Stückchen 2

Aleko

Aleko

Dabei seit
15. Jan. 2010
Beiträge
583
Reaktionen
33
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hallo, Aleko!

Im Vergleich zu Deinem ersten hier präsentierten Kompositionsversuch
hast Du mit Stück # 2 einen großen Entwicklungssprung gemacht. Gratulation!

Wenn in der Reprise das zweite Thema wiederkehren würde - laut Schulregel
in der Grundtonart -, wär das ganze sogar ein richtiger kleiner Sonatensatz.
Dazu ein Tip: Du bemühst Dich um ordentliche Satztechnik, um Modulationen,
formal um einen längeren Atem. Das ist alles schön und gut.
Aber das Wichtigste für die Art von Musik, wie sie Dir vorschweben scheint,
ist charakteristische einprägsame Melodik. Dafür gibt es kein Patentrezept -
außer: einfach konzentriert weiterzuarbeiten.

Eine gewisse Ängstlichkeit, etwas falsch zu machen, ist Deiner Musik anzuhören,
und dagegen hilft nur eines: nicht groß an diesem Stück feilen,
sondern weitermachen - mit dem nächsten und dem übernächsten Stück.

Bitte laß - im wahrsten Wortsinn - wieder von Dir hören!

Herzliche Grüße,

Gomez
 
Es gefällt mir sehr gut!

Grüße
Thomas
Mir fehlt das Wissen, eine Komposition so zu beurteilen, dass es Dir eine Hilfe wäre.
 
Hi, Gomez!
Ich danke dir für deine wertvollen Kommentare.

Ich hoffe, Ludwig wäre mir nicht böse, dass ich die Form aus einem Rondo von ihm, welches ich gerade im Unterricht spiele, genommen habe. Ich hätte nie gedacht, wie sehr es beim Komponieren hilft, wenn man die Form vor Augen hält. Es läuft praktisch von selbst, denn man weiß einfach was man überhaupt ungefähr braucht und dementsprechend tun soll.

An diesem Stück werde ich definitiv nichts weiter verändern, denn ich empfinde es als fertig und ehrlich gesagt habe ich auch gar keine Energie mehr für dieses Stück.

Mich würde noch sehr interessieren, wie du auf die Ängstlichkeit kommst. Könntest du das etwas näher beschreiben? Ich finde es sehr spannend!

Viele Grüße
 
Mich würde noch sehr interessieren, wie du auf die Ängstlichkeit kommst. Könntest du das etwas näher beschreiben? Ich finde es sehr spannend!

Guten Morgen, Alkeko!

Ich meinte, ein gewisses Anlehnungsbedürfnis aus Deiner Musik herauszuhören,
was Du bestätigst - nur daß Du die Rondoform anvisiert hast, während ich glaubte,
das Ganze sei ein Sonatensatz mit einer um ihr Seitenthema geprellten Reprise.
Das ist liegt an dem quasi-Durchführungsteil, der Dir am besten gelungen ist,
weil er harmonisch für ein paar Takte offenbleibt und Deiner Musik
einen längeren Atemzug gönnt.

Ängstlich wirkt die Musik wegen der Kürze ihrer Bestandteile. Nimm Dein Hauptthema:
Drei Takte lang hat es Prägnanz, im vierten Takt fällt es mit einer Floskel buchstäblich ab.
Das sind Verlegenheitslösungen, die eindeutig daraus resultieren, daß Du zuviele
Parameter auf einmal beachtest/beachten mußt: Du willst harmonisch und satztechnisch
saubere Fortschreitungen, Du willst schulgerecht modulieren - das geht dann
eben zuweilen auf Kosten einer stimmigen melodischen Entwicklung.

Macht nix. Bei der Wiederholung des Hauptthemas glückt die Fortschreitung
viel besser, und mit Hilfe der kurzen Ausweichung nach d-Moll und der Sequenzierung
gelingt Dir ein schöner Achttakter - zusammen mit dem Kunstgriff, daß ein Motiv daraus
Bestandteil des zweiten Themas wird, die Themen also verklammert werden.
Schön ist auch, daß Du die thematische Entwicklung zwischendurch
der linken Hand anvertraust.

