"Gemütszustand" beim Spielen von Bach

Holger

Holger

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Mein KL war wohl in der letzten Stunde mit meiner Interpretation ( und meinen Fehlern ) bei der Invention 8 nicht zufrieden. Direkt gesagt hat er aber nicht, was ihn stört, sondern meinte, ich solle lieber selber darauf kommen, wie ich mein Spiel verbessern kann, das würde mir mehr bringen. Dazu soll ich mir überlegen, wo der Unterschied ist beim Spielen von Bach und Mozart zum Beispiel - mein derzeit zweites Stück ist die C-Dur Sonate.
Er meinte, bei Bach müsse man in einem bestimmten Gemütszustand sein, um das gut zu spielen und gab mir ein Zitat von Sophie Scholl:
"Er bedeutet für mich immer mehr. Ich finde, er ist der beste Erzieher. Andere berauschen, sie heben einen weg in Gefühle. Bei Bach aber muss man große Beherrschung zum Spiel und zur Klarheit aufbringen; der Lohn ist, das man dabei selbst klar, und das schließt ja beherrscht ein, wird".

Nun bin ich aber eher ein nüchterner Typ. Wenn ich wissen will, wie etwas genau funktioniert, dann lese ich eine Anleitung. Ich bin mir natürlich bewusst, das Musik etwas ganz anderes ist als z.B. Softwareentwicklung, aber trotzdem.
Was meint ihr, wie kann man Begriffe wie Beherrschung und Klarheit in konkrete "Handlungsanweisungen" übersetzen, damit auch jemand wie ich das versteht?

Ich nehme an, dass er mir beim nächsten Mal wieder konkretere Tips geben würde, wenn ich das nicht umsetzen kann, aber wir sehen uns leider erst wieder in 4 Wochen, und das ist eine lange Zeit.

Ich bin übrigens "Späteinsteiger", habe mit ca 46 Jahren angefangen, bin jetzt 50 und spiele seit knapp 2 Jahren mit KL.

Holger
 
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Wenn er mit Klarheit und Beherrschung beispielsweise gemeint hat, es käme bei Bach unter anderem darauf an, die Invention nicht zu schnell und nicht zu mechanisch herunterzuhacken, sondern zu versuchen, die musikalisch korrekte Stimmführung herauszuarbeiten, dann hätte er das besser auch so formuliert.

Mit blumigen und interpretationsbedürftigen Anweisungen könnte ich auch nicht viel anfangen.

CW
 
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Bei der Stimmführung, vor allem in der linken Hand, habe ich in der Tat noch große Probleme. Und beim Rhythmus und ...
Wahrscheinlich meinte er das.
Bach spielen ist für mich richtig anstrengend.
Aber es macht Spaß.

Holger
 
Ich würde auf so ein Geschwätz nicht viel geben. Wenn er deine Fragen auch beim nächsten Mal nicht beantworten kann, dann passt das m.E. nicht. Ich erwarte im Unterricht sehr konkrete Hinweise. Außerdem ist das meist ein technisches Problem. Wenn man nicht sicher eine Stimme in dieser oder jener Art spielen kann (z.B. stacc./legato, laut/leise etc.), braucht man nicht langatmig über Interpretation zu schwadronieren, weil ja gar kein Spielraum dafür vorhanden ist. Das ist Zeitverschwendung und führt zu Verkrampfungen. Wenn Du sogar noch rhythmische Probleme hast...
 
