Die maßlose Orgelwelt

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MartinH

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Mich wundert schon lange, wie widerspruchslos astronomische Summen fast schon im Jahrzehntetakt für sogenannte "Restaurierungen", nimmerendende Erweiterungen von Orgeln und (aalglatte, auch der festschrift-gepriesenen angeblich langen Lebensdauer Hohn sprechende) Neubauten ausgegeben werden. In der Auenkirche Berlin soll es um 1 Mio EUR!! (Restaurierung, Erweiterung die xte) gehen. Das Ding war schon zu Jörg Strodthoffs Zeiten ein Fass ohne Boden. Und: waren die Erweiterungen und Umbauten, für die ja auch Leute gespendet haben, die mehrheitlich noch leben dürften, so totaler Mist? Man müsste mal die damaligen Jubelberichtserstattungen suchen. Irgendwo hörte ich, dass durch einen in der Nähe wohnenden Bundestagsabgeordneten der (ungefragte) Steurzahler vergleichsweise einfach angezapft werden kann und man guten Mutes ist, das ganze ohne allzugroße Anstrengungen durchführen zu können. Freuen kann mich das keineswegs. Eine ganz normale Kirche, die ganz normal nur das ausgeben sollte, was sie verantworten kann. Das gehört m.E. nicht dazu. Und was wird dann drauf gespielt: der immerwährende Kanon rauf und runter. Und warum diese nicht so wahnsinnig große Kirche (von insgesamt viel zu vielen Kirchen im glaubensverdunsteten Berlin) die zweitgrößte Orgel Berlins braucht, ist mir auch nicht klar. Diesmal sind gleich drei Orgelsachverständige dabei, dann wird das bestimmt 3 hoch 3 mal so gut wie damals und das übernächste Milliönchen kann wenigstens noch etwas warten. Man wünschte sich wirklich Leute, die sich dieser neuen Maßlosigkeit landauf landab entgegenstellen. Mein Eindruck: mit Unmengen an Geld wird die fehlende Kreativität und/oder Anpassungsfähigkeit zugeschüttet.
In der Auenkirche wäre ein Neubau insgesamt sicher günstiger gewesen.
Ach ja, Berlin: im Geldausgeben fremder Leute und Hängen an Subventionstöpfen war man immer schon Spitze, ansonsten funktioniert quasi nichts (effektiv).
 
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Irgendwo hörte ich, dass durch einen in der Nähe wohnenden Bundestagsabgeordneten der (ungefragte) Steurzahler vergleichsweise einfach angezapft werden kann
Für die Rekonstruktion der Orgel in Oederquart soll ein im Ort wohnender Abgeordneter auch einfach (weit?) über 100.000€ aus irgelndwelchen Töpfen bekommen haben (habe ich mal gehört).
 
Mich wundert schon lange nichts mehr. :017:
 
In meiner katholischen Heimatgemeinde wurde in einer verhältnismäßig kleinen Kirche eine alte pneumatische Orgel immer wieder behelfsmäßig geflickt wenn mal was kaputt war. Seit eineinhalb Jahren ist die Kirche übrigens infolge eines Brandes geschlossen. Viele kleine Kirchen geben wenig Geld für Orgelstimmungen aus, Nebenamtler haben statt einer festen Stundenzahl nur Abschlagszahlungen, usw., während es an Katheralkirchen zwei Domorganisten und drei bis fünf Chorexperten gibt.
Aus meiner Sicht ist das Problem also eher Unverhältnismäßigkeit und wenigier Maßlosigkeit. Solange es aber Kapitalismus gibt, wird es immer Unverhältnismäßigkeit geben.
 
