Qualität eines Stücks vs. Schwierigkeitsgrad eines Stücks

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St. Francois de Paola

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20. Apr. 2015
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Hallo zusammen,

will mal eure Meinung zu einem Gedanken von mir hören.

In der Regel wird der Schwierigkeitsgrad eines Stücks ja nach technischen und musikalischen Aspekten bewertet (auch wenn die beiden ja nicht immer ganz zu trennen sind - ohne Technik kann man nicht gestalten und ohne Gestaltung braucht man nicht alles an Technik).

Jetzt stellt sich mir folgende Fragestellung:

Wenn ein Stück eine gute Komposition ist, kann die dann eurer Meinung nach überhaupt einfach zu spielen sein?
Als Beispiel kann man zum Beispiel die Träumerei von Schumann anführen. Rein manuell ist das so ziemlich das einfachste Stück, was es gibt, noch weit leichter als so ziemlich jede Sonatine, für Elise etc.
Musikalisch hat das kurze Stück trotzdem durchaus etwas zu bieten. Viele Kinder, die es nach kurzer Zeit Klavierunterricht spielen, verschandeln es durchaus aufs Äußerste.
Ähnliches kann man sagen über Schubert Op. 142 Nr. 3 oder den ersten Satz aus der Mondscheinsonate (auch wenn die beiden manuell nicht ganz so einfach sind).

So könnte man sagen, eine wirklich gute Komposition ist also immer mindestens von mittlerem Schwierigkeitsgrad.
Oder seid Ihr der Meinung, dass es auch sehr unempfindliche Stücke gibt, die auch mit eher wenig musikalischem Einfühlungsvermögen in nicht verschandelter Weise dargebracht werden können?

Im Umkehrschluss würde es auch heißen, nur schlechte Stücke können wirklich einfach sein.
Oft wird ja auch darüber diskutiert, in welchem Schwierigkeitsgrad Stücke in Angriff genommen werden sollen, sei es nur zum Üben und für sich selbst, für ein Schülervorspiel einer Klavierklasse, für einen Wettbewerb auf Jugend musiziert Niveau, für eine Aufnahmeprüfung an einer Hochschule oder ein öffentliches Recital.
Der Begriff "ein Stück spielen zu können" ist da auch sehr dehnbar - so dehnbar, dass ich ihn gar nicht mag. Sicher kann ein guter Pianist mit seiner Klasse auch an einem Stück wie Schumanns Träumerei zeigen, dass er mehr kann als ich. Dementsprechend bin ich der Meinung, dass man ein Stück nur besser oder schlechter spielen kann, von Können oder nicht Können zu reden ist da meiner Meinung nach unangebracht.

Ich schweife etwas ab - wenn jedenfalls nur weniger gute Stücke wirklich einfach sein kann, könnte man aus meiner bisherigen Argumentation schlussfolgern, dass weniger geübte Klavierspieler/Schüler etc. nicht "das Recht haben", wirklich gute Stücke zu spielen.
Ich habe auch das Gefühl, dass manche Musik unterrichtende und Musik bewertende Menschen durchaus in der Weise denken.
Vielleicht zerstört man so manchem Schüler, der vielleicht durchaus langfristig passabel spielen könnte den Spaß, indem man zu lange viele Stücke nicht spielen lässt. Ich bin der Meinung, das man da unter Umständen auch mal eine verschandelte Träumerei oder Mondscheinsonate in Kauf nehmen muss.

Dass technisch schwere Stücke nicht unbedingt die größten Meisterwerke sein müssen, steht für mich außer Frage. Ich bin ein großer Lisztfreund, einige, aber nicht alle seiner virtuosen Exzesse erreichen höchsten künstlerischen Wert. Alkans Werk wirkt oft wie ein Versuch, gewollt und nicht immer gekonnt gewaltige Monumente wie Beethoven Op. 106 oder Liszt h-Moll in allem zu überbieten.
Thalbergs Werk oder manche modernen Sachen z.B. Sorabji halte ich persönlich für fast völlig wertlos (vielleicht ändere ich mal meinen Standpunkt und vielleicht habe ich Unrecht).

Mir persönlich fällt jedenfalls kein Stück ein, von dem ich sage, das ist ein musikalisches Meisterwerk, aber wirklich manuell UND von der musikalischen Gestaltung her einfach zu bewältigen.
Habt ihr Beispiele? Und wie meint Ihr, soll man damit bei der Auswahl der Stücke umgehen, wenn man technisch und musikalisch limitiert ist?
 
Viele Kinder, die es nach kurzer Zeit Klavierunterricht spielen, verschandeln es durchaus aufs Äußerste.
Die Träumerei wird wohl eher von Erwachsenen Späteinsteigern verschandelt - Kinder spielen die in der Regel gar nicht, weil die für eine kleine Kinderhand absolut ungeeignet ist.

