Fragliche Hinweise

... was wirklich schade ist. :cry: Mich interessiert so etwas.

Ui, das freut mich! Ich wollte hier nur nicht so oberschlau herumdozieren, nur weil der seltene Fall eingetreten ist, dass ICH hier auch mal was weiß...

Kurz gesagt, anders als bei Buchstabenschriften (wo man irgendwann alle Buchstaben beherrscht und dann eben "alphabetisiert" ist), gibt es im Chinesischen ja eine enorm hohe Anzahl von Schriftzeichen. In manchen Wörterbüchern geht das in die Zehntausende. Die kann natürlich niemand alle. Also ist das Lesen- und Schreibenlernen quasi "gestaffelt", man lernt nach und nach immer mehr Zeichen.

Um eine Zeitung lesen zu können, braucht man ca. 3-4000, ein gebildeter Chinese kann (z. B. mit Fachvokabular in seinem Gebiet) dann 8000 oder mehr. Ein nicht gebildeter Chinese, z.B. auf dem Land, kann dann vielleicht ein paar Hundert Zeichen für den Alltagsgebrauch, aber er ist eben nicht soweit "alphabetisiert", dass er komplexe Texte lesen könnte. Während sich hierzulande jeder zumindest auf der Wort-Ebene durch jeden noch so abstrusen Fachtext kämpfen könnte, sobald er alle Buchstaben lesen kann - auch wenn das noch lange nicht heißt, dass man den Text auch versteht...
 
@Steinbock44, hast du dort auch Koreanisch gelernt? Südkorea in den 80ern war sicher auch eine spannende Zeit!

Ja, einige Sätze des Alltags, mehr lag nicht drin. In 80er, genau 1980 war SK noch hermetisch nach Aussen geschlossen. In dieser Zeit (1979) wurde auch Präsident Park Chung-hee durch Sicherheitspersonal ermordet. Es wurde Kriegsrecht installiert "curfew" d.h. Ausgangssperre 22:00-05:00. Also keine ruhige Zeit. Erst mit den olympischen Spielen öffnete sich SK nach aussen und das Leben normalisierte sich allmählich.
 
Zuletzt bearbeitet:
@ChristineK
Beeindruckend!

Eine Frage meinerseits: Diese Art der Schriftlichkeit ist in höchstem Maße elitär (im Sinne von exklusiv/ausschließend). Hast Du eine Erklärung dafür, warum man in den Ländern dieser hochkomplexen Schriften noch nicht längst dazu übergegangen ist, in Buchstaben zu schreiben?
 
Als ich 1987, also kurz vor den Olympischen Spielen in Seoul war, hat man schwer bewaffnete Soldaten immer noch an allen Ecken beobachten können und ich war mir nicht sicher, ob ihre Präsenz dem Schutz oder der Bedrohung dienten - ein mulmiges Gefühl.

Aber zurück zu China und @ChristineK: Existiert die standardisierte Lateinumschrift (Pinyin) noch? Hat sie sich wegen der vielen Dialekte nicht durchgesetzt oder gab es andere Gründe? Aus meiner europäischen Sicht wäre sie ansonsten doch eine große Erleichterung für die schriftliche Kommunikation in China.
 
Ja, das Schriftsystem abzuschaffen war auch mal eine Bestrebung unter Mao. Das lässt sich aus verschiedenen Gründen nicht durchsetzen:

Punkt 1, die Dialekte, von denen es enorm viele gibt. Die Schriftzeichen sind unabhängig von ihrer Aussprache, somit versteht man dieselben geschriebenen Texte landesweit. Würde man ein phonetisches Schriftsystem einführen, wäre eine Verständigung (und damit auch eine zentrale Kontrolle aller Publikationen) landesweit nicht mehr möglich. Wie sollte man dann ein so riesiges Land verwalten können?

Punkt 2, schlichtweg Traditionsbewusstsein und nationale, kulturelle Identität. Man würde den Bezug zum jahrtausendealten literarischen Erbe verlieren, einschließlich der Kalligraphie und anderer Künste. Darauf ließe sich kaum ein Chinese ein - man ist dort ja enorm nationalistisch/stolz auf die eigene Kultur...

Punkt 3, wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann, ist das Schriftsystem erlernbar. Es braucht halt Zeit. Der Anteil der wirklich wenig gebildeten Chinesen nimmt ja stetig ab, also jeder Chinese kann normalerweise eh (mindestens) Zeitung lesen, und jeder fortgeschrittenere Sinologiestudent sollte das dann auch können...

