Objektiv und eindeutig reproduzierbar wird sich zwischen dem Einzelton eines Stümpers und dem eines Könners kaum ein Unterschied ausmachen lassen. Die einzige Möglichkeit, den Klang eines Klaviertons zu modifizieren, ist nun einmal die Lautstärke:
-- Ein lauter Ton verklingt relativ schneller als ein leiser, hat also einen perkussiveren Charakter.
-- Ein lauter Ton ist obertonreicher.
-- Ein lauter Ton ist geräuschvoller.
Keine der Eigenschaften eines Klaviertons -- Obertongehalt, Nachklang, Geräuschanteil -- läßt sich unabhängig von der Lautstärke beeinflussen. Daß Geräusche bei gleicher Lautstärke theoretisch verschieden stark sein können, erscheint zunächst plausibel, ist aber wahrscheinlich auch vernachlässigbar.
-- Denn das einzige Geräusch, das sich unabhängig von der Lautstärke beeinflussen ließe, ist dasjenige, das beim Auftreffen der Fingerkuppe auf die Tastenoberfläche entsteht. Wenn sich der Spieler hoffentlich die Fingernägel geschnitten hat, dürfte davon allerdings nicht nennenswert etwas zu hören sein.
-- Das Holzgeräusch beim Auftreffen der Taste auf dem Tastenboden läßt sich kaum mindern, denn es dürfte keinem Spieler gegönnt sein, den Hammer maximal zu beschleunigen und 2 Millimeter vor dem Ende des Tastengangs die Bewegung noch irgendwie wieder abzubremsen. Geht die Taste nicht vollständig hinab, ist der Ton immer auch leiser.
-- Das dritte Geräusch, das Klopfen des Hammers beim Auftreffen auf die Saite entzieht sich nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch jedweder Kontrolle. Von allen Geräuschen ist es das stärkste und unvermeidbar.
Erklärungsversuche, die trotzdem einen Unterschied begründen wollen, notfalls mit der Elastizität des Hammerstiels oder mit schräg gerichteten Bewegungen (wie groß können diese werden bei waagerecht gelagerten Klavierachsen, die möglichst wenig Spiel haben sollten, und wie sollte ein Hammerkopf schräge Bewegungen auf die Saite mit welchem Klangeffekt übertragen, da der Hammer die Saite nur anschlägt und nicht seitlich auslenken kann?) -- solche Erklärungsversuche erschienen mir selbst dann überflüssig, wenn sie einen Effekt tatsächlich richtig beschreiben würden, wie gering oder beachtenswert auch immer. Denn jeder gute Klavierspieler weiß, daß das Geheimnis nicht im einzelnen Ton liegt, sondern im Zusammenspiel verschiedener Tonstärken. (Daß die Elastizität des Hammerstiels eine Rolle spielt, ist zwar richtig, aber die ist höchstens vom Klavierbauer, nicht vom Spieler kontrollierbar.)
Dieses Zusammenspiel richtig zu dosieren, dazu bedarf es in erster Linie musikalisch und klanglich der richtigen Vorstellung, in zweiter Linie zweckmäßiger Bewegungen. Zweifellos gibt es unzweckmäßige Bewegungen, die schlechten Klang erzeugen, aber das ist nicht dem Einzelton anzuhören, sondern nur seiner unangemessenen Dynamik im Zusammenhang mit vorherigen, nachfolgenden und gleichzeitig erklingenden Tönen. Ein Ton von einer bestimmten Lautstärke und mit bestimmtem Geräuschanteil kann sehr schroff oder sehr sanglich klingen, abhängig davon, in welchem Zusammenhang er erklingt. Seltsamerweise nämlich läßt sich feststellen, daß sangliches Spiel nicht etwa besonders ausgeglichene Dynamik und weichen Anschlag verlangt, sondern besonders unausgeglichene insofern, als die Dynamik sehr deutliche Unterschiede zeigen muß innerhalb von Linien, um beredt und ausdrucksvoll zu erscheinen. Nur dürfen diese Unterschiede natürlich nicht zufällig sein, sondern die Hebungen und Senkungen wollen sehr kontrolliert gestaltet sein. Weich klingt es nicht, wenn alle Töne möglichst geräuschlos sind, weich klingt es dann, wenn die richtigen hervorgehoben sind und die richtigen im Hintergrund bleiben.
Man kann nämlich mit Klavier-Samples eine MIDI-Datei erzeugen, die in der grafischen Darstellung des Wave-Editors entschieden ausgeglichener aussieht als eine reale Klavieraufnahme. Überraschenderweise aber klingt erstere selbst dann stupide und hart, wenn sie mit einem hervorragenden Sample erzeugt wurde, bei dem der einzelne Ton durchaus angenehm klingen kann. Vergleicht man eine solche Aufnahme mit der grafischen Darstellung einer realen, meisterlich gespielten Klavieraufnahme, wird man feststellen, daß die reale im Wave-Editor viel unregelmäßiger und scheinbar zufälliger aussieht. Die dynamischen Unterschiede sind scheinbar willkürlicher, größer und schroffer, trotzdem klingt es selbst für unbedarfte Ohren tausendmal schöner. Das Geheimnis liegt offensichtlich nicht in der Art, wie die Taste grundsätzlich bewegt wurde, sondern im Zusammenspiel zweckmäßiger Bewegungen und richtiger musikalisch-klanglicher Vorstellung, die allein durch Dynamik realisiert wird. Das ist entschieden komplexer als die Frage, ob sich Klang unabhängig