Zu unbegabt, um Klavier zu spielen?

  • Ersteller des Themas Alex Schmahl
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Alex Schmahl

Guest
Wie sehr Ihr das: Es wird ja oft von Leuten, die kein Instrument bzw. Klavier gelernt haben, behauptet, Sie seien einfach zu unmusikalisch.

Gibt es diese vollkommene Talentfreiheit überhaupt?
Gibt es Menschen, die z.B. noch so viel Klavierüben können und trotzdem das Instrument nicht erlernen?
Worin besteht eigentlich "Musikalität" oder das "Talent zum Klavierspielen"?

Vielleicht finden wir in diesem Forum ja die Antworten auf diese nicht leicht zu beantwortenden Fragen.

Alex
 
Es gibt wissenschaftliche Beiträge zu dem Thema.
So beschreibt z.B. Edwin Gordon, ein amerikanischer Pädagoge, der grundlegende Aufsätze herausgebracht hat, eine Begabunstheorie.
Ihm zufolge gibt es das angeborene musikalische Potential (aptitude), das nicht fest steht sondern veränderbar ist, etwa bis zum 9. Lebensjahr. JE früher dieses Potential gefördert und entwickelt wird, desto besser ist es.

Ab dem 9. Lebensjahr dann spricht er von einer "stabilisierten musikalischen Begabung". Auf diesem Niveau bleibt man im Wesentlichen für den Rest des Lebens. Dies heißt für ihn nicht, daß man nicht noch gut Musik machen könne, wenn man dies bis dahin nicht getan hat, sondern lediglich, daß man halt dieses erreichte Niveau nicht überschreiten könne, wo auch immer es (auch von Geburt an evtl.) halt liegt.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist für ihn die Fähigkeit, sich Musik im Kopf vorzustellen. Diese Fähigkeit nennt er "Audiation". Er nennt Audiation für die Musik das, was Denken für die Sprache ist.

Weitere Forschungen, deren Quellen ich gerade nicht zur Hand habe, besagen, daß es nur genausoviele musikalische Minderbegabungen gibt, wie es Hochbegabungen gibt. Der allergrößte Teil der Bevölkerung befindet sich auf einem gesunden Mittelmaß. Damit versuche ich immer, Schüler von mir zu beruhigen, die sagen "Ich bin einfach unbegabt...". Klappt sogar manchmal :-)

Allgemein ist Begabung durch hohe Leistung, frühe Leistung und schnelle Leistung zu beschreiben.

Das erstmal - bei Gelegenheit streue ich gern noch mehr von meinem fundierten Halbwissen ein :-)
 
Viele Menschen ohne musikalisches Talent

Ich glaube schon dass es viele Menschen gibt, die nicht geeignet sind ein Instrument zu spielen. Kenne selbst 2 aus meinem Umfeld die total unbegabt sind. Der eine schaft es nicht einmal ein Triangel im Takt zu spielen, und der andere spielt schon seit Jahren Klarinette und kommt überhaupt nicht weiter obwohl er stundenlang übt.
 
ooch, ich glaub, das ist wie bei anderen fähigkeiten auch.

man kann tanzen lernen in dem man fleißig die schritte übt, aber das macht einen noch nicht zum richtig guten tänzer, selbst wenn mans irgendwann hinkriegt, dass man sogar im takt bleibt. aber solange es einem selbst spaß macht... das bleibt doch das wichtigste.
dagegen hats manch einer einfach im blut und muss nicht viel tun. wenn er's dann trotzdem tut, ist der erfolg natürlich gleich ein ganz anderer. aber man muss in seinem hobby ja kein profi werden!

auf der anderen seite hat man es beim klavier eben insofern leichter, als dass die töne schon da sind und nicht erst gefunden werden wollen wie z.b.bei der geige. dafür spielt man dann eben ein paar töne mehr gleichzeitig. klarer vorteil für diejenigen mit dem eher analytisch logischen ansatz... :lol: :lol: :lol:
(ich wäre mit einer geige garantiert frühzeitig abgestorben, dafür fragen die geigen bei den proben immer fünfmal, wie denn nun die arrangmentreihenfolge war.... 8) )
 
Nicht leicht zu beantworten, aber schön zu diskutieren, wenn man gerade keine Lust zu arbeiten hat :wink:

Ich glaube nicht an völlige Talentfreiheit, aber zugegebenermaßen an unterschiedliche Plateaus, von denen aus ein potenzieller Anfänger startet.

