Praeambulum vs. Präludium

Orgeltante

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Also immer wieder stoße ich auf youtube für ein und das selbe auf die obigen Bezeichnungen. Meistens bezeichnen sie Präludium inkl. Fuge (was für 2. sicherlich falsch ist). Daher nun meine Fregae: kann mir Jemand sagen, was denn nun der Unterschied zwischen Praeambulum und Präludium ist?
 
Von der lat. Wortsemantik her ist das zwar lexikalisch verschieden (Prae-ludium "Vorspiel", Prae-ambulum "Vorweg-gehendes"), aber referentiell dasselbe, sozusagen "Absatz 1". Auch musikgeschichtlich scheint da nicht scharf differenziert zu werden. Ich kopiere Dir einfach mal den entsprechenden Absatz aus der MGG s.v. Präludium:

Entsprechend dem Brauch der Komp., Sammler, aber auch der zeitgenöss. Begriffsbestimmung sind dem Terminus Präludium nicht nur allgemeine Namen wie Praecentio, Prooemium u.ä. zu subsumieren, sondern auch Titel wie Passaggio, Arpeggiata, Tastatura, Tiento, Toccata, Intrada sind weitgehend zu koordinieren. Bei der durchaus nicht immer zu begründenden unterschiedlichen Namengebung wird entweder die Spielform oder der Zweck mehr hervorgehoben; das Sinngebend-Allgemeine aber ist stets der »introitive Charakter« (Schrade). So zählt M. Praetorius (Syntagma musicum, NA III, 21-23) auf: 1. »Praeludia vor sich selbst: Als da sind, Phantasien, Fugen, Symphonien und Sonaten«, 2. »zum Tantze als Intraden«, 3. »zur Motetten oder Madrigalien als die Toccaten«. Noch im 18. Jh. besitzt der Terminus Präludium die gleiche Begriffsbreite, wenn z.B. Brossard (Dict. de Musique 1703) Titel wie »Capriccio, Ricercata, Intrada, Ouverture, Symphonie, Suonata« der Funktion des Präludiums unterordnet. Selbst bei J. S. Bach bleiben die Überschriften noch oft ohne symptomatische Konsequenz, so wenn die Inventionen in Friedemanns Kl.-Büchlein zunächst als Praeambeln bezeichnet werden oder die Orgeltoccata C in vier Hss. vier abweichende Bezeichnungen trägt. [...] Auch im 19./20. Jh. bleibt eine genaue Begriffsfixierung unmöglich, wenn etwa R. Wagner die an sich geschlossene Ouvertüre zu den Meistersingern als »Vorspiel« bezeichnet und wenn andererseits, angeregt durch Chopin, sich für kurze, formal unterschiedliche Kl.-Stücke der Name »Prélude« einbürgert, ohne der ursprünglichen Funktion zu entsprechen.
 
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Aus der Praxis hergeleitet:
Praeludium ->Vorspiel mit einfachem Einzug aus der Sakristei?
Praeambulum -> großer Einzug von hinten durchs Mittelschiff?
Toni
 
Aus der Praxis hergeleitet:
Praeludium ->Vorspiel mit einfachem Einzug aus der Sakristei?
Praeambulum -> großer Einzug von hinten durchs Mittelschiff?
Toni
was mich da halt irritiert hat ist, dass teilweise das absolut gleiche Stück mal so, mal so genannt wird. *grummel* Aber das scheint ja nicht schlimm, wenn ich @sla019 richtig verstanden habe, meint beides so ziemlich dasselbe.
 
In der Kirche wird nicht gespielt! Schon gar keine Vorspiele! Allenfalls gemessenen Schrittes vorangegangen!
 
Aus der Praxis hergeleitet:
Praeludium ->Vorspiel mit einfachem Einzug aus der Sakristei?
Praeambulum -> großer Einzug von hinten durchs Mittelschiff?
Toni
Gegen diese Unterscheidung spricht die knapp bemessene Dauer der Stücke:







Beide Bezeichnungen existieren in wechselnder Häufigkeit bis zur Gegenwart und bezeichnen offensichtlich im Regelfall nicht choralgebundene Literatur, die einleitend/überbrückend/hinführend in funktionaler Hinsicht dargeboten werden kann. In der Zeit vor Bach war die Bezeichnung "Praeambulum" häufiger anzutreffen als später - und das "Praeludium" verselbständigte sich ab dem neunzehnten Jahrhundert soweit, dass es in Einzelstücken oder sogar in ganzen Zyklen immer häufiger außerhalb des sakralen Raumes anzutreffen war. Eine so durchgreifende Wandlung in formaler Hinsicht erfolgte beim "Praeambulum" offensichtlich auch dann nicht, wenn es in neuerer Zeit im Werktitel auftaucht:



