Klimperer spielt aus dem Orgelbüchlein

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17. Aug. 2009
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Liebe Freunde,

Ich habe heute vormittag die Gelegenheit genutzt, aus Bachs Orgelbüchlein zwei meiner Lieblingspräludien zu "Wer nur den lieben Gott lässt walten" aufzunehmen, die ich morgen im Gottesdienst spielen will. Da ich diese zwei Präludien schon seit Jahren spiele, also relativ sicher draufhabe, und morgen Invokavit ist, mit dem Thema Versuchung und Glaubensgewissheit, dachte ich mir: die passen ganz gut hinein - und wenn du schon dabei bist, nimm doch mal die Kamera zum Üben mit. (Eine Panasonic Lumix FZ35, also nicht wirklich geeignet - aber was soll's, eine andere habe ich nicht.)

Ein kurzer Vorspann zeigt die Architektur und Innengestaltung unserer Kirche. Ich hoffe, all denjenigen, die schon mal danach gefragt hatten, verleiht dies einen kleinen Einblick in Klimperers Orgelwelt:

http://www.youtube.com/watch?v=v97Gwir-Vus

Ich hatte übrigens schon wieder eine Meldung, dass möglicherweise Copyright-Konflikt besteht, mit einer gewissen "Music Publishing Rights Collecting Society". (Unfassbar, das hört doch jeder, dass das selbstgemacht ist...) Lasst mich bitte wissen, ob das Video in Deutschland zu sehen ist!

Fehlerfrei ist das Spiel noch lange nicht, aber darauf ziele ich als Laienorganist auch nicht so sehr hin. Auch im Spiel barocker Verzierungen bin ich nach drei Jahren Orgelunterricht und 22 Jahren Autodidaktik nicht versiert - ich versuche halt, es gesanglich zu gestalten.

Es ist in erster Linie eingestellt, Interessierten eine Kostprobe zu geben, aber für Kommentare bin ich natürlich auch offen.

Erstes Präludium, manualiter:
HW
Gedackt 8'
SW
Rohrflöte 8'
Koppelflöte 4'
Zwei der Aliquoten als Sesquialter-Kombination (Nasard 2.2/3' und Terz 1.3/5')
Tremulant

Zweites Präludium, tutti:
HW
Prinzipal 8'
Oktave 4'
Mixtur vierfach
Ped.
Subbass 16'
Prinzipal 8'
Choralbass 4'
Koppel Ped.-HW

Viel Spaß beim Zuschauen und -hören.

Ciao,
Mark
 
Habe mich schon lange darauf gefreut, dich an einer südafrikanischen Orgel hören und sehen zu können!

Es ist solide gespielt und die Leute werden sich darüber freuen morgen, genauso wich ich eben auch, denke ich!

Zuerst hatte ich mich etwas gewundert - das Orgelbüchllein enthält nur ein Choralvorspiel über "Wer nur den lieben Gott lässt walten" (und alle Stücke sind pedaliter). In meiner Bärenreiter-Ausgabe ist das manualiter-Choralvorspiel unter den einzeln überlieferten Choralvorspielen unter BWV691 aufgeführt. Was Tempo angeht, ist es natürlich hochgradig Geschmacksache. Jedoch empfinde ich sowohl das Orgelbüchlein-Stück als auch z.B. den wunderschönen Schübler-Choral über dasselbe Lied eher als rel. "fröhlliches" Lied (das OB-Stück hast du auch so gespielt, aber ich frage mich, ob das nicht auch für das manualitere-Stück gelten könnte/sollte). Auf der anderen Seite gebe ich dir recht, dass BWV691 viele Verzierungen enthält, die eher für eine langsamere Version sprechen. Allerdings meine ich, es könnte schon ein bissel mehr Drive vertragen, die manualiter-Version. Auf der anderen Seite passt es ja in diesem Stil gespielt, mit Tremulanten, auch jetzt in die Passionszeit. Manche Wendungen erinnern mich an "Oh Haupt..." aus dem Orgelbüchlein.