Vorteilhafte Grundkenntnisse sind meines Erachtens:

- Harmonielehre (vielleicht mit einem anderen Instrument oder im Chor)
- Spaß am Musik hören (ich glaube, dass die grundsätzlich gleichen Gehirnregionen benutzt werden, egal ob man intensiv hört oder selbst musiziert)
- mathematische Kenntnisse / Interessen (Musik basiert auf vielen mathematischen Grundprinzipien)
- Neugierde
- Kreativität
- Sport (oder allgemein koordinationsfördernde Tätigkeiten)
- Schreibmaschine im 10- Finger- System
- ...

Je nachdem, wie viele vorteilhafte Kenntnisse man eben schon hat, kann das als Klavierspieler langsamer oder schneller voran gehen. So ähnlich wie bei der Auswahl neuer Literatur:
wenn ich mir ein Stück raussuche, für das ich weder die Schnelligkeit, noch die Koordination, noch die Kraft, noch die Ausdauer, noch die Fähigkeit die musikalische Idee zu verstehen habe, muss das kein Indiz dafür sein, dass ich es nicht lernen kann. Aber ich werde eben sehr lange brauchen, bis ich mir die Kenntnisse in all den verschiedenen Bereichen angeeignet habe (das Risiko ist groß, dass mich die Lust verläßt, und ich auf halbem Weg aufgebe).

Wenn ich als Klavier- Anfänger keine Ahnung von Harmonielehre habe, ich bin nicht in der Lage mich koordiniert zu bewegen, Klaviermusik zu hören macht mir auch keinen Lustgewinn..., dann kann ich natürlich trotzdem mit dem Üben beginnen. Meine Umwelt wird vermutlich wahrnehmen, dass ich einfach kein Talent habe, muss aber nicht stimmen.

Intelligenz ist, so glaube ich, ein wesentliches Merkmal eines guten Musikers (oder eines Menschen, der sonstwas gut macht). Intelligenz besteht aber nicht (nur) aus Einzelwissen, sondern vor allem aus der Vernetzung der erlernten Dinge, Transferfähigkeit usw. Deswegen kann ein Mensch unterhalb einer gewissen kritischen Masse von Einzelwissen als Nichtintelligent oder Untalentiert erscheinen; beim Erreichen einer kritischen Masse von Wissen tritt aber spontan Intelligenz auf (ich glaube, auf einer höheren Ebene gibt es eine ähnliche Schallmauer, bei der spontan Weisheit auftritt, das aber nur nebenbei).

Das Urteil "Nicht- Talent" halte ich also für undifferenziert und simplifiziert.

Jedem, der mir die Frage stellt, ob ich ihn für talentiert halte, würde ich ohnehin die Gegenfrage stellen, ob er das gerne macht, was er da tut. Der Weg ist das Ziel, und ich spiele Klavier als Selbstzweck, nicht um ein bestimmtes Niveau zu erreichen; wenn ich also mein Leben lang ein Anfänger bleibe und Spass dabei habe, dann hab ich was gekonnt :)

Der Hartmut
 
Hey, gerade standen da noch keine Beiträge, da haben mich gleich 3 auf der Zielgeraden überholt :wink:

Der Hartmut
 
ja, das passiert, wenn man zu lange an seinem beitrag schreibt... :lol: :lol: :lol:
 
@ Hartmut
Das hast Du aber trotzdem schön gesagt!

findet no peil
 
Zitat von Hartmut:
Jedem, der mir die Frage stellt, ob ich ihn für talentiert halte, würde ich ohnehin die Gegenfrage stellen, ob er das gerne macht, was er da tut. Der Weg ist das Ziel, und ich spiele Klavier als Selbstzweck, nicht um ein bestimmtes Niveau zu erreichen; wenn ich also mein Leben lang ein Anfänger bleibe und Spass dabei habe, dann hab ich was gekonnt :)

Der Hartmut

Also, da muss ich an einen "Workshop" unserer Kreismusikschule denken, an dem ich mal teilgenommen habe. Wir waren 7 Teilnehmer/-innen, von 10 bis 50, mit den unterschiedlichsten Instrumenten. Einer war ein 17-jähriger Schüler mit einem Tenorhorn, Typ "Mamas Liebling", bei dem man sich schon mit 17 vorstellen konnte, wie er mal mit 60 aussehen wird. Der hat mit glänzenden Augen und der allergrößten Begeisterung in sein Horn getutet und wirklich keinen einzigen Ton getroffen! Und es hörte sich immer an wie ein Furz. Er erzählte uns strahlend, dass er schon seit 8 Jahren spielte, schon 5 Lehrer hatte (dabei zuckte es uns allen im Gesicht) und auch schon im Stadtorchester mitgespielt hätte. Es war unglaublich! Er merkte nicht im geringsten, dass seine Töne total falsch waren! Und ich bewundere heute noch die Engelsgeduld, mit der der Lehrgangsleiter damit umgegangen ist...