Es beruhigt mich, wenn Du Deine Stücke nicht zu sehr gewichtest,
sondern als das nimmst, was sie sind: Schülerarbeiten, anhand derer Du lernen willst.

Bitte mehr davon!

Herzliche Grüße,

Gomez

.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Noch'n Nachtrag!

Dein Motto bereitet mit Kummer:

Zitat von Aleko:

The New Music seems to come not from the heart but from the head.
Its composers think rather than feel. They .. think, analyze but they do not exult.

Vielleicht merkst Du gerade anhand Deiner Kompositionsübungen,
daß Musik zwar eine Herzensergießung sein (oder als eine solche wirken) kann -
der Weg dorthin aber für Komponisten und Interpreten sehr steinig ist.
Und da sitzen die Vetreter traditioneller Stilrichtungen im selben Boot
wie die Komponisten der von Dir leider geringgeschätzten Neuen Musik.

Künstlerische Arbeit hat mit Beherrschung des Handwerks zu tun,
wie Du vielleicht an Deinem Rondo bemerkst: Du folgst einem Formschema,
d.h. Du konstruierst ein Musikstück wie ein Architekt sein Haus.
Du beachtest Stimmführungsregeln, die Aufeinanderfolge tonartlicher Zentren -
mit anderen Worten: Dein Kopf ist bei dieser Arbeit eingeschaltet,
Du denkst und analysierst beim Komponieren - sehr uncool für jemanden,
der davon träumt, daß Musik als reine Herzensergießung direkt den Weg
aufs Notenpapier finden soll, quasi unter Umgehung des Großhirns.

Deswegen ist die Polemik gegenüber den bösen Schreibtischtätern der Neuen Musik
falsch, die Kontrastierung von Herz und Hirn eine leider unausrottbare Vorliebe
von Musikbanausen - zu denen Du schon aufgrund Deiner Bemühungen
um handwerkliches Geschick nicht gehörst.

Neue Musik wird prinzipiell nicht mit mehr oder weniger Herzblut als andere geschrieben,
sie setzt nur längere Hörerfahrungen voraus - und größere Bereitschaft,
sich auf sie einzulassen.

HG, Gomez
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hallo Aleko,

mir gefällt dein Stück sehr sehr gut.

Um bei einem Bild zu bleiben: es ist wie eine klare Zeichnung mit einem Konstruktionsstift gezeichnet.
Wenn man jetzt noch etwas von der Konstruktion elegant verwischen würde, ein paar Glanzlichter und Schatten hinzufügen könnte, wäre es perfekt.

Das soll einfach nur ein Denkanstoß in eine Richtung sein und bedeutet nicht, dass ich irgendetwas bekritteln möchte.:p:p:p

Lieber Gruß, NewOldie
 
Lieber New Oldie,

Wenn man jetzt noch etwas von der Konstruktion elegant verwischen würde,
ein paar Glanzlichter und Schatten hinzufügen könnte, wäre es perfekt.

mit der Empfehlung befindest Du Dich in bester Gesellschaft.

Als man Mallarmé zu seiner 'klaren Rede' beglückwünschte, antwortete er:
"Oh, wirklich? Dann muß ich noch ein paar Schatten hinzufügen."
 
Hallo Aleko,

mir gefällt dein Stück sehr sehr gut.

Um bei einem Bild zu bleiben: es ist wie eine klare Zeichnung mit einem Konstruktionsstift gezeichnet.
Wenn man jetzt noch etwas von der Konstruktion elegant verwischen würde, ein paar Glanzlichter und Schatten hinzufügen könnte, wäre es perfekt.

Das soll einfach nur ein Denkanstoß in eine Richtung sein und bedeutet nicht, dass ich irgendetwas bekritteln möchte.:p:p:p

Lieber Gruß, NewOldie

Hallo NewOldie,
das hast du wirklich ganz hervorragend formuliert!