@Werschtfried: 2 volle Domorganistenstellen/beschäftigungen, wo gibt's sowas? Ist halt auch oft verquickt mit der Hochschule, dann im Dom nur ein Titularjob, also sehr günstig für die Kirchenkasse. Oder täusche ich mich? Mehr als 100% Arbeitszeit (soweit man das bei einem Musiker bestimmen kann, wie einfach haben es doch Büro-Stechuhr-Angestellte) geht halt (auf dem Papier) nicht. Und viele weitere Angestellte dürften nur prozentual beschäftigt sein.
Oft ist es doch eher so: für die "Maschine" ist Geld da, für den "Mensch" (halbwegs vernünftige Stelle(nstruktur) angeblich nicht. Da machen sich die Kirchen auch in Bezug auf "Altersarmut" nicht zu knapp schuldig. Was passiert denn oft nach teuren Restaurierungen von Orgeln (die eben oft abseits stehen)? Nicht selten ist man froh, wenn ab und zu eine Honorarkraft vorbeischaut. Ob das den (Groß-)Spendern wohl bewusst war? Zu Ganderkesee gab es mal einen Artikel, dass Thorsten Ahlrichs der erste Hauptamtlern seit den eben paar Hundert Jahren ist..
Bei der Auenkirche denke ich übrigens, dass der ja durchaus umbaufreudige Strodthoff das so nicht gemacht hätte. Wenn ich es richtig verstanden habe, soll sie ja (wieder) konsequent romantisiert werden. das war gar nicht sein Anliegen gewesen - sondern eher eine Fortschreibung. Nee, an diese Summen und Zeitabstände will ich mich nicht gewöhnen. Und schon gar nicht an die Kostenaufteilung. Da laufen doch originär kirchliche Mittel unter "ferner liefen", wenn überhaupt. Und wie lapidar das angekündigt ist...

PS Eine Gelegenheit, an den so früh verstorbenen Jörg Strodthoff zu erinnern.
Neben unglaublich arbeitsaufwendigen Orgelsachen (u.a. ganzer Buxtehude, Bach und Reger(!!)), und regelmäßig großen (und teuren) Orchester-/Chorwerken war er auch grundehrlich, geradlinig und streitfähig, was unter den vielen Berliner Duckmäusern, Ignoranten und Wendehälsen direkt auffiel. Gerade einen Artikel gefunden (genau, "Ausbau"): https://www.berliner-woche.de/wilme...usikdirektor-der-auenkirche-verstorben_a30491
 
Wundern war wohl der falsche Ausdruck, ärgern passt besser. Dann kommen oft Neidvorwürfe, aber damit kann ich leben. Ich sehe ein groteskes Missverhältnis zur Rezeption dieses Instruments (die sich dadurch eben auch nicht verbessern wird m.E.). Daher finde ich das Gerede zum Orgeljahr von wegen größtes, lautestes, unendliche Klangfarben (der Kombinationen sind schonweit unterhalb der um sich greifenden Gigantomanie überaus zahlreich, man bedenke auch die Psychoakustik) auch nur mäßig interessant. Es wird merkwürdigerweise auch öfter die Abwesenheit von Elektronik betont, wo doch heutztage bald jede Dorfkirche ihren Generalspieltisch mit freiem Blick auf die Fußpedale "benötigt".
Es gäbe ja noch x andere Beispiele, wo zB auch dezidiert "gegen den Raum" "komponiert" wird. Wenn sich halt jemand verwirklichen will, kann man da nicht allzuviel Rücksicht nehmen...
 
Nachtrag: Neupfarrkirche Regensburg wäre ein Beispiel für letzteres geworden, wenn das Projekt denn verwirklicht worden wäre. Ein völlig überzogenes symphonisches Monstrum für diese Mini-Kirche war geplant (vor vielleicht 10 Jahren), die Jann-Orgel (von 1986!!) war auch schon schlechtgeschrieben worden, wichtige Namen wie Wolfgang Seifen und alle möglichen unvermeidlichen Orgelsachverständigen standen auch auf der Unterstützerliste.. Warum es dann nichts wurde, weiß ich nicht (auch nicht mehr die damalige Internetseite, gerne hätte ich im Internet-Archiv nachgelesen..). Im Wikipedia-Artikel sieht man auch schön, wie allgemein die Neubauintervalle immer kürzer und die Instrumente immer größer wurden...
 
Im Stephansdom wird ja auch so ein Theater gemacht: Erst 1960 Die Orgel auf der Westempore mit 125 Registern, dann 1991 die Chororgel inkl. Stillegung der Westemporenorgel und jetzt die Instandsetzung der stillgelegten. Das hängt auch damit zusammen, dass das Personal der jeweiligen Zeitepoche unterschiedliche Vorstellungen hat.
 