Pinyin gibt es nach wie vor, es ist ein Segen für jeden, der die Sprache lernt (einschließlich der Chinesen selbst), oder der ein Wörterbuch benutzen will. Die meisten Eingabemethoden, um Schriftzeichen am
Computer oder Handy zu tippen, basieren darauf. Ohne Pinyin wüsste man die Aussprache der Zeichen gar nicht. Es ist halt in erster Linie das Transkriptionssystem für den Standarddialekt. Es gab (gibt) parallel auch andere Transkriptionssysteme, teilweise auch wiederum mit Silbenzeichen (wie das sogenannte Bo-po-mo-fo System in Taiwan) oder das eher akademische Wade-Giles-System, aber die haben sich nicht wirklich durchgesetzt.
 
Ach so, und die Japaner kämen sicherlich nicht mal auf die Idee, an ihrem Schriftsystem etwas zu ändern. Zum einen sind dort nur (lächerliche) knapp 2000 chinesischen Schriftzeichen überhaupt im Gebrauch, und zum anderen kann man jedes dieser Zeichen mit Hiragana oder Katakana umschreiben, wenn es einem gerade mal nicht einfällt. Die jeweils 48 Silben der Hiragana und Katakana hat man in ein paar Tagen gelernt, also das ist relativ easy.
 
Existiert die standardisierte Lateinumschrift (Pinyin) noch? Hat sie sich wegen der vielen Dialekte nicht durchgesetzt oder gab es andere Gründe? Aus meiner europäischen Sicht wäre sie ansonsten doch eine große Erleichterung für die schriftliche Kommunikation in China.

Man sieht es ja auch an beispielsweise den Wikipedia-Links in Posting #14 : Dort sind die Pinyin-Umschriften ja auch mit angegeben. So z.B. wudang . Jeder, der sich für Kampfkünste interessiert, hat diesen Begriff schonmal gehört, und es ist z.B. interessant, wie man ihn schreibt, finde ich.
 
Ja, Standardisierung ist in dem Fall auch 'ne tolle Sache. Nehmen wir das Beispiel "Beijing". Früher deutschte man es als Peking ein, in Frankreich dann Pékin usw. und dann gab es aber parallel noch Schreibweisen (je nach Umschriftssystem) wie Pei-tching, P'ei T'ching, Pei-king und was nicht noch alles. Man kann sich die Verwirrung vorstellen. Heute hat sich das Pinyin - und damit die Schreibweise "Beijing" für die beiden als bei und jing ausgesprochenen Schriftzeichen - weltweit durchgesetzt.
 
Ja, das Schriftsystem abzuschaffen war auch mal eine Bestrebung unter Mao. Das lässt sich aus verschiedenen Gründen nicht durchsetzen:

Punkt 1, die Dialekte, von denen es enorm viele gibt. Die Schriftzeichen sind unabhängig von ihrer Aussprache, somit versteht man dieselben geschriebenen Texte landesweit. Würde man ein phonetisches Schriftsystem einführen, wäre eine Verständigung (und damit auch eine zentrale Kontrolle aller Publikationen) landesweit nicht mehr möglich. Wie sollte man dann ein so riesiges Land verwalten können?

Punkt 2, schlichtweg Traditionsbewusstsein und nationale, kulturelle Identität. Man würde den Bezug zum jahrtausendealten literarischen Erbe verlieren, einschließlich der Kalligraphie und anderer Künste. Darauf ließe sich kaum ein Chinese ein - man ist dort ja enorm nationalistisch/stolz auf die eigene Kultur...

Punkt 3, wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann, ist das Schriftsystem erlernbar. Es braucht halt Zeit. Der Anteil der wirklich wenig gebildeten Chinesen nimmt ja stetig ab, also jeder Chinese kann normalerweise eh (mindestens) Zeitung lesen, und jeder fortgeschrittenere Sinologiestudent sollte das dann auch können...

Pinyin gibt es nach wie vor, es ist ein Segen für jeden, der die Sprache lernt (einschließlich der Chinesen selbst), oder der ein Wörterbuch benutzen will. Die meisten Eingabemethoden, um Schriftzeichen am
Computer oder Handy zu tippen, basieren darauf. Ohne Pinyin wüsste man die Aussprache der Zeichen gar nicht. Es ist halt in erster Linie das Transkriptionssystem für den Standarddialekt.

