Arte Doku über chinesische Klavierkinder

Man sollte bei der Beurteilung nicht vergessen, dass es sich hier a) um Einzelfälle handelt und b) eine Kamera dabei ist. Nichts ist so unrealistisch wie "Reality-TV". Viele der Szenen wirken gescriptet. Das Drehbuch ist von Gary Lennon, der nicht gerade für realistische Dokus, sondern für Dramatik steht.
zu a): Von nix kommt halt nix. Der Film zeigt ein paar Ausnahmen, die absolute Spitze, der kleinste Rest von 40 Mio Klavierspielenden Kindern, und nicht die Regel. Hinter den Ausnahmen stecken riesige Investitionen ganzer "Familienbetriebe". Das gibt es überall auf der Welt und nicht nur beim Klavier. Entsprechende deutsche Beispiele nur aus dem Tennissport: Steffi Graf, Tommy Haas und viele andere.
 
Das Mädchen scheint sich selber Druck zu machen mit ihrem Ehrgeiz gut zu sein. Die bei Clavio viel zitierte intrinsische Motivation scheint hier vorzuliegen. Allerdings kann ich nachvollziehen, dass das Mädchen genervt ist, wenn die Mutter beim Üben beobachtend neben dem Flügel steht.
Das scheint ein gutes Beispiel dafür zu sein, dass man Kinder auch vor intrinsischer Motivation schützen sollte, wenn es not tut.

Kinder wollen alles mögliche, was nicht gut für sie ist, deshalb sind sie ja Kinder und keine kleinen Erwachsenen. Für kein Kind ist eine Kindheit ohne Freizeit gut, da kann das Kind selbst es noch so sehr wollen, früher oder später werden die Schäden sichtbar werden. Es passiert ja eine wichtige Entwicklung in der freien Zeit, dem Umgang mit Gleichaltrigen etc.

Auch gehe ich nicht mit der Einschätzung mit, man würde den Kindern das schon ansehen, wenn sie unter Druck und nicht leidenschaftlich spielen würden.
1. Das Kind kann ohne Druck von außen sehr viel Druck von innen aufbauen, an sich selbst schrecklich hohe Ansprüche stellen und dabei sehr gut und leidenschaftlich klavierspielen.
2. Das Kind kann gelernt haben zu performen. Kinder in schrecklichsten Situationen (familiärer Missbrauch etc.) können den glücklichsten Eindruck machen und ihre Eltern dabei ehrlich lieben.
3. Das gilt auch für jegliche andere Künstler, wer bringt schon etwas wahrhaft besonders Schönes hervor ohne Schmerz, Leid, Zwang, Psychose etc. Kein gesunder Normalo jedenfalls.
 
es ist interessant, dass mit Blick auf Asien immer so schnell und laut "Drill" gerufen wird und die erbrachten beachtlichen Leistungen eher negativ bewertet werden.

Das ist glaube ich ein Zeitphänomen, das ich auch ganz stark in meinem Umfeld beobachte: viele Eltern (besonders die gebildeten) wollen ihren Kindern Druck und "das gnadenlose Schulsystem" ersparen und schicken sie deswegen auf Privatschulen (Waldorf, Montessori). Bei Mitschülern mit asiatischen Hintergrund ist eher das komplette Gegenteil der Fall.

Das führt dann dazu, dass wie seinerzeit im internationalen Masterstudiengang an unserer Universität die Hälfte der Studierenden aus Asien kam und die deutschen Studierenden aufgrund des extrem hohen Leistungsniveaus der Asiaten kaum noch mithalten konnten.

Natürlich haben sich das dann alle schön geredet, dass sie ja so viel kreativer und problemlösungsorierientierter und weniger stupide "gedrillt" wären.

Aber alles in allem finde ich schon die Frage berechtigt, ob die Leistungsverweigerung, die unsere Leistungseliten propagieren, auf Dauer zukunftsfähig ist.

Die einsame Leistungsspitze in der Klasse meines Sohnes führen Schüler mit chinesischem und indischen Migrationshintergrund an.

Vielleicht sollten wir uns nicht zu vorschnell auf den Drill einschießen, sondern uns fragen, wie eine Alternative aussehen könnte, die zumindest ansatzweise mithalten kann. Unternehmen, die ich kenne, stellen inzwischen bevorzugt osteuropäische Ingenieure an ihren osteuropäischen Standorten) ein, die leistungsbereiter sind und wohl teilweise auch leistungsfähiger.
Ich finde den Bereich zwischen den Extremen am angenehmsten und für Kinder durchaus am sinnvollsten.

Beim Wort Leistungselite muss ich auch ein klein wenig brechen.

Gestern habe ich in den Nachrichten einen Beitrag über den Weltglückstag gesehen. Erneut sind die Finnen wohl das glücklichste Volk der Welt. Andere skandinavische Länder standen meine ich auch ganz oben.
Die sind ja jetzt auch nicht unbedingt für Leistungseliten und Leistungsdrill bekannt, sondern eher für Gemütlichkeit, Beisammensein und ein funktionierendes Schulsystem. Und mir ist jetzt nicht bekannt, dass die in der technischen Diaspora leben.

