Einmal "zerspielte" Stücke wieder hinbekommen?

S

Sabri

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Ein neues Stück, man findet es ganz toll und ehe man sich versieht, hat man alle Regeln des sinnvollen Lernens über den Haufen geworfen.
Das Ergebnis:
Ein Stück auf "Drüberspielniveau"

Es ist völlig normal, dass wir wieder und wieder Stücke in Angriff nehmen, die vorerst auf diesem Niveau enden:
Ein Stück findet Gefallen, wir stürzen uns darauf und probieren bzw. experimentieren zunächst, damit der erste Eindruck steht. Je länger wir hiermit experimentieren, desto mehr verfestigen sich die Ergebnisse unserer Übestruktur.

Laut meiner Klavierlehrerin ist es fast unmöglich, ein einmal "kaputtgespieltes" Stück nochmal richtig zu lernen.

Vor allem unpassende oder falsche Fingersätze sind schwerlich wieder zu korrigieren.

Dennoch: Diese unkomplizierte, "ausprobierende" Herangehensweise an ein neues Stück ist normal. Was steht zur Alternative? Sicher nicht die bewusst zielgerichtete Einübung, vor allem, wenn ich das Stück noch nicht kenne.
Also, wie heißt es so schön: "Mut zur Lücke" und gegebenenfalls Elan zur Korrektur!

Grüße, Madita
 
Laut meiner Klavierlehrerin ist es fast unmöglich, ein einmal "kaputtgespieltes" Stück nochmal richtig zu lernen.

Da hat deine Klavierlehrerin nicht ganz unrecht. Zumindest erfordert das Neu- und Umlernen eines Stücks, das sich bereits im Unterbewußtsein eingegraben hat, eine ungeheure Disziplin und Ausdauer.

Ich würde daher immer vorziehen, stattdessen ein ganz neues Stück zu lernen, gleich von Anfang an in der "richtigen" Art - d.h. mit der nötigen Sorgfalt, die Vortragsbezeichnungen genau beachten, sich für Details viel Zeit nehmen, ebenso für die Suche des bequemsten und passendsten Fingersatzes usw.

Einmal falsch gelernte Stücke muß man aber auch nicht ganz abschreiben - man sollte sie nur ein paar Jahre weglegen, so lange, bis sie einem fremd genug geworden sind um sie wieder unbefangen quasi "neu" üben zu können.
 
Aber wie seht ihr das und wie sind eure Erfahrungen?
Vielleicht weglegen und nach einigen Monaten/ Jahren nochmal von vorne anfangen?
Oder direkt anfangen, das Chaos zu strukturieren?

Ich kenne das Problem, und zwar nur zur gut, leider.

Meiner Meinung nach gibt es einen Tip, der so einfach klingt und sooooooo wahnsinnig schwierig ist auszuführen:

Das Stück sehr, sehr langsam spielen, und zwar diesmal richtig.
Mir fällt dies wahninnig schwer, wenn sich das Muskelgedächtnis erstmal an das Zieltempo gewöhnt hat incl. aller Unzulänglichkeiten, die ich mir im Laufe der Zeit zugelegt habe. Aber jedesmal, wenn ich so richtig langsam spiele, dass mir fast die Tränen kommen, und das Stück bzw. die entsprechenden Takte von Grund auf, von sehr geringem Tempo an, wieder "aufbaue", funktioniert's.

Macht keinen Spass, aber hilft.
 
Zumindest erfordert das Neu- und Umlernen eines Stücks, das sich bereits im Unterbewußtsein eingegraben hat, eine ungeheure Disziplin und Ausdauer.
Dazu eine Beobachtung: Stücke, die ich in jungen Jahren schlampig (vor allem in Hinsicht auf Fingersätze) einstudiert habe, bleiben immer risikobehaftet. Es gibt eine ganze Reihe leichter Stücke, die ich mich nicht traue, im Tempo vom Blatt zu spielen, weil die ursprünglichen fehlerhaften Bewegungsmuster immer wieder durchschlagen. Auch die wiederholte intensive Auseinandersetzung mit den Stücken hilft nichts - die früheste Prägung schlägt immer wieder durch ...

Deswegen lege ich meinen Schülern gerne mein Lieblingswort ans Herz - eines der seltenen Worte mit "ß": Disziplin! ;)
 
Leichen

Hallo Sabri,

Du beschreibst mit unnachahmlicher Schärfe den Zustand meiner "Leichen im Keller", die schönsten Stücke sind darunter. :(

Lass die Leichen tot sein und guck Dich in dem (unendlich großen) Rest der Klavierliteratur um, da gibt es noch so viele ebenso schöne und liebenswürdige Stücke und nutze die Trauer um Deine Leichen als Motor zur genauen Arbeit an Deinen neuen Zielen! :floet:

Selber in Trauer um das Scherzo Nr. 2, um die Etüde Op.10,1 und um manches andere Stück!

Viel Erfolg!

