Künstler <-> Pädagoge?

die brillanteste Erläuterung zu einem Roman, die brillanteste Bilderklärung eine Kunsthistorikers, die brillanteste instrumentale Interpretation wird meiner Ansicht nach nicht von "Künstlern" geliefert.
Bei den Kunsthistorikern und Literaturkritikern - mag sein, da die Texte ja oft auch kein Kunstwerk sein wollen, sondern sich ja als Sachtexte begreifen und die Autoren sich meist wohl eher als Wissenschaftler oder Intellektuelle verstanden wissen wollen. Wobei ich mir Kunstinterpretation oder auch Literaturkritik mit künstlerischem Eigenwert durchaus auch vorstellen könnte.
Aber Schauspieler und musikalische Interpreten empfinde ich schon als Künstler, weil ja Theater und Musik (übrigens auch Ballett wie ich finde) im Gegensatz zu bildender Kunst oder Literatur Kunstformen sind, die sich erst in der Darbietung überhaupt vollständig entfalten. Ein Theaterstück auf Papier ist etwas anderes als ein inszeniertes Bühnenstück und eine Partitur ohne Konzert eigentlich - ja was? Eine Skizze? Ein Drehbuch? Ein Drehbuch ist ja auch nicht DER Film und die Verwirklichung des Drehbuchs eine künstlerische Leistung.

Was wären Berufsmusiker sonst? :denken: Handwerker? Aber ein Handwerker, der sich so differenziert um Ausdruck bemüht, wäre ja schon wieder ein Künstler, oder?
 
Mein erster KL war übrigens so sehr Künstler, dass er sich auch im Unterricht am liebsten selbst spielen hörte. Da war ich als Schülerin hauptsächlich als ehrfürchtige Zuhörerin gefragt. Statt Schülervorspiel durften alle seine Schüler zu seinem Konzert...

Mein Gitarrenlehrer dagegen, der sich als relativer Späteinsteiger im Studium in der Vollblut Künstler Community nicht so recht wohl fühlte und nicht mit Konzerten glänzte, war ein hingebungsvoller Lehrer.

Also gibt vermutlich alle Varianten.. verallgemeinern finde ich da relativ sinnlos...
Ich selbst brauche auch keinen Unterricht auf allerhöchstem künstlerischen Niveau (ein Musikstudium im entsprechenden Instrument ist doch eine tolle Qualifikation und Berufsziel KL fände ich auch total ehrenhaft!), wichtiger ist mir die Begeisterung für Musik und pädagogisches Interesse. Aber wenn meine KL ein Konzert gibt, geh ich natürlich auch gern hin...
 
Zuletzt bearbeitet:
Gibt es KL, die eigentlich gerne konzertierende Pianisten mit Karriere geworden wären - aber sie waren nicht gut genug? Dann bleibt nur noch unterrichten. (Arme Kinder!)
Die gibt es mit Sicherheit nicht selten. Allerdings kann man allen Kandidat(inn)en, die sich nur deshalb der Aufgabe des Unterrichtens zugewandt haben, weil man da vermeintlich weniger am Instrument können muss, eines mit Gewissheit bescheinigen: nämlich als Lehrkraft ebenfalls definitiv nichts zu taugen. Wer zum Versager geboren ist, bleibt ein Versager, egal welchen Job er wählt. Peng, aus.

Deshalb sollte man nicht warten, bis man sich als Versager profiliert hat, um sich dann der nächsten Aufgabe zuzuwenden, um dort erneut zu versagen. Sinnvoller ist es, so frühzeitig wie möglich eigene Stärken und Schwächen ehrlich und selbstkritisch zu ermitteln und die Stärken mit positiver Substanz auszubauen - mit Engagement, Fachkompetenz und Erfahrung. Zu nichts nütze zu sein und trotzdem komfortabel durchs Leben zu kommen, das ist im Jahre 2021 allein dem Berufsstand des Politikers vorbehalten.

Auskunft eines Schul-Musiklehrers über die KL: wenn die den ganzen Tag Schülergeklimper hören müssen, haben sie die Schnauze voll und werden hinterher nicht mehr für sich selbst üben. - Ich frage mich nur, wie sie ihre Schüler motivieren wollen, wenn sie selbst keine Lust mehr am Musizieren haben.
Möge Gott mir, der faulen Sau, meine tollen Ausreden erhalten. Halleluja!