:lol:

Gruß
Tosca
 
Einer jener Tosca- Beiträge wie ich sie liebe :lol:

Aber mal im Ernst: Wenn er es gar nicht bemerkt hat ist er vielleicht der glücklichste Mensch der Welt...

Der Hartmut
 
.. bestimmt glücklicher, als so manch ambitionierter musiker, der von einem wettbewerb zum andern rennt......

@ tosca: habt ihr denn mal zusammengepielt?? :lol:
hier sind natürlich wieder die geigen von vorteil, die können sich den "modernen" tönen anpassen......
 

Ich glaube auch nicht an volkommene Talentfreiheit, wie auch nicht an vollkommenes Talent. Ich denke, dass Vieles von Veranlagung in den ersten Lebensjahren steckt. Mozart z.B. hockte immer unter dem Klavier (er konnte noch nicht laufen), als sein Vater probte. Seine ersten Schritte waren dann auch hin zum Klavier. Ich könnte mir gut vorstellen, dass ene völlig andere Umgebung auch einen völlig anderen Menschen aus Mozart gemacht und sich das Talent zum Musiker nie entwickelt hätte.
Ähnliche Beispiele findet man überall (z.B. Becker, Graf sind mit Tennis aufgewachsen...).
Mir stellt sich daher die Frage nach dem Huhn und dem Ei, ist das Talent schon in einem Menschen drin oder wird das erst durch die ersten Lebenseindrücke "eingepflanzt"?
 
Ungeachtet der anderen interessanten Beiträge will ich noch mal auf das von Tosca geschilderte Phänomen zurückkommen. Ich glaube, dass das kein Einzelfall ist. Es gibt tatsächlich Leute, die Pfeifen oder Singen eine einfache Melodie schlicht falsch, meinen aber, Sie hätte die Töne getroffen. Hörfehler? Ich glaube kaum.

Woher das kommt, kann man sicher schwer sagen. Vielleicht hat das mit der musikalischen Sozialisation zu tun, vielleicht aber auch mit den Genen - wer weiß? Auf der Hand liegt jedoch, dass diese Leute ein einfaches musikalisches Prinzip, das nicht unbedingt trainiert werden muss, nicht beherrschen.

Ich werde einen Teufel tun und daraus voreilige Schlüsse ziehen, doch interessant ist das allemal.
 
Zitat von babajaga:
@ tosca: habt ihr denn mal zusammengepielt?? :lol:

Hallo Hexe,

ja, haben wir natürlich zum Abschluss des Workshops. Der sehr einfühlsame Leiter hatte schon versucht, Schadensbegrenzung zu betreiben, und die Einsätze des Musterschülers so klein wie möglich gehalten mit genauesten Anweisungen, aber das nützte nicht wirklich was... Es war immer so, als ob zwischendrin jemand laut und vernehmlich pupsen würde. Dazu passte, dass Mamas Liebling dann auch strahlte wie ein kleines Kind aufm Töpfchen... :lol:

Gruß
Tosca
 
@Alex

Ohne wissenschaftliche Grundlage, nur so aus dem schulerfahrenen Bauch heraus, denke ich mal, dass das vielleicht ebenso eine sogenannte "Teilleistungsschwäche" ist wie die Dyskalkulie (Rechenschwäche) oder die Leserechtschreibschwäche, welche ihre Ursachen wiederum in einer visuellen oder auditiven Teilleistungsschwäche haben kann. Es gibt z. B. Kinder, die wirklich nicht hören bzw. unterscheiden können, ob der Anlaut weich (Bäcker) oder hart ist (Paket). Ich glaube, die Gründe dafür liegen eher in Gehirnfunktionsstörungen als in den Genen. Aber, wie gesagt, bin keine Wissenschaftlerin, sondern nur Frontfrau.

Gruß
Tosca
 
Wenn auch eine Hörschwäche bei Mama´s Liebling Ursache sein könnte, so finde ich erst recht die Einfühlsamkeit des Leiters besonders lobenswert.
Das macht eben einen guten Lehrer aus, der keinem seiner Schützlinge ungewollt weh tun möchte.