Ich könnte mir gut vorstellen, daß der zweite Punkt der entscheidende ist: Schrift ist nun einmal wie Sprache ein Ausdruck nationaler Identität. Deswegen halten ja etwa die Griechen an ihrem Aphabeth fest, obwohl der Überhang an Zeichen (ει, oι, ι, υ ist alles "i" ) alles andere als ökonomisch ist und eine notorische Quelle von Schwierigkeiten für weniger gut ausgebildeten Schreiber ist. Und auch die Schreiber des Deutschen halten ja hartnäckig an ihren ä – ö - ü's fest, obwohl die zwei neckischen Pünktchen ja nichts anderes als die Reste eines Fraktur-e sind, das man ohne Schaden neben den modifizierten Vokal stellen kann.

Zu Punkt eins ist mir etwas nicht klar. Für die maschinelle Datenverarbeitung muß also, wenn ich Dich recht verstanden habe, ein Transkriptionssystem verwendet werden. Was transskribiert denn nun ein Nicht-Mandarin-Sprecher? Offenbar nicht Wörter seines Heimat-Dialekts sondern - Mandarin? Wenn das so ist, dann gibt es faktisch nicht nur zwei Schrifssteme nebeneinander, das traditonelle logographische und das westliche phonographische, sondern gleichzeitig eine (Tendenz zur) Standardisierung, die, wie im Deutschen etwa auch, eine wachsende Zahl von Sprechern zur Differenzierung zwischen schriftlicher Standard- und mündlicher Umgangssprache zwingt, so sie denn die am sozialen und ökonomischen Leben partizipieren wollen. M.a.W. das erste Argument wird immer mehr an Bedeutung verlieren. Ebenso übrigens ein anderes, immer wieder zu lesendes Argument, daß homophone Ausdrücke bei Wechsel des Schriftsystems nicht mehr unterscheidbar wären. Den Beweis jedoch, daß ein Wechsel vom logographischen zum phonographischen System problemlos möglich ist, liefert das Vietnamesische, wo man, trotz Ausmerzung aller sprachlicher Einflüsse des Französischen das lat. Alphabeth beibehalten hat und nicht zur alten, letztlich chinesischen Schrifttradition zurückgekehrt ist. Es bedurfte nur einiger diakritischer Zeichen, u.a. zur Markierung der 6 Grundtöne und damit der Beseitigung des Homophonieproblems, und alles funktioniert in den Augen der Vitnamesen viel ökonomischer als im alten System.
 

Was transskribiert denn nun ein Nicht-Mandarin-Sprecher? Offenbar nicht Wörter seines Heimat-Dialekts sondern - Mandarin?

Das ist ein interessanter Punkt. Ich würde (ohne es verifiziert zu haben) davon ausgehen, dass ein Chinese, der soweit gebildet ist, dass er komplexe Texte am Handy tippt oder einen Computer verwendet, hierfür das Standard-Transkriptionssystem Pinyin verwendet. Auch wenn es parallel auch andere Eingabe-Systeme gibt, die man am Computer einstellen kann, denke ich nicht, dass diese zur Eingabe der Schriftzeichen enorm populär sind.

Da landesweit einheitliche Schulbücher verwendet werden, z.B. an den Grundschulen, erlernt auf dieser Basis über die Brücke des Pinyin jeder Chinese unabhängig vom Heimatdialekt ja systematisch den Bestand der wichtigsten Schriftzeichen. Es stimmt natürlich, dass dann das Argument des "Verständigungsproblems" von Sprechern verschiedener Dialekte für die Beibehaltung der Schrifzeichen eigentlich nicht stichhaltig ist. Es ist aber eines, was man gern von Chinesen selbst hört....

Aus der Literatur auf Taiwan kenne ich es übrigens auch so, dass von den Autoren andere Schriftzeichen quasi für Dialektausdrücke "zweckentfremdet" werden. Um z.B. Umgangssprache in Dialogen abzubilden. Wenn man diese Zeichen allein vom Mandarin her verstehen möchte, hat man eigentlich keine Chance, weil sie in dem Kontext dann keinen Sinn ergeben. Dafür gibt es aber dann teilweise wiederum Fußnoten für (chinesische) Leser, die kein Taiwanesisch beherrschen.