Der Orgelklang gefällt mir auch sehr gut.

Ein paar Beobachtungen möchte ich mitteilen:

Nach meinem Dafürhalten sitzt du viel zu tief. Ein Orgelprofessor gab mir den Tipp, dass die Beine frei baumeln können sollten, ohne jegliche Anspannung. Man soll nicht quasi die Beine anziehen müssen. Egal wie groß man ist, und in welcher Höhe die Manuale sind: die Bank so einstellen, dass die Beine frei baumeln können und man ohne Anspannung z.B. beim manualiter-Spiel die Beine unten lassen kann.
Zumindest mir hatte der Tipp geholfen. Seitdem habe ich immer ein Maßband dabei, und stelle an einer fremden Orgel meinen persönlichen Optimalabstand mittleres Pedal-d bis Oberkante Orgelbank auf 59-60cm ein. Dann brauche ich nicht mehr hin- und her testen. Probiere es mal auf - ist erst mal Umgewöhnung, aber es sieht bei dir ziemlich niedrig aus. Es sieht so aus, als ob 4 zweckentfremdete Gesangbücher von der Dicke her bei dir unter der Orgelbank gute Hilfe leisten könnten.:D

Man könnte sich überlegen, z.B. auch die Innenstimmen, selbst die Melodie vom Orgelbüchlein-"Wer nur..." mehr zu artikulieren, jeden Ton etwas absetzen. Aber natürlich auch hier alles Geschmacksache. (und vielleicht geht es dir wie mir, dass eigene Aufnahmen immer stärker legato klingen als man es am Spieltisch empfindet).
Koppel Pedal-HW bedeutet natürlich, dass der Pedalklang sehr ähnlich dem HW-Manualklang ist. Wenn es irgend geht, versuche ich, möglichst unabhängige Klänge zu erhalten. Z.B. Pedal-SW, aber vielleicht ist das hier ungeeignet, keine entsprechenden Register auf SW da?
Nur weil du barocke Verzierungen ansprachst - in meiner Bärenreiter-Ausgabe ist beim manualiter Choralvorspiel in Takt2 in der Melodie auf dem Fermatenton ein Schleifer von oben, was bedeutet, dass man das "fis" noch ca. einen halben Notenwert reinziehen kann in das "e". Genau dasselbe im vorletzten Takt, Melodie das "a", dort ist ein Schleifer von unten eingezeichnet, man könnte das "gis" auch noch reinziehen in das "a", also das "a" nur eine 16-tel-Note lang, und darauf noch die Verzierung.

Danke für die Einspielung, und viel Freude morgen beim GD!

PS: Also ich hatte keine Copyright-Probleme beim Öffnen. Was für ein Schwachsinn, jetzt darf man wohl privat nicht mal mehr Bach einstellen oder was... :rolleyes:
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hallo MB,

Danke für die Antwort. Ich werde mich gelegentlich eingehender mit ihr befassen - jetzt erstmal den Kleinen in die Heia bringen, und dann etwas grillen!

Nur kurz auf's Erste:

Ich habe schon unter beiden Füßen der Orgelbank zwei Brettchen hineingelegt... Die Bank ist leider sehr tief. Wenn ich da noch viel mehr drunterlege, steht es nicht mehr sehr sicher. Ich muss aber auch dazusagen, dass ich, wenn ich sie noch viel höher stellen würde, mit dem Hacken die Pedaltasten nicht mehr sehr gut erreichen würde. Ich habe es gern so, dass der gesamte Fuß beim Hackenton auf der Taste liegen kann, ohne dass mir die Bank in den Oberschenkel kneift.

Zudem habe ich sehr lange Beine, aber einen relativ kürzeren Oberkörper... Die Bank kann konstruktionsbedingt nicht näher an die Orgel. Wenn ich sie noch höher setzte, müsste ich mir noch weiter vorbeugen, um gescheit "in die Tasten" spielen zu können.

Nicht wirklich gemütlich, aber ist halt die einzige Bank, die wir haben.