Ansonsten denke ich oft an die Worte meiner früheren Lehrerin zurück, die sagte: Lass jemandem 4 Takte Mozart spielen - dann weiß man, ob er Pianist ist oder Stümper. Das ist überspitzt formuliert, aber es ist verdammt wahr.
 
Zuletzt bearbeitet:
Man muss das so sehen: Der musikalische Anspruch eines Stückes ist kein Pegel, den man durch Üben allein erreichen kann. So nach dem Motto: Stück A hat die Latte bei 5, stück B die Latte bei 10, deshalb kann ein Anfänger 5 erreichen und für 10 muss man eben Profimusiker sein.
Sondern im Prinzip hat jede Tonleiter die Latte bei 10. Man hört jeder Sonatine an, ob sie von einem Anfänger, Laien oder Profi gespielt wird, egal wie vermeintlich einfach sie ist. Die Nuancen der "professionellen" Gestaltung sind so klein, fein und vielschichtig, dass es schlichtweg unmöglich ist, sie jemandem in einer Schritt-für-Schritt-Anleitung beizubringen.
Die musikalisch komplizierteren Stücke erfordern ein höheres musikalisches, harmonisches, melodisches, strukturelles (usw.) Denken, eine Art von Denken, die zu großen Teilen gelehrt und gelernt werden kann. Innerhalb dieser Denkfelder findet dann wieder die minutiöse Gestaltung anwendung, die man auch schon bei einem Liedchen hören kann.

Und um auf das zu antworten, was du vermutlich gemeint hast: Wenn ein Stück leicht zu spielen und leicht zu interpretieren ist, hat es meist nicht viel zu bieten. Denn leicht zu interpretieren bedeutet, dass man dafür nichts denken muss. Denken muss man aber sogar schon, wenn man einfache Filmmusik einigermaßen ansprechend spielen möchte.

Ansprechend klingt oft noch schlechter Chopin und andere romantische Komponisten. Grauenvoll hingegen klingt schlechter Mozart, Schubert und schlechter Ravel (wobei bei letzterm die Gefahr der Verschandelung wegen des technischen Anspruchs und der Hürde, überhaupt den Text zu lesen etwas geringer ist). Dankbar sind manche manuell einfacheren Stücke von Bach, z.B. die, die er als Lehrstücke geschrieben hat. Die sind auch relativ leicht zu verstehen. Aber auch hier wird man nach drei Noten den Schüler vom Lehrer hörend unterscheiden können.
 
Für das Problem gibt es eine einfache Lösung: TEY! Das Zeug klingt immer Scheiße, egal, ob es ein Anfänger oder ein Profi spielt.

:lol::lol::lol:
 
Grauenvoll hingegen klingt schlechter Mozart, Schubert und schlechter Ravel (wobei bei letzterm die Gefahr der Verschandelung wegen des technischen Anspruchs und der Hürde, überhaupt den Text zu lesen etwas geringer ist).

Ravel habe ich noch nie gespielt und da fehlt mir irgendwie wirklich ein bisschen der Zugang, würde ich sicher verhunzen, auch die Stücke, die mich technisch nicht überfordern.
Bei Mozart und Schubert kriege ich nur dann einen guten Klang hin (nicht auf deinem Niveau gut, aber für die meisten Leute), wenn ich das ganz besonders sicher technisch beherrsche (und ein gut intoniertes Instrument zur Verfügung habe) - da sind Mängel meiner Gestaltung weniger vom harmonisch-strukturellen Denken als von meiner Technik begrenzt (was mir meine Klavierlehrerin damals bei Schubert Op. 90 Nr. 1 erst nach einer Weile geglaubt hat, weil ich die richtigen Töne halt alle lange bevor das nach etwas klang spielen konnte).
 
Ich sehe es grundsätzlich ähnlich wie du. Was das "verhunzen" angeht: Ich bin der Meinung, dass man von Kindern nicht allzu viel Gestaltung erwarten kann. Klar: Ein Teil des musikalischen Gestaltens beruht auf Rationalem/Wissen usw. Das kann man auch als Kind "lernen". Aber ein ganz großer Teil ist auch einfach, sich in Gefühle hineinversetzen zu können. Dafür braucht man eine gewisse Reife und Lebenserfahrung. Einem 10-jährigen muss man wahrscheinlich mehr zur musikalischen Gestaltung "zwingen", wohingegen sie bei einem erwachsenen Menschen möglicherweise von ganz alleine kommen würde - selbst ohne Musiktheorie.