Eigenes Erlebnis aus einer Lebensphase, in der ich schwerpunktmäßig als professioneller Unterhaltungspianist aktiv war. War eine schöne Zeit, die ich nicht missen möchte, die Engagements machten Spaß und man verdiente ganz gut - auch wenn mir meine heutigen Jobs noch mehr Freude machen. Eines Tages erreichte mich die Anfrage, mit Befristung für einen Kollegen in einem großen Hotel zu spielen, dem der Wechsel an eine bekannte Adresse in der Schweiz gelungen war. Der Kollege wollte mich nicht nur telefonisch, sondern auch mal persönlich kennen lernen. Ich verschwieg, dass mich der Barchef des Hotels im Jahr zuvor versucht hatte, mich an meiner aktuellen Hauptwirkungsstätte abzuwerben. Als es ums Finanzielle ging, nahmen die Verhandlungen seinerzeit ein sehr schnelles Ende. Sei's drum, geschenkt, also begab ich mich in das Hotel und fand in einer ziemlich bleiernen Atmosphäre einen lustlos vor sich hin klimpernden Pianospieler vor, der mich mit den Worten "Boah, ist das ein Scheißjob hier" und einer kräftigen Whisky-Fahne begrüßte, ohne einem vorher erst mal die Tageszeit zu verraten. Ach ja, als er damals in meinem Alter war, habe er auch noch gerne Klavier gespielt, behauptete er etwas später. Vermutlich waren aus seiner Sicht auch schlecht klimpernde Kollegen schuld an seiner Bocklosigkeit und seiner schlechten Laune. Ich werde mich nach Kräften bemühen, diese Ausrede ab sofort so häufig wie möglich zu benutzen. Selbst hier lernt man tagtäglich dazu. Man merke: ein jeder ist zu irgendetwas zu gebrauchen - notfalls taugt er als schlechtes Beispiel. Wer den "Scheißjob" nachher übernommen hat, weiß ich allerdings nicht. Hätte mich das seinerzeit brennend interessiert, wüsste ich das vermutlich.

Der nächste KL spielte im Unterricht immer alles vor, war auch Cello-, Oboen - und Klarinettenlehrer, ein Vollblutmusiker und Flüchtling aus Prag. (...) Er machte Aufnahmen für den Rundfunk, einen kleinen Teil seiner Aufnahmen kann heute im Internet heruntergeladen werden (ca. 1968, mono).
Sein Name war Alfons Kade (1912-1984), ausführliche Lebensdaten sind leicht zu finden und die Aufnahmen entstanden zumeist für das Landesstudio Tübingen des einstigen Südwestfunks Baden-Baden.

LG von Rheinkultur
 
Mich hat dieser Faden im wahrsten Sinne des Wortes nicht schlafen lassen.
Für mich ist ein Künstler eine Art Katalysator, der Dinge erschafft oder interpretiert, um mir als Konsumenten etwas Neues zu zeigen, eine neue Perspektive zu vermitteln oder mich für einen bestimmten Aspekt meiner Umwelt zu sensibilisieren. Nach den meisten Konzerten/ Ausstellungen denke ich: War ja ganz nett. Und dann gibt es noch diese ganz besonderen Momente, in denen es Kunst schafft mich tief zu berühren- jeder Ton genau so sein muss wie er ist, oder ein Bild zu ganz tiefer Harmonie führt.

Interessanterweise unterscheidet sich die Wirkung von meinem Klavierunterricht von meinem Verständnis von Kunst kaum. Der Unterschied liegt darin, dass ich im Unterricht nicht passiver Konsument bin, sondern aktiv am Geschehen beteiligt werde. Aber auch dort gibt es "magische" Momente tiefer Erkenntnis (manchmal auch die neue Fähigkeit eine weitere Dimension der eigenen Inkompetenz wahrzunehmen). Im Gegensatz zur Kunst entsteht dieser Effekt aber innerhalb eines sehr intimen Rahmens zwischen Lehrer und Schüler und aus der Handlung heraus und nicht durch ein abgeschlossenes Werk, geschaffen mit der Intention "Kunst" zu erzeugen. Somit ist die Frage, ob es sich hierbei überhaupt um Kunst handeln kann.
Allerdings bin ich davon überzeugt, dass die Fähigkeit eines Lehrers den Schüler individuell zu begleiten und ihn über das eigentliche Tastenspiel hinaus diese (seltenen) Erlebnisse zu ermöglichen genau der Unterschied zwischen gutem und sehr guten Unterricht ausmacht.
 