Er meinte, bei Bach müsse man in einem bestimmten Gemütszustand sein, um das gut zu spielen
Darüber lässt sich streiten :-)

Aber bei deiner Aufnahme (erst mal Glückwunsch dazu) fallen mir persönlich ein paar Sachen auf.
Ich hab die 8. Invention auch erst vor ein paar Monaten geübt, daher hier meine Anmerkungen
  • Das Tempo ist nicht gleichmäßig
  • Die zweite Stimme geht ziemlich unter. Bei der 8. Invention handelt es sich zu Anfang und Ende um einen strengen Kanon, das muss auch entsprechend hervorgehoben werden - der Mittelteil ist freier in der Stimmführung
  • Bach wird zwar nicht romantisch gespielt, aber die ganze Dynamik wirkt bei dir doch zu flach
 
Hi,

mit den konkreten Hinweisen ist das so eine Sache. Die Grenze zum "Malen nach Zahlen" ist schnell überschritten. Ihr wollt doch selber spielen, und nicht nur ein Automat sein, der die Gedanken des KL umsetzt. Allerdings erfordert das Entwickeln und Umsetzen eigener Ideen natürlich, dass man die Möglichkeiten kennt. Insofern wird je nach Ausbildungsstand vielleicht auch eine engere Führung des Schülers sinnvoll sein.

Außerdem gibt es zwischen allzu genauen Spielanweisungen und allzu blumigen Umschreibungen ja auch Abstufungen. Jedenfalls hilft mir ein "Denk Dir diese Phrase so und so" oder "Stell Dir eine Oboe vor" durchaus.

Was das Zitat von Sophie Scholl angeht - hm. Das kann man so und so interpretieren. Nüchternheit und Klarheit. Das sind die Interpretationsansätze, die Bach bei vielen Zuhörern unbeliebt gemacht haben. Natürlich ist die Konstruktion einer Bach-Fuge faszinierend, man kann sie ganz rational untersuchen und würdigen. Nur beschränkt sich Bachs Kunst nicht darauf, und wer die anderen Aspekte seiner Musik unterdrückt, wird ihr nicht gerecht und verliert seine Zuhörer bis auf die wenigen, die niemals sagen würden, dass der Kaiser nackt ist.

Angela Hewitt sagt, dass alle Bach-Klavierstücke Tänze sind. Wenn man es nicht tanzen kann, macht man beim Spiel was falsch.

Außerdem ist Bach ein Barock- und ein zutiefst religiöser Mensch. Wie kann man, wenn man Bachs Vokal- und Orchestermusik kennt, auf die Idee kommen, ihn sich als Mathematiker vorzustellen, der mit Zirkel und Lineal seine Musik konstruiert!? Seine Musik ist opulent und von tiefen Gefühlen geprägt. Sie strahlt oder rührt zu Tränen. Seine Klaviermusik "leidet" vielleicht unter den Beschränkungen des Instruments, das halt nicht so schön weinen kann wie eine Geige oder gar eine menschliche Stimme. Damit muss man sich auseinandersetzen. Aber nicht durch Terrassendynamik und derlei. Trotzdem sind die Themen, auf denen er z. B. seine Fugen aufbaut, oftmals wunderschön und dann dürfen sie auch strahlen oder weinen.

"Seele, nicht Sohle" ist sicher der Spruch des Tages zum Pedaleinsatz. Ich bevorzuge auch, auf Pedaleinsatz zu verzichten, denn Klarheit in dem Sinne, dass die einzelnen Stimmen klar erkennbar bleiben, braucht es durchaus. Deswegen muss noch lange nicht kalt und nüchtern klingen.

Viel Spaß mit Bach. Ich liebe ihn.
 
Danke für deine Kritik, Ludwig.

Mit der Unabhängigkeit der Hände habe ich noch große Probleme. Meistens erhebt sich auch gleich die
rechte Hand, wenn ich die linke hervorheben möchte. Daran werde ich wohl noch lange arbeiten müssen.

Ist aber auch erst mein zweites polyphones Stück.
 