Gruß Hartwig
 
Naja - aber ein bißchen Ehrlichkeit dem Schüler gegenüber kann ja auch nicht schaden, oder?

Ich bin jedenfalls gegen akustische Umweltverschmutzung, wobei der "furzende" Trompeter wohl eher ein Kaugummipapier auf der Straße und der Trash so vieler Pop-Stars, die keinen Ton treffen, eher einen Castor-Transport darstellen würden.

Leider liegt die Qualität und dem damit verbundenen (vorhandenen bzw. nichtvorhandenen) Talent anscheinend im Ermessen der Audienz - wobei ich mir persönlich lieber den Trompeter anhören würde, als einen PopStar, der ein bißchen mit dem Hintern wackelt und deshalb alle glauben, daß er/sie toll singen kann.

Ich kenne da auch eine, die singt auf Parties immer Barbara Streisand und Celine Dion etc. playback nach - ganz furchtbar - furchtbar lustig!!! Niemand weiß wirklich, ob sie von sich selbst wirklich glaubt, talentiert zu sein. Aber eines ist sie wirklich - sie ist mutig und unglaublich selbstbewußt, weil sie die Lacher ihr gegenüber einfach an sich abprallen läßt - sie hat quasi ein Schutzschild um sich herum.

Wie auch immer - ich glaube auch, daß die wenigsten Menschen gänzlich untalentiert sind. Allein mit dem Interesse ist schon viel gewonnen - aber das erklärt immer noch nicht, wieso jemand seit Jahren ein Instrument spielt und einfach nicht besser wird!?!???????????
 
Hi,

ich habe mal einen Bericht über Autismus und ähnliche Krankheiten gesehen. Da hatten sie getestet, wie das Gehirn funktioniert, wenn man gewisse Zonen "blockiert". Dabei hatten sie einer Testperson viele Redewendungen, die jeder kennt, vorgelegt, die alle Fehler hatten. Die Testperson sollte die Redewendungen so schnell wie möglich vorlesen. Hat sie auch, aber alle korrekt, also nicht so falsch, wie sie da standen. Sie hatte das schlicht "überlesen" aufgrund ihrer Erfahrung. Dann hatten sie die Zonen blockiert und sie sollte die gleichen falschen Redewendungen nochmals vorlesen. Diesmal hat sie jeden Fehler abgelesen. Ihr war das nicht im geringsten bewußt. Daraus haben dann die Wissenschaftler - also soweit ich das verstanden habe - geschlossen, daß man gewisse Fähigkeiten unterbinden kann, wenn man gewisse Zonen voneinander trennt. Daraus kam dann der Umkehrschluß, dass man auch gewisse Fähigkeiten fördern könne müsse, wenn man andere Zonen miteinander verbindet. Ein weiterer Test bestand dann darin, einer Testperson, die gänzlich untalentiert im Zeichnen war, zu sagen: Male einen Pudel. Das "Tier" sah gräuserlich aus. Dann hatte man andere Zonen verbunden, und schon kam ein schöner Hund dabei heraus!

Diese Tests haben sie durchgeführt, da sie solche "Fehlverknüpfungen" bei autistischen Menschen festgestellt haben, die ja auch meist über eine herausragende Fähigkeit verfügen. Als Beispiel hatten sie einen 12 jährigen Jungen genannt, sein Name ist mir leider entfallen, der ich glaube mit 7 Jahren, eine Klaviertastatur gesehen hatte, über Nacht das Notensystem verstanden hatte und nun Jazz spielt wie ein junger Gott! Im normalen Leben findet er sich aber nicht alleine zurecht.

Der Tenor des ganzen war dann, daß es höchstwahrscheinlich so sein müßte, daß jeder ein gewisses Maß von allem in die Wege gelegt bekommt und je nachdem, wie das alles miteinander verknüpft ist, eben für das eine oder andere mehr Talent hat.

Ich hoffe, ich habe das einigermaßen richtig wiedergegeben...

Liebe Grüße
Moonlight
 
Ja - einfühlsam sollte ein Lehrer seinem Schüler gegenüber schon sein.

Er soll ja niemanden mit Bemerkungen verletzen, aber er sollte ihn doch zumindest wissen lassen, was er falsch macht - ganz objektiv meine ich.
 
@Moonlight

Das war doch dieses ...-Syndrom. Habe die Folge auch gesehen. Der Maler der die Kulisse von Rom 1:1 nachahmte, war einfach genial. Der kleine junge natürlich auch (…)

:)
 

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