Bei den Homophonen/Verwechslungsgefahr, ein weiteres gängiges Argument für ein Schriftzeichensytem, das mir in meinem Beitrag entgangen war, wäre ich doch etwas skeptisch. Die Anzahl der Homophone - auch derer, die im selben Ton ausgesprochen werden (denn dieselbe Silbe mit einem anderen Ton ausgesprochen ist für das chinesische Ohr streng genommen gar nicht homophon) - ist im Chinesischen einfach enorm hoch. Vielleicht ist das im Vietnamesischen nicht ganz so extrem?
 
liebe @ChristineK ,
auch wenn dies hier ein Klavier-Forum ist:
Ich habe in diesem Faden jeden Deiner Beiträge mit wirklich totalem Interesse gelesen und immer wieder den Kopf schütteln müssen. 99,9% davon war für mich absolutes Neuland. Und gerade deshalb finde ich es klasse. Du hast uns geholfen, über den Tellerrand zu schauen und wieder ein kleines Stückchen mehr Wissen vermittelt. Danke dafür!
Der Tag heute war also doch nicht ganz umsonst.
Das Einzige, was mich etwas verwundert: Warum heißt eigentlich niemand von uns Li oder Chen Lu oder so?
Denn jeder vierte Mensch auf der Welt ist doch Chinese, oder sogar jeder Dritte? ;-)
So, jetzt halte ich wieder meine Schnauze und warte auf weitere Beiträge.
zai jian!

Viele Grüße
hennes
 
Oh, danke @hennessy , das freut mich! Man kann ja manchmal nicht so richtig abschätzen, ob jemanden, der nicht vom Fach ist, derartige "Abhandlungen" auch wirklich interessieren.... ;-)

Ich hatte damals sogar kurz überlegt, mir einen Nick mit China-Bezug zu geben, hab das aber wieder verworfen. Hm, schade eigentlich.
 
Soo, nun können wir ja ordentlich weitermachen:

Zunächst einmal sind Schriften wie chinesisch, bei denen es, wie wir von Christine gehört haben, ja auch "praktischere" Schreibweisen gibt, nicht einzig und allein dastehend.

Zu ihnen gesellen sich noch Schriften, von denen man lange glaubte, dass es sich gar nicht um Buchstaben oder Silbenkonstrukte einer Sprache handelte, sondern nur um Bilder.

Ein gutes Beispiel sind die Hieroglyphen. Eine hervorragende Quelle zu den mittelägyptischen Hieroglyphen ist die Egyptian Grammar von Alan Gardiner, die sich..in meinem Besitz befindet.

Es ist ( ich hab mal 8 Übungen unter Anleitung einer Ägyptologie-Studentin absolviert, als totaler Neuling, es war SUUPERSPANNEND !! ) da so:

Das Symbol kann direkt als SYMBOL gemeint sein, es kann einen BUCHSTABEN oder eine SILBE darstellen, ODER aber im VERBUND mit ANDEREN Hieroglyphen ein übergeordnetes Wort bilden, das seinerseits nat. aus Buchstaben und Silben besteht.

Ein weiteres so ähnliches Beispiel ist die Schrift der Maya, hier gilt als Autorität der Professor Nikolai Grube, der ( meines Wissens ) in Bonn unterrichtet ( hat ).

LG, Olli!
 
Nachtrag: Anzumerken wäre noch etwas zur LESErichtung der Hieroglyphen:

Man kann sie von links nach rechts, von rechts nach links, oder kolumnenweise von oben nach unten schreiben ( und lesen ) , die spezifizierte horizontale Leserichtung bleibt aber dennoch auch in Kolumnen dann maßgeblich, und man ERKENNT die Leserichtung daran, wohin die Köpfe von Lebewesen, zeigen, oder sich Pflanzen ( wie etwa die "Su"-Binse neigt. Wohin diese blicken und sich neigen, aus der Richtung wird angefangen zu lesen!

:-)
 
Die Anzahl der Homophone - auch derer, die im selben Ton ausgesprochen werden (denn dieselbe Silbe mit einem anderen Ton ausgesprochen ist für das chinesische Ohr streng genommen gar nicht homophon) - ist im Chinesischen einfach enorm hoch.

Ich möchte keinesfalls den Eindruck erwecken, daß ich auch nur den simpelsten Satz auf Chiensisch äußern könnte. Aber als Linguist kommt amn immer wieder in die Situation, daß eine Frage (in diesem Falle Berührungen zwischen den tonalen Akeznt des Altgriechischen und den Tönen des Mandarin) einen auf Felder entführt, wo man sich mithilfe von Handbüchern ein wenig im Dunklen orientieren muß. Und so bin ich auf einen Blog auf dem renommierten Language Log verwiesen worden, der vielleicht die/den eine(n) oder andere(n) (sicher aber @ChristineK), der die Diskussion hier mit Interesse verfolgt hat, ein wenig anregen könnte:

http://languagelog.ldc.upenn.edu/nll/?p=17949#more-17949

Eigentlich geht es um eine weitreichende neurobiologische These und deren Hinterfragung, aber das "Beiwerk" finde ich ganz erhellend.
 
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