"Klavierspielen beginnt im Kopf"

F

Franz

Guest

Eine übergeordnete Frage, die ich mir immer wieder stelle heißt:
Wie kann ich die Stücke, den Übungsstoff im Unterricht so aufbereiten und vorbereiten, dass der Schüler zu Hause gern daran arbeitet.

Ich möchte einen Aspekt herausgreifen. Erfahrungsgemäß besteht eine große Barriere im Lernen eines neuen Notentextes. Selbst wenn der Schüler einigermaßen Noten lesen kann, ist das Einstudieren eines neuen Stückes in der Anfangsphase für viele eine Plage. Da helfen natürlich auch CDs, wie Klavier-Stunde es empfohlen hat.

Wie hier schon erwähnt, verlange ich, dass das Lernen neuer Notentexte mit "Hirnschmalz" angegeangen wird.

Deshalb beginnen wir in aller Regel mit ein bischen "Gehirnjogging". ("Reflexion" nach Leimer/Gieseking - Modernes Klavierspiel) Das heißt, der Schüler lernt einen Abschnitt des neuen Stückes lesend auswendig bevor er spielt. Dabei wird der Notentext analysiert und logisch durchdacht.

Nehmen wir als Beispiel Musette D-Dur aus dem Notenbüchlein für Anna Magnalena.

Nachdem wir das Stück grob analysiert haben (Takt, Tonart, Tonleitern, Dreiklänge, Sprünge), nehmen wir uns die ersten 8 Takte der rechten Hand vor. Der Schüler liest laut die Noten der ersten beiten Takte vor. (A,G,Fis,E,D,...) Sofort danach verdecke ich die Noten mit einem Blatt Papier und lasse den Schüler die Noten auswendig sagen. In diesem Beispiel ist das leicht, denn die fünf Tonleitertöne sind gut zu erfassen. Auch die Takte 3 und 4 werden kein Problem sein, wenn der Schüler den D-Dur Dreiklang am Ende des Abschnitts erkennt. So lernt der Schüler die Noten der 8 Takte Abschnitt für Abschnitt auswendig bis er sie fehlerfrei aufsagen kann.

Der Rhythmus wird wenn nötig geklatscht, die Fingersätze werden nochmal auf den Noten angeschaut und dann kann der Schüler den Abschnitt spielen - entweder zuerst nochmal nach Noten, oder gleich auswendig.

Diese Arbeit ist zwar zunächst recht anstrengend, macht den Schüler aber hellwach, denn er muss dabei voll konzentriert sein, er hat eigentlich keine Chance an etwas anderes zu denken, als an die Noten.

Die Ergebnisse sind nach meiner Erfahrung immer wieder bemerkenswert. Oft gelingt der gelernte Abschnitt sofort fehlerfrei, ohne viele stumpfsinnige Wiederholungen und man kann sich sofort der musikalischen Gestaltung widmen.

Hinweis: Natürlich "traktiere" ich die armen Schüler nicht die ganze Stunde mit solchem Hirntraining. Der Unterricht darf nie "kopflastig" werden, 10 - 15 Min. "Gehirnjogging" in den Klavierstunden beschleunigen den Fortschritt nach meiner Erfahrung enorm.
 
Mit diesem Gedanken ist eng verknüpft, dass man das Klavierspielen auch „wirklich will“ und weiß in welche Richtung man gehen soll. Daher macht es eigentlich keinen Sinn, wenn man dem Schüler Stücke aufzwingt, da meistens mit 10 Jahren und aufwärts langsam Interessen bewusst geweckt werden und dementsprechend auch Abneigungen.