Um mal zwischendurch ein Beispiel zu nennen: Ich finde die h-moll-Sonate technisch wie musikalisch sehr anspruchsvoll, wobei ich (wie meine KL übrigens auch) nicht ganz verstehen kann, warum immer alle Profis (oder auch Experten, die selbst nicht Klavier spielen) die Augen verdrehen, wenn man als guter Amateur sagt, dass man daran übt. Denn bei der h-moll-Sonate gilt wie der Träumerei von Schumann oder dem Gaspard de la nuit von Ravel (der vermutlich "technisch" noch schwieriger ist?): Man wird immer hören, ob es ein Profi, ein guter Amateur oder ein "Stümper" spielt.

Ich habe grundsätzlich den Eindruck, dass man musikalisch weniger kaputt machen kann, je virtuoser das Stück ist. Pauschal ist das natürlich falsch! Aber "empirisch" habe ich diesen Eindruck. Es ist aber einfach so: Je weniger Töne, desto mehr hört man von den einzelnen Tönen. Daher ist es doch wieder schwierig, die Träumerei sehr gut zu spielen. Chopin op. 25 no. 1 klingt hingegen immer halbwegs gut, sofern es einem gelingt, eine schöne Linie in den Obertönen zu erzeugen. Ein Gegenbeispiel ist z. B. die La Campanella: Ich konnte es relativ gut lernen, (fast) alle Töne zu treffen, aber dabei noch die unterschiedlichen Stimmen und Dimensionen herauszuarbeiten, ist sehr schwierig!
 
[...]Alkans Werk wirkt oft wie ein Versuch, gewollt und nicht immer gekonnt gewaltige Monumente wie Beethoven Op. 106 oder Liszt h-Moll in allem zu überbieten.
Thalbergs Werk oder manche modernen Sachen z.B. Sorabji halte ich persönlich für fast völlig wertlos (vielleicht ändere ich mal meinen Standpunkt und vielleicht habe ich Unrecht).[...]

Hi St. Francois, :-)

ich weiß nicht ob man das so sagen kann, dass z.B. C.V. Alkan irgendwie solche Werke „angreifen“ oder „übertreffen“ wollte. Hmm, vielleicht die Beethovensonate. Aber die h-Moll-Liszt-Sonate?

Viele Werke Alkans sind vor der Liszt - Sonate entstanden, man hätte hier ein Beispiel,



gut, dieses Werk Alkans ist manchmal etwas weitschweifig, ABER persönlich finde ich es zugänglicher als Liszts h-Moll-Sonate, das Alkan-Ding ist teils wunderschön ( z.B. der „priere“-Teil, super ! ) - hatte er es nötig, andererseits die Beethoven-Hammerklavier op. 106 zu „übertreffen“ ? Diese ist eine Beethoven-Sonate, bei der es Tempodiskussionen bzgl. Satz 1 gibt, und das Horowitz-Zitat: „Die Fuge ist zu lang.“

Thalberg und Sorabji:

Thalberg, der immer mal wieder für Diskussionsstoff sorgt, da auch er „polarisiert“, neulich hatten wir ihn auch hier im Forum erwähnt ( Lacrimosa-Version ) - es gibt viele, die seine Kompositionen sehr mögen, gerade auch auf anderen Foren wie pianostreet z.B., gleiches gilt für Sorabji, Mr. Hinton, Kurator des Sorabji-Archivs, ist bzw. mindestens: war ebenfalls dort aktiv, dort sind zu beiden Komponisten absolute Wissensquellen und Freunde, die auf keinen Fall die Musik als wertlos einstufen würden.

Bei Sorabji wären nat. mehrere naja „etwas problematische“ Dinge mitinbetracht zu ziehen: Die Schwierigkeit seiner „exotischen“ Werke, und die schiere Länge, ferner gab es m.E. ein von ihm selbst ausgerufenes Verbot, eins oder mehrere seiner Werke aufzuführen, ( ein Grund dafür steht im Harenberg Klaviermusikführer, nämlich dass er sich eine angemessene Aufführung durch andere nicht vorstellen könnte ), ferner die Beschaffung von Noten an sich, das ist schwierig, aber Mr. Hintons Archiv verkauft einige, glaube ich, ABER: Pianisten gehen auch DA „ran“. ( Ogdon, und andere, z.B. ). Zusätzlich dürfte es, soweit ich weiß, eine Anzahl ganz kurzer, exotischer und schöner, zarter Stücke Sorabjis geben, diese wären bestimmt spannend zu betrachten.-

Pianistisches:

Die Harsanyi-“Biographie“ über Liszt, die zwar in einigen Punkten etwas „laberig“ ist, ist aber z.B. im Punkt „Wettspiel zwischen Liszt und Thalberg“ interessant: Thalberg erwies sich hier – trotz von Liszt lancierter Angriffe in der Presse, z.B. - immer als Ehrenmann, griff niemanden öffentlich an und auch diese beiden ( genau wie Thalberg und Gottschalk auch ) trennten sich unentschieden,

und laut der Biographie fand Liszt, nachem er Thalberg kennengelernt hatte, seine eigenen Aktionen ( Presse ) nicht mehr so toll. Thalberg jedenfalls stellte sich BEIDEN.