Walter
 
Solange man davon ausgeht, daß die Stücke "kaputt" sind, hat man kaum Chancen. Gut, man hat es falsch gelernt, Fehler werden automatisch gespielt. Diese Stellen gilt es zu identifizieren und zu bearbeiten.

Manches kann man entschärfen, indem man kurz davor z.B. den Fingersatz ändert, was leichter geht als in der grell beleuchteten Fehlerstelle.

Andere Stellen muß man halt invensiv langsam durchspielen, möglichst entspannt und vor allem beharrlich. Wenn man beim richtig spielen plötzlich ein gutes Gefühl hat (als ob es genau so sein sollte, wie gespielt), möglichst noch ein oder zweimal nachenander mit dem selben Gefühl spielen und man ist auf dem richtigen Weg.

Die Finger suchen sich immer den leichtesten Weg. Wenn der zu einem Fehler führt, muß man herausfinden, wie man es den Fingern leichter macht, richtig zu spielen, z.B. durch eine andere Handhaltung, Unterarmführung, Betonung oder was auch immer.

Es hat immer einen Grund, warum man in einem Stück bestimmte Fehlerstellen hat. Sei es, daß einem die richtige Technik fehlte, daß man die Noten nicht richtig gelesen hat oder daß die Stelle einen an eine Stelle aus einem Stück erinnert, wo sie aber etwas anders gespielt wird, weil einem ein Intervall nicht gefällt, weil das bisherige Schema plötzlich durchbrochen wird (ohne daß man es gemerkt hat) oder was auch immer.

Auf jeden Fall ist es ein Irrtum zu glauben, daß man gegen die Automatik kämpfen muß. Stattdessen muß man die Automatik umlenken. Bei ungewohnten Tonarten kann es z.B. sehr hilfreich sein, ein paar Kadenzen in dieser Tonart zu spielen, um endlich ein Gefühl dafür zu bekommen. Das muß nicht umbedingt die allgemeine Tonart des Stückes sein, es gibt ja auch Tonartenwechsel...
 
Lass die Leichen tot sein und guck Dich in dem (unendlich großen) Rest der Klavierliteratur um, da gibt es noch so viele ebenso schöne und liebenswürdige Stücke und nutze die Trauer um Deine Leichen als Motor zur genauen Arbeit an Deinen neuen Zielen! :floet:

Och, das ist aber schade! Die schönen Stücke...:(
Hast du denn schonmal versucht, ein solch totes Stück wieder zum Leben zu erwecken?
 

Hm,
ziemliche abgehobenes Thema.
Meinem Nick haftet irgendwie das Wort Schlampigkeit an, eben da ich
in einigen Dingen so agiere. Von daher kann ich mir nicht vorstellen, ein Stück zu verspielen, da es sowieso nie so 100%ig passt. Dazu bin ich viel zu sprunghaft.
Es gibt doch verschiedene Herangehensweisen an die Musik! Vorstellbar,
in veränderter Form das Stück nochmals aufnehmen, vielleicht erweitert sich
der Horizont und das Stück ist nicht mehr "kaputt".
Koelnklaviers Beeinflussungen aus der Kindheit, das hört sich an, als ob man die Stücke mit einem regelrechten Instinkt spielt, ist schon bemerkenswert.
Wo ich mir ein kaputtgespieltes Stücl lebhaft vorstellen kann ist die Situation
in einer Band. Hier Veränderungen zu bewirken ist viel schwerer, jeder hat es einfach "intus", das die Nummer "bei uns so klingt". :cool:
 
Der legendäre russische Pianist Emil Gilels hat einmal gesagt: Es ist nicht schwerer, eine gute Tonleiter zu spielen als eine schlechte. Es ist nur anders.

Was du "zerspielt" nennst, ist das Ergebnis falscher technischer Gewohnheiten bzw. Übegewohnheiten. Falls du die entsprechenden Stücke retten willst, gibt es nur einen Weg, nämlich die schlechten Gewohnheiten durch gute zu ersetzen.

Das ist ein recht schwieriges Unterfangen, das du am besten unter Anleitung eines erfahrenen Lehrers in Angriff nimmst. Nach den Gesetzen der Lernpsychologie braucht man zum Verlernen falscher Bewegungsprogramme ungefähr dieselbe Zeit, die man zum Erlernen gebraucht hat. Dazu kommt die Zeit, die man zum Erlernen der richtigen Programme braucht.

Dennoch möchte ich dir raten, diese Aufgabe in Angriff zu nehmen. Manchmal hilft eben keine Kosmetik, sondern nur eine Radikalkur.

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http://www.pianistenschule.de
 
Hallo!
Das Thema schenit ja ziemlich umstritten zu sein.

Also könnte man abschließend sagen, dass "totgespielte" Stücke sich zwar wiederbeleben lassen (wenn auch schwierig), aber wahrscheinlich nie mehr "richtig" laufen werden?

