Der neapolitanische Sextakkord (nicht nur) in Klavierstücken

Z

Zoel

Guest
Ein bestimmter Akkord hat es mir sehr angetan: Der neapolitanische Sextakkord. Wer ihn nicht kennt, kann ihn für eine Molltonart einfach so erstellen: Man nehme die Subdominante und erhöhe die Quinte dieses Dreiklangs um einen Halbton - fertig. (So ergibt sich z. B. in a-Moll der Dreiklang d-f-b, den man auch als B-Dur mit Terz im Bass umdeuten kann.)
Ich dachte, man könnte diesem besonderen Akkord einen eigenen Faden widmen, in dem man Beispiele (nicht nur) aus der Klavierliteratur sammelt (möglichst mit Notenbeispiel), in denen dieser Akkord auftaucht, und den entstehenden Effekt beschreibt.
Als einführende Literatur zum neapolitanischen Sextakkord kann dienen: de la Motte, Harmonielehre, S. 88-92.
 
So, ich fange gleich mal mit einem besonders schönen Beispiel an. Es stammt aus der Arpeggione-Sonate, a-Moll, von Schubert, 1. Satz, Takte 16-18.
arpeggione.jpg
Hier sieht man schön, wie der neapolitanische Sextakkord in B-Dur umgedeutet wird, denn es folgt auf ihn die zugehörige Dominante F-Dur (mit Septime im Bass), die gleich darauf aufgelöst wird.
De la Motte schreibt: "Es ist wichtig, zu bedenken, daß dieser Akkord [der neapolitanische Sextakkord] noch zur Bachzeit intensivstem Ausdruck der Klage und des Schmerzes vorbehalten war und keinesfalls als pures Akkordmaterial mißverstanden werden darf." (Harmonielehere, S. 90) - und so würde ich auch den Effekt des Akkordes an dieser Stelle beschreiben: tieftraurig, klagend.
 
Mozart c-moll-Konzert KV 491, 1. und 3. Satz, vor allem dritter! Man könnte meinen, Mozart hat ihn gefunden bzw. erfunden...
 
exzessive Verwendung in Beethovens Mondscheinsonate (erster Satz) und Chopins g-Moll Ballade (Presto)
 
Sehr schön ist auch die Stelle in Bachs Passacaglia und Fuge in c-moll BWV 582 für Orgel! Dort wird er gegen Ende als absoluter Höhepunkt eingesetzt. Ein Traum für jeden Liebhaber der Barockmusik! Und wie an anderer Stelle schon gesagt - in der Barockmusik und besonders auch bei Bach hatte der "Neapolitaner" eine ganz besondere Bedeutung..;)

Herzliche "ergriffene" Grüße und einen guten Rutsch

Lisztomanie
 
Man nehme die Subdominante und erhöhe die Quinte dieses Dreiklangs um einen Halbton - fertig. (So ergibt sich z. B. in a-Moll der Dreiklang d-f-b, den man auch als B-Dur mit Terz im Bass umdeuten kann.)

Das ist so nicht ganz richtig: In deinem Beispiel erhöhst du nicht die Quinte sondern erniedrigst die Sexte! Und so ist es auch korrekt: Mollsubdominante mit erniedrigter Sexte statt Quinte. [Klugscheißer off!]
 
Ich halte das überhaupt nicht für klugscheißerisch, sondern für eine wichtige Korrektur. Danke!
 
Mozart c-moll-Konzert KV 491, 1. und 3. Satz, vor allem dritter! Man könnte meinen, Mozart hat ihn gefunden bzw. erfunden...
Im ersten Satz konnte ich trotz intensivem Mitlesen beim Hören einen Neapolitaner weder hören noch sehen. Im dritten Satz bin ich mir nicht ganz sicher, vielleicht ist mir da was entgangen, habe jetzt aber auch nichts gefunden, was ich als wirklichen Neapolitaner ansehen würde. Vielleicht liegt der Fehler aber bei mir.
Chopin, 1. Ballade und Beethovens Mondscheinsonate sind natürlich gute Beispiele.

Schubert ist, wie ich bereits mit meinem Arpeggione-Beispiel angedeutet habe, eine Fundgrube für jeden, der Neapolitaner sucht. Hier noch ein Beispiel aus dem Lied "An Mignon" (2. Fassung):
schubertanmignon.jpg
 
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Bei allem Reiz des Neapolitaners wie auch des DV sollte man die Gefahr nicht übersehen, die er in sich trägt.
Diese Akkorde sind für jeden drittklassigen Komponisten leicht einsetzbar und somit abnützbar! Da kann auf billige Art und Weise Bedeutung vorgegaukelt werden, die mit der Substanz der Musik in keiner Weise kongruent ist.
 
In meinen Augen bzw. Ohren erklingt "c es as" als Neapolitaner der Doppeldominante (also G-Dur / g-Moll). Stimmt das nicht? Kommt in beiden Themen vor (1. und 3. Satz).
 

Ich dachte, man könnte diesem besonderen Akkord einen eigenen Faden widmen, in dem man Beispiele (nicht nur) aus der Klavierliteratur sammelt (möglichst mit Notenbeispiel), in denen dieser Akkord auftaucht, und den entstehenden Effekt beschreibt.
Ein typisches Beispiel findet sich im ersten Satz von Schuberts Klaviersonate B-Dur, D 960; den "Schmerzakkord" hat Schubert mit einem fortepiano markiert (siehe Notenbeispiel unten) - ich bekomme bei dieser Stelle immer Gänsehaut. :o

In meinen Augen bzw. Ohren erklingt "c es as" als Neapolitaner der Doppeldominante (also G-Dur / g-Moll). Stimmt das nicht? Kommt in beiden Themen vor (1. und 3. Satz).
Vielleicht könntest Du ein Notenbeispiel einstellen - mir geht es ähnlich wie Zoel, ich konnte beim Drüberhören und -schauen nicht erkennen, was Du genau meinst.
 

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In meinen Augen bzw. Ohren erklingt "c es as" als Neapolitaner der Doppeldominante (also G-Dur / g-Moll). Stimmt das nicht? Kommt in beiden Themen vor (1. und 3. Satz).
G-Dur ist doch in c-Moll (der Tonika des Mozart-Konzerts) die Dominante, nicht die Doppeldominante (die wäre D-Dur).
Das c-es-as im Hauptthema des 1. Satzes ist definitiv kein Neapolitaner, da es als Tonika und nicht als Subdominante auftritt. Außerdem ist das "as" dieser Notenfolge später als As-Dur harmonisiert.
Oder meintest du doch eine andere Stelle, Stilblüte? Ich schließe mich Dimos Wunsch nach einem Notenbeispiel an.

@Dimo: Super Beispiel, danke! Kannte ich noch nicht. Die Bezeichnung "Schmerzakkord" ist genial. Ich werde mir das gleich mal im Kontext anhören.
 
wir haben ja jetzt das Verdi-Jahr:

Aida, erster Akt, die Szene "danza sacra" hat ein sehr berühmtes orientalisch wirkendes Exempel für die Verwendung des Neapolitaners :) (Kurt Pahlen bezeichnet das in seinem Aida-Buch sogar als polytonal...)
 
wir haben ja jetzt das Verdi-Jahr:

Aida, erster Akt, die Szene "danza sacra" hat ein sehr berühmtes orientalisch wirkendes Exempel für die Verwendung des Neapolitaners :) (Kurt Pahlen bezeichnet das in seinem Aida-Buch sogar als polytonal...)

Bin dem gleich mal nachgegangen und fündig geworden! Damit hätten wir das erste Bsp. eines Neapolitaners in einer Dur-Tonart. :) Interessant, dass das "es" im Bass als eine Art "Orgelpunkt" auch beim Neapolitaner mitgespielt wird (hier in der Harfenstimme, 3. Takt, letzter Akkord). Vielleicht ist das Ganze wirklich als "polytonal" analysierbar, besonders zusammen mit der Stimme der Sängerin:
aidadanzasacra.jpg

Ein frohes Verdi- und Wagner-Jahr 2013 wünscht
Zoel
 
Mozart, c-Moll-Konzert

Nun, da habe ich wohl einiges übersehen beim Mitlesen. (Wie kann man nur so blind sein...) Mozart wird man eben nicht gerecht durch flüchtiges Drüberschauen :oops: Sorry, Stilblüte! Dass du G-Dur als Doppeldominante bezeichnet hast, hat mich etwas verwirrt.
Aber natürlich sind im ersten und im dritten Satz dieses Konzertes Neapolitaner. Und zwar gar nicht so wenige. Ich bringe meine Notenbeispiele der Einfachheit halber aus einem Arrangement des Konzertes für zwei Klaviere (von IMSLP). Hier eine Stelle aus dem 1. Satz, ziemlich am Anfang:
mozartcmoll1.jpg
Der allererste Akkord in diesem Beispiel ist in der Tat ein Neapolitaner, und zwar tritt er auf als Subdominante von G-Dur. Dann im zweiten Notensystem, dritter Takt: wieder der Neapolitaner (diesmal als Subdominante der Tonika c-Moll), und dann noch im untersten Notensystem, erster Takt.

Im dritten Satz, letzte Variation, ist der Neapolitaner allgegenwärtig, siehe z. B. hier (dritter und fünfter Takt des Beispiels):
mozartcmoll2.jpg

Korrigiert mich bitte, wenn ihr es anders seht oder ich wieder was übersehen habe...
 
KV 491.JPG
In der Tat, mit der Doppeldominante hab ich einmal zuviel gedacht, selbstverständlich ist es nur die Dominante...
Ich höre den Neapolitaner schon im Thema des 3. Satzes. Leider hab ich den Klavierauszug bei IMSLP nicht gefunden, deshalb kein Notenbeispiel. Aber es ist ja quasi eine Periode, die zweimal gleich aufgebaut ist und einmal in g auf der Dominante und beim zweiten mal wieder in c landet - und davor höre ich jeweils Neapolitaner, Dominante, Tonika.
Auch in der Coda (siehe NOtenbeispiel) taucht das Thema ja harmonisch wieder auf, auch dort der Neapolitaner - (hier Takt 228). So interpretiere ich das jedenfalls...?!

besten Gruß, Stilblüte
 
Ich höre den Neapolitaner schon im Thema des 3. Satzes. Leider hab ich den Klavierauszug bei IMSLP nicht gefunden, deshalb kein Notenbeispiel. Aber es ist ja quasi eine Periode, die zweimal gleich aufgebaut ist und einmal in g auf der Dominante und beim zweiten mal wieder in c landet - und davor höre ich jeweils Neapolitaner, Dominante, Tonika.
Auch in der Coda (siehe NOtenbeispiel) taucht das Thema ja harmonisch wieder auf, auch dort der Neapolitaner - (hier Takt 228 ). So interpretiere ich das jedenfalls...?!
Stilblüte, ich finde Dein Beispiel aus 2 Gründen nicht "auf einen Neapolitaner passend":
  • Der Akkord in Takt 228 ist ein Quartsextakkord (Quart & Sexte), während es sich beim Neapolitaner typischerweise um einen Sextakkord (Terz & Sexte) handelt. Dann würde es sich ja bei Deinem Akkord um die Umkehrung eines Neapolitaners handeln, quasi ein "Neapolitanischer Quartsextakkord" - dazu habe ich im Netz aber nichts gefunden.
  • Der von Dir als N. bezeichnete Akkord tritt im Thema des 3. Satz als Bestandteil einer wiederkehrenden Kadenzformel auf (wie Du richtig beschreibst, gleich zweimal im Thema). Noch dazu wird das Thema wiederholt. Das würde heißen: Viermal der N. in vier aufeinanderfolgenden Kadenzen innerhalb einer Minute - also quasi inflationär -- während ein typischer Neapolitaner ein seltenes Ereignis ist.
 
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