Noten lernen mit Imaginationstechnik

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Der Tragödie Erster Teil:

NACHT
In einem hochgewölbten engen gotischen Zimmer Reiner unruhig auf seinem Sessel am Pulte.
Notenlesen, ach! ist wohl eine der Herausforderungen, die auf mich zukommen, wenn ich musizieren möchte. Egal ob ich jung bin oder alt.

INTRO
Da ich mich zur Kategorie "alt" zählte, bestand meine Herangehensweise im Literaturstudium. Der erfreuliche Konsens aller konsultieren Autoren war. "Notenlernen ist kinderleicht!"
Sehr schön!
Es schien derartig kinderleicht zu sein dass niemand ein entscheidendes Wort über das "wie" zu verlieren brauchte.
So, liebe Kinder jetzt mal alle weghören.

... und was ist mit uns Erwachsenen?
Hier kommen meine Fehler und ein paar Vorschläge, die ich mir selbst erarbeitet habe.

FEHLER:
Habe zu oft ohne Klavier gelernt.
Karteikarten mit 4 Oktaven über die beiden Schlüssel gebastelt. Karte ziehen, Note nennen, Kontrolle auf Rückseite. Gelernt und nicht gelernt auf unterschiedliche Häufchen. Wie Vokabeln.

Dann beliebige Stücke rausgesucht und gemütlich auf dem Sofa stundenlang darin wie in ägyptischen Hieroglyphen gelesen. Also: das ist ein E und das ein Fis usw. Klappte alles ganz gut.
Aber dann vor den Tasten: Fehlanzeige!

PROBLEM:
Ich hätte genauso gut die Notennamen auf chinesisch lernen können. Es fehlte die Verbindung zum Klavier. (genauer: Dreiecksbeziehung: Klaviatur, Notenbild, Notenname)

MEINE LÖSUNG:
- Imaginationstechnik:

(Parallel zum üblichen: Blatt vor der Nase und los spielen)

... UND SO GEHTS:

- mit Noten ans Klavier setzen.
- beliebige Note auf Blatt oder Karteikarte aussuchen.
- Augen zu
- vorstellen, einen Unkundigen zu bitten, den Ton zu spielen.

(angenommen ich habe das Schloss C gewählt, " kannst du mal das C spielen, das findest du rechts neben den beiden Schwarzen Tasten, in der Mitte?... )
So viele Details wie irgend möglich dabei beschreiben.
Dann Augen auf und Kontrolle.

Oder andersherum:
- ans Klavier setzten
beliebige Tonfolge spielen, ca 3 - 5 Töne, vom Blatt oder frei Schnauze
Augen zu und dann versuchen, die Noten vor dem inneren Auge zu sehen.
- Wieder der Trick mit dem Fremden, dem du bittest, das aufzuschreiben: "Die erste Note bitte im untersten Zwischenraum im Bassschlüssel einzeichnen, das ist das A."
Dann wieder Augen auf und Endkontrolle.

Diese Imagination war für mich der Schlüssel zum lernen, und der Trick mit dem Fremden hat mir geholfen, da ich mit geschlossenen Augen weder Tastatur noch Notenbild "gesehen" habe.

Hört sich alles banal an, probiert es mal aus. Ich war jedenfalls entsetzt wie wenig ich die Tastatur bzw. die Noten wirklich beschreiben konnte.

Wer Verbesserungsvorschläge hat, bitte melden. Ich spiele auch gerne Versuchskaninchen und gebe dann Feedback.
Ich kann noch nicht annähernd "zeitnah" lesen und spielen.

Gruß aus Hamburg


Reiner
 
Hallo Reiner,

das hast du doch prima hingekriegt!

Mit Kindern mache ich übrigens oft Spiele, die die Orientierung am Klavier u.a. als Ziel haben. Eines geht so, dass die Kinder mit geschlossenen Augen fühlen müssen, wo ein bestimmter Ton ist. Sie richten sich dabei dann natürlich nach den schwarzen Tasten, die ja in 2er bzw. 3er-Gruppen angeordnet sind. Vielleicht ist es ja auch was für dich oder andere. Da man sowieso beim Klavierspielen viel fühlt, ist das Spiel auch dafür gut. Und auch noch lustig, zumindest für Kinder.