Ich denke, so pauschal gibt es keine passable Methode die auf jeden Schüler funktionieren wird. Menschen sind ja keine Maschinen, die in ein Schema passen. Das ist wohl das wichtigste, dass man kein Schema entwickelt und es willkürlich für jeden Menschen-Typ verwendet. Vielmehr sollte eine Lehrkraft, nach meiner Meinung, den Schüler zuerst studieren und ihn kennen lernen und dann aus einem bestehenden Schema Elemente benutzen und individuell zusammenstellen. Ich würde, bin klar gesagt kein Musiklehrer, wie folgt vorgehen:

1. Äußere Erscheinungen studieren; Wie groß ist das Interesse, Wieso Klavier und nicht Geige, etc.
2. Neigungen und Interessen abchecken; Welche Musikrichtung, Mehr rhythmischer oder harmonische Mensch, etc.
3. Langsam zum Kern vordringen; Eltern fragen wie er übt, wie lange etc.
4. nach den ersten Monaten ein Fazit ziehen; Bsp.: In wie fern es überhaupt Sinn macht, etc.

Das Problem sehe ich darin, dass viele Schüler eigentlich nur geringes Interesse mitbringen und aus meiner Ausbildung weiß ich, dass ein Interesse nur sehr schwer im Verlauf (Zeitspanne) geändert, gesteigert wird.

Da kann man noch so viel pädagogisch drehen und umwälzen, wenn das Interesse zu schwach ist, dann sollte eine Neuorientierung statt finden. Spart Energie und Zeit...
 
Heglandio, das ist ein sehr wichtiger Gesichtspunkt! Sind die Probleme beim Erlernen eines Stücks Folge eines technischen oder Verständnisproblems, oder ist es einfach mangelndes Interesse am Stück oder mangelndes Interesse am Klavierspielen überhaupt? Bei mangelndem Interesse sollte man schon versuchen, durch entsprechende Stückauswahl das Interesse zu wecken. Manchmal klappt's, manchmal klappt's auch nicht.

In den anderen Fällen hört sich die von Franz Titscher vorgeschlagene Herangehensweise schon interessant an. Persönlich bin ich zwar eher Anhänger der intuitiven Methode (Noten aufklappen und losspielen) aber für's Auswendiglernen ist die analytische Methode sicher hervorragend.
 
@ Franz

Was muss denn der Schüler beim Punkt "Tonleitern" angeben? Die gesamte D-Dur-Tonleiter aufsagen oder alle Phrasen im Text auffinden, die länger als 2 Töne sind und einen kontinuierlichen Ausschnitt der D-Dur-Tonleiter darstellen? Und was ist zum Punkt "Sprünge" zu sagen? Sollen alle Intervalle benannt werden?
 
Danke, Franz für Deine ausführliche Zusammenfassung. Üben mit Kopf, - ich denke, damit kommen wir der Lösung des Problems schon näher, warum das nicht für alle Schüler selbstverständlich ist.
Die Methode Leimer/Gieseking finde ich sehr gut, aber unter Berücksichtigung der unterschiedlichen (auch intellektuellen) Begabungen nicht auf alle Schüler anwendbar.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass vor allem diejenigen Schüler zu Hause richtig mit Köpfchen üben, für die eben das Üben mit Köpfchen keine allzu große Belastung darstellt. Kinder werden heute leider immer mehr dazu erzogen, Problemen aus dem Weg zu gehen, anstatt sich ihnen zu stellen. So werden die meisten lieber vier Takte solange in Endlosschleife üben bis sie funktionieren, anstatt sich die zwei oder drei Töne vorzunehmen, die wirklich das Problem darstellen. Außerdem kann man dann ja von sich behaupten, die vier Takte eine halbe Stunde lang geübt und somit sein zeitliches Übungspensum erfüllt zu haben.
Ich denke, dass das Üben mit der Stoppuhr leider noch immer sehr beliebt ist, weil der Irrtum besteht, dass langes Üben automatisch gutes Üben bedeutet. Einer der häufigen Fehler, die Lehrer machen besteht darin, ein zeitliches Übungspensum vorzugeben. Ich versuche, meine Schüler so zu erziehen, dass das tägliches Übungspensum dann erfüllt ist, wenn sie erreicht haben, was sie sich für diesen Tag vorgenommen haben. Viele beginnen dann automatisch „mit Köpfchen“ zu üben.
 