Also gibt vermutlich alle Varianten.. verallgemeinern finde ich da relativ sinnlos...

Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass sich das im Lauf des Lebens ändert.

Ein junger Musiker und Lehrer, der auch in einer Band spielt oder als Pianist auftritt, kann es durchaus mit dem Alter schätzen, dass er um 18:00 Uhr Feierabend hat und deshalb kein schlechter Lehrer sein.

Wichtig finde ich allerdings schon, dass er prinzipiell auf hohem Niveau spielen kann. Dieses "oh ist das schön, ich will auch so gut spielen können" ist ein ganz wesentlicher Teil meiner Motivation.
 
Ich danke euch für eure (selbst auf Seite 3!) so sachlichen und total interessanten Beiträge! Es freut mich, dass hier so spannende und teilweise sich widersprechende Ansichten herrschen.

bei mir auch, aber meine Frage betrifft, was man unter dem Begriff "Künstler" versteht. ...
Meiner unmaßgeblichen Ansicht nach sollte dieser Begriff für diejenigen reserviert bleiben, die tatsächlich schöpferisch-kreativ tätig sind
Ich glaube, die Frage, was ein Künstler ist, ist für die Fragestellung des Fadens zentral. Tatsächlich habe ich mich das erste Mal, als ich bei einem Klavierabend als "die Künstlerin" angesprochen wurde, auch etwas gewundert, denn "Künstler" waren für mich immer bildende Künstler. Maler, Bildhauer etc.

Wenn ich nun darüber nachdenke, bedingen einen Künstler in meinen Augen drei Dinge:
1. Fantasie
2. Kreativität
3. Eine "Vision" und Ausdruckswille

Diese drei Dinge hängen natürlich zusammen. Fantasie sind die gegenständlich gewordenen Vorstellungen im Oberstübchen. Bilder, Formen, Klänge, Zusammenhänge, Worte.
Kreativität ist so etwas ähnliches, ich bin nicht sicher, wie man das sinnvoll abgrenzen kann - aber Kreativität geht für mich noch etwas weiter. Sie lässt sich auch auf das eigene Handeln anwenden, z.B. um Probleme und Fragestellungen zu lösen, Sachverhalte aus verschiedenen Blickwinkeln darzustellen (sehr wichtig fürs Unterrichten) etc.
Und die "Vision" ist quasi der Sinn hinter dem Ganzen. Das, was "Mehr" ist als nur bloßes Drücken der Tasten bei Beachtung der Dynamikeinzeichnung. Das dahinterschauen und (interpretierende) Verstehen dessen, was man vor sich hat.

@chiarina Wunderbarer Beitrag von dir!! Vollste Zustimmung! Ich verstehe, wie oben dargelegt, einen Künstler nicht ausschließlich als "aktuell ausübend konzertierenden Musiker". Sondern so:
das künstlerische Sein! Die Suche nach immer neuen Lösungen, nach Weiterentwicklung, nach immer neuen kreativen Zugängen, die stetige (Weiter-) Bildung nicht nur der Pianistik, sondern der eigenen Persönlichkeit, des Hörens, des Musikverständnisses, die Neugier auf das, was man noch nicht kennt und weiß...

Vielleicht - wenn ich so darüber nachdenke -, muss ein Künstler zumindest an sich selbst ein Pädagoge sein, denn er muss sich ja quasi selbst unterrichten.

Ist das Unterrichten für den künstlerischen Weg hinderlich?
Das hat chiarina oben beantwortet - nein, grundsätzlich ist es nicht hinderlich. Es sei denn, man unterrichtet so viel, dass man selbst nicht mehr zum üben kommt... :003:
Alles, was man erklärt und in seine Einzelteile zerlegt, nimmt man selbst noch einmal anders wahr. Das ist immer hilfreich.