Zum zweiten finde ich auch wichtig, dass man anfangs nicht sofort jeden Ton mit Namen kennen muss. Es reicht, ein paar Orientierungspunkte zu haben ( ich nehme immer einen sog. Notenturm, bei dem sich die c's an einer gedachten Spiegellinie zwischen Violin- und Bassschlüssel spiegeln - dazu kommen dann im Violinschlüssel (=G-Schlüssel) g' und g'' sowie im Bassschlüssel (=F-Schlüssel) die gespiegelten Noten f und F). Mit Hilfe dieser Orientierungsnoten kann man die musikalische Gestalt im Notentext meist wunderbar erkennnen: wenn ich z.B. Alle meine Entchen von c' aus spiele, erkenne ich in den Noten das c'. Die nächsten Noten kenne ich dann zwar nicht mit Namen, aber ich sehe, dass es immer einen Ton höher geht - also kann ich es abspielen, ohne dass ich jeden Notennamen kennen muss. Das ist eine für mich ganz wichtige Fähigkeit: Abstände zwischen Noten erkennen und die dann zu einer einzigen musikalischen Gestalt zu verbinden. Also nicht jede einzelne Note lesen, sondern den Zusammenhang in einer Gruppe. So kann man dann auch die einzelnen Intervalle kennen und hören lernen.

Viele Grüße

chiarina
 
Hallo fisherman,

absolut! Eine einzelne Note ist ja immer nur interessant in ihrem Kontext. Und Intervalle sind so besonders in ihrem Klangraum, ihrer Klangweite und Spannung!

Nebenbei kann man übrigens auch gut vom Blatt spielen, wenn man musikalische Gestalten als Ganzes erkennt. Wenn man Note für Note lesen müsste, wäre das eine sehr mühselige und langwierige Angelegenheit. Bei Wörtern ist es ja auch so - wir lesen nicht mehr jeden einzelnen Buchstaben.

Viele Grüße

chiarina
 
genauer: Dreiecksbeziehung: Klaviatur, Notenbild, Notenname
Ist eigentlich ein flotter Vierer, denn im Idealfall ist die Klangvorstellung (wenn wohl auch nur relativ) noch mit dabei. Aber so viel Frivolität widerstrebt mir anscheinend :rolleyes:

Ich kann noch nicht annähernd "zeitnah" lesen und spielen
Auch ich hab's noch nicht erreicht. Aber immerhin bin ich mit Linienabzählen und Vorzeichen interpretieren und Rhythmusklopfen schneller beim Klang als früher, als ich die Noten noch in den PC eingehackt habe, damit er sie mir vorspielt - ein nicht empfehlenswerter Umweg.

Ansonsten hat mir geholfen simpelste(!) Anfängerstückchen langsam vom Blatt zu spielen - je einfacher um so besser, Rhythmusfehler egal, Vertippen egal, einfach weiter. Und höchstens so oft wiederholen wie es einem noch unbekannt vorkommt, spätestens wenn man beginnt irgendwas zu erinnern das nächste Stück nehmen.

So - immer was neues interpretieren - hat man schließlich auch Buchstaben-Lesen gelernt. Normalerweise lernen wir Anfänger aber Notenlesen nur so wie wir einen Gedichtvortrag vorbereiten: immer wieder dieselben Worte und Sätze, erst gestammelt aber bald - mit Hilfe des Gedächtnisses, nicht wegen gestiegenen Lesevermögens - flüssiger bis wir das Stück (fast) auswändig können.

Notenlesen wie Zeitunglesen macht man nicht, übt man nicht. Jedenfalls wir nicht, die wir endlich das Stück im Kasten haben wollen (dauert schließlich lange genug ;-) )

Tröste Dich, trotzdem wird's immer besser, Geduld.

