen dran. Da ich nur mit Fotokopien (Klarsichthüllen, Ringbuch) übe, kann ich diese Stellen einzeln hernehmen und erst später in den Gesamtzusammenhang einordnen.

Weiterhin gutes Gelingen!

Mit vielen Grüßen

Walter
 
Schöne Erfahrungswerte.

Zum Stichpunkt "Kaltstart" gibt es die hier auch von manchen Profis vertretene Ansicht, dass es den gar nicht gebe. (Wir reden nicht von wetterkalten Händen, wenn man gerade heimgekommen ist.)

Kalt fange ich mit der legendären Ganztonleiterübung (von Cortot?) an. Die hat mir mein frz. Klavierlehrer gegeben ("frz.": während meines Erasmus-Jahrs :blöd:).

Übung:
1. rH und lH gleichzeitig: Finger auf e fis gis ais c hinlegen, tout naturellement

2. Kombinatorik (immer in beiden Händen gleichzeitig)

Teil 1: "Zwei Finger"

1 anschlagen,
2 anschlagen, 1 bleibt liegen (-> Sekundklang)

Reset

1 anschlagen,
3 anschlagen, 1 bleibt liegen
(2 bleibt ohne Anschlag)

Reset

simile 1,4
simile 1,5
simile 2,3
simile 2,4
simile simile
simile 4,5

Reset

Teil 2: "Drei Finger"

1 anschlagen
2 anschlagen, 1 bleibt liegen
3 anschlagen, 1 und 2 bleiben liegen (-> Cluster mit 3 Tönen)

Reset

Simile 1,2,4
Simile 1,2,5
Simile 1,3,4
Simile 1,3,5
Simile 1,4,5
Simile 2,3,4
simile simile
Simile 3,4,5

Teil 3: Alles mit vier Fingern
1,2,3,4 ... 2,3,4,5

Teil 4: Finalement avec tous les doigts
1,2,3,4,5

Monsieur le Professeur warf mir immer vor, diese Exercice immer noch zu schnell und zu laut zu spielen. Es soll *sehr* langsam (ASMR) und sehr leise, so dass man die Hammermechanik spürt, gespielt werden. Monsieur (praktizierender Konzertpianist) brauchte un quart d'heure. Ich natürlich nur un quart de minute :zunge::lol:

Ich vergleiche dieses Tastenerfühlen gerne damit, doch mal mit dem Zeigefinger das Ellbogengelenk zu ertasten, besonders, wenn es etwas bewegt wird. Lustigerweise mögen es viele Menschen gar nicht, sich an dieser Stelle zu betasten. Gibt auch Klavierspieler, die die Hammermechanik ungern fühlen wollen; es wirkt ihnen, als ob das Klavier lebte...:angst:
 
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Stellen üben ... mache ich auch ... eigentlich immer, wenn ich in einem Durchlauf irgendwie ins Stolpern geraten bin aber auch mal intensiver, wenn ich bemerke, dass ich bei einem Stück immer an der/den selben Stelle/n stolpere.

Dann schaue ich mir die Stelle an, und versuche zu ergründen, woran es denn wohl hakt ... natürlich gehören dann die Takte vor und nach der Stelle zwingend dazu. Es muss ja im Kontext funktionieren.
Wenn ich stellen übe, dann nehme ich mir dafür meist eine Sequenz aus den Noten vor. Das heißt, ich beginne und ende an leichten Stellen, bei denen ich sicher bin und die den aktuellen Stolperstein "umranden".
Meist dauert dieses Stelle-Üben aber nicht lange und den Abschluss stellt dann immer ein (hoffentlich) zufriedenstellender Durchlauf des ganzen Stückes dar.

Auch mit den Bands werden gerne Stellen geprobt ... z.B. Generalpausen, unisono-Passagen oder wichtige "Shots", die halt sitzen müssen, um wirken zu können.
Wenn wir uns in einer Passage Variationen überlegt haben, dann wird natürlich auch mal dieser Part (dann z.B. abwechselnd mit/ohne Variation) geloopt. Auch wenn diese Variation dann nur ein mal wirklich im Stück vorkommen soll.
 
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