Exotismen und Orientalismen
hallo,
trotz aller Begeisterung für diese effektvolle "Showpiece" möchte ich auf ein paar Umstände hinweisen, die meiner Ansicht nach von der gewollt effektvollen Klavierbehandlung übertönt werden:
"Exotik" in der Musik war ja nichts ganz so neues, man denke an die "Janitscharenmusik" bei Mozart (Sonate KV 331, Entführung aus dem Serail) - als Balakirev seine Fantasie komponierte, konnte er Verdis 1871 uraufgeführte Oper Aida noch nicht kennen :) und vermutlich waren die Noten der ein paar Jahre zuvor in Paris uraufgeführten Oper Don Carlo ihm ebenfalls nicht bekannt; allerdings überarbeitete er später seine Fantasie, und da er - entgegen seiner propagierten Theoreme - ein sehr gebildeter und gelehrter Komponist und zudem ein exzellenter Panist war, wird er Verdis Opern sicher nach seiner Erstfassung der Fantasie gekannt haben. In Don Carlo findet sich die "maurische" Arie der Eboli - in Aida findet sich spätromantisch "ägyptisches" ----- im weitesten Sinne handelt es sich hier um Stilisierungen, die unter den Namen "Orientalismen" und "Exotismen" bekannt sind. Im 19. Jh. beruhen diese noch nicht wie später bei Bartok auf quasi volkskundlichen Forschungen, sondern sie bedienen sich spezieller alterierter Tonleitern, die ganz allgemein für "exotisches" bzw. "nicht europäisches" verwendet wurden: bei Liszt werden solche Skalen zu zigeunerisch-ungarischem, bei Verdi zu maurischem oder ägyptischen, bei Delibes zu indischem (die Oper Lakme) - und Balakirev setzt dieselbe Sorte alterierter Skalen für "kaukasisches" und "islamisches" (meint er damit arabisches?) ein. Dur-Moll Wechsel, übermäßige Intervalle usw., im wesentlichen eine variabel eingesetzte "Zigeunertonleiter", die ggf auch statt 7 sogar 8 Töne haben kann.
Debussys Ganztonleitern und Bartoks rumänische und ungarische Rhythmen haben mit den Exotismen des 19. Jh. nichts zu tun, sie basieren auf ganz anderen Grundlagen (was jetzt nicht erörtert werden muss)
was mir im Kontext mit Liszt, Verdi, Delibes auffällt, ist folgendes: Balakirevs Fantasie nähert sich einem allgemeinen "Salonmusiktonfall", der aber nicht als Ironie verstanden werden kann: die Salonromantik (und etwas gekünstelte "Liszt-Imitation") des Mittelteils ist gewollt. Und die ritornellhafte Thematik der Außenteile wird allein durch motorisch-pianistischen Elan getragen. Negativ formuliert: ein Virtuosenstück, welches ein gängiges Muster (allgemein exotische Skale) effektvoll durcharbeitet und einen allgemeinen, irgendwie beliebigen Titel beansprucht (orientalisch kann ja allerhand sein, und wo in dem Klavierstück der Islam zu finden ist, dürfte sich nicht beantworten lassen) --- mein Verdacht: ein "reisserischer" Titel für eine geschickt gesetzte "Showpiece", evtl verwandt sind Klavierstücke von Gottschalk (wenn man diese als "amerikanisch" sehen will)
als Indizien: überzeugender, schlicht gekonnter wirken diese Techniken bei Verdi (und der Vergleich hinkt nicht allzusehr: wie Islamey ein Virtuosenstück für Klavier ist, so ist die maurische Arie ein Virtuosenstück für Sopran)
---- die "Islamey-Begeisterten" mögen mir bitte nicht zürnen, ich will auch niemanden von dem Stück abhalten (ich spiele es ja selber), aber ich würde mich freuen, wenn man die Anregung aufgreifen würde, vergleichbares aus der Musik des 19. Jh. wahrzunehmen um eben Islamey besser kennen lernen zu können: mit den Stärken und Schwächen, die zu dieser Komposition gehören. Ich bin überzeugt, dass man das Stück weder manuell noch musikalisch überschätzen sollte: die "sarmatische Wildheit", welche Bülow ihm attestiert hat, die ungeheuere Schwierigkeit hat es nicht; ebensowenig hat es ungewöhnliche manuelle oder musikalische Techniken.
problemlos spielbar ist das natürlich nicht, es ist ein typisches "Virtuosenstück", allerdings keines von den allerschlimmsten! zu "interpretieren" gibt es da nicht viel, zu "üben" durchaus :)
liebe Grüße, Rolf