Grüße,
Stuemperle
 
Hallo Reiner!
Ich find die Idee super. klingt aber sehr zeitaufwändig. Ich selbst (auch blutige anfängerin aus hamburg;-) versuche grade mir und drei Kindern das Noten lesen bei zu bringen.
Momentan habe ich karteikarten mit allen Noten und spiele jede einzelne Note und ich werd das auch mit den Kiddies versuchen. (wobei die jüngste, 6 jahre, noch ganz ohne noten spielt)
grüße aus australien :-)
(habe übrigens letztens ganz erschreckt festgestellt, das australische, bzw englische B, im deutschen H heisst. wie schrecklich!)
 
lieben Dank für eure Antworten

lieben Dank für eure Antworten,

ich denke, eure Anregungen zusammen genommen sind sicher der Königsweg.

Ich bin nur so schrecklich ungeduldig, da ich andere Instrumente (Bass und Gitarre) als Autodidakt nach Gehör spiele und plötzlich am Klavier nach Noten alles recht langsam kommt. Ich improvisiere dann einfach zu oft oder spiel nach Gehör oder Gefühl weiter, was natürlich kontraproduktiv ist.

@ Sonjalein

ja, schrecklich, dieses H. :)
Da ich viel englische Literatur habe und auch mal nach Lead Sheets spiele habe ich es aus meinem Sprachgebrauch verbannt. Ich sage immer B anstelle von H.
Fis, Cis etc. benutze ich gerne weiter. Allerdings sage ich nicht B-Flat, sonder "Bes" oder für das eher hypothetische B-sharp sage ich "Bis".
Klingt doch konsequent und gut.

Da ich an Altersstarrsinn leide, hat sich mein Klavierlehrer dran gewöhnt und zuckt nur noch selten zusammen.

Trotzdem denke ich, dass man in der klassischen Musik mit dem alten H besser fährt, und als Neuling gebietet es mein Respekt, sich dem Sprachgebrauch des Erfahrenen anzupassen, bevor man arrogant oder altklug wird (wirkt). Ist doch toll, wenn man in zwei Sprachen spricht...

Aber wir in Deutschland sind immer noch besser dran als die Franzosen / Kanadier, die auf do re mi fa sol ... insistieren, was aber auch wieder seinen eigenen Reiz hat .

Lieber Gruß aus Hamburg

Reiner
 
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Hallo Newoldie,

toll, was du dir da alles zum Notenlernen ausgedacht hast, und wie systematisch du da vorgehst. Auch hast du es wieder sehr schön beschrieben!:D

Wenn in deinem "hochgewölbten gotischen Zimmer" neben dem Sessel, dem Pult und dem Digitalpiano auch noch ein PC steht kannst du es auch mal so versuchen:

http://www.musica.at/musiklehre/notenspiel/notenspiel.html


Liebe Grüße und weiterhin viel Erfolg1

Debbie digitalis
 
Hallo Seniora,

vielen Dank für deine Hinweise.

Mir hat in letzter Zeit besonders geholfen, in Phrasen zu denken und zu spielen.
Also nicht Buchstaben zu lesen, sondern Worte.
Nicht absolute Notenwerte, sondern die relativen Beziehungen.
Das ist für mich die wichtigste Zusammenfassung der guten Ratschläge hier in diesem Thread.
(Nochmals vielen lieben Dank an alle hier!)

Allerdings hänge ich besonders bei den Zeilenumbrüchen, da mir dann der Zusammenhang verloren geht.
Je enger das Notenbild, desto einfacher also für mich.

Es gibt Noten, die sich schlecht verankern lassen.
So bis vor Kurzem das D.
Aber seit dem ich DAS Bach Menuett aus DEM Notenbüchlein (ist ja eigentlich von Christian Petzold) als Baustelle bearbeite, welches mit D beginnt, ist D plötzlich zum unerschütterlichen Fixpunkt im Universum geworden...

Genauso wie ich zum Intervallhören (wenn ich keine Noten habe) Anfänge von Referenzmelodien benutze, sammle ich jetzt kleine Refernzstücke (1 taktige licks ) für meine Vokalbelsammlung.