Leben ist doch so viel mehr als nur Leistung zu bringen. Zumindest für mich.
 
Für kein Kind ist eine Kindheit ohne Freizeit gut, da kann das Kind selbst es noch so sehr wollen, früher oder später werden die Schäden sichtbar werden. Es passiert ja eine wichtige Entwicklung in der freien Zeit, dem Umgang mit Gleichaltrigen etc.
Das gilt im übrigen für jeden Leistungssport und alle musikalisch-künstlerischen Spitzenkarrieren. Ohne diesen Preis ist es unmöglich an die Spitze zu kommen.
Ich habe allerhöchsten Respekt vor allen, die das durchgezogen haben. Und so wenig ich mir das für mich oder meine Kinder wünsche: ich glaube, diese Kinder ziehen da schon auch viel draus: Erfolgserlebnisse, Erfahrungen, Reisen, internationale Kontakte, Mannschaftskameraden, leidenschaftlicher Einsatz....
Ob man seine Kindheit überwiegend vor dem Fernseher, Computer oder Smartphone verplempert oder mit 18 schon Beachtenswertes in Sport oder Musik geleistet hat - ich finde, letzteres ermöglicht da schon auch tolle Entwicklung.
 
Ein "irgendwas dazwischen" scheint es nicht mehr zu geben. Nur noch Hysterie allerorten.
Ich erwarte von meinem Sohn (10), dass er 15, besser 30 min am Tag übt. "Highway to hell", sein aktuelles Lieblingsstück, nicht eingeschlossen.
Klappt ganz gut. Er verbringt manchmal auch 2h am Klavier oder musecore, ohne jede Aufforderung. Irgendwas habe ich richtig gemacht.
 
Im Gegensatz zu manchen Sportarten wie Turnen bleiben beim Klavierspielen wenigstens keine dauerhaften körperlichen Beeinträchtigungen.
Doch, kann es geben, man denke nur an Sehnenscheidenentzündung, diverse Überlastungssyndrome, fokale Dystonie...
Es gibt auch entsprechende medizinische Fachgebiete, die Musikphysiologie und die Musikermedizin.
 

Beim Fussballtraining oder Karatetraining sind ständige Wiederholungen auch gesellschaftlich ok. Nur beim schulischen Lernen hat man damit anschjeinend ein Problem.
Ist das so? Nach meiner Erfahrung schafft man mit Auswendiglernen und Vokabeln-Pauken bei uns gut das Abitur. Es wird fortwährend "Stoff" durchgenommen und abgefragt. Im Fach Musik zählt auch nicht die Musikalität, sondern das Auswendiglernen von musiktheoretischen Konstrukten.
Ob das jetzt gut ist oder nicht, aber es ist in unserer Gesellschaft voll verankert,
Im Fußball-Training hingegen haben wir sehr viel gespielt (ok, war auch eher Kreisliga ;))

Die einsame Leistungsspitze in der Klasse meines Sohnes führen Schüler mit chinesischem und indischen Migrationshintergrund an.
Ohne die asiatische Kultur gut zu kennen, vermute ich mal dass diese Immigranten nicht dem Durchschnitt der dortigen Bevölkerung entsprechen, sondern eher überdurchschnittlich (fleißig) sind.
Meine asiatischen Kommilitonen die nur zum Studieren in Deutschland waren, waren natürlich auch deutlich zielstrebiger als Hans der noch bei den Eltern wohnte.
Aber sicher gibt es auch kulturelle Unterschiede, was ich in Gesprächen z.B. merkte: Mit unserem "Selbstverwirklichungs-Zeitgeist" ("Persönlichkeitsentwicklung" etc.) können die nicht viel anfangen. Die Akzeptanz ein kleines Rad im großen Getriebe zu sein (bzw. Teil der Gesellschaft), ist größer. Und das meine ich gar nicht negativ, sondern absolut wertungsfrei.

Das läßt sich natürlich leicht sagen, wenn man in einer Gesellschaft lebt, die noch davon zehrt, was Leistungsbereite geschaffen haben.
Wenn ich mir die erste Hälfte des 20 Jh. in Deutschland so ansehe, dann wäre es besser gewesen wenn manche "Leistungsbereite" einfach mal nichts gemacht hätten. Dann lieber auf der Couch bleiben.
Das Pendel schlägt seit den 68gern vielleicht etwas arg in die andere Richtung (anti-autoritäre Erziehung etc.), aber für uns Deutsche ist mir wirklich ALLES lieber als Drill.

Abgesehen davon sehe ich uns mehr denn je in einer Leistungs-Gesellschaft, die daran glaubt auch den Klimawandel durch ein "immer mehr" lösen zu können. Ob junge Leute heute objektiv mehr leisten, sei mal dahin gestellt...aber der subjektive Leistungsdruck ist mit Sicherheit größer als früher. Und daraus erwächst logischer Weise ein gewisser Widerstand gegen das Leistungsdenken.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Sendung steht auch auf Youtube zum Abruf:
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Als fauler Schüler habe ich heute immer noch Freude an der Musik und lerne täglich hinzu.

