hallo,
ebenso wie sich Hörgewohnheiten, Hörerwartungen und Interpretationsstile (oder Moden) im Lauf der Zeit ändern, haben sich seit Mozarts Tagen die "Klaviere" geändert.
Die Entwicklung von stabileren Instrumenten mit gußeisernem Rahmen fällt grob gesagt in die Zeit der "technischen Revolution" und ins beginnende "Idustriezeitalter". So merkwürdig es scheint, aber Atlantikkabel, gezogene Artillerie, Evolutionstheorie, Eisenbahn, Konzertflügel, Romantik, "Das Kapital" u.v.a sind quasi "Zeitgenossen". Ebenso wie sich die Eisenbahntechnik im 19. Jh. rasant veränderte, änderten sich die Klaviere.
Nachgebaute, restaurierte sowie modifiziert restaurierte Instrumente aus nahezu allen Jahrzehnten von 1780-1900 sind vorhanden - und sie alle sind von unterschiedlicher Qualität. Es gab entsetzlich viele verschiedene Hersteller und es gab noch keine Normen: weder die Anzahl der Tasten, noch die Stimmung der Saiten (heute a = 440) waren normiert.
Ein sehr großer klanglicher Unterschied besteht zwischen Instrumenten mit Leder- und mit Filzhämmern. Beethovens Broadwoodflügel z.B. klingt anders als ein Pleyel oder Erard, auf dem Chopin in den 40er Jahren spielte.
Bedenkt man, dass das frühe 19. Jh. so eine Art technisch-industrielles "Experimentierlabor" war, so wundert die Vielzahl der Instrumenttypen und -bauweisen nicht - und es gilt zu bedenken, dass auch damals ein heftiger Konkurrenzkampf auf dem Markt herrschte. Wie sich die Hersteller der Instrumente der "Virtuosenepoche" gegenseitig das Leben schwer machten, so verfuhren auch die "Virtuosen".
Den Herstellern war daran gelegen, nachweislich Instrumente zu bauen, die ein komplettes Liszt-Recital überlebten - Liszt war werbewirksam daran gelegen, dass zwei-drei Instrumente auf der Bühne herumstanden (weniger für den Fall, dass er eins kaputtspielte, als dass den Leuten diese Möglichkeit als Besonderheit dargeboten wurde...)
Verkürzt gesagt: die Klaviermusik ab einschließlich Chopin und Schumann wird auf einem modernen
flügel nicht völlig entstellt :) - es gibt natürlich Unterschiede mechanischer und klanglicher Art zwischen einem heutigen
steinway und einem Pleyel oder Erard von 1840: die Dämpfung damals reichte nicht so weit in den Diskant wie heute, sodass insgesamt ein etwas obertonreicherer "feuchterer" Klang entstand (bei Klavieren vor 1920 kann man das ebenfalls noch sehen/hören); erst ab 1840 gab es Instrumente, die bis zum Subcontra-A reichten, erst etwas später welche, die bis zum höchsten c reichten (z.B. in Beethovens Konzert c-Moll ist der Schluss eine Notlösung mangels tieferer Tasten: es ging da nur bis zum tiefen f - in op.111 notierte Beethoven das tiefere c, weil sein Instrument es zu dieser Zeit schon hatte). Auch war die Dauer der klingenden Töne nicht so lang wie heute, d.h. sie verklangen eher - bei schnellen Sachen kein auffälliges Problem.
Die Repetitionsmechanik wurde im 19. Jh. mehrmals verbessert, spätestens ab 1850 gab es Instrumente, die auch den extremsten Anforderungen an die spielerische wie instrumentale Tonrepetition genügten (egal ob Tarantella, Mephistowalzer, Rigolettoparaphrase, 6. Rhapsodie etc), ebenso laut genug waren, dass der Flügel in einem Klavierkonzert von Brahms oder Liszt nicht unterging.