Langsam lerne ich laufen....


Gruß aus Hamburg, Reiner
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Ein Gedanke dazu, daß diese Methode "sehr zeitaufwendig" ist: Man darf nicht vergessen, wie zeitaufwendig das Lernen der Notenschrift sowieso ist. Eine effektive Methode, deren einzelne Schritte etwas länger dauern als die einzelnen Schritte einer weniger effektiven Methode spart trotzdem viel Zeit. Das Ziel ist ja nicht, die Noten für ein Stück zu entschlüsseln, sondern Übersetzen der Notenschrift in die Tasten der Klaviatur.

Die "Klangvorstellung" mit in die Methode einzubauen finde ich gut. Natürlich muß man dazu erstmal einen Ton gehört haben, von dem man die anderen ableiten kann. Solange man keine Vorzeichen benutzt, empfiehlt sich dafür das C. Diesen Referenzton könnte man auch durchgehend spielen, dann bekommt man ein besseres Gefühl für die Rolle der anderen Töne. Und dann könnte man die Töne, bevor man sie anschlägt, erstmal singen.

Später kann man auch Tonfolgen statt einzelner Töne nehmen. Und früher oder später muß man noch den Rhythmus einführen, der natürlich mit einzelnen Tönen nicht möglich ist. Wenn man die Töne dann schon singen kann, geht das auch hervorragend ohne Klavier, man muß sich auch nicht unbedingt am "echten" C orientieren.

Nach der Leseübung könnte man noch eine Intervallübun machen, also ausgehend vom C (solange man bei den weißen Tasten bleibt) beliebige Intervalle hoch und runter. Die Größe der Intervalle kann man dabei im Laufe der Tage und Wochen erhöhen, zunächst vielleicht nur Sekunde und Terz, dann Quarte und Quinte dazu, dann Sexte und Septime. Bei dieser Übung muß man natürlich berücksichtigen, daß diese Intervalle unterschiedlich groß sein können, was davon abhängt, von welchem Ton der Tonleiter aus man sie beginnt und ob sie auf- oder abwärts gespielt werden sollen. Eine Terz von C aufwärts ist groß, abwärts ist es eine kleine Terz usw. Die Quinte von H hoch zu F bzw. die Quarte von H runter zu F sind besonders interessant und sehr schwer zu singen, wenn man nicht den Grundton C als Referenz hat, sich also gefühlsmäßig in C-Dur befindet - oder meinetwegen auch in A-Moll. Diese Quinte ist einen Halbton kleiner als alle anderen Quinten der gleichen Tonleiter, die Quarte ist um einen Halbton größer als die übrigen Quarten.
 
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Hallo Guendola,

vielen Dank für die Anregungen.

da ich Autodidakt war, ist die Klangvortellung für mich extrem wichtig.
Ich mache mit geschlossenen Augen oft solche Spielchen wie: Hand blind in den 5-Fingerraum und den oder die Halbtöne suchen.
Oder "suche den Modus", also so lange bis ich die für mich interessanten Modi: Dorisch, Lydisch, Mixolydisch gefunden habe. Die Vorstellung brauche dafür natürlich konkret im Kopf.
Alles auf weißen Tasten.

Da ich ein E-Piano habe, kann ich schnell mal die Stimmung verändern, damit ich mich nicht auf C-Dur Basis festlege und mit immer nur auf D-Dorisch etc. herumreite.

Macht mir riesigen Spaß und ich bin weit von der Perfektion entfernt.
Aber analytisch will ich ich so (alle!) Modi in den Griff bekommen.

Auch gut; eine Quinte spielen und die Dur oder Moll Terz dazu singen und verifizieren..
Möglichkeiten ohne Ende, ich könnte stundenlang weitermachen und alles kostenlos.

Gruß aus Hamburg
Reiner
 
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Reiner, mir gefällt dein experimenteller Ansatz, denn zum Überlegen bleibt beim Spielen wenig Zeit, man muß also auf Erfahrungen zurückgreifen, die erarbeitet werden müssen, z.B. durch Ausprobieren ;)
 

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