Die Klavieretüde im 20. Jahrhundert

A

Alter Tastendrücker

Dabei seit
31. Aug. 2018
Beiträge
3.641
Reaktionen
5.045
Sandra Simone Strack : Die Klavieretüde im 20. Jahrhundert

Ich lese gerade dieses Buch.
Kennt jemand die Autorin und/oder das Buch?
 
Lustig, dass du das erwähnst. Ich hatte es letztens erst in der Hand. Ich kann leider noch nicht viel dazu sagen (brauche es erst Ende Januar). Wie ist dein Eindruck?

lg marcus
 
Hier ist eine Rezension des Buches wiedergegeben:
https://www.musikzeitung.ch/de/reze.../buchrezension-klavieretude.html#.XgUNrG5Fxuk

Diese Publikation geht offensichtlich auf eine an der Universität Gießen 2012 vorgelegte Dissertation zurück, von der im Netz immerhin Leseproben verfügbar sind: http://ifb.bsz-bw.de/bsz394332504rez-1.pdf

Schon die Leseproben lassen Abgrenzungsprobleme einzelner Aspekte voneinander erwarten und werfen Fragen auf:
  • Muss der Begriff "Etüde" Teil des Stücktitels sein, um den Zweck der Einstudierung und des Vortrags zu umschreiben?
  • Was macht aus dem (privaten) Übungsstück ein (öffentliches) Vortragsstück?
  • Inwieweit sind die durch das Studieren der Werke angestrebten Entwicklungen und Verbesserungen technischer und musikalischer Art klassifizierbar?
  • Führen andere mehrsätzige/zyklische Werke ("Variationen"/"Veränderungen"/"Studien"...) zu vergleichbaren Resultaten?
  • Kann man überhaupt zwischen "Technik" und "Ausdruck" bei den Einzelbeispielen dieser Gattung unterscheiden?
Trotz der Fülle und der Detailliertheit der analysierten Beispiele bin ich nach der Lektüre der Probeseiten weniger überzeugt als vorher, dass die oben gestellten Fragen (und weitere) damit umfassend zu beantworten sind. Offensichtlich blieben die Beiträge zu dieser Gattung etwa von Debussy oder Rachmaninow außen vor, die für die Weiterentwicklung pianistischer Techniken nach den berühmten Vorläufern von Chopin und Liszt sehr aussagekräftig und wichtig sind. Warum? Weitere Einzelwerke wie Strawinskys Vier Etüden op. 7, die frühen Prokofiew-Etüden op. 2 und 4, die beiden Etüden von Lutoslawski oder die Szymanowski-Zyklen sähe ich auch gerne in diesem Spannungsfeld neben Bartók. Oder wo wäre ein solches Werk zu kategorisieren?:



Kommen Jazzelemente ins Spiel (nicht nur wie bei Schulhoff), sind solche Stücke wie diese von Interesse:



Und die Rautavaara-Etüden als Übergang zu Ligeti könnten den Überblick über die kompositorische Behandlung der Werkgattung Klavieretüde im späteren 20. Jahrhundert eindrucksvoll abrunden. Die Einbeziehung von Spielweisen abseits der Tastatur ist ebenfalls thematisiert worden:



Abschließende Frage: Trägt diese Publikation dem breiten Spektrum an kompositorischen Elementen in Verbindung mit dieser Werkgattung angemessen Rechnung? Ich bin da ziemlich im Zweifel. Die zweite Rezension lässt erkennen, dass die Klavieretüde nach dieser Darstellung die Bindung zur musikpädagogischen Praxis praktisch aufgegeben hat. Ich denke aber nicht, dass aktuell benutzte Übungsliteratur weitgehend dem 19. Jahrhundert verhaftet bleibt. Oder wird etwa heute durchgängig so unterrichtet? Fällt mir schwer zu glauben, wenn sogar Forenmitglieder aus unseren Reihen wie eine unserer Moderatorinnen aktuell Etüden komponieren. Wer sich für die analytische Betrachtung der ausgewählten Beispiele von Skrjabin bis Ligeti interessiert, kommt vermutlich eher auf seine Kosten.

Auf die Einschätzung des Fadenerstellers bin ich gespannt, der ja offensichtlich bereits mit der Lektüre dieses Buches beschäftigt ist.

LG von Rheinkultur
 
Ich will mit einer Einschätzung noch warten, bis ich einige von mir unbeeinflusste Rückmeldungen gelesen habe. Aber die relative Enge und die geringe Anzahl der gewählten Beispiele sind ja sehr offensichtlich.
 
Zeitlich deckt die Autorin das 20. Jahrhundert zur Gänze ab: Während die noch vor 1900 entstandenen Etüden op. 8 durchaus stilistisch in einigen Aspekten an die beiden Chopin-Zyklen anknüpfen, orientiert sich Skrjabin in op. 42 an pianistisch und stilistisch eigenständigen Vorstellungen. Ähnlich neuartig und individuell geht auch Debussy vor, der damit für eine analytische Betrachtung unbedingt relevant wäre. Warum verzichtet die Autorin auf die sich dadurch ergebende Präzisierung?

Ligeti wiederum schließt seinen Etüden-Zyklus an der Schwelle zum 21. Jahrhundert ab. Gerade die rhythmische Komplexität und Abläufe heterogener Geschwindigkeiten kennzeichnen seine Musik - und der Weg dorthin beginnt mit den kompositorischen Mitteln der von osteuropäischen Komponisten geschriebenen Etüden. Beschränkt man sich dabei analytisch auf Bartóks Opus 18, bleibt so manches auf der Strecke, was bei der Berücksichtigung von Komponisten wie Strawinsky, Prokofiew, Lutoslawski und anderen deutlich würde. Ebenfalls interessant wäre eine Bezugnahme auf das Komponieren für mechanisch gesteuerte Instrumente (Pianola und Player Piano), mit denen das motorische Element des Klavierspiels zunächst in klaviertechnisch für den Pianisten nicht mehr erreichbare Dimensionen ausgeweitet wurde. Trotzdem erwies sich dieses Vorgehen nicht als Sackgasse, sondern bescherte dem Etüden-Komponisten zusätzliche Ausdrucksmöglichkeiten beim Spiel mit dem vermeintlich oder tatsächlich Unerreichbaren. Warum wohl lokalisiert Ligeti eine seiner Inspirationsquellen beim Player-Piano-Spezialisten Conlon Nancarrow?:





Ob die Detailanalyse in Stracks Buch dazu eine Antwort bietet, bleibt abzuwarten. Vielleicht hat jemand anderes das Buch bereits komplett gelesen und kann dazu etwas sagen?

LG von Rheinkultur
 
Ich habe das Buch nun nicht komplett gelesen, sondern nur auszugsweise. Ich war insgesamt davon enttäuscht, weil die Autorin zu wenig Information bietet und die ästhetische Diskussion mir nicht tief genug geht. Konkret hatte ich zu Cages "Etudes Australes" gelesen und fand am Ende, dass ich das allermeiste auch einfach aus der Notenausgabe entnehmen konnte.

lg marcus
 
Conlon Nancarrow - was in aller Welt war denn das? Hilfe, meine Katze Miri ist entsetzt geflüchtet.
 

Zurück
Top Bottom