Daher misshagt es mir auch, so ansprechend viele von Liszts Werken sind, ihn nun als „Übervater“ am Klavier zu sehen: Da gab es noch andere, die mithalten konnten. Zum Kompositorischen im Vergleich: Wie gesagt, heutzutage polarisierende Meinungen, auch Liszts Werke stehen nicht außerhalb von Kritik, siehe zumindest WP „Liszt“, und, was wir nicht vergessen sollten:

Die Zeit. Sie sorgt oft für eine Änderung des Musikgeschmacks vieler Leute. Wer weiß schon, ob nicht irgendwann Althergebrachtes, bisher als „meisterhaft“ Angesehenes, verpönt ist, und durch gänzlich anderes, oder aber das positive Neu-Einordnen von bisher Abgelehntem, ersetzt wird?

LG, -Rev.- :super:
 
ich weiß nicht ob man das so sagen kann, dass z.B. C.V. Alkan irgendwie solche Werke „angreifen“ oder „übertreffen“ wollte. Hmm, vielleicht die Beethovensonate. Aber die h-Moll-Liszt-Sonate?

Viele Werke Alkans sind vor der Liszt - Sonate entstanden, man hätte hier ein Beispiel,



gut, dieses Werk Alkans ist manchmal etwas weitschweifig, ABER persönlich finde ich es zugänglicher als Liszts h-Moll-Sonate, das Alkan-Ding ist teils wunderschön ( z.B. der „priere“-Teil, super ! ) - hatte er es nötig, andererseits die Beethoven-Hammerklavier op. 106 zu „übertreffen“ ? Diese ist eine Beethoven-Sonate, bei der es Tempodiskussionen bzgl. Satz 1 gibt, und das Horowitz-Zitat: „Die Fuge ist zu lang.“


OK die beiden Stücke habe ich jetzt mal als Beispiele für monumentale Meisterwerke von höchstem Schwierigkeitsgrad in allen Belangen genannt. Ich würde jetzt nicht sagen, dass Alkan speziell eines dieser beiden übertreffen wollte, aber dass er eben eine monumentale Monstrosität schaffen wollte, z.B. mit seinem Konzert für Klavier Solo, dass alles andere irgendwie überbietet. Das wirkt auf mich, als wollte er unbedingt so ein Monstrum schaffen, während es bei Beethoven wirkt, als hielt er es nunmal für nötig.

Bei Sorabji wären nat. mehrere naja „etwas problematische“ Dinge mitinbetracht zu ziehen: Die Schwierigkeit seiner „exotischen“ Werke, und die schiere Länge, ferner gab es m.E. ein von ihm selbst ausgerufenes Verbot, eins oder mehrere seiner Werke aufzuführen, ( ein Grund dafür steht im Harenberg Klaviermusikführer, nämlich dass er sich eine angemessene Aufführung durch andere nicht vorstellen könnte ), ferner die Beschaffung von Noten an sich, das ist schwierig, aber Mr. Hintons Archiv verkauft einige, glaube ich, ABER: Pianisten gehen auch DA „ran“. ( Ogdon, und andere, z.B. ). Zusätzlich dürfte es, soweit ich weiß, eine Anzahl ganz kurzer, exotischer und schöner, zarter Stücke Sorabjis geben, diese wären bestimmt spannend zu betrachten.-

P

Bei ihm halte ich (vielleicht ändere ich auch dazu irgendwann meine Meinung) es für noch deutlich extremer als bei Alkan (der auch sehr nette Sachen geschrieben hat).
Er wirkt auf mich, als hätte er versucht, durch technisch sehr schwierige und extrem lange Stücke eine Art Mythos zu schaffen, obgleich der musikalische Gehalt entweder nicht besonders wertvoll ist oder mir eben entgeht.

Und dementsprechend kann man da, wenn man mal so tut, als hätte ich Recht (was man ja auch nicht zu 100% mit ja oder nein beantworten kann) und davon ausgeht, dass der musikalische Wert sich wirklich in Grenzen hält, wieder darüber diskutieren, ob der Schwierigkeitsgrad von so einem Sorabji-Zeugs nicht niedriger ist als bei einer Sonate h-Moll von Liszt, einem Gaspard de la nuit, einer Hammerklaviersonate oder Virtuosenstücken wie Liszt Transkription der Tannhäuser-Ouvertüre, Norma- oder Don-Giovanni-Paraphrase etc. (was ich alles nicht anfassen würde).
 

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