Aufschlussreich ist die Stelle, wo der Großvater davon spricht, dass man im"Westen" dieses Leitungsdenken wohl nicht verstehen wird. "Alle Kinder müssen etwas Besonderes können." Strange.
 
Während die westliche Welt auf künstliche Intelligenz setzt, setzen die Chinesen auf biologische Industrialisierung.

Menschenrechte geschweige denn Kindeswohl, haben für die Chinesen irgend eine Bedeutung.

Ein Mensch dort hat nach den vorgeschriebenen Maßstäben zu funktionieren, oder er wird "entsorgt".

Zahlreiche Chinesen wandern in andere Länder aus, da sie diesen unmenschlichen Leistungsdruck nicht mehr aushalten.

Man kann das nicht mit unseren klassischen Komponisten vergleichen - gut, W.A Mozart wurde von seinem Vater gequält und geschuhriegelt, wo heute sofort das Jugendamt eingreifen würde.

Aber das waren bei unseren Komponisten eher die Ausnahme.

Viele , wie zum Beispiel J.S.Bach, wollten einfach selbst musizieren.

Bei den Chinesen ist des anders, die haben zu wollen - ob sie wollen oder nicht!

Aber deren Einstellung zum Leben , ist ohnehin für unsere Verhältnisse katastrophal - Firmenchefs denen mal Fehler passiert sind, werden einfach mal hingerichtet - bei uns nicht vorstellbar!
 
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Während die westliche Welt auf künstliche Intelligenz setzt, setzen die Chinesen auf biologische Industrialisierung.
Pfleg Du mal weiter Deine Vorurteile... AI ist in China mindestens ebenso Thema wie bei uns und Automatisierung wird immer wichtiger, da die Überalterung der Gesellschaft dort sehr viel schlagartiger einsetzt als bei uns.

Zahlreiche Chinesen wandern in andere Länder aus, da sie diesen unmenschlichen Leistungsdruck nicht mehr aushalten.
Alle Chinesen, die ich kennengelernt habe und die aussserhalb Chinas leben, haben diesen Leistungsdruck mitgenommen. Er gehört wohl zum Konfuzianismus.

Firmenchefs denen mal Fehler passiert sind, werden einfach mal hingerichtet - bei uns nicht vorstellbar!
Nu, das waren aber ganz spezielle Fehler, Korruption oder politische Opposition. Es ist noch nicht so lange her, da wurde man auch bei uns für letzteres hingerichtet. Und ein paar Kilometer von uns in den Osten fällt man für sowas klassischerweise aus dem Fenster. Das ist also keine Errungenschaft der chinesischen Kultur allein...
 
es ist interessant, dass mit Blick auf Asien immer so schnell und laut "Drill" gerufen wird und die erbrachten beachtlichen Leistungen eher negativ bewertet werden.

Das ist glaube ich ein Zeitphänomen, das ich auch ganz stark in meinem Umfeld beobachte: viele Eltern (besonders die gebildeten) wollen ihren Kindern Druck und "das gnadenlose Schulsystem" ersparen und schicken sie deswegen auf Privatschulen (Waldorf, Montessori). Bei Mitschülern mit asiatischen Hintergrund ist eher das komplette Gegenteil der Fall.

Das führt dann dazu, dass wie seinerzeit im internationalen Masterstudiengang an unserer Universität die Hälfte der Studierenden aus Asien kam und die deutschen Studierenden aufgrund des extrem hohen Leistungsniveaus der Asiaten kaum noch mithalten konnten.

Natürlich haben sich das dann alle schön geredet, dass sie ja so viel kreativer und problemlösungsorierientierter und weniger stupide "gedrillt" wären.

Aber alles in allem finde ich schon die Frage berechtigt, ob die Leistungsverweigerung, die unsere Leistungseliten propagieren, auf Dauer zukunftsfähig ist.

Die einsame Leistungsspitze in der Klasse meines Sohnes führen Schüler mit chinesischem und indischen Migrationshintergrund an.

Vielleicht sollten wir uns nicht zu vorschnell auf den Drill einschießen, sondern uns fragen, wie eine Alternative aussehen könnte, die zumindest ansatzweise mithalten kann. Unternehmen, die ich kenne, stellen inzwischen bevorzugt osteuropäische Ingenieure an ihren osteuropäischen Standorten) ein, die leistungsbereiter sind und wohl teilweise auch leistungsfähiger.
Ich glaube, dass diese Art der Leistung, naemlich oberflaechliches Auswendiglernen von viel Lernstoff, ineffizient ist, weil die Tiefe fehlt. Und ich gllaube auch, dass da eine Umdenke stattfinden wird, wenn ein Land entwickelter ist.
 

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