Grüße
 
Hallo Gomez,

Du hast sehr weise Worte geschrieben. Ich gebe zu, ich bin, was dieses Thema angeht, etwas unschlüssig und brauche allgemein noch mehr Beschäftigung mit Musik. Das Motto muss dir aber keinen Kummer bereiten, ich denke es kommt härter rüber als ich es empfinde. Ich denke nicht, dass ich der modernen Musik gegenüber grundsätzlich abgeneigt bin. Dafür bin ich viel zu neugierig. Ich weiß auch leider nicht hundertprozentig, welche Musik konkret der Zitat-Autor gemeint hat. Ich vermute es war die Musik von Strawinsky und teilweise Prokofiev. Aber vielleicht kannst du mich korrigieren. Gerechtigkeitshalber sollte man hier erwähnen, dass die genannten Herren auch große Sprüche und Vorwürfe in Rachmaninoffs Richtung geworfen haben. Man darf also nicht nur die eine Seite angreifen.

Nicht nur ist es mir aufgefallen, dass der Kopf beim Komponieren arbeitet, sondern war ich sehr erstaunt darüber, wie hoch sein Anteil ist. Ich habe mit dem zweiten Stück auch nur deswegen angefangen, weil ich zufällig die 2 folgenden Zitate gefunden habe:

Ravel:
The G-major Concerto took two years of work, you know. The opening theme came to me on a train between Oxford and London. But the initial idea is nothing. The work of chiseling then began. We’ve gone past the days when the composer was thought of as being struck by inspiration, feverishly scribbling down his thoughts on a scrap of paper. Writing music is seventy-five percent an intellectual activity.

Rachmaninoff:
He composed the symphony between January and October 1895, which was an unusually long time for Rachmaninoff to spend on a composition; the project had proved to be extremely challenging. Writing from Ivanovka on July 29, he complained that despite seven-hour days, progress was exceptionally slow. Those daily work schedules had increased to ten hours a day by September, and the symphony was completed and orchestrated before Rachmaninoff left Ivanovka on October 7.

Nach dem Lesen dieser Zitate, habe ich mir gesagt, dass ich mich nicht damit abfinden möchte, dass ich keine 2 Töne zusammenkriege, weil ich mich, unbescheiden wie es klingt, nicht für hoffnungslos unintelligent halte. Wenn also die Meister bis zu 10 Std. am Tag an einem Stück arbeiten, warum soll das gerade bei mir viel anders sein. Das hat mir also sehr viel Mut gemacht.

Ich gebe zu, dass ich vor dem Lesen dieser Zitate und dem bescheidenen Stückchen 2 jemand war,
der davon träumt, daß Musik als reine Herzensergießung direkt den Weg
aufs Notenpapier finden soll, quasi unter Umgehung des Großhirns.
Das scheint also tatsächlich ein Irrtum zu sein. Und das finde ich absolut faszinierend. Es öffnet praktisch alle Türen.

Wenn es zutrifft, dass eine musikalische Komposition komplett durchdacht und konstruiert ist, dann gibt es davon sicherlich gelungene und weniger gelungene. Die weniger gelungenen sprechen einen weniger an oder tragen vielleicht nicht so viel Inhalt mit sich, sind sie gar formal korrekt aber von Ausdruck befreit, wie du mal sehr schön gesagt hast? Ich meine, ich kann schon verstehen, wenn jemand sagt, dass eine formal korrekte aber von Ausdruck befreite Komposition nicht mit Herz sondern mit Kopf komponiert wurde. Natürlich ist es puristisch gesehen völliger Quatsch hier das Herz überhaupt zu erwähnen, weil das Herz nur den Kopf mit Sauerstoff versorgt und nicht fühlen kann. Irgendwie verstehe ich auch den Zitat-Autor trotzdem, ich weiß ich bin hier etwas widersprüchlich. Es bleibt die Frage, ob derjenige, der es sagt, den Ausdruck nicht sieht oder ob es da tatsächlich nicht so viel Ausdruck gibt. Eine ganz heikle Frage, findest du nicht?

Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass viele (oder gar alle) der großen Künstler die Welt etwas verschoben wahrgenommen haben und genau diese Tatsache es ihnen erlaubte, dass sie ihr Werk geschaffen haben. Ich meine, du hast hier irgendwo die Geschichte von Tchaikovsky und seiner Wertung von Beethovens Streichquartetten erzählt, das meine ich mit "verschoben". Es bleibt natürlich die Frage, was ist jetzt nun die ultimative Wahrheit. Wenn jemand wie Schnabel (ich glaube das war er) sagt, dass es genug Musik komponiert wurde, um mit Rachmaninoff Zeit zu vergeuden, dann kann ich ihn natürlich nicht für einen Idioten erklären. Ich erkläre es mir so, dass er die Welt einfach "verschoben" wahrgenommen hat und es ihm wiederum erlaubt hat, zu einem sensationellen Interpreten der Musik anderer Komponisten zu werden. Der einzige heikle Punkt daran ist, dass jemand wie Richter, der sowohl Beethoven als auch Rachmaninoff geschätzt und teilweise referenzmäßig eingespielt hat, nicht unter "verschiebung" gelitten hat. Es ist also schon gewissermaßen Pech für Schnabel, weil ihm die Welt von Rachmaninoff verborgen blieb.

Der Zitat-Autor war also "verschoben", ich meine man kann es ihm nicht übel nehmen, wäre er es nicht gewesen, hätte er seine Musik nicht komponiert und die hätte ich vermisst. Es ist aber auch bloß eine Vermutung von mir.

Während ich hier schrieb, ist mir noch etwas eingefallen. Ich habe mein Stückchen komplett mit Kopf komponiert, da war wohl nicht viel Herz im Spiel (bitte um Verzeihung, ich bleibe in diesem Beitrag der Verständlichkeit halber bei den dir ungeliebten Definitionen). Ich kann aber leider keinem Komponisten beim Arbeiten über die Schulter oder gar in den Kopf schauen, deswegen weiß ich nicht, ob es auch anders geht (vielleicht auch nicht bei allen). Oder ist es vielmehr die Beherrschung des Handwerks auf einem Niveau, dass es letztendlich zu der Illusion führt, die Musik sei auf Notenpapier direkt vom Herzen gefloßen (ganz eindeutig habe ich diesen Eindruck beim 2. Konzert von Rachmaninoff). Ich gebe zu, ich weiß es nicht. Sollte es reine Kopfarbeit mit außerordentlicher Beherrschung des Handwerks gewesen sein, so freut es mich und gibt Mut.

Ein bisschen chaotisch ist mein Beitrag geworden, stellenweise wahrscheinlich sogar widersprüchlich, bitte nimm es mir nicht übel, ich bin auch im Leben ein ziemlich widersprüchlicher Mensch.
Ich fasse daher vielleicht kurz zusammen:

- Wie kann man unterscheiden, ob ein formal korrektes aber vom Ausdruck befreites Stück ein solches ist oder ob der enthaltene Ausdruck einem verborgen bleibt?
- Was hältst du von der "verschiebung"-Vermutung? Und wenn man als Komponist darunter "leidet", ist es Segen oder Fluch, weil man womöglich ohne die gar nichts Gutes sondern nur Mittelmäßiges nicht sonderlich Überzeugendes schafft.
- Es gibt keinen Grund für Kummer, ich bin der modernen Musik gegenüber nicht abgeneigt. Es stimmt zwar, dass ich sie momentan geringer schätze als manch andere Musik aber ich habe erst vor 3.5 Jahren angefangen mich überhaupt mit Musik zu beschäftigen und über sie nachzudenken, es bleibt also noch sicherlich viel zu entdecken.
- Die Signatur war nicht wirklich als Motto gedacht, vielmehr war ich zu dem Zeitpunkt von der Musik und der Gefühlen des Zitat-Autors bewegt und wollte dieses Gefühl teilen. Hat aber eh nicht komplett reingepasst, ich wollte mir sowieso eine andere suchen.

Viele Grüße
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

Guten Morgen, Aleko!

Vielen Dank für Deine lange Antwort. Da Du sehr viel schreibst,
will ich das gewaltige Pensum, das Du mir vorgibst, portionsweise abarbeiten.

