"Die Panegyrik dieses Apostratsupporterflansches ist wirklich atemberaubend, finden Sie nicht /auch?".
Schönen Guten Morgen aus New Jersey allerseits. Ich bin immer wieder verblüfft, welche Reaktionen zwischen Befremdung und Feixen die Verwendung von Ausdrücken hervorruft, deren Kenntnis man noch in den 80ern bei jedem Absolventen eines ruralen Gymnasiums, ausgenommen vielleicht in NRW und Hessen, vorausgesetzt hätte. Und wie auf der anderen Seite oft die albernsten Anglizismen auf diesem Forum unwidersprochen, wo nicht beifällig, hingenommen werden.
Zur Sache: Ich verwende Ausdrücke wie die beiden inkriminierten, weil ich ein Anhänger der rhetorischen Kategorie des Aptum, der Gegenstandsangemessenheit bin; und ich glaube, dass beide einen semantischen Mehrwert gegenüber ihren möglichen deutschen Gegenstücken bieten. "Panegyrisch" ist der stilistische Charakter einer Festschrift, und um eine Kryptofestschrift handelt es sich nach meinem Eindruck bei dem diskutierten Titel über weite Strecken. "Apologetisch" ist der Ton im Hinblick auf Bechstein im Dritten Reich, d.h. beschwichtigend, manchmal sogar ein wenig schönfärberisch *), aber mit den strukturellen Merkmalen einer
hat der Text natürlich nichts zu tun.
Nun, die Autorin ist ja keine Historikerin, sondern eine Populärschriftstellerin, und "ihre Bücher stellen eine Mischung aus Roman und Biografie dar" (WP. s.v., auf der Basis einer Rezension der SZ). Mit historischer Quellenforschung und -kritik ist bei dieser Art von Literatur natürlich nicht ernsthaft zu rechnen. Eher, neudeutsch gesprochen, bereitet die Autorin einen vorgefundenen "Content" sprachlich gefällig auf, konventionell gesagt, sie formt eine vorgegebene Materie ästhetisch nach den Bedürfnissen der Zielgruppe. Dagegen ist nichts zu sagen, und die Tradition des historischen Romans ist ja auch sehr lang; man muss sich nur im klaren sein, welche Gattung von Buch man vor sich hat. Man kann das mögen, es aber auch, wie ich, als irritierend empfinden, wenn man sich fortwährend fragen muss, wo die Grenze zwischen Historizität und Fiktion, Quellentreue und panegyrischer oder auch malizöser Verbrämung liegt.
Freilich hat diese Art von Literatur derzeit Konjunktur, man denke nur an das Beethovenbuch von Chr. Eichel (
https://www.clavio.de/threads/was-lest- ihr-gerade-buch-analog.3924/page-48#post-720618), das sich seitenlang spekulativ darüber auslässt, ob Ludwig und Josefine nun tatsächlich miteinander geschnackselt haben oder nicht. Allerdings ist es nicht so, dass richtige Musikwissenschaftler:innen nicht ebenfalls ansprechend schreiben könnten. So bekommt man etwa für das Geld, das man für Eichels Buch erlegen muss, auch die Beethovenbiographie des Musikwissenschaftlers Martin Geck (
https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/musikwissenschaftler-martin-geck-gestorben- 100.html), welches ebenso flüssig zu lesen ist, aber den Leser nicht den oben genannten Einschränkungen unterwirft.
Natürlich sieht man sich als potentieller Käufer immer vor das Problem der Beurteilung gestellt, und das umso mehr, als das Internet von Ps.-Rezensionen überschwemmt wird, die entweder unkritisch oder geradewegs verkappte Verkaufsförderung sind. Ich finde oft eine halbwegs zuverlässige Orientierungshilfe in den Rezensionssammlungen auf Perlentaucher.de, auch wenn in solchen Sammlungen unvermeidlicherweise das Jubelpersertum die lautstarke Nachbarin nüchterner Kritik ist.
*) In einer leider nicht mehr verfügbaren SWR-Rezension hieß es seinerzeit: "Am ärgerlichsten ist der Umgang der Autorin mit ... Helene Bechstein". Und der ist m.E. völlig unnötig. Es hätte vollauf genügt, in einer Anmerkung zu sagen, dass man auf die Bechstein-Nazi-Obessionen der angloamerikanischenn Literatur nicht eingehe, weil die Naziverbindungen eines einzelnen Familienmitglieds, das nicht zum Eigentümerkreis zählte, die Firmengeschichte nicht nachweislich beeinflussst haben.