Wie sieht schlechter Klavierunterricht aus?

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ag2410

Guest
Hallo!
Angelehnt an den anderen Threadtitel hier ein Beispiel, wie schlechter Klavierunterricht aussehen kann.
Das Heft repräsentiert genau den cholerischen Charakter des Lehrers.

Die PFUI-Stempel habe ich auch in den Notenheften.
Einmal habe ich einen Dagobert erhalten, toll, nicht wahr?
Der Lehrer stand mit Bleistift hinter mir, und bei fast jedem Fehler wurde mir damit ins Schulterblatt gepiekst. Oder in den Handrücken.
"Nägel schneiden" stand fast generell dabei, egal ob sie geschnitten waren oder nicht:-)

LG Antje
 

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Wow, sehr oldschool! Du musst steinalt sein, wenn Du solchen Klavierunterricht erleben durftest!?
 
Wie lange hattest Du bei dem Unterricht?
 
Tja, offenbar gab es früher in einer Kleinstadt genau einen Klavierlehrer, da konnte man hingehen oder nicht. War bei mir im Grunde auch so. Immerhin konnte man davon ausgehen, dass der sein Fach auch studiert hatte. Bei uns sorgte er gleich noch für einen Teil des städtischen Kulturlebens, durch Klavierabende oder Klavierkonzerte. Wenn er nicht selbst spielte, organisierte er was. Meiner galt auch als cholerisch, alle hatten großen Respekt vor ihm. Mich hat er komischerweise nie angebrüllt, obwohl ich keinesfalls immer geübt hatte.

Heute hat Du ein ganz anderes Problem: Es gibt Dutzende Tastendrückenvermittler, die vielleicht 'n bisschen spielen können, vielleicht auch nicht, und pädagogisch die Dutzi-Dutzi-Nummer abziehen. Ist irgendwie auch nicht besser ...

Antje, trotzdem großen Respekt, dass Du heute noch Klavier spielst!
 
Das ist ja richtig hardcore! Wo kriegt man diese trendigen Heftchen mit den Vordrucken (Tonleiter, Etüden etc.)? Das muss ich einführen...
 
Abgesehen von dem Stil des Lehrers - welche Rolle hast Du dabei gespielt?
 

Steht doch im Heft: Gegähnt, keine Fingernägel geschnitten, fehlerhaft gespielt, tse tse tse ... <duckflitzundweg>

Aber selbst wenn - derart negativ sollte ein Pädagoge nicht urteilen. Das kann doch nicht funktionieren, und wie gesagt - Hut ab, dass Antje noch spielt!

Da hab ich noch vor wenigen Tagen aus Jux hier einen Stempel "Ihr Sohn muss mehr üben" erfunden, den man einfach jede Woche abdruckt. Jetzt hat mich die 30 Jahre alte Realität eingeholt, wer hätte das gedacht!?
 
Ich habe zwar kein Heftchen, aber wenn meiner Lehrerin was nicht gefällt, oder wenn sie denkt, dass ich zuwenig geübt habe, dann kommt keine Dutzi-Dutzi-Nummer, sondern Klartext. Ist manchmal hart, aber eigentlich hat sie immer Recht. :-D

LG, Mick
 
Ich habe zwar kein Heftchen, aber wenn meiner Lehrerin was nicht gefällt, oder wenn sie denkt, dass ich zuwenig geübt habe, dann kommt keine Dutzi-Dutzi-Nummer, sondern Klartext. Ist manchmal hart, aber eigentlich hat sie immer Recht. :-D

LG, Mick
Tja, es geht beim Unterrichten (wie beim Kindererziehen) um den "richtigen" Mittelweg zwischen Dutzi-Dutzi und Cholerik. Und was "richtig" ist, hängt auch noch vom Schüler ab. Wenn jemand so intrinsisch motiviert ist, wie ich das bei Dir @mick vermute, kann man auch mal Klartext reden. Wenn man einem weniger selbstbewussten Kind jede Woche von Neuem aufschreibt, dass es zuwenig übt und zu viele Fehler macht, wird man wenig erreichen.

Wir wissen natürlich nicht, ob uns Antje einfach nur die ganzen positiven Kommentare vorenthalten hat ...
 
Hallo,
also: Der Unterricht bestand aus Tonleitern, Theorie und sehr klassischem Unterricht (Mozart (Notenbuch für Wolfgang), Bach Inventionen, Bartok (das blaue Heft, wie heißt es...), das Heft "Heissa wer tanzt mit mir").
Wie gut er war, kann ich nicht beurteilen.
Ich bin meist heulend vom Unterricht heimgekommen.
Ich gehe heute noch an die Decke, wenn mir jemand mit seinem Finger auf die Schulter klopft.