Offenbar galt die Bezeichnung bereits im Spätbarock als veraltet, so dass Johann Sebastian Bach sie nur noch vereinzelt (etwa in der 5. Partita G-Dur) aufgriff, während dies einige Jahrzehnte zuvor (Weckmann, Scheidemann, Tunder) offensichtlich noch anders war. Eine darüber hinausgehende Unterscheidung erscheint mir kaum plausibel - gerne lasse ich mich eines Besseren belehren, wenn dies doch möglich sein sollte.

LG von Rheinkultur
 
@Rheinkultur na nun bin ich erst recht verwirrt. Wenn die beiden doch was unterschiedliches sind, warum werden dann für ein und dasselbe Stück (gesehen bei Vincent Lübecks Praeludium in F) beide Bezeichnungen angewendet?

Ich meine, für ein Stück muss es doch wenigstens eine einheitliche Bezeichnung geben :denken:
 
In der Kirche wird nicht gespielt! Schon gar keine Vorspiele! Allenfalls gemessenen Schrittes vorangegangen!

Zu katholisch gedacht. Bei den Evangelen schlurft der Pfarrer grademal die drei Schritte von seinem Stuhl zum Altar. Wenn du das musikalisch begleiten willst, muß Du auch jedesmal ein Präludium auflegen, wenn Du in die Küche an die Kaffemaschine gehst.
 
@Rheinkultur na nun bin ich erst recht verwirrt. Wenn die beiden doch was unterschiedliches sind, warum werden dann für ein und dasselbe Stück (gesehen bei Vincent Lübecks Praeludium in F) beide Bezeichnungen angewendet?

Ich meine, für ein Stück muss es doch wenigstens eine einheitliche Bezeichnung geben :denken:


Muß es eben nicht. So eine Normierung findet regelmäßig nur dann statt, wo entweder eine amtliche Instanz normbildend eingreift (z.B. die Académie française) oder wenn die Sprache der jeweiligen Eliten normbildend wirkt. Ansonsten ist Bezechnungspluralität etwas ganz normales, denn nicht die etymologische Bedeutung, sondern die Bezeichnungsfunktion ("Referenz") ist kommunikativ hier das wichtige.

Allerdings, lieber @Rheinkultur, kommt mir in diesem Zusammenhang doch eine Frage: gibt es vielleicht eine musikhistorische Datenbank, wo man die diachrone und regionale Entwicklung solcher Termini abfragen kann? Wenn Deine Beobachtung zutrifft, daß Praeambulum diachron zugunsten von Praeludium zurucktritt, erhebt sich natürlich die Frage nach der Motivation. Es kann natürlich simpel sein, daß Praeambulum als der (vermutlich) ältere Terminus einfach irgendwann als altmodisch empfunden wird, es könnte aber auch sein, ein gar nicht so seltener lexikographischer Fall, daß etymologische Erwägungen den Praeambulum den Garaus gemacht haben. Denn ambulare, sich gemächlich (und ziellos) fortbewegen, verträgt sich ja schlecht mit der Dynamik vieler Vorspiele spätestens seit dem Barock (sucht hier vielleicht jemand nach einem BA-Thema?;)).
 

Allerdings, lieber @Rheinkultur, kommt mir in diesem Zusammenhang doch eine Frage: gibt es vielleicht eine musikhistorische Datenbank, wo man die diachrone und regionale Entwicklung solcher Termini abfragen kann?
Interessante Überlegung - allerdings weiß ich nicht so recht, unter welchen Stichworten man eine solche Datenbank ausfindig machen kann. Am ehesten käme man mit der Fachbezeichnung "Formenlehre" in die Nähe dieser Thematik. Es ginge dann nicht darum, bestimmte Formen und Satztypen zu erkennen und analysierend zu durchleuchten, sondern um die Frage, was mit diesen Formen und Satztypen im historischen Kontext passiert sein könnte. Vergleichbare Termini könnten "Sonate" oder "Suite" sein, die jahrhundertelang bis zur Gegenwart existent sind und sich inhaltlich mindestens ebenso grundlegend gewandelt haben.