Möglicherweise kann man aus Beethovens Klaviermusik manches über die Entwicklung des Instruments ablesen (Tonumfang, Verzicht auf manche Techniken wie rasante Repetitionen) - ob er für Instrumente komponierte, die es noch nicht gab, kann wohl niemand 100%ig entscheiden (aber mit op.106 hat für Spieler komponiert, die es 1818/19 noch nicht gab) :)
In Bayreuth steht ein Steinway mit 3 Pedalen von 1875 und ein Steingräber mit 2 Pedalen von 1856. Beide Instrumente spielen sich und klingen mehr oder weniger wie ein modernes Instrument: weder sind die Tasten schmaler, noch haben sie einen geringeren Tiefgang, sie gehen auch nicht leichter oder schwerer. Womöglich handelt bei diesen (und die Welt ist groß, es gibt noch mehr tolle Flügel und Klaviere aus dem 19. Jh.) um Spitzenprodukte der damaligen Zeit - na ja, Spitzenprodukte der damaligen Zeit sind ja auch die Klavierkompositionen von Schumann, Chopin, Liszt & Co. :)
"Pianinos" hatten im Vergleich zu "Pianoforte" / "Grand Piano" (Flügel kurzum) immer einen geringere Dynamik, aber natürlich verwendete man sie auch (Liszt unterrichtete seine an seinem Flügel spielenden Schüler gerne vom Pianino aus, da gibts sogar Fotos - ich "glaube", dass er am Klavier besser klang als von Bülow am Flügel... ok, das war jetzt ein klavierreligiöser Scherz quasi), nicht zuletzt aus Kostengründen.
Die Instrumente von Liszt also, oder grob gesagt der "Virtuosenepoche" unterscheiden sich nicht allzu gravierend von unseren - Liszt hatte es bei Repetitionen, Akkordpassagen etc nicht leichter als wir. Klaviere VOR der Romantik allerdings (auch das Cembalo) hatten oft leichtgängigere Tasten und geringeren Tastentiefgang. WAHRSCHEINLICH ist es sinnvoll, frühe Beethovensachen, Haydn, Mozart, Bachsöhne etc auch auf diesen, sich von heutigem Klang deutlich unterscheidenden Instrumenten zu spielen - bei der Romantik sind "Originalinstrumente" jedenfalls beim "technischen Industrieprodukt Klavier" nicht allzu nötig.
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Auf der Suche nach dem "Originalklang" gerade in für Zeiten, die ohne Aufnahmetechnik waren, ist sicherlich die Frage nach der Speilweise und auch nach dem Tempo relevanter. Vor dem Metronom und vor der Schallplatte: da häufen sich zahllose Zankgründe...
Infolge geringerer Probenzahlen und geringerer "Profidichte" spielten die Orchester des frühen 19. Jh. weitaus schlampiger als heute!! Da gibt es ein interessantes Experiment mit einem aus Hobbyinstrumentalisten und wenigen Profis zusammengesetzten Orchester, das unter der Leitung eines echten Dirigenten Griegs "Peer Gynt" aufgenommen hat - verblüffend!!!
Spielweisen: man hat wohl ungefähr vor 1870 weniger vibrato bei den Streichern eingesetzt, ja gar vibratolos gestrichen - auch das ergibt ein weniger süffiges, als eher strenges Klangbild (Karajan hätte da gekotzt...)
vor 1920 spielte man offenbar mit viel mehr Rubato, also viel ungleichmäßiger und schwankender als heute, wenn auch in Sachen Virtuosität auf demselben (wenn nicht gar höheren) Niveau - z.B. eine frühe Aufnahme vom jungen Arrau der orientalischen Fantasie (Balakirev) verblüfft in dieser Hinsicht.
Ich halte es insgesamt für richtig, allerlei Experimente bzgl. der Annahmen zum Originalklang anzustellen - diese aber trotz der ihnen innewohnenden erheblichen "Unschärferelation" als absolute Richtlinien zu bezeichnen, dürfte an der Sache vorbeigehen. ----
Originalklang/Originalinstrumente/Originaltempo/Originalspielweise - das ist wie die experimentelle Archäologie: spannend, interessant, erhellend, verblüffend - aber eben doch basierend auf den heutigen Vorstellungen (der Archäologe weiss nicht, wie es dem Fladenbrot backenden Kelten geschmeckt hat und wie er es genau gemacht hat, der Originalklangsucher weiss nicht, wo Chopin welches Rubato und wie gemacht hat)
pardon für die Ausführlichkeit und liebe Grüße,
Rolf