Lautstärke, Dynamik und Klavierkonstruktion

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Liebes Forum,

angeregt durch einen anderen Faden

https://www.clavio.de/forum/klavier...kann-klavierspielen-hoerschaedigend-sein.html

möchte ich ein paar Beobachtungen und Überlegungen zur Diskussion stellen:

Meine 2 Klavierschüler haben ein gebrauchtes Klavier aus japanischer Produktion, das in ihrem Wohnzimmer von ca. 25 m2, Parkettfußboden, mir zu hart und laut klingt. Ich hatte ihnen geraten, die Hämmer weicher stechen zu lassen.

Als sie bei mir zu Besuch waren und Cembalo, Tafelklavier und selbst den "modernen" Salonflügel (2m) ausprobierten, waren sie erstaunt, wie leise im Vergleich der Flügel klingt - respektive sich auch leise spielen lässt. Und wie leise früher im "bürgerlichen Rahmen" eines Salons an einem Tafelklavier musiziert wurde.

Kann es sein, dass der Instrumentenbau teilweise auf Abwege geraten ist? Ich habe den Eindruck, dass selbst japanische Pianinos so gebaut und intoniert werden, dass die wie ein Steinway D klingen sollen - was sie aber aus verständlichen Gründen nie tun werden.

Natürlich gibt es die bekannte Geschichte der Entwicklung des Klaviers, die Konzertsäle, die klanglich gefüllt werden müssen, das 100-Mann-Orchester, gegen das ein Flügel sich auch im Forte bemerkbar machen soll. Aber das ist nicht das Instrument, das ich im Wohnzimmer brauche.

Während meiner Suche nach einem passenden Flügel habe ich viele neue oder neuwertige Instrumente ausprobiert, und die meisten waren mir ebenfalls zu hell, zu schrill, zu laut. Mein jetziger Flügel ist zwar technisch komplett renoviert, der Klangkörper aber 100 Jahre alt, das Ding gefiel mir auf Anhieb, und ich habe ihn aus der Werkstatt weggekauft....

Ich frage mich, ob nicht einiges an kammermusikalischer Kultur in den vergangenen Jahrzehnten verlorengegangen ist, und seit ich mich mit historischen Instrumenten beschäftige, erlebe ich einen Reichtum an Klangkultur, der mir im modernen Klavierbau verlorengegangen scheint.

Mir ist klar, dass ein Tafi bei weitem nicht die dynamische Bandbreite, die Stabilität etc. einer modernen Gurke bietet. Aber darum geht es ja auch nicht, eher um die Frage, ob die Ausrichtung aller Klavier-Bauweisen am Klangideal des Konzertflügels nicht mal aufgegeben werden kann.

Das so als Anregung.... ;)

Es grüßt
Die Drahtkommode
 
Die Geschmäcker sind verschieden.
Ich habe hier über 200 Klaviere und Flügel stehen und da ist von glasklar bis butterweich alles dabei wobei ich sagen muß das ein klarer ( aber nicht klirriger ) Klang wesentlich öfter gewünscht wird.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Naja, aber es wird doch niemand gezwungen sich dem Geschmack zu unterwerfen,
es gibt neben z.B. Steinway und Yamaha auch Bösendorfer und Kawai.
 
Naja, KBM, die meisten Instrumente sind heute schon ziemlich auf Lautstärke getrimmt. Ich kenne keinen Hersteller, der das nicht zugibt - und witzigerweise bedauern das alle und würden es eigentlich am liebsten nur bei Flügeln über 220 machen wollen , aber der Verbraucher will es angeblich so. Immer mit Hinweis auf Steinway, die ja mit Ihrer Bühnen- und Studiopräsenz den Geschmack diktieren würden ... ;-)
 
Leider werden Klaviere oft wie Boxen ausgesucht - je mehr WUMM umso besser muss es sein. Man beobachte nur mal die Verkäufer und all die Pianisten, bzw. Möchtegernepianisten, die Instrumente im Laden anspielen. Es werden die lautesten Stücke gespielt. Es wird anscheinend getestet, ob nichts zu Bruche geht. Ähnlich eines Autokäufers, der bei der Probefahrt gleich mal auf die Autobahn düst um zu sehen ob der Wagen wirklich 200 Sachen macht ohne auffällig zu klappern. Kaum einmal kommt jemand auf die Idee, zu testen ob im Leisen Bereich die Mechanik sauber anspricht und der Ton nuanciert werden kann.

Es ist anscheinend ein allgemeines Übel, dass Produkte in erster Linie nach Höchstleistung untersucht werden. Die Beschreibungen aller möglicher Konsumgüter gehen in diese Richtung. Wasserdicht bis 10 Meter, bis zu 200 Stunden Akkuzeit, 12 bar Druck usw. usf. --- alles natürlich mehr als die Konkurrenz ---

Dieses Klafünf hier - hören sie - klingt das nicht wie ein Stein... - während das Kontra D mit eisener Kraft angegurkt wird. :-x

LG
Michael
 
Zuerst einmal ist es sicher so, dass die moderen Klaviere und Flügel komplett andere Klangvorstellungen bedienen, als historische Instrumente.
Da tun sich hier ja auch immer Grabenkämpfe auf.
Ich persönlich finde den Klang und die Spielart von z.B eines Tafelklaviers, Hammerflügels oder Flügel mit Wiener Mechanik interessant und gewöhnungsbedürftig.
Sie würden jedoch nicht meinen Vorstellungen eines Klavieres oder Flügels entsprechen.
Alle haben ihre Berechtigung, aber ich mag die Kraft, die hinter dem "modernen" Klavierklang steht.

Die Raumakustik hat auf den Klang ja auch einen starken Einfluss.
Bei uns im Laden ist die Akustik in meinen Augen suboptimal.
Die Instrumente klingen *hüstel* recht brilliant.
Wenn ich früh genug bei der Arbeit bin, spiele ich mich sehr gerne morgens durch die Flügelabteilung und wähle meinen Favoriten des Tages aus :D *träum von einem Lottogewinn*.
Trotzdem sind mir eigentlich alle Instrumente etwas zu knallig.
Wenn einer unserer Gestellungsflügel im Laden gestimmt werden muss, dann ist er mir zu hart. In unserem Lager, in dem eine wesentlich sanftere Akustik herrscht, finde ich ihn wunderbar.
Letztendlich ist es wesentlich leichter Brillianz wegzunehmen und das Instrument schön weich, samtig, klar oder auch puffig zu intonieren, als schärfe draufzupacken.
Klar kann man mit Tränke arbeiten, aber ich versuche das zu vermeiden.
Ich denke, dass die Instrumente beim Kunden entsprechend der jeweiligen Raumakustik und den Vorlieben des Kunden angepasst werden sollten.
Sicherlich würde ich einem Liebhaber der weichen Klänge eher einen Blüthner, als ein Yamaha empfehlen, aber ich habe auch schon hässlich scheppernde Blüthner und wunderschön runde Yamahas gehört und gespielt.

LG Fine
 

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