@ubik: Die Frage war eher allgemein gehalten und bezog sich nicht auf ein spezielles Stück bei mir. Ein ganz typisch zerspieltes Stück bei mir ist aber z.B. die Pathetique oder aber auch die c-moll Etüde aus dem op.25 von Chopin. Letztere versuche ich gerade wieder zu üben, bin dabei aber ganz anders vorangegangen als damals (in Akkorden, Stakkato, ganz langsam und nur die "Übergänge" schnell et.) - etwas hat es schon gebracht, aber sobald ich schnell spiele, ist es genau wie vorher.

Vielleicht kommen ja noch weitere Meinungen hinzu!

lg,
Sabri
 
Nach den Gesetzen der Lernpsychologie braucht man zum Verlernen falscher Bewegungsprogramme ungefähr dieselbe Zeit, die man zum Erlernen gebraucht hat.

Wo kann man das denn bitteschön (kostenlos) nachlesen? (Bitte um Quellenangabe)

Meiner Erfahrung nach braucht man zum Verlernen einer einmal falsch antrainierten Motorik erheblich länger als man zum Anlernen gebraucht hat. Manchmal kann das Jahre dauern, manchmal gelingt es überhaupt nicht mehr, je nachdem, wie "erfolgreich" die falsche Bewegung bzw. falsche Einstellung antrainiert wurde.

Eine Frage am Rande: bist du Pianist?
 
Wenn du meine Aussage in Zweifel ziehst (was dein gutes Recht ist), solltest du nicht nur den ersten von zwei Sätzen zitieren. Aber vielleicht habe ich mich einfach missverständlich ausgedrückt. Ich versuche es mal mathematisch:

E = Zeit zum Erlernen
V = Zeit zum Verlernen
U = Zeit zum Umlernen

Angenommen, du hast einen bestimmten Fingersatz automatisiert und möchtest ihn durch einen neuen ersetzen, dann gilt (natürlich nur als Richtwert):

V = E
U = V + E = 2 E

Wenn es um fehlerhafte Gewohnheiten im technischen Bereich geht, kann V eine sehr, sehr lange Zeit bedeuten, da man diese Gewohnheiten oft jahrelang, in ungünstigen Fällen jahrzehntelang geübt hat.

Die Information stammt von Peter Schwarzenbach, einem meiner Professoren an der Musikhochschule Zürich (Autor des Buches "Üben ist doof"). Er ist Psychologe und trainiert im übrigen nicht nur Musiker, sondern auch Jet-Piloten.

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http://www.pianistenschule.de
 

Sie widerspricht eben völlig meiner Erfahrung. Und die Formulierung "Nach den Gesetzen der Lernpsychologie..." klingt für mich auch nicht sehr seriös. Die verschiedenen Richtungen der Lernpsychologie sind ja in heftigem Wettstreit miteinander. Sowas wie "die Gesetze der Lernpsychologie" gibt es eben nicht.

Angenommen, du hast einen bestimmten Fingersatz automatisiert und möchtest ihn durch einen neuen ersetzen,

Gut, das Lernen von Fingersätzen ist ja nun wirklich kein Problem. Was man in 5 - 10 Minuten gelernt hat, hat man auch schnell wieder verlernt/neu gelernt. Hier könnte die Formel zutreffen.


Wenn es um fehlerhafte Gewohnheiten im technischen Bereich geht, kann V eine sehr, sehr lange Zeit bedeuten, da man diese Gewohnheiten oft jahrelang, in ungünstigen Fällen jahrzehntelang geübt hat.

Das Sich-Antrainieren einer unökonomischen und unnatürlichen Spielweise - infolge gewisser Überzeugungen des Lehrers - kann recht schnell gehen. Ein paar Monate genügen und man kriegt das Zeug kaum wieder los. Das Wiederverlernen dieser Spielweise kann ein Vielfaches der Zeit dauern. Natürlich umsomehr, je länger sich die falsche Spielweise im Bewußtsein und Unterbewußtsein festgefressen hat.

Die Information stammt von Peter Schwarzenbach, einem meiner Professoren an der Musikhochschule Zürich

Okay, danke. Dann müßte sich in dem Buch von Herrn Schwarzenbach ja eine Quellenangabe befinden, woher diese Formel U = V + E (mit V=E) kommt.
(Es würde mich aber auch nicht wundern wenn es für diese Formel gar keine Belege gibt. Psychologen erfinden ja gern mal schnell so eine Formel, um ihrer Aussage ein wissenschaftliches Flair zu geben :cool: )
 
"EVU" hat aber nichts mit "totgespielten" Stücken zu tun, da ist eher der Pianist totgespielt. Wenn man eine falsche Technik erlernt hat, betrifft das ja nicht nur ein Stück, sondern alle Stücke, in der diese Technik anzuwenden ist.

Im übrigen setzt die Formel ja stillschweigend voraus, daß E=V ist, was mathematisch sehr bedenklich ist (das stillschweigende).
 
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