ABER es gibt auch - selten wirklich gut! - den Instinktmusiker, der - aus welchen Quellen auch immer! - unbewusst gestaltet.
Das glaube ich auch! Ich vermute, Martha Argerich ist so eine. Und ich denke, ein gewisses intuitives Musikverständnis hat jeder Profimusiker. Durch Unterricht wird es geschärft, gerichtet, kultiviert, vertieft, erklärt.
Ich habe auch sehr lange eher intuitiv gespielt und wusste nicht genau, was ich da eigentlich mache. Das ging aber nur bis zu einem gewissen Grad und ließ mich außerdem im Dunkeln darüber, wie ich mich weiterentwickeln kann.
Ich hatte vor meinem Studium einen ziemlich erfolgreichen Klavierlehrer, der nicht mehr spielte
Das wichtige Wort ist hier "nicht mehr". Jemand, der niemals sehr gut Klavier gespielt hat, wird kaum Schüler unterrichten, die weit über seinem (ehemaligen) Niveau sind. Damit meine ich nicht unbedingt die technische Perfektion, sondern das genaue hören und das Formverständnis im Kleinen und Großen. Ausnahmen dürften hier höchstens Musiker anderer Instrumente sein (Dirigenten, Geiger,...)
Dass man nicht dauerhaft konzertieren und unterrichten muss, steht für mich außer Frage.
 
Das Pandämonium der Philister.
 
Ich glaube, die Frage, was ein Künstler ist, ist für die Fragestellung des Fadens zentral.
Für mich ist ein Künstler jemand, der:
Eine Idee hat
eine Idee hat
eine Idee hat
und das Handwerkszeug besitzt, sie lebendig zu machen.

Ich war mal in einem Museum mit Skulpturen verschiedener Meister. Alle waren aus Marmor, viele waren wunderbar echt dargestellt und nur eine hat gelebt. Sie war von Michelangelo. Das Faszinierende daran war, dass ich mit nichts erklären konnte, warum genau diese Skulptur gelebt hat. Und das meine ich mit Idee.
Die Idee ist der Funke. Ohne den ist nix künstlerisch.
Peng. Aus. ;-)
 
Für mich ist ein Künstler jemand, der:
Eine Idee hat
eine Idee hat
eine Idee hat
und das Handwerkszeug besitzt, sie lebendig zu machen.

Ich war mal in einem Museum mit Skulpturen verschiedener Meister. Alle waren aus Marmor, viele waren wunderbar echt dargestellt und nur eine hat gelebt. Sie war von Michelangelo. Das Faszinierende daran war, dass ich mit nichts erklären konnte, warum genau diese Skulptur gelebt hat. Und das meine ich mit Idee.
Die Idee ist der Funke. Ohne den ist nix künstlerisch.
Peng. Aus. ;-)

Liebe Tastatula,

die Idee in den Vordergrund zu stellen, gefällt mir sehr! Was du mit Idee meinst, hat Michelangelo, von dem ich ein riesengroßer Fan bin, so ausgedrückt: "Die Idee liegt im Inneren eingeschlossen. Alles, was du tun musst, ist, den überschüssigen Stein zu entfernen."

Michelangelo war meines Erachtens tatsächlich ein Genie, ein ganz besonderer Künstler. Und doch bin ich mir sicher, dass auch Donatello, ebenfalls sehr bedeutend, und andere Zeitgenossen eine Idee und die nötigen Fähigkeiten zur Realisierung hatten (ich weiß jetzt nicht, welche Statuen in deinem Museum noch standen). Idee und Idee unterscheiden sich in ihrer Qualität und Realisierung - eine Idee an sich macht noch keine Kunst, sie kann auch Mist sein. :D Michelangelo hatte eine besonders klare, neue und geniale Vorstellung einer Skulptur und besaß ein hervorragendes Handwerkszeug.

