Frédéric Chopin - Préludes op. 28

Ich bitte darum den Stil der Auseinandersetzung zu überdenken :rolleyes:

Man kann doch Argumente und Ansichten austauschen ohne seinem Gegenüber Geringschätzung, Hohn und dergleichen entgegenzubringen. Soll heißen es täte der Diskussion gut, wenn sie etwas sachlicher geführt würde.

lg marcus
 
Ich bin dabei - und war es auch jederzeit.

hallo,

zunächst mal: ich kann Stephans Haltung nachvollziehen.

was die Diskussion selber betrifft:
Chopin hat in den fraglichen Takten des e-Moll Preludes eindeutig "b" notiert, die "Korrektur" der Paderewski-Ausgabe des "b" in ein "ais" in Takt 23 ist eine heikle Angelegenheit: harmonisch ist die Korrektur richtig, editorisch schießt sie über das Ziel hinaus. Angemessen wäre eine Fußnote gewesen, welche die Problematik der Notation diskutieren hätte können.

allerdings erschließen sich diese Probleme erst vor dem Hintergrund der Entwicklung der Harmonik, wobei eindeutig festzustellen ist: jede Sorte Harmonielehre ist ein Deutungs- und Organisationsversuch nach den vollendeten Tatsachen! Wir haben es heute leicht, nach der Kenntnis der spätromantischen Harmonik bei Chopin, der gelegentlich vorausschauende Experimente in diese Richtung geleistet hat, seine Notation zu kritisieren - zwischen 1830-1840 sah das aber ganz anders aus. Und Chopins Expeditionen in die harmonische terra incognita der variablen, der instabilen, der leittönigen Harmonik sind eine immense Großtat!

Stephans Ansatz liegt jenseits, quasi nach der Diskussion der harmonischen Fragen (welche eo ipso auch Fragen der Notationsweise nach sich ziehen). Seine Deutung ist in gar keinem Fall abzulehnen - sie ist kritisch und skeptisch zu diskutieren. Und so eine Diskussion sollte ohne sprachliche Animositäten gelingen können. Der Gegenstand der Diskussion ist schlichtweg zu schade für ein rhetorisches Verdümpeln.

Die 24 Preludes sind in vielerlei Hinsicht ein epochales Werk, nicht weniger epochal als das wohltemperierte Klavier, späte Beethovensonaten, eine Lisztsonate oder Wagnersche Tristanharmonik oder Schumannsche Zyklen. Das mag krass erscheinen, und natürlich sind verschiedene Perspektiven möglich und diskutierenswert. Die 24 Preludes befinden sich auf einer Grenze: sind sie ein geschlossener Zyklus, oder sind sie eine Sammlung? Und diese Frage zu entscheiden traue ich mir nicht zu - ich kann lediglich meinen Eindruck mitteilen und bin bereit, ihn argumentativ zu stützen: ich halte sie für keinen geschlossenen Zyklus. Aber ich halte diese Frage dennoch für offen! Eine Sammlung von "Skizzen, Adlerfittichen" (Schumann) dieser Art ist einzigartig in der Musikgeschichte!

In diesem Kontext, also auch bei unterschiedlicher Auffassung der "Stellung" der 24 Preludes, ist Stephans Deutung des e-Moll Preludes als Hommage an Bach ein sehr wertvoller und diskutierenswerter Beitrag!!! Ganz ohne Zweifel sind die 24 Preludes schon in ihrer tonartlichen Anordnung einerseits eine Hommage an Bach, an das WTK - andererseits sind sie aber auch Experimentierlabor und Skizzenbuch des Romantikers Chopin, der damit zugleich Nähe und Entfernung zu Bach dokumentiert - und diese Formulierung von Stephan ist ganz große Klasse, trifft den Nagel auf den Kopf!!!

im Detail kann die Diskussion aus verschiedenen Blickwinkeln kontrovers geführt werden, wenn es um ein Detail wie das 4. Prelude und seine Notation geht. Das ist methodisch ganz in Ordnung und Usus.

meine Überzeugung ist folgende: ja, im e-Moll Prelude steckt als eine der vielen Dimensionen auch eine Hommage an Bach (und ich gestehe gerne: diese war mir neu, und ich setze mich gerne kritisch mit ihr auseinander, was nicht bedeutet, dass sich sie ablehne) - sie ist aber nicht die einzige oder gar zentrale Deutung dieses vielschichtigen musikalischen Kunstwerks! Und wie jede Deutung, welche ja Position bezieht, ist sie kritisch zu diskuteren, wobei eines klar ist: alles, was zur Deutung eines Musikstücks beiträgt, ist hoch willkommen!

jede Deutung eines Musikstücks bedarf natürlich einer gesicherten Vorlage: hier sind - leider - Entscheidungen zu fällen, denn absolute Wahrheiten kennen wir in diesem Fall nicht. Das ist ein doppeltes Problem: einerseits ist Chopins Notation insgesamt uneinheitlich und stellt somit schon ein editorisches Problem dar, andererseits experimentierte er in seiner Zeit in einem Gelände, das völlig neu war. In diesem neuen unbekannten Gelände ist das e-moll Prelude ein fantastisches Kunststück!

...zu fragen ist natürlich auch, wo endet Analyse und wo beginnt Interpretation im Sinne von Deutung und Bedeutungszuschreibung - das sind methodisch sehr heikle Fragen!

Gruß, Rolf
 

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