Zunächst eine Frage: Ist das von Dir zur Zeit verwendete Motto

The new music seems to come not from the heart but from the head.
Its composers think rather than feel. They .. think, analyze but they do not exult.

ein Rachmaninow-Zitat? Der Kontext, in dem Du es anführst, legt den Verdacht nahe.
Rachmaninow würde ich es noch am ehesten verzeihen. Gehässigkeit gehörte
zum guten Ton unter den Exil-Russen. Auch Strawinsky und Prokofieff haben sich
schwer gekabbelt. Hintergrund dieser Kabbeleien war nicht allein der Geltungsanspruch,
unter den emigrierten "Mode-Russen" die unangefochtene Nummer Eins zu sein,
sondern schlichte Existenznot: Keiner der drei konnte von seiner Musik leben, vorallem deshalb,
weil in dem für sie wichtigsten Markt, dem der raubritter-kapitalistischen USA,
das europäische Urheberrecht nicht anerkannt wurde. Ihren Lebensunterhalt mußten
die drei also mit Konzertieren und Dirigieren bestreiten, und selbst dabei wurden sie
von durchtriebenen Agenten und Managern manchmal um ihre Einnahmen geprellt.
Man kann darüber Haarsträubendes in ihren Auto- bzw. Biographien nachlesen.

Jetzt zum ernsthaften Hintergrund Deiner Arbeit und Deines Mottos:
Auch beim traditionell wirkenden, in vieler Hinscht aber modernen Rachmaninow
war das Herz bestenfalls als Sauerstofflieferant fürs Gehirn wichtig,
wie Du so treffend schreibst. Ansonsten hat er mit kühlem Verstand komponiert.
Sieh Dir nur an, wie er mit seiner "Lebensmelodie", dem gregorianischen
dies irae umgeht, wie er es zur versteckten Grundlage fast aller seiner Themen macht,
in der "Toteninsel", wo es programmatisch besonders gut paßt, aber auch im Kopfsatz
seiner ersten, im Scherzo seiner zweiten Symphonie, im letzten seiner "Symphonischen Tänze",
in der Vokalise, im cis-Moll-Prélude, um nur ein paar seiner Hauptwerke anzuführen:
Der Umgang damit ist geradezu reihentechnisch.

Schon der kleinste Versuch, Töne horizontal und vertikal sinnvoll zueinander
in Beziehung zu setzen -, ist ein Akt der Konstruktion. Das gilt sogar für Dieter Bohlen,
erst recht aber für alles, was länger als ein Klingelton ist: In Musik, die zu ihrer Entfaltung
einen größeren Zeitraum benötigt, muß nicht nur jeder einzelne Ton,
sondern jeder Formteil in Bezug zum Ganzen richtig proportioniert sein.
Das ist eigentlich eine schlichte Weisheit, die für alle schöpferische Arbeit gilt,
ob man nun ein Menu zubereitet, einen Roman schreibt oder ein Haus baut.
Aus irgendeinem Grund wird diese schlichte Weisheit aber geleugnet, sobald es
um Musik geht - schlimmer noch, wer diese Einsicht ausspricht, wird als gefühlskalter
Intellektueller bezeichnet (wobei es in Deutschland auch im Jahre 66 nach ******
salonfähig ist, Intellektualismus als verdächtig erscheinen zu lassen).

Wie kommt es dazu? Lassen wir den "deutschen Sonderweg" beiseite - das Phänomen
begegnet einem ja auch anderorten - und widmen uns der Ursache des Mißverständnisses.
Wenn Musik nicht gerade funktionale Bedeutung hat, also z.B. dem Gotteslob dient,
ist es ihre sicherlich vornehmste Aufgabe, Empfindungen zu wecken.
Gegen die beim Spielen oder Hören von Musik auftretenden Empfindungen
kann sich niemand wehren, auch ich nicht. Aber es ist ein unter Laien beliebter Fehler,
die von der Musik in ihnen geweckten Gefühle mit der Musik gleichzusetzen.
Zweites Mißverständnis: zu glauben, der Komponist müsse während seiner Arbeit
dieselben Empfindungen verspürt haben wie der Hörer beim Hören.
Mißverständnis Nr.3: Analytischer Umgang mit der Musik könne deren Gefühlsreichtum mindern
und ihre Faszination zerstören - wie bei einem Zaubertrick, nachdem er erklärt worden ist.
(Dazu als Randbemerkung: Das müssen aber ziemlich dürftige Gefühle sein,
die sich beim Analysieren eines Musikstücks sofort in Luft auflösen.)
Letztes Mißverständnis: Ein Komponist würde so arbeiten, wie der Musikwissenschaftler
ihm nachträglich unterstellt, sich also quasi hinsetzen und sagen:
Jetzt schreibe ich eine Überleitungsgruppe - und jetzt 'n doppelten Kontrapunkt etc.
Das ist natürlich grober Unfug. Ein Großteil der Dinge, um die Du Dich jetzt noch bemühst,
wird Dir später so selbstverständlich sein, daß Du Dir darüber gar keine Rechenschaft mehr ablegst.