Die anderen Punkte lese ich mir gelegentlich durch!

Ein schönes Restwochenende (bzw. guten Wochenanfang) wünscht
Mark
 
Hallo Mark,

Bravo und danke für das Video!
Ich wusste gar nicht, dass Du auch Orgel spielst. Wie viele Instrumente kannst Du denn noch spielen? :o

LG
Michael
 
Hallo,

@ Michael:
Danke! Neben Orgel und Klavier kommen auf regelmäßiger Basis Tuba (wöchentlich im Posaunenchor der Kirchengemeinde), Geige und Bratsche hinzu. Früher habe ich auch Blockflöte, Trompete und Euphonium gespielt. Nur zur Gitarre hat's nie gereicht - ich bringe es nicht auf die Reihe, 6 Saiten gleichzeitig zu bedienen.:p Das Klavier ist mittlerweile nach Tuba und Orgel mein Drittinstrument.

@ Mindenblues:

Du hattest natürlich recht mit der Zuordnung der ersten Bearbeitung, BWV 691. Ich spiele nämlich aus “J.S. Bach, Orgelwerke V, Urtext”, Edition Peters, herausgegeben von F.C. Griepenkerl und F. Roitzsch. Im Vorwort vermerkte Griepenkerl im September 1846:

Die kurzen Choralbearbeitungen, welche den Anfang machen, sind größtenteils dem sogenannten “Orgelbüchlein” entnommen...

und später:

Da Bach selbst auf die Reihenfolge kein Gewicht gelegt hat, so duften wir sie, zur Erleichterung des Aufschlagens, nach dem Alphabet verändern; und da das Autograph auch in keiner Weise Anspruch auf unauflöslichen Zusammenhang und Vollständigkeit macht, so war uns gestattet, noch andere, in der Form ähnliche kurze Choralbearbeitungen, die sonst in keiner Verbindung standen, hier ein[zu]fügen (sic), wenn sie auch zum Teil ohne obligates Pedal waren. Ohnehin dürfte man für sie kaum eine passende Stelle finden können.

Solch eine der letztgenannten ist offensichtlich BWV 691, der sich übrigens unmittelbar BWV 690 anschließt, und dann erst BWV 642 aus dem Orgelbüchlein.

Zum Tempo: ich hatte die Absicht, es getragen zu spielen, aber beim Selber-anhören der Aufnahme muss ich sagen, dass es vielleicht zuviel des Guten war. (Nach “getragen” kommt “Tragbahre”.)

Die Verzierungen werde ich mir gelegentlich nochmal anschauen.

Gruß,
Mark
P.S.: und danke, der GD war gut.
 
Da Bach selbst auf die Reihenfolge kein Gewicht gelegt hat, so duften wir sie, zur Erleichterung des Aufschlagens, nach dem Alphabet verändern; und da das Autograph auch in keiner Weise Anspruch auf unauflöslichen Zusammenhang und Vollständigkeit macht, so war uns gestattet, noch andere, in der Form ähnliche kurze Choralbearbeitungen, die sonst in keiner Verbindung standen, hier ein[zu]fügen (sic), wenn sie auch zum Teil ohne obligates Pedal waren. Ohnehin dürfte man für sie kaum eine passende Stelle finden können.

Ich krieg sooooo einen dicken Hals, wenn ich das lese. Bach hat die Choräle im Orgelbüchlein exakt nach dem Kirchenjahr ausgerichtet, und die Herren Herausgeber aus dem 19.Jhds. meinten, herauslesen zu können, dass Bach auf die Reihenfolge kein Gewicht gelegt hätte....:rolleyes:
Ich glaube, mittlerweile haben alle Herausgeber sich wieder auf die von Bach gewollte Reihenfolge im Orgelbüchlein besonnen.

Wegen Orgelbank usw. folgt eine PN.
 
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Ich dachte mir doch schon fast, dass Bach da nicht völlig ohne System geschrieben hatte.

Aber es kommt noch besser im oben erwähnten Vorwort. Ich hab's zwar gerade nicht zur Hand, aber frei nach Gedächtnis: dort macht Griepenkerl die Kirchentonarten, mit Ausnahme des Ionischen und Aeolischen, als "misslungene Versuche" herab, die sich nicht wie Dur und Moll durchsetzen konnten, und schreibt des weiteren, allein durch seine Harmonisierungen/Verarbeitungen verleihe Bach ihnen ein gewisses Existenzrecht bzw. Format.

Naja, er wird's gewusst haben.:D

PN wird gleich beantwortet.

Ciao,
Mark
 
Hallo MB,

Welche Gestalt nehmen die von dir besagten "Schleifer" an? Hast du vielleicht ein Bild da?

In meiner Ausgabe sind die jeweiligen Töne schlicht mittels eines Bindebogens verbunden.

Ciao,
Mark
 
Welche Gestalt nehmen die von dir besagten "Schleifer" an? Hast du vielleicht ein Bild da?

In meiner Ausgabe sind die jeweiligen Töne schlicht mittels eines Bindebogens verbunden.

Hallo Mark,

ein Bild habe ich nicht zur Hand. Die Schleifer können je nach Ausgabe sehr ähnlich oder im schlimmsten Fall gleich einem Bindebogen aussehen, in meiner NBA-Ausgabe sind sie aber unterscheidbar. Ein prominentes Beispiel aus dem Orgelbüchlein ist "O Mensch bewein...", cantus firmus z.B. Takt 5 (Zählung ohne Auftakt) und Takt 6 (dort 2 Schleifer) (in der Ausgabe von IMSLP ist es schwerer zu unterscheiden, aber irgendwie doch auch erkennbar). Viele spielen sie so, dass die vorherige Note noch für die halbe Zählzeit der neuen Note gehalten wird. Meine Orgellehrerin wollte gerne, dass bei Schleifern die Note etwas weniger als die halbe Zählzeit gehalten wird, also asynchron zum Takt. Fällt mir sehr schwer, gefällt mir aber auch viel besser, wirkt nicht so starr dadurch.
 
Ah, OK, ich hab's mir grad auf IMSLP angeschaut. Dass das kein Bindebogen ist, ist klar, zumal er über den Noten sitzt aber trotzdem nach unten durchgebogen ist.

Und früher hielt ich so viel auf Ed. Peters...

Meine Mutter hat ein Buch mit Facsimiles der handschriftlichen Urtexte, wovon sie mir einige kopiert und gerahmt geschenkt hat (hängen bei mir im Wohn- und Musikzimmer und sind, bis auf einen Läufer, der einzige Wandschmuck). "O Mensch, bewein" ist leider nicht dabei.

Ich schau mir heut abend nochmal diese Beispiel aus "O Mensch" in meiner Ausgabe an.
 
Meine Mutter hat ein Buch mit Facsimiles der handschriftlichen Urtexte, wovon sie mir einige kopiert und gerahmt geschenkt hat (hängen bei mir im Wohn- und Musikzimmer und sind, bis auf einen Läufer, der einzige Wandschmuck). "O Mensch, bewein" ist leider nicht dabei.

Hier ist ein Link auf den Autographen von "O Mensch", BWV622:

Bach Digital Autograph O Mensch

Man kann hereinzoomen und die Schleifer sind ganz gut zu erkennen.
Leider gibt es so wenige Autographen von Bach, aber auf der Seite
Bach Digital
sind wohl die wenigen vorhandenen auch allgemein abrufbar.
Für mich gehört die Noten-Handschrift Bachs zu der schönsten, die ich bisher gesehen habe. Wie aus einem Guß, schöne Schwünge, einfach ästhetisch, genauso wie die Musik selber...
Schöne Idee, sie als gerahmte Bilder an der Wand zu haben.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

Danke dir, MB - wieder was dazugelernt. Ich werde mich heut abend mal etwas dichter vor die Wohnzimmerwand stellen.;)
 

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