Weiß nicht, Stephansdom ist wohl ein gewisser Sonderfall und die Rieger an dem Standort wohl auch nicht als Hauptorgel für die Ewigkeit gedacht gewesen. Trotzdem damals eine sinnvolle Lösung, denke ich. (Edit: allerdings, stimmt, das war ja erst "kürzlich"..Ich glaube, das schnelle Aufbringenkönnen von derart großen Finanzmitteln ist was ziemlich Neues.) Jetzt wurde ja ordentlich geklotzt und das recht fix.
Manchmal geht es ja auch so schnell, dass man bestimmte Verlautbarungen nur schwer glauben kann, Beispiel Chororgel Ulmer Münster, eigentlich sei nur eine Restaurierung geplant gewesen, aber dann... Und wird die nicht sogar schon dieses oder nächstes Jahr eingeweiht? Für mich wirklich eine Luxusaktion. Mal ganz abgesehen davon, wie die trendigen romantischen Klänge sich dort in der.Chaos-Akustik anhören. Ich fand die Rieger schön klar..

Man hört ja oft Orgelbauer jammern, aber der Neubauboom scheint mir sehr hoch, teils unverantwortlich hoch zu sein, verglichen mit der "kirchlichen Lage". Und wie gesagt, das Geld kommt allergrößtenteils von Leuten, die keiner gefragt hat (Steuerzahler etc.), oder die wenig Ahnung haben (Großspender), also ein Mega-Sponsoring der Orgelbauer von Ahnungslosen..Mittler sind auch Abgeordnete, die sich so kommod eine Wiederwahl sichern können (Kirche vor Ort kommt immer gut).
Wo gibt's das (ist ja keine Daseinsfürsorge) eigentlich sonst noch in dem Ausmaß?
 
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PS

"erhebliche Mängel festgestellt, dass eine Sanierung ausichtslos schien"

Aussichtslos, so so. Dass die jetzt in Polen spielt, ist sicher ein Versehen. Naja, das Kaputtschreiben haben interessierte Stellen ja heutzutage perfektioniert. Stattdessen hätte man auch sagen können, dass der Klang oder Spielweise nicht mehr gefällt.
Das Ding sieht ja potthässlich aus, da war die Rieger grandios dagegen...
Und: 18 Register, 630 Teuro? Das kann man auch als unangemessen bezeichnen.
 
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Im Stephansdom wird ja auch so ein Theater gemacht: Erst 1960 Die Orgel auf der Westempore mit 125 Registern, dann 1991 die Chororgel inkl. Stillegung der Westemporenorgel und jetzt die Instandsetzung der stillgelegten. Das hängt auch damit zusammen, dass das Personal der jeweiligen Zeitepoche unterschiedliche Vorstellungen hat.
Die Orgel von 1960 auf der Westempore war von Anfang an völlig misslungen aufgrund eklatanter Planungsfehler und Überforderung der ausführenden Werkstätte.

Weiß nicht, Stephansdom ist wohl ein gewisser Sonderfall und die Rieger an dem Standort wohl auch nicht als Hauptorgel für die Ewigkeit gedacht gewesen. Trotzdem damals eine sinnvolle Lösung, denke ich. (Edit: allerdings, stimmt, das war ja erst "kürzlich"..Ich glaube, das schnelle Aufbringenkönnen von derart großen Finanzmitteln ist was ziemlich Neues.) Jetzt wurde ja ordentlich geklotzt und das recht fix.
Mit der Planung der Neukonzeption der Orgel auf der Westempore wurde bereits vor über zehn Jahren begonnen, zum Spendensammeln blieb also genügend Zeit, abgesehen von den reichlich vorhandenen finanziellen Mitteln der Dompfarre.
Und: 18 Register, 630 Teuro? Das kann man auch als unangemessen bezeichnen.
Noblesse oblige.
 
Hat man das tatsächlich so lange auch schon kommuniziert (also quasi schon kurz nach Chororgel-Neubau)? Ich hörte "erst vor kurzem" davon, und dann ging es recht schnell.
Zu Ulm: wer wurde da wohl (ernsthaft) um Angebote zur Generalüberholung gebeten - dass keiner ein Angebot abgeben wollte? Ich kann das eigentlich nicht glauben, selbst wenn man die deutlich bescheidenere (und doch so kreative) Zeitepoche und evtl. Platz-/Wartungsprobleme berücksichtigt. Alle Rieger dieser Zeit, die ich kenne, sind (aus Spielersicht) grundsolide, meist auch technisch besser als vergleichbare Walcker und Link. Sollte das übrigens die erste Generalüberholung gewesen sein, hätte man fahrlässig viel zu lange gewartet...
Und wer war wohl noch im Rennen für den Neubau? Teurer geht ja nun wirklich nicht, da passt das gut hier rein. (Dortmund Reinoldi auch, sieht auch schlimm aus).
Im übrigen fand ich gerade auch die Werkaufteilung mit Rückpositiv und damit räumlich unterschiedlichen Schallquellen sehr passend für diesen "Raum im Raum" (in dem die Antwort des Schiffes gar nicht so stark ist..)

"Noblesse oblige" - Höchster Kirchturm und teuerster Registerpreis weit und breit... Was wohl die Rieger damals gekostet.hat? Ein Zehntel?

PS Der Prospekt wirkt plump an die Wand genagelt (jaja, die vielen dicken 8'), und dann noch dieses Laufgitter...
 
Hat man das tatsächlich so lange auch schon kommuniziert (also quasi schon kurz nach Chororgel-Neubau)?
Nach Fertigstellung der Rieger-Chororgel wurde die Orgel auf der Westempore kaum noch gespielt und ein paar Jahre später schließlich stillgelegt. Ab 2010 gab es ernsthafte Bestrebungen, das Instrument zu revitalisieren, es wurden Gutachten von Orgelbaufirmen eingeholt und die Mängel offengelegt. Das äußere Erscheinungsbild stand nie zur Debatte und musste unbedingt erhalten werden. So kam der Wunsch auf, die Orgel unter Verwendung des vorhandenen Materials grundlegend umzubauen und bestmöglich aufzustellen. Ab 2017, im Jahr des Abbaus und 26 Jahre nach Fertigstellung der Chororgel, wurde das Projekt der breiten Öffentlichkeit über Medienberichte vermittelt und 2020 vollendet.
Zu Ulm: wer wurde da wohl (ernsthaft) um Angebote zur Generalüberholung gebeten - dass keiner ein Angebot abgeben wollte?
Offenbar waren hier Geschmacksfragen die entscheidenden.
 
> umfangreichen klanglichen und technischen Überarbeitung (meine-pfeife.de)

Ah, daher weht der Wind. Man könnte ja massive klangliche Änderungswünsche äußern und dann bedauernd feststellen, dass das keiner garantieren will und kann. Auch hier liegt der Grund eben wohl letztendlich dort, dass der damalige Klangstil nicht mehr geschätzt wird (und so auch zB nicht als Fernwerk der Hauptorgel dienen könnte). Ich wäre ja dafür, solche Gutachten für die Öffentlichkeit verfügbar zu machen.
Und umso länger ich über diesen Preis nachdenke, desto weniger kann ich ihn akzeptieren oder gar für gut befinden. Muss zu einer Auftragsausschreibung nicht zumindest die Hälfte des Betrages schon gesichert sein für eine Genehmigung? Es ist schon merkwürdig, wie schnell das möglich war, obwohl man nur sanieren wollte...

PS apropos "weht der Wind": ich kenne so einige Ott-Orgeln, von Schuke Berlin überarbeitet, die mir nicht sonderlich gefallen und die damit "verloren". Winddruck hoch (kenne übrigens auch eine Schuke selbst, die ich nach dieser Aktion für deutlich schlechter halte, mag sie auch kräftiger sein), Ott-Charakteristika weg (Ansprache!), langweilig-glättend über alles drüber, etc. Meist ist es eben besser, Klangidiome einfach so zu lassen, eben hauptsächlich technisch zu überarbeiten (ok, bei Ott mögen auch manche Zungen nicht zu retten sein) und Leute zu suchen, die damit umgehen wollen und können.
 
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Ja, meinte natûrlich Angebotsausschreibung (aber nicht Auftragsvergabe). Und einen entsprechenden bereits angesparten (evtl. umgewidmeten?) Betrag. Variiert das vielleicht je nach Landeskirche/Bistum? Ich meine tatsächlich, das mal entsprechend gelesen zu haben.
 
Die Mensuren sind für diesen damaligen Klangstil recht eng.
(Der Rückpositiv-Prinzipal 8' der Ulmer Hauptorgel hat am C 138,5mm)
Das wird bei der Rieger Chororgel ähnlich sein und sich wie ein roter Faden durch die ganze Orgel ziehen.
Für ein Aufrücken der Pfeifen dürfte bei der gewöhnlich engen Bauweise dieser Zeit kein Platz sein.
Mit einer Überarbeitung wird sich also das gewünschte Ergebnis nicht zufriedenstellend realisieren lassen.
Unter diesen Aspeken dürfte ein Neubau sicher sinnvoll sein.
Ob man aber dafür so viel Geld in die Hand nehmen mußte?
 

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