Ich finde diese Übemethode sehr bemerkenswert. Habe ja versprochen, sie mal auszuprobieren.
In den nächsten Ferien (noch eine Woche- Juhu;)) Habe ich dafür mal richtig Zeit.
Gibt es noch andere geeignete Stücke? Das hier angehängte habe ich nämlich schon gespielt, weiß also wie es klingt.
Da ist der Effekt ja dahin...

wäre sehr freundlich.

lieben Gruß

Stilblüte
 
Der Schüler hat also ein Wochenziel vom Lehrer gestellt bekommen?
 
Es gibt einfach eine konkrete "Hausübung" von einer Klavierstunde bis zur nächsten. Wenn jemand eine Fleißaufgabe macht, bin ich natürlich nicht böse.
 
@pianomobile
Ich finde die Idee mit der Zielstellung von Woche zu Woche sehr gut. Eigentlich ja auch naheliegend, aber bei uns bisher so nicht praktiziert. Meine Tochter hat mehrere Stücke, an denen sie in verschiedenen Stadien rumwerkelt. Das zieht sich relativ unstrukturiert und mal mehr und mal weniger zäh dahin. Irgendwann ist eins dann "fertig", und das nächste rückt nach. Mittlerweile routinemäßig und widerspruchslos jeden Tag 'ne halbe Stunde – aber das war's dann auch. Vielleicht sollte ich mal eine gewisse Neuerung einbringen.:cool:

Nachtrag:
Allerdings hat sie in den letzten Jahren schon bedeutend mehr Stücke hinter sich gebracht als ich – und ich übe 'ne geschlagene Stunde täglich. Was soll man da noch sagen ...
 

Wer übt schon gern ins Blaue hinein?

Der Mensch ist doch im generellen erst dann motiviert, wenn er ein Ziel hat. Ziellos sein heißt in den meisten Fällen auch motivationslos sein. Dies ist beim Klavierspielen ebenso. Gebe ich dem Schüler kein konkretes Ziel, so kann ich mir sicher sein, dass er sinnlos statt sinnhaft übt.
Man muss da noch langfristige und kurzfristige Ziele unterscheiden. Zwar kann ein Vorspiel für einen Schüler motivierend sein, doch wenn es erst in 4 Wochen ist, wird er dennoch nicht zielgerichtet üben, weil es einfach zu weit weg ist. Deshalb die kurzfristigen Ziele, auch Zwischenetappen genannt: Übeaufgabe bis nächste Woche: z.B. jede Hand einzeln spielen können... Natürlich sollten die Ziele auch realisierbar sein. Das kann ein Anfänger zunächst schwer einschätzen, deshalb hilft der Lehrer bei der Zielsetzung. Gemeinsam Ziele setzen und dann in der nächsten Woche auch darüber reden, ob und wie diese erreicht oder nicht erreicht wurden.

Zum Thema "Üben mit Köpfchen": Einer der Klavierprofs an der FH macht dies mit seinen Studenten. Er lässt sie erst die Stücke analysieren, bevor sie sie spielen. Mit dem Ergebnis, dass sie diese schneller und vor allem "stabiler" auswendig beherrschen und auch beim Vorspielen sicherer und selbstbewusster auftreten.

Am Anfang erscheint diese Methode mühselig und zeitaufwendig - das ist sie aber keineswegs. Letztens habe ich das mit einer Etüde von Moszkowsky gemacht - ich habe sie harmonisch analysiert und gleich von Anfang an auswendig gelernt (natürlich abschnittsweise). - Ich kann sie noch heute :D !!

Einige Methoden zum Auswendiglernen:

1. Das Stück in Einzelteile schneiden (je nachdem 1/2 Takte oder eine Phrase) - und wieder zusammensetzen
2. Ein Einzelteil nehmen - anschauen - gedanklich spielen (innerlich hören) - auswendig auf dem Klavier spielen - variantenreich üben/absichern
3. Das ganze Stück im "Kopf" spielen - nachhaken: denn meist sind die Teile, die man sich nicht vorstellen kann, die unsichersten

Durch diese Methoden fängt man das Stück auch nicht immer wieder von vorne an zu üben. Immer wieder von vorn beginnen, würde nämlich zur Folge haben, dass der Anfang super beherrscht wird, es aber gegen Ende immer unsicherer wird.