Ich finde, du bist auf einem guten Weg. Die Aufnahme sollte dir eigentlich auch zeigen, wo du es schwierig findest. Das kann man deutlich hören. Muss man natürlich wieder einzeln üben. Aber der Gesamtstand ist noch nicht soweit, daß man da großartig interpretieren könnte. Ein gutes Mittel ist es, mal deutlich zu beschleunigen (ca. +50%). Dabei wird sehr offensichtlich, was noch gar nicht geht. Das kann man dann wieder einzeln üben usw. Erst wenn Dir so ein Beschleunigungssprung mühelos gelingt, bist Du im vorigen Tempo locker und sicher genug gewesen. Und zum trennen der Hände empfiehlt es sich, sie zum einen einzeln, aber auch deutlich unterschiedlich zu spielen - z.B. eine legato, die andere staccato und dann umgekehrt. So entwickelt sich ein Gefühl für die Trennung.
 
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Hallo dilettant,

mein KL ist der Meinung, das es mehr Wert hat und mehr Freude bereitet, sich einige Dinge selbst zu erarbeiten statt es immer vorgegeben zu bekommen. In sofern stimmt er wohl mit deinem Ansatz überein.

Nur fühle ich mich manchmal damit überfordert, weil ich ja auch technisch noch ganz am Anfang stehe. Konkrete Tips, wie z.B. langsam spielen oder noch langsamer spielen oder zwischendurch das Metronom benutzen oder hier die Stimme forte zu spielen bekomme ich natürlich auch.

Er spricht häufig in Bilder und nutzt Metaphern.
 
Ein gutes Mittel ist es, mal deutlich zu beschleunigen (ca. +50%).
Das ist wohl nicht der richtige Weg. Besser wäre es, hier noch mal deutlich an Geschwindigkeit rauszunehmen - denn nur so gelingt es zu hören, wo genau es noch nicht läuft.

Bei hohen Geschwindigkeiten ist man schnell im Stress und merkt eigentlich nur, dass es noch gar nicht läuft.
 

Du hast es nicht verstanden! Dort steht: mal deutlich zu beschleunigen. Und Du wirst sehen: es ist nicht so, daß "gar nichts" geht. Teile werden ganz gut gehen, andere gar nicht. Außerdem hackt man das Teil nicht im hohen Tempo einfach durch, sondern nimmt sich Phrasen, Abschnitte udgl. vor. Man sollte halt mit Verstand üben.
 
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ThumbsUP,

Du hast recht, hab ich gerade ausprobiert. Die Schwächen treten viel deutlicher zu Tage. Da laufen die Stimmen dann nicht mal mehr synchron. :cry2:
 
so ist es! Und diese Schwierigkeiten muss man dann natürlich wieder langsam üben. Das nicht synchron laufen hängt i.d.R. mit Verspannung zusammen. Eine Hand oder bestimmte Fingerfolgen können dann einfach nicht so schnell, wie sie sollten. Also: langsam und mit wenig Kraft, bis die Bewegungen ganz locker laufen.

Mein schlauer KL sagt gern: "Die Finger machen sowieso nur, was sie können".
 
Ich werd euren Rat beherzigen und jetzt wieder die Stimmen einzeln üben und langsam.
Danke
 
Du koenntest beim Ueben einmal den Fokus darauf legen, dasz die Toene der beiden Stimmen, welche gleichzeitig erklingen muessen, auch genau gleichzeitig kommen, es also nicht "klappert". Dies wird Dich am Anfang zu einem langsameren Tempo zwingen, aber das macht nichts. Du kannst auch bewuszt versetzt spielen, links ein Zweiundreiszigestel vor der rechten Hand und dann genau umgekehrt (im sehr langsamen Tempo). Wenn die gleichzeitig erklingen muessenden Toene auch gleichzeitig kommen, ist mehr Klarheit da...
Jannis
 
Ich habe meinen Fokus gestern auf das Tempo gelegt. Man kann ja immer nur einen Aspekt aufmerksam beobachten.
Es war mir gar nicht aufgefallen, das Ich im vierten Takt das Tempo so stark erhöht habe. Also wieder das Metronom genommen, auf 56 eingestellt und den ersten Abschnitt gespielt. Hoffentlich kann ich das verinnerlichen.
Langsam wird mir klar, warum mir mein KL Beherrschung mit auf den Weg gegeben hat
 
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