Dann liegt ein Kunstwerk auch immer im Auge des Betrachters, wie sehr es berührt und "ob es lebt". Vielleicht hätten andere Besucher des Museums eine andere Wahl getroffen. Aber - und da stimme ich dir sehr zu -, ohne eine Idee kann kein Kunstwerk entstehen.

Im Falle einer Interpretation kann das eine sehr klare Klangvorstellung sein, eine Idee von der klanglichen Realisierung des Notentextes, eine Idee von Ausdruck, Tempo etc. sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man ohne eine Idee Klavierspielen kann. Auch fürs Unterrichten brauche ich Ideen (Konzeption, Problemlösungen, Methodik...). Ideen entstehen aus dem Innern, aus Wissen verknüpft mit Intuition und Kreativität.

Die künstlerische Qualität einer Idee muss sich dann aber erst zeigen.

Liebe Grüße

chiarina
 
Ist in der Musik Künstler nur derjenige, der öffentlich auftritt? Natürlich macht die „Rampensau“ auf den ersten Blick mehr her. Aber hat jeder, der die Öffentlichkeit sucht, auch wirklich etwas mitzuteilen?

Anders gefragt: Ist derjenige, der mit seinen Schülern (und für sich selber) am Klang und an der geistigen Durchdringung eines Musikstücks arbeitet, weniger künstlerisch tätig als der konzertierende Musiker?

Ich kenne eine Reihe ernstzunehmender Musiker, für die das öffentlich Auftreten eine Pein ist (Lampenfieber etc.) und die in der Vermittlung von Musik und von spielerischen Fertigkeiten Wertvolles leisten.

Frage an die konzertierenden Pianist*#_Innen unter Euch: Wenn Ihr Euch mental und übetechnisch auf einen Konzertauftritt vorbereitet und Ihr froh seid für jede Stunde, die Ihr Euch mit Eurem Repertoire beschäftigen könnt - ist in dem Augenblick der Schüler nicht einfach nur ein lästiger Störfaktor? (Konzertierende Hochschulprofessoren „delegieren“ ihre Arbeit dann gerne an „Assistenten“.)
 

Ich sehe kein Problem, die "darstellende" = performative Kunst als Kunst, den interpretierenden Kunstmenschen prinzipiell als künstlerisch Schaffenden zu sehen. Interpretieren ist halt was anderes wie Komponieren. Sehe auch keinen Anlass, das zu ordnen. Bin mir sicher, der Herr Mozart war ein größerer Künstler, als ich es je werden kann. Aber der Herr Buchbinder ist zugleich ein größerer Künstler als der Herr Einaudi. In meiner Wertschätzung.

Wenn im Darstellenden, Performativen der Schlüssel bei der/dem interpretierenden Künstler:in liegt – spannende Frage: Ist es Kunst, wenn es niemand hört?
 
die Idee in den Vordergrund zu stellen, gefällt mir sehr! Was du mit Idee meinst, hat Michelangelo, von dem ich ein riesengroßer Fan bin, so ausgedrückt: "Die Idee liegt im Inneren eingeschlossen. Alles, was du tun musst, ist, den überschüssigen Stein zu entfernen."

Michelangelo war meines Erachtens tatsächlich ein Genie, ein ganz besonderer Künstler.
"Saachense mal...", fragt der Hauptmann einen Rekruten, als die Kompanie vollzählig auf dem Kasernenhof zum Morgenappell angetreten war, "...wat hamse eijentlich zivil jemacht?" - "Ich habe Philosophie studiert!" - "Doll!!! Dann wissense doch sicher, wat ne Idee is, oder nich?" - "Doch, Herr Hauptmann: Der große Philosoph Platon verstand unter einer Idee das Urbild des unvollkommenen Abbildes eines jeglichen irdischen Dinges!" - "Ausjezeichnet! Dann haltense ab sofort Ihr Jewehr jefällichst ne Idee höher!!!"

Mit praktischer oder falsch angewandter Philosophie kenne ich mich besser aus. Im Zweifelsfalle muss ich immer fragen, ob das Kunst ist oder ob der Scheiß weg kann.