Der große Unterschied zwischen Rachmaninow und seinen "Rivalen"
Strawinksy und Prokofieff besteht nicht in einem höheren oder minderen Grad
an Kontruktivität in seiner Musik, sondern in der Hörbarkeit dieser Konstruktivität.
Das ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen (Spät-)Romantik und Moderne.
In der romantischen Musik wird die Aufeinanderfolge der Formteile gerne verschleiert,
die berühmt-berüchtigten Überleitungsgruppen werden durchmelodisiert oder zu
Separat-Durchführungen genutzt, Themen auseinander entwickelt, aufeinander bezogen
(die große Ausnahme: Bruckner). Die sogenannte Neue Musik liebt dagegen Kontraste,
schroffe Gegenüberstellungen - auch wenn das thematische Material
aus einem identischen Motivkern stammt. Vielleicht kommt von daher die Unterstellung,
moderne Musik sei rein zerebralen Ursprungs, weil sie ihre Konstruktivität
nicht verschleiert?

Sorry, ich muß abhauen, mein Bus ruft. Vielleicht heute abend mehr davon -
falls das hier nicht schon ausreicht.

HG, Gomez

.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Moin, Aleko!

Hier der zweite Teil der Antworten auf Deine Fragen:

Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass viele (oder gar alle) der großen Künstler
die Welt etwas verschoben wahrgenommen haben, und genau diese Tatsache es ihnen erlaubte,
dass sie ihr Werk geschaffen haben. Ich meine, du hast hier irgendwo die Geschichte
von Tchaikovsky und seiner Wertung von Beethovens Streichquartetten erzählt,
das meine ich mit "verschoben".

Wir nehmen alle nur selektiv wahr, und da Egozentrik bei vielen Künstlern
eine Berufskrankheit ist, scheint das selektive Wahrnehmen Voraussetzung
für die künstlerische Arbeit zu sein. Ausgeblendet wird alles,
was den eigenen kreativen Impuls gefährden könnte.

Es spricht nicht gegen Tschaikowsky, daß Beethovens späte Streichquartette
ihm Verständnisschwierigkeiten bereitet haben. Außerdem befand er sich damit
in bester Gesellschaft. Das musikalische 19.Jahrhundert hat einen Riesenbogen
um diese Quartette gemacht (Ausnahme: der frühe Mendelssohn).
Erst im frühen 20.Jahrhundert wurden sie fester Bestandteil des Kanons.

Ich habe mein Stückchen komplett mit Kopf komponiert, da war wohl nicht viel Herz im Spiel
(bitte um Verzeihung, ich bleibe in diesem Beitrag der Verständlichkeit halber
bei den dir ungeliebten Definitionen). Ich kann aber leider keinem Komponisten
beim Arbeiten über die Schulter oder gar in den Kopf schauen, deswegen weiß ich nicht,
ob es auch anders geht (vielleicht auch nicht bei allen). Oder ist es vielmehr die Beherrschung
des Handwerks auf einem Niveau, dass es letztendlich zu der Illusion führt, die Musik sei auf Notenpapier direkt vom Herzen gefloßen (ganz eindeutig habe ich diesen Eindruck beim 2. Konzert von Rachmaninoff). Ich gebe zu, ich weiß es nicht. Sollte es reine Kopfarbeit mit außerordentlicher Beherrschung des Handwerks gewesen sein, so freut es mich und gibt Mut.

Es ist einfach unsinnig, Herz gegen Hirn auszuspielen, um bei dieser Terminologie zu bleiben.
Das tun nur Banausen, deren von keiner Sachkenntnis getrübtes Urteil unausrottbar zu sein scheint.