Meine andere Lehrerin war klasse. Ich habe als Kind Klassik/Romantik/Barock gerne gespielt, und war allen Klavierstücken gegenüber offen und neugierig.
Aber sie hat sich geweigert mir die "Adeline" von Clayderman beizubringen :lol:
(Habe ich dann selber gemacht, und seit ca. 30 Jahren nicht mehr gespielt, soviel dazu)
Sie hat meinen Ehrgeiz geweckt, mich angespornt, aber auch zurechtgewiesen, wenn ich nicht richtig geübt hatte. Das kam aber äußerst selten vor.

Genaugenommen steht da drauf: "Nägel scheiden"...
Da war er wohl subfontanell so aufgeschraubt, dass er das N vergessen hat.


Und in dem Heft ist eine Seite, auf der etwas positives steht, und ein Dagobertstempel ist. Ich würde nicht selektiv Seiten mit schlechten Bemerkungen aussuchen und hier reinstellen, warum auch.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
@ag2410
Wie alt warst Du zu dieser Zeit?
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich habe zwar kein Heftchen, aber wenn meiner Lehrerin was nicht gefällt, oder wenn sie denkt, dass ich zuwenig geübt habe, dann kommt keine Dutzi-Dutzi-Nummer, sondern Klartext. Ist manchmal hart, aber eigentlich hat sie immer Recht.
Keineswegs verwunderlich: Gerade überdurchschnittlich begabte Schüler werden oftmals härter angepackt als die durchschnittlichen oder gar unterdurchschnittlichen. Wenn das derzeitige Leistungsmaximum erreicht ist, schadet weiter gehender Druckaufbau mehr als er nützt. Gute Pädagogen erkennen das jeweilige Potenzial recht genau, wissen aber eben auch, dass professionelle Ambitionen auf einen äußerst steinigen Weg führen, den nicht viele erfolgreich bewältigen.

Die Härte wird sich in Gestalt von Unerbittlichkeit in der (künstlerischen) Sache zeigen dürfen und dabei nicht notwendigerweise zur Aufgabe aller guten Umgangsformen führen. Mein allererster Klavierlehrer (vor dem ich regelrecht Angst hatte) gehörte leider zu jener Spezies, die pädagogisches Totalversagen praktizierten: Anschreien, Tobsuchtsausbrüche, wüstes Beschimpfen bis hin zum "In-den-Schwitzkasten-Nehmen" waren an der Tagesordnung - obwohl oder gerade weil er mich als größtes Talent unter seinen Schülern bezeichnete? Auch in den 1970er-Jahren war ein solcher Unterrichtsstil längst nicht mehr zeitgemäß. Ich versuchte später dahinter zu kommen, was einen mit so einer Persönlichkeit zur Erteilung von Klavierunterricht bewegen könnte. Auf jeden Fall unterrichtete er am ehesten aus wirtschaftlicher Not heraus: Er war vor seiner Übersiedlung aus der DDR als Theaterkapellmeister an namhafter Adresse tätig, musste sich dann aber in fremder Umgebung als Dirigent von Laienchören und Privatmusikerzieher über Wasser halten - zugleich fehlte ihm neben einer sicheren Festanstellung jegliche familiäre Bindung. Später ergab sich ein Kontakt zu einem Männergesangverein, den er einst geleitet hatte - zu erwachsenen Menschen hatte er ganz sicher einen besseren Draht als zu Kindern und Jugendlichen. Nach anderthalb Jahren erfolgte ein Umzug in eine andere Stadt und ein (in diesem Falle segensreicher) Lehrerwechsel zu einem Hochschulprofessor (vormals Rektor, Zitat: "Ich nehme ihn, aber er wird knochenharte Jahre vor sich haben"). Dort erfolgte die Weichenstellung zur späteren professionellen Musikerlaufbahn - in der künstlerischen Sache unerbittlich, aber gänzlich ohne die verbalen und sonstigen Entgleisungen der eingangs geschilderten Art. Das war auch ein Stück weit Lernen für das eigene Leben: Despotisches Herumwüten, ungebremste Aggressionen, unbeherrschtes Ausfällig werden können sich zwar dafür eignen, die Umgebung zum Schweigen zu bringen, nicht aber dafür, mit Substanz zu überzeugen. Stärke verkörpert jemand keineswegs, indem er herumschreit.

Allerdings habe ich im Hochschulbereich oder bei Meisterkursen (auch als Korrepetitor/Klavierbegleiter) eine große Bandbreite vom Feingeist bis zum Schreihals unter den Lehrpersonen kennen gelernt - nicht jeder große Solist ist auch ein guter Pädagoge. Und zur erfolgreich angewandten Pädagogik gehört nun mal auch ein gewisses Maß an Geduld und Respekt gegenüber der Gegenseite. Auch wenn der angehende Künstler reichlich hart im Nehmen sein muss - oftmals sollte die Liebe zur Musik dann sehr tief verankert sein, wenn es darum geht, sich selbige durch schlechte Lehrer nicht austreiben zu lassen.

LG von Rheinkultur
 

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