Wenn im Darstellenden, Performativen der Schlüssel bei der/dem interpretierenden Künstler:in liegt – spannende Frage: Ist es Kunst, wenn es niemand hört?
Ich bin Spezialist für Infra- und Ultraschall-Tonkunst: die von mir verwendeten Töne sind so tief und so hoch, dass man sie gar nicht hören kann. Nur riechen, glaube ich. Aber Beethoven war auch so taub, dass er sein Leben lang dachte, er sei Mahler, ääääh, Maler!!!

Schon früher war ich der geborene Kaufmann, aber inzwischen habe ich dazugelernt: Früher habe ich die Leute nur für dumm verkauft. Heute verkaufe ich sie für dumm und dämlich. Soll mal keiner behaupten, unsereiner sei nicht lernfähig.

LG von Rheinkultur
 
Ich denke, ein weiterer Aspekt, in welchem Maße etwas "Kunst" ist oder in welchem Maße jemand ein "Künstler" ist oder nicht, würde ich mal so ausdrücken: Künstlerischer Wert verhält sich reziprok zu der Bereitschaft, das Schaffen dem ökonomischen Prinzip unterzordnen, d.h. Kunst stellt keine Fragen, ob Aufwand oder auch die erforderliche Anstrengung und ein wie auch immer definierter Nutzen in irgendeinem sinnvollen Verhältnis zueinander stehen, wenn es denn einen solchen "Nutzen" überhaupt braucht.

Ähnliches gilt auch für das Konformitätsprinzip, je weniger darauf abgezielt wird, die mutmaßlichen Erwartungen irgendeiner Zielgruppe zu erfüllen, desto eher ist es Kunst. Schon die Vorab-Existenz einer Zielgruppe ist eigentlich schon ein Gegenindikator dafür, dass es sich um "reine" Kunst handelt, da dies den Künstler eines Teils seiner Entfaltungsmöglichkeiten beraubt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ohne zu sehr ablenken zu wollen @Stilblüte : Martha Argerich wurde als Kind von


durch den Wolf gedreht. Danach dann von Gulda. Da ist nix mit "unbewusst gestalten".
 
Es gibt immer, bei jeder kreativen Tätigkeit, Anteile von Umbewusstem. Früher nannte man das „Kuss der Muse“, heute weiß man, dass der „Inspiration“ ein komplexes Geflecht neurophysiologischer Vorgänge zugrunde liegt, das keineswegs bis ins Letzte bewusst steuerbar ist. Dies wird u.a. im Buch „Das wohltemperierte Gehirn“ deutlich.

Sicherlich lässt sich eine möglichst große Bewusstwerdung anstreben, und darin liegt ja auch künstlerische Arbeit, aber das Unbewusste, Unkontrollierbare wird es immer geben, zumindest in kleinen Anteilen.
 
Ich muss hier mal ein paar Antithesen in den Raum stellen:
Kunst ohne sozialen Kontext gibt es nicht.
Wenn ich im stillen Kämmerlein sitze und mich als Künstler phantasiere, dann entstehen vielleicht Trance und Extase, aber keine Kunst. Dazu muss etwas hervorgebracht werden und da zählt dann nicht nur Intention, sondern auch die Umsetzung, denn es bedarf auch eines Gegenübers, das dann möglicherweise kritisch dazu Stellung nimmt. (Rabulistisch kann man argumentieren, dass dieses Gegenüber auch ein zukünftiges Ich sein kann, für mich ist ein anderer notwendig und sei es in einer Unterrichtssituation).
Also auch bei Anton Webern: wenn er seine Kopfkompositionen nicht niederschreibt oder hervorbringt, dann wird es nicht Kunst.
Die Idee einer reinen Kunst ist ein unerreichbares Ideal, letzlich gibt es immer Adressaten, da es immer auch um Kommunikation geht. Kunst ist immer auch analog zu Sprache zu verstehen. Spannend ist, dass Neues gesagt werden kann, aber ebenso neue Sprache entwickelt werden kann.
Den
mutmaßlichen Erwartungen irgendeiner Zielgruppe
zu entsprechen bedeutet, die Ausdrucksmöglichkeiten nicht weiterzuentwickeln und in leicht verständlichen und konsumierbaren Sprachfloskeln zu verharren. Das ist aber etwas anderes als die Existenz einer Zielgruppe, die es immer gibt.
 

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