Egal, welcher handwerklichen Tätigkeit man nachgeht, irgendwann kommt der Zeitpunkt,
an dem man Arbeitsschritte so verinnerlicht hat, daß man sie gar nicht mehr bewußt ausübt.
Dann ist der Kopf frei, und man kann ganz andere Dinge in Augenschein nehmen,
z.B. das Gefühl, kann sich wie Puccini (den ich sehr schätze) vornehmen, durch Musik
ungeheuere Affekte spürbar werden zu lassen und Menschen dadurch anzurühren.
Aber nur ein Banause glaubt, daß Puccini beim Komponieren selber tränenüberströmt gewesen sei.
Wer weiß, mit wieviel kaltblütigem Kalkül er seine Opern komponiert hat?

HG, Gomez

.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hi, Gomez!

Ich danke dir für deine interessanten Beiträge. Du hattest Recht: das Zitat stammt von Rachmaninoff. Ich habe hier den kompletten Ausschnitt, wo es vorkommt, hinterlegt, falls du neugierig bist:

http://www.filefreak.com/files/766134_etfxu/rach_zitat.gif

Ansonsten hast du mich ja übezeugt bzw. ich habe es auch beim Komponieren deutlich gesehen. Es scheint sogar so zu sein, dass ein Interpret mehr und intensiver fühlt, als der Komponist beim komponieren. Hätte ich früher nie gedacht, ich dachte irgendwie immer es ist umgekehrt, kann dir aber nicht sagen warum, war ein Trugschluß. Ich musste das Komponieren ausprobieren, um das zu erkennen.

Viele Grüße
 
Es scheint sogar so zu sein, dass ein Interpret mehr und intensiver fühlt
als der Komponist beim Komponieren.

Selbst da wäre ich mir nicht sicher.

Ob ein Interpret, der zum hundertsten Mal die Appassionata aufführt,
selbst noch viel dabei empfindet - dazu müßten sich die hier im Forum
anwesenden Berufspianisten äußern.

Sicher ist, daß sie auch beim hundertsten Mal konzentriert und blitzwach sein müssen,
damit das Publikum etwas empfinden kann.

HG, Gomez
 
Selbst da wäre ich mir nicht sicher.

Ob ein Interpret, der zum hundertsten Mal die Appassionata aufführt,
selbst noch viel dabei empfindet - dazu müßten sich die hier im Forum
anwesenden Berufspianisten äußern.

Sicher ist, daß sie auch beim hundertsten Mal konzentriert und blitzwach sein müssen,
damit das Publikum etwas empfinden kann.

HG, Gomez

Hi Gomez,
ich denke es hängt stark damit zusammen, für wen der Interpret interpretiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er zu Hause beim Auffrischen von Appassionata auch nur annährend so intensiv empfindet, als wenn er für jemanden spielt. Das merke sogar ich, wenn ich zu Hause viel Harmloseres als Appassionata übe. Aber beim Intepretieren für ein passendes Publikum sind seine Gefühle auch beim 100. Mal echt.

Dazu gibt es einen sehr interessanten Interview mit Krystian Zimerman, weiß nicht ob du den schon kennst, der war hier im Forum schon mal von pianovirus verlinkt worden:

http://www.youtube.com/watch?v=j6PpDQ6miBg

P.S. Übrigens kommt in dem Interview auch das Thema "verschiedene Instrumente für verschiedene Musik" vor (für die Kollegen im anderen Faden) ;)

Viele Grüße
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Ich habe ja leider keine Ahnung vom Komponieren, aber was Musik angeht, meine ich, dass es Musik ohne Ausdruck gar nicht gibt. Im schlimmsten Fall ist der Charakter eben langweilig oder nervtötend, aber schon dein Stück, Aleko, hat unzweifelhaft Ausdruck.

Man verstärkt den Ausdruck, indem man Licht und Schatten hinzufügt, wie NewOldie so schön formuliert hat, indem man an der Konstruktion arbeitet etc..

Wenn ich als Interpret an einer Komposition arbeite, versuche ich, die Konstruktion des Stücks in allen Einzelheiten zu verstehen und klar darzustellen. Das geht nur durch Beleuchtung, Analyse, Hören und Fühlen. So schaffe ich ein Klangbild, das im günstigsten Fall wie eine schimmernde Klangkathedrale die Entwicklung des Stückes in sich schlüssig erzählt. Dann wird die Schönheit einer Komposition, also ihr Ausdruck, offenbar. Je klarer ich die Phrasen in ihrer klanglichen Entwicklung strukturiere, um so mehr Ausdruck bekommt das Stück.

