Ich formulier die Frage nochmal ganz klar:
Gibt es Fälle, in denen drei Sitzungen um eine Stimmung hinzukriegen gerechtfertigt sind? Könnte bei mir so ein Fall vorliegen?
Und ich antworte mal ganz klar: Nein! Am ersten Tag hochreißen und nach einigen Wochen nochmal neu stimmen und gut is.
Zum Thema lockere Wirbel durch gerissenem Stimmstock: an solchen Klavieren fängt man am besten erst gar nicht an zu stimmen. Oder es ist grenzwertig und man versucht es zumindest nochmal und das sagt man dem Kunden dann auch genau so. Ich benutze dabei gerne den Begriff letzte Ölung, das versteht jeder sofort.
Zu dem Zenderklavier: ich denke, der Kollege hat das mit den 3 Terminen nur gesagt, um zu unterstreichen, dass es sich nicht mehr lohnt überhaupt noch irgendwas zu machen. Aber wie ich das verstanden habe, wird auf dem Klavier ja noch gepielt bzw. geklimpert? Wenn es dir reicht: okay. Aber du hattest den Klavierbauer ja selbst gefragt, ob man es verbessern könne, also scheinst du ja nicht so ganz zufrieden zu sein. Es scheint so zu sein, dass Klavierbauer und Klavierspieler komplett verschiedene Sichtweisen haben. Der Klavierbauer sieht, was alles kaputt ist und welcher Aufwand nötig ist, es zu beheben. Der Spieler sieht nur sein Klavier und hat sich an alles (un-)mögliche gewöhnt, so dass der Klavierbauer nur mit dem Kopf schütteln kann.
Den krassesten Fall hatte ich mit einem Kunden, der nur gelegentlich spielte. Der hatte ein altes Klavier, das extrem desolat war. Alle Mechanikschrauben total locker, so dass die Hämmer die Choire gar nicht mehr treffen konnten. Regulierung dermaßen daneben, dass die Dämpfer vor den Hämmern abhoben (den 3 Km Schnabelluft sei Dank!). Die scharzen Tasten versanken beim Drücken unter den weißen Tasten und die Stimmung klang so, als ob jemand mit der Axt reingehauen hätte. Ach ja, habe ich erwähnt, dass es auf Fußbodenheizung stand? Kurzum: ein klarer Fall von völliger Verwahrlosung und eigentlich ein klarer Fall für die Inobhutnahme durch das Klavieramt! Aber so was gibt es ja nicht, also sah ich es als meine Pflicht an, tätig zu werden.
Aaaaber: erstaunlicherweise war das Klavier keine Ruine, nur halt verwahrlost. Ich habe den Kunden darauf hingewiesen, was alles zu machen wäre, wie teuer, welcher Erfolg zu erwarten wäre usw. Der Kunde hat gedacht, dass ich ihn völlig abzocken wollte. Ja, ja, red du nur und schwatz mir eine unnötige Reparatur auf. Ich kenn euch Brüder doch! Außerdem kenn ich mich selber aus, schließlich hatte ich auch Musik in der Schule!
Das ist jetzt der Punkt, wo jeder Kollege anders reagiert und seine eigene Firmenpolitik hat. Manche denken: nein, an solchen Gurken arbeite ich überhaut nicht. Andere sagen: ich stimme es nur, wenn ich vorher zumindest die Schrauben festgezogen habe und notdürftig vorreguliert habe. Und ich habe mich entschlossen, eine Stimmung reinzuschmeißen, das Geld zu kassieren, weit weit weg zu rennen und den Kunden auf seinem liebgewonnenen Teil weiter so klimpern zu lassen. Ich muss den Kunden nicht bekehren oder zu seinem Glück zwingen und ich muss ihm auch nichts aufschwatzen.
Kann das sein, dass dein Zender so ähnlich im Zustand ist? Ich hab letze Woche ein Zender gestimmt, das auch zu tief war. Ich habe es hochgezerrt und dem Kunden gesagt, dass es in einigen Wochen nochmal gestimmt werden sollte (erfahrungsgemäß melden sich solche Hochstimmkunden übrigens erst nach 2 Jahren wieder). Und ich habe dem Kunden geraten, ansonsten kein Geld zu inverstieren. Obwohl es nötig gewesen wäre, einiges zu tun. Aber wenn ich bedenke, was ich hätte berechnen müssen, da ist es einfach ehrlicher, dem Kunden davon abzuraten. Ein weiteres Zender hab ich übrigens selber mal verkauft. War wenig gespielt. Ich habe das übliche daran gemacht und dann für 1.200 Euro inkl. Transport und Stimmung verkauft. Das nur mal zur Relation, um was für Klaviere es sich handelt. Kommen übrigens aus England.