Was meiner Meinung nach die Dodekaphonie revolutionär macht, ist der Umstand, dass Schönberg sich von sehr velen Konventionen verabschiedet hat.
Natürlich ist das eine nur konsequente weiterführung der Atonalität, bzw. dessen, was sich in der Atonalität bereits ankündigt. Ich glaube allerdings nicht, dass Schönberg die Atonalität einfach weiterentwickelt hat.
Er hat die Dodekaphonie auf ein relativ überschaubares Regelwerk gestellt, dessen zentrales Anliegen eigentlich die Gleichberechtigung oder -behandlung aller zwölf Stammtöne war. Spätere haben das auch auf andere Aspekte der Musik übertragen ... und auch beim Rhythmus, der Dynamik oder bei der Instrumentation mit "Reihen" zu arbeiten versucht.
Meiner Meinung nach hat Schönberg vor allem Prinzipien aus der abstrakten Malerei auf die Musik übertragen.
Damit will ich seine Leistung nicht kleinreden ... der Impact der Dodekaphonie war beachtlich, aber ich betrachte sie noch immer als eine "Komponiermethode", ein Werkzeugkasten mit strengen Regeln und dementsprechend auch stark eingeschränkter gestalterischer Reichweite. Mit der 12-Ton-Methode auch für Laien "schöne" Musik zu schreiben ist alles andere als leicht. Denn eigentlich kann man all das, wodurch Musik normalerweise schön klingt (Tonalität, Wiederholung) in der Dodekaphonie eben nicht einsetzen.
Und genau DAS ist die "Revolution" ... man verzichtet darauf, die Hörgewohnheiten zu bedienen.
Mit Schönbergs Dodekaphonie hat die Musik das bekommen, was die Kunst schon länger hatte ... Kunst um der Kunst willen (auch das hat sich in der Atonalität bereits angekündigt).
In der Malerei gibt es das "schwarze Quadrat" (als Komposition aller bisher gemalten Bilder in einem) ... aber leider hält niemand weißes Rauschen für "Musik" (das wäre wohl die musikalische Entsprechung).
Als logische Weiterentwicklung der Musikgeschichte erscheint das auch deswegen, weil bereits vorher Stücke geschrieben wurden, bei denen eine Tonalität mehr durch das entsteht, was NICHT dabei ist (Wagners "Tristan-Akkord" mal als Beispiel).
Natürlich wäre es auch einem Schönberg schwer gefallen, die Musik komplett neu zu erfinden ... also hat er sich auf das konzentriert, was unser auf 12 Stammtöne reduziertes System eben hergibt. Dass sich eine Spannung nicht unbedingt in eine Harmonie (im Sinne Bachs oder Mozarts) aufllösen muss, war schon lange vorher klar.
Das die Ablösung von Jahrhunderten der Musikpraxis eine Zäsur bedeutet, ist klar, und dadurch, dass sich vieles, was in der Dodekaphonie dann zum Prinzip erhoben wird, bereits vorher in Atonalität und Spätromantik ankündigt (oder bereits vorhanden ist) kann man trefflich streiten, ob das nun eine Revolution war, oder eine nur logische Weiterentwicklung (Evolution).
Auch Schönberg hat sich an älteren Komponisten orientiert ... und er hat von seinen Schülern auch tonales verlangt - Anton Weberns "Passacaglia op1" ist mehr oder weniger sein "Prüfungsstück" gewesen ... das ist noch recht tonal gehalten (wie er selbst schrieb) und stellt sozusagen eine Art "Abschied" von der tonalen Welt dar.
Was der Typ zwischen Passacaglia und seinen ersten dodekaphonischen Stücken geschrieben hat, ist für mich der Inbegriff atonaler Musik ... und mit wenigen Ausnahmen (Synfonie op.21 z.B.) erreicht er diese Wirkung (zumindest bei mir) mit der 12-Ton-Methode nicht.
Durch diese Methode wurde nicht nur viel gewonnen ... mMn ging auch ein bisschen was verloren, weil man nach dem 2.Weltkrieg eben kaum noch atonal komponieren wollte. Da hat man sich entweder dem Neoklassizismus angeschlossen, der Dodekaphonie ... oder man hat eben mit elektronischer Klangerzeugung (Stockhausen u.v.m.) und den Möglichkeiten der Aufnahmetechnik (music concrete) herumexperimentiert.
Was gabs daneben noch ... naja Populärmusik und Jazz eben ... also nichts "Weltbewegendes"