Wenn Deine Beobachtung zutrifft, daß Praeambulum diachron zugunsten von Praeludium zurucktritt, erhebt sich natürlich die Frage nach der Motivation. Es kann natürlich simpel sein, daß Praeambulum als der (vermutlich) ältere Terminus einfach irgendwann als altmodisch empfunden wird, es könnte aber auch sein, ein gar nicht so seltener lexikographischer Fall, daß etymologische Erwägungen den Praeambulum den Garaus gemacht haben. Denn ambulare, sich gemächlich (und ziellos) fortbewegen, verträgt sich ja schlecht mit der Dynamik vieler Vorspiele spätestens seit dem Barock
Aus meiner Argumentation mit der Erwähnung dieser Termini in Zusammenhang mit Johann Sebastian Bach wird ersichtlich, dass ich von der erstgenannten Variante ausgehe: Praeambulum als gängige frühbarocke Satzbezeichnung könnte ein engagierter Vertreter des Spätbarock durchaus als veraltet empfinden und den Terminus nur dann aufgreifen, wenn er einen Zusammenhang zwischen Tradition und Gegenwart herstellen möchte. Das wäre vergleichbar mit der Vermeidung parallel geführter perfekter Konsonanzen (Quinten und Oktaven) zwischen den Stimmen, die charakteristisch für lange zurückliegende Formen der Mehrstimmigkeit (Ars Antiqua, Ars Nova) war und ein der Vergangenheit verbundenes Klangideal repräsentierte. Für diese Sichtweise spricht das gelegentliche erneute Aufgreifen des Begriffs im zwanzigsten Jahrhundert, da in diesem Falle eher früh- oder vorbarocke Anknüpfungspunkte erkennbar sind.

Auf sprachlicher Ebene ist auch hinsichtlich des Praeludiums eine Veränderung feststellbar: Die deutsche Schreibweise Präludium ist zugunsten der französischen Prélude in der Musizierpraxis des neunzehnten Jahrhunderts zurückgetreten und lebt fort als Instrumentalstück in selbständiger Form, das keinen vorbereitenden Charakter auf etwas anderes mehr besitzt. In Form einer bestimmten symphonischen Dichtung von Franz Liszt und eines bestimmten Orchesterwerks von Claude Debussy dürfte dieser Ablösungsprozess seine Vollendung erlebt haben.

(sucht hier vielleicht jemand nach einem BA-Thema?;)).
Vielleicht wird er hier fündig:
http://www.sim.spk-berlin.de/static/hmt/HMT_SIM_Praeambulum-praeludium-Prelude-Vorspiel.pdf

LG von Rheinkultur
 
Lt. Handwörterbuch der musikalischen Terminologie gibt (und gab) es inhaltlich keine Unterschiede im Gebrauch der beiden Begriffe. Praeambulum ist offensichtlich die ältere Bezeichnung, der Begriff "Praeludium" etabliert sich im Laufe des 18. Jahrhunderts.

PS: Das Handwörterbuch der musikalischen Terminologie ist mittlerweile als CD-Version erhältlich, zwar immer noch teuer (154 Euro), aber preiswerter als die Loseblatt-Sammlung, und man erspart sich den Weg in die Bibliothek (und dann sind ausgerechnet die Seiten geklaut, die man dringend braucht).
 

Dankeschön für den Link. Mich würde ad hoc interessieren, wie der Vf. darauf kommt, daß »Praeambulum« und »Praeludium« aus der Rhetorik stammen.

Für »Praeludium« ist das semantisch von vorneherein äußerst fraglich, und außerdem gibt es schon antike Belegstellen für praeludo im Sinne von »als Probe«, d.h. vor der Aufführung »singen« (Plinius NH 37.19: Nero Pompeiano praeludit: Nero singt zur Probe für das Pompeius-Theater). Es ist also wahrscheinlich ein genuin musikalischer Begriff.

Für »Praeambulum« gibt es keinen Nachweis in Lausbergs Handbuch der literarischen Rhetorik, das eigentlich alles weiß. Es wird m.W. auch nie im Sinne der rhetor. Begriffe »prooemium« oder »exordium« verwendet, sondern gehört offenbar in die Kanzleisprache und bezeichnet eine technische Vorbemerkung und nicht den eigentlichen Textanfang.

Also, für eine BA-Arbeit gäbe es da noch genug Stoff. ;)
 
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