Nicht leicht zu beantworten, aber schön zu diskutieren, wenn man gerade keine Lust zu arbeiten hat :wink:
Ich glaube nicht an völlige Talentfreiheit, aber zugegebenermaßen an unterschiedliche Plateaus, von denen aus ein potenzieller Anfänger startet.
Vorteilhafte Grundkenntnisse sind meines Erachtens:
- Harmonielehre (vielleicht mit einem anderen Instrument oder im Chor)
- Spaß am Musik hören (ich glaube, dass die grundsätzlich gleichen Gehirnregionen benutzt werden, egal ob man intensiv hört oder selbst musiziert)
- mathematische Kenntnisse / Interessen (Musik basiert auf vielen mathematischen Grundprinzipien)
- Neugierde
- Kreativität
- Sport (oder allgemein koordinationsfördernde Tätigkeiten)
- Schreibmaschine im 10- Finger- System
- ...
Je nachdem, wie viele vorteilhafte Kenntnisse man eben schon hat, kann das als Klavierspieler langsamer oder schneller voran gehen. So ähnlich wie bei der Auswahl neuer Literatur:
wenn ich mir ein Stück raussuche, für das ich weder die Schnelligkeit, noch die Koordination, noch die Kraft, noch die Ausdauer, noch die Fähigkeit die musikalische Idee zu verstehen habe, muss das kein Indiz dafür sein, dass ich es nicht lernen kann. Aber ich werde eben sehr lange brauchen, bis ich mir die Kenntnisse in all den verschiedenen Bereichen angeeignet habe (das Risiko ist groß, dass mich die Lust verläßt, und ich auf halbem Weg aufgebe).
Wenn ich als Klavier- Anfänger keine Ahnung von Harmonielehre habe, ich bin nicht in der Lage mich koordiniert zu bewegen, Klaviermusik zu hören macht mir auch keinen Lustgewinn..., dann kann ich natürlich trotzdem mit dem Üben beginnen. Meine Umwelt wird vermutlich wahrnehmen, dass ich einfach kein Talent habe, muss aber nicht stimmen.
Intelligenz ist, so glaube ich, ein wesentliches Merkmal eines guten Musikers (oder eines Menschen, der sonstwas gut macht). Intelligenz besteht aber nicht (nur) aus Einzelwissen, sondern vor allem aus der Vernetzung der erlernten Dinge, Transferfähigkeit usw. Deswegen kann ein Mensch unterhalb einer gewissen kritischen Masse von Einzelwissen als Nichtintelligent oder Untalentiert erscheinen; beim Erreichen einer kritischen Masse von Wissen tritt aber spontan Intelligenz auf (ich glaube, auf einer höheren Ebene gibt es eine ähnliche Schallmauer, bei der spontan Weisheit auftritt, das aber nur nebenbei).
Das Urteil "Nicht- Talent" halte ich also für undifferenziert und simplifiziert.
Jedem, der mir die Frage stellt, ob ich ihn für talentiert halte, würde ich ohnehin die Gegenfrage stellen, ob er das gerne macht, was er da tut. Der Weg ist das Ziel, und ich spiele Klavier als Selbstzweck, nicht um ein bestimmtes Niveau zu erreichen; wenn ich also mein Leben lang ein Anfänger bleibe und Spass dabei habe, dann hab ich was gekonnt :)
Der Hartmut