Als Komponist muss mir doch deshalb daran gelegen sein, an der Konstruktion eines Stückes intensiv zu arbeiten. Wie soll das ohne Hirn gehen? Aber wenn man schon diese beiden Ausdrücke "Herz" und "Hirn" benützt, könnte man vielleicht sagen, dass der Komponist etwas in sich spürt, was er ausdrücken will, dass er zur Realisierung aber jede Menge Hirnschmalz braucht ( Gomez, werde ich jetzt ob dieser laienhaften Formulierung gesteinigt? :p ).

Aber ich bin der festen Überzeugung, dass Musik den Ausdruck in sich selbst hat.

Liebe Grüße

chiarina
 
Hi Gomez,
ich denke es hängt stark damit zusammen, für wen der Interpret interpretiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er zu Hause beim Auffrischen von Appassionata auch nur annährend so intensiv empfindet, als wenn er für jemanden spielt. Das merke sogar ich, wenn ich zu Hause viel Harmloseres als Appassionata übe. Aber beim Intepretieren für ein passendes Publikum sind seine Gefühle auch beim 100. Mal echt.

Dazu gibt es einen sehr interessanten Interview mit Krystian Zimerman, weiß nicht ob du den schon kennst, der war hier im Forum schon mal von pianovirus verlinkt worden:

http://www.youtube.com/watch?v=j6PpDQ6miBg

P.S. Übrigens kommt in dem Interview auch das Thema "verschiedene Instrumente für verschiedene Musik" vor (für die Kollegen im anderen Faden) ;)

Viele Grüße





Hi Gomez,
ich denke es hängt stark damit zusammen, für wen der Interpret interpretiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er zu Hause beim Auffrischen von Appassionata auch nur annährend so intensiv empfindet, als wenn er für jemanden spielt. Das merke sogar ich, wenn ich zu Hause viel Harmloseres als Appassionata übe. Aber beim Intepretieren für ein passendes Publikum sind seine Gefühle auch beim 100. Mal echt



Lieber Gomez,

da bin ich mir nicht so sicher, bei mir ist es auf jedenfall nicht der Fall . Ich arbeite zur Zeit genau an dem von Dir obig genannten Beispiel und meine Gefuehle dafuer sind immer echt, ich arbeite fuer mich und fuer niemand anderen, ich
will es von neuem erleben, reingehen , erspuehren und aufgehen, auch wenn ich es vor Jahren schon oefters vorgetragen habe, erst dann gebe ich es meinem Publikum ob mir das dann auch gelingt ist die zweite Frage, da soviele Einfluesse auch eine grosse Rolle spielen, aber eines darf gesagt werden die Gefuehle bleiben immer echt. Ich hoffe Du verstehst mich was ich damit audruecken wollte. Es braucht auch dazu keine Ratschlaege dazu fuer mich auf jeden Fall, den jeder hat seine eigene Vorstellung

Cordialement
Destenay
 
Liebe Chiarina,

Werde ich jetzt ob dieser laienhaften Formulierung gesteinigt?

das überlassen wir der Eierfrau - sie hat diese Formulierung ins Forum eingeschleppt.

Aber ich bin der festen Überzeugung, dass Musik den Ausdruck in sich selbst hat.

Und ich stimme Dir vollkommen zu. Ich wehre mich nicht gegen den Ausdruck in der Musik
- wozu sollte das gut sein, und wer wäre ich denn? -, sondern gegen die Unterstellung,
der analytische Nachweis ihrer Kontruktivität würde die Musik ihres Ausdrucks berauben -
und der den analytischen Nachweis Erbringende müsse gefühlskalt sein.

Die Pointe hast Du sehr schön beschrieben: In der Konstruktion ist das Geheimnis
musikalischer Schönheit verborgen, und es die vornehmste Aufgabe einer Interpretation,
dies hörbar zu machen. Ein Laie muß das nicht verstehen - er sollte dagegen aber auch nicht wüten.

Herzliche Grüße,

Gomez

.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

Zurück
Top Bottom