Außerdem: Wenn ich den Notentext im Kopf habe, bleibt viel mehr Raum für die musikalische Interpretation.
 
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@snowdrop83

Ich sehe das zuerst einmal auch fundamentaler. Wenn der Schüler sich nicht 100% berufen fühlt, dem Klavierspielen alles zu widmen, dann ist keine Leidenschaft, kein entfachtes Feuer im Raum. Auswirkungen sind oft Trägheit, Faulheit, Ideenlosigkeit, Interesselosigkeit etc.

Meine These sagt mir immer noch, dass jemand der 100% da ist, sowohl geistig/intellektuell wie auch körperlich/physisch, automatisch sich hinterfragt, wie man am schnellsten ein Ziel erreicht und wo man konkret ansetzen muss. Ich glaube, dann läuft das sogar ziemlich instinktiv!

Bsp.: Eine junge Schülerin übt über mehrere Takte hinweg und stolpert bei drei Tönen. Sie ist hoch motiviert und sowohl geistig wie körperlich 110% da. Was macht sie? Sie wird sicherlich nicht die Takte davor oder danach zu tode spielen, aber den eigentlich Stolper-Takt auslassen? oder gehen wir von Ausnahmefällen aus? oder anders formuliert: habt ihr in der Praxis viele solcher Schüler?

Beste Grüsse:

Heglandio
 
Schüler, der zu 100% geistig/körperlich da ist und noch dazu motiviert ist. - Denke, das ist wirklich die Ausnahme. Von meinen derzeit 24 Schülern würde ich nur eine Einzige dort zuordnen: Sie übt mehr als sie soll, nimmt alles an, was ich sage und hat einfach unglaublich viel Freude an der Musik. Eine "hochbegabte" Schülerin meiner Lehrerin wäre auch in diese "Schublade" zu stecken - ihre Eltern sind Musiker und noch dazu wurde sie jahrelang von einer russischen Pädagogin gedrillt - was ihrer Freude an der Musik dennoch keinen Abbruch tat - sie übt mit viel Eifer und Freude - und macht riesen Fortschritte!

Bei all meinen Schülern ist schon ein gewisses Interesse da - dennoch besitzen sie noch nicht die verstandesmäßige Reife, um effektiv üben zu können.

Ich kenne folgende "motivierte" und interessierte Schüler:

1. Schüler, die motiviert sind, aber träge im Denken. Sie brauchen für alles etwas mehr Zeit - aber sie üben meist beständiger und regelmäßiger.

2. Schüler, die sehr intelligent sind, aber denen bisher alles zugeflogen ist (super Noten in der Schule etc.) - und die somit irgendwann an eine Grenze im Unterricht stoßen, an der es nicht mehr ohne effektives Üben geht. Und ich kann nur sagen - bis der Knoten geplatzt ist, können Jahre vergehen...

Es gibt Schüler, die nehmen die Hinweise des Lehrers an und eben Schüler, die meinen, sie könnten es auch so schaffen. Trotzdem müssen beide Schülertypen das Üben lernen - ganz von selbst, glaube ich, schaffen sie's dann doch nicht...

Ich denke, die meisten Schüler heutzutage sind psychisch nicht stabil - viele Scheidungskinder, einsame alleingelassene Kinder , Kinder aus sozialschwachen Familien; Kinder, denen Gewalt (psychisch oder physisch) angetan wurde etc. - Es sind viele Faktoren, warum Kinder nicht hochmotiviert an eine Sache herangehen können - viele zweifeln an sich selbst, sind sehr verschlossen, haben ein gestörtes Selbstbild - alles Dinge, die einer guten Vorstellung am Klavier im Wege stehen - denn zum Musizieren gehört eine gehörige Portion Selbstwertgefühl und ein seelisches Gleichgewicht unbedingt dazu. Tja, und ein seelisch gesunder Mensch ist hierzulande echt eine Ausnahme.
 
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