"Sich hinter die Musik stellen" oder "über die Musik ausdrücken"...?

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Dreiklang

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Hallo liebe Foris,

durch Diskussionen in letzter Zeit, und auch Posts von chiarina, die sinngemäß das folgende schrieb:

"Mir geht es um die Musik an sich", und, "Ich spiele das, was da steht, da ist dann schon genug von mir drin", bin ich zum Nachdenken gekommen.

Und ich glaube, das eignet sich als Fadenthema. Wie seht ihr das: soll ein Künstler bzw. Pianist vollkommen hinter die Musik zurücktreten (so, daß man eigentlich völlig vergißt, daß es ihn überhaupt gibt), oder soll man sich als Künstler, als Person, auch durch die Musik und mit der Musik ausdrücken...?

Ich tendiere zu Letzterem. Der Künstler ist auf der Bühne, bzw. er spielt, und er ist es, der Musik macht, der Kunst macht, sich künstlerisch betätigt...

Es ist seine Arbeit, die er vorträgt, und es sind seine Momente der Kunst, die er anderen darbietet.

Eigentlich hat er doch alles Recht der Welt, seine Persönlichkeit, seine Individualität, zur Schau zu stellen, deutlich zu machen, zutage treten zu lassen, oder nicht...?

Natürlich darf er eines dabei nicht vergessen: was er dort tut (nämlich: Musik machen), und zu welchem Zweck (nämlich andere Menschen mit Musik zu erfreuen).

Viele Grüße.
 
Und ich glaube, das eignet sich als Fadenthema. Wie seht ihr das: soll ein Künstler bzw. Pianist vollkommen hinter die Musik zurücktreten (so, daß man eigentlich völlig vergißt, daß es ihn überhaupt gibt), oder soll man sich als Künstler, als Person, auch durch die Musik und mit der Musik ausdrücken...?

Ich tendiere zu Letzterem. Der Künstler ist auf der Bühne, bzw. er spielt, und er ist es, der Musik macht, der Kunst macht, sich künstlerisch betätigt...

Es ist seine Arbeit, die er vorträgt, und es sind seine Momente der Kunst, die er anderen darbietet.

Eigentlich hat er doch alles Recht der Welt, seine Persönlichkeit, seine Individualität, zur Schau zu stellen, deutlich zu machen, zutage treten zu lassen, oder nicht...?

Diese Argumentation leuchtet mir nicht ein. Kann man das nicht genauso gut auf den Komponisten übertragen: der Komponist hat sich kreativ betätigt, es ist seine Arbeit, seine Kunst, seine Persönlichkeit etc.

Insgesamt bin ich da eher auf der Seite des Komponisten, schließlich steht es ja jedem frei, selbst Musik zu schreiben, wenn er sich sich für ach so individuell hält. Ich sehe aber auch die andere Seite, schließlich findet man sicher genug Beispiele für gute abweichende Interpretationen. Es soll aber nicht so weit gehen, dass der Pianist "seine Persönlichkeit zur Schau stellt", wie du sogar schreibst. Ich bin mir doch sicher, dass das zumindest beim Kernpublikum eher negativ empfunden wird.

@ Chris

Danke für den Link, sehr interessantes Gespräch!
 
Der Künstler kann gar nicht vollständig hinter dem Werk zurücktreten, denn:

Es gibt kein Werk ohne den Künstler! Der Komponist hat als Künstler, als Mensch mit Empfindung - und darum geht es in der Musik! -, ein Kunstwerk im Kopf, dass er außerhalb seines Ich jedoch nur tot in den Sarg zu legen vermag. Er hat jedoch eine stille Hoffnung: Das die schöne Musica von einem kunstvollen Interpreten wieder wach geküsst wird und er ihr neues Leben, seinen eigenen Odem einhaucht!

Ein Werk ohne Künstler ist ein totes Nichts, ein Ansammlung von vielleicht höchstens physikalisch-akustischen Schwingungen oder Druckerschwärze-Klumpen auf vergilbtem Papier. Durch den Künstler wird es aber zu lebendiger Musik, zu neuem Leben: Und dahinter darf der glückliche Erwecker dann gerne staunend überwältigt zurücktreten und das Werk sprechen lassen.

Musik ist nicht das, was auf dem Papier steht: Musik ist der Phönix, der sich selbst immer wieder verbrennt, um aus seiner Asche vom künstlerischen menschlichen Ich dann wieder neu erweckt zu werden und in seinem strahlenden Schein seinen "Schöpfer" selbst zu überflügeln!

Herzliche Grüße

Euer Lisztomanie
 
Hallo Chris,

entschuldige, dass ich schon wieder mit Gulda nerve (er ist sozusagen mein Lang Lang:D) aber dieses Interview finde ich hoch interessant, da äussert er sich u.a. auch ausführlich über die von Dir aufgeworfene Fragen.

Vielen Dank, Christian, ich bin keineswegs genervt. Ich liebe solche Interviews, in denen man über Künstler mehr erfahren kann, und was Gulda gesagt hat, war sehr interessant.

Diese Argumentation leuchtet mir nicht ein. Kann man das nicht genauso gut auf den Komponisten übertragen: der Komponist hat sich kreativ betätigt, es ist seine Arbeit, seine Kunst, seine Persönlichkeit etc.

Da stimme ich Dir zu. Man sollte anstreben, den Charakter eines Komponisten, soweit in der Komposition erkennbar, darzustellen, und auch den Charakter einer Komposition selbst.

Mir ging es beim Faden z.B. um so etwas hier:



Die Pianistin geht in Sachen Lautstärke und "Engagement" bis an die Grenzen des Instruments. Aber ich finde, das paßt. Warum nicht "richtig in die Tasten gehen", so wie dort gezeigt? Es paßt gut zum Charakter des Stückes, und das gefällt mir.

Die meisten Hörer (und vielleicht auch Klavierbauer) werden sich vielleicht entsetzt abwenden. Aber geht das nicht, daß man so spielt...? Ich habe fast den Eindruck, daß das ein "Tabu" ist.

Es soll aber nicht so weit gehen, dass der Pianist "seine Persönlichkeit zur Schau stellt", wie du sogar schreibst. Ich bin mir doch sicher, dass das zumindest beim Kernpublikum eher negativ empfunden wird.

Das war vielleicht auch zu drastisch von mir ausgedrückt.

Viele Grüße.
 
Der Künstler kann gar nicht vollständig hinter dem Werk zurücktreten, denn:

Es gibt kein Werk ohne den Künstler! Der Komponist hat als Künstler, als Mensch mit Empfindung - und darum geht es in der Musik! -, ein Kunstwerk im Kopf, dass er außerhalb seines Ich jedoch nur tot in den Sarg zu legen vermag. Er hat jedoch eine stille Hoffnung: Das die schöne Musica von einem kunstvollen Interpreten wieder wach geküsst wird und er ihr neues Leben, seinen eigenen Odem einhaucht!

Ein Werk ohne Künstler ist ein totes Nichts, ein Ansammlung von vielleicht höchstens physikalisch-akustischen Schwingungen oder Druckerschwärze-Klumpen auf vergilbtem Papier. Durch den Künstler wird es aber zu lebendiger Musik, zu neuem Leben

Das ist genau auch meine Ansicht. Ohne Künstler, ich meine dabei den Interpreten, würde es gar keine Musik (*) geben - er ist immens wichtig für die Kunstform "Musik" (aber natürlich ist das der Komponist auch).
____

(*) als Schallerlebnis
 
Das erklärt, warum es Dir gefällt wenn jemand herumhampelt. :D

was heißt "gefällt"... :) aber ich tolerier's gegebenenfalls...

Seine Aufnahmen werden dadurch aber noch lange keine Referenzaufnahmen...

nein, ich bin nicht das Bundesmusikgericht, das sowas erklärt, das ist vollkommen richtig ;)

Aber Du wirst lachen: mir ging's gar nicht um Lang Lang (den wir vlt. von nun an besser erden - zuviel Zündstoff).

Eher ganz allgemein darum, daß man als Pianist auf der Bühne und mit der Musik eigentlich viele Freiheiten haben könnte... oder sollte...

ich schließe mich da selbst mit ein, bei meinen bescheidenen privaten pianistischen Hobby-Annäherungsversuchen an Musik und Klavierspiel...
 

Also, wenn ich Musik höre (und dabei die oder den Interpreten NICHT SEHE), gehe ich ganz in der Musik auf – und in diesem Moment ist es mir auch (fast) egal, wer da spielt. In diesem Moment existiert nur das musikalische Werk für mich.

Aber natürlich wird ein musikalisches Werk nur durch einen Interpreten wieder zum Leben erweckt und „gelebt“. Wenn ich Musik live höre UND SEHE, dann verlagert sich meine Aufmerksamkeit automatisch mehr auf den oder die Interpreten. Dann gönne ich ihnen die „Show“ und habe nichts dagegen, wenn sie sich „produzieren“ (solange sie nicht übertreiben).

Es ist wie bei der Schauspielerei: Der Schauspieler, der Hamlet spielt, wird („idealerweise“) auf der Bühne zu Hamlet – und so sehe ich ihn auch, wenn ich mich wirklich in das Schauspiel vertiefe. Also: Wenn Gulda die Mondscheinsonate spielt, IST GULDA IN DIESEM MOMENT DIE MONDSCHEINSONATE SELBST. Wie soll ich’s anders ausdrücken, was ich meine? ;-)
 
@Romantikfreak98

das ist schön ausgedrückt, und das sind schöne Gedanken... ja, ich finde auch, der Musiker muß "zur Musik selbst" werden. Selbstzweck darf die Musik nicht sein, sie ist das wichtige, nicht der Künstler... nur zum Zweck der Selbstdarstellung zu musizieren, bringt wenig (*).

Es muß um die Musik an sich gehen.

Allerdings scheint es unterschiedliche Auffassungen darüber zu geben, was "Selbstdarstellung" und "Musik an sich" genau beinhaltet.

Solange ein Künstler mir schöne Musik zu Gehör bringt, darf er alles. Wobei ich mir das Recht herausnehme, unabhängig von allen Anderen selbst zu entscheiden, was für mich "schöne Musik" ist (und auch, was nicht).

____

(*) außer bei "musikalischer Comedy"
 
...ob die Feststellung, dass Horowitz Chopinmazurken Maßstab setzend darstellen konnte, rein subjektiv ist, sei besser dahin gestellt... ;):)

von diesen Fragen halte ich mich fern (was auch weder eine Zustimmung, noch eine Verneinung Deines konkreten Beispiels bedeuten soll).

Ich muß aber zugeben, diese Diskussion hier hat mir geholfen, meine eigenen Ansichten bzgl. Musik weiter zu formen bzw. zu festigen. Was eine gute Diskussion auch leisten sollte.

Frau Musica höchstselbst, die hochgewachsene, stolze, aber durchaus begeisterungsfähige und schwärmerische Frau, wird sich davon aber sicher nicht beeinflussen lassen - genauso wenig wie durch Diskussionen in einem Internet-Forum... ;)
 
Ich weiß nicht, ob ich mich jetzt als Banause oute, wenn ich folgendes feststelle: Wenn ich mir ein bestimmtes Werk anhören möchte, einfach, um es zu genießen, dann ist es mir wirklich (fast) egal, wer es spielt (solange der Interpret es nicht verhunzt, was ja nun wirklich nicht gerade häufig vorkommt).

Beispiel: Ich höre mir gerne das b-moll Klavierkonzert von Tschaikowskij an. Ich greife dann einfach ins Regal und nehme fast „per Zufall“ eine Aufnahme entweder mit Pogorelich, Bronfman, Gilels oder VanCliburn. Sie spielen das Werk alle hervorragend – und ich weiß, ich werde es genießen können. In diesem Moment ist mir der Interpret wirklich egal. Es ist das Werk, das ich in mir wirken lasse. Von diesem Standpunkt aus könnte man behaupten, die Sache mit der Werkinterpretation sei absolut „überinterpretiert“. Vielleicht ja, vielleicht nein. Natürlich gibt es Unterschiede – und es gibt auch Aufnahmen, die ich nicht mag.

Wenn man ein musikalisches Werk hört, dann ist der erste Schöpfer und Vater des Werkes immer noch der Komponist (und nicht der Interpret). Der Interpret wird zum „Mittler“, zum „Medium“, zur „Verkörperung“ dieses Werkes. Je schlechter er es interpretiert, desto mehr ist er er selbst, je besser er das Werk interpretiert, desto mehr IST ER DAS WERK SELBST. Wenn sich Pogorelich oder Bronfman in das b-moll Konzert Tschaikowskijs verwandeln, kommt das doch fast (aber nur fast) auf das Selbe heraus, oder? Nehmt zwei Schauspieler, denen das selbe Kostüm „angelegt“ wird, samt Schminke. Es wäre nicht so leicht auf den ersten Blick den Schauspieler zu identifizieren, oder?

Gruß Romantikfreak
 
Grundsätzlich kann man sich mit der Musik befassen, wie man es möchte - zumindest, solange man das als ein Hobby betreibt. Als Beruf, oder im Studium etc. muß man schon eher auf gängige Gepflogenheiten achten, beziehungsweise, es wird einem vorgeschrieben, was man zu tun hat. Aber das ist ja nichts neues, und überall so, nicht nur in der Musik.

Wenn man sich mit der (nicht uninteressanten) Frage nach den Unterschieden zwischen Interpretationen befassen möchte, so kann man auch das tun - wenn die eigenen Interessen dort liegen.

Grundsätzlich kann man sich dem "Genuß von Musik" auf vielerlei Weise hingeben.

Diesem:

Je schlechter er es interpretiert, desto mehr ist er er selbst, je besser er das Werk interpretiert, desto mehr IST ER DAS WERK SELBST.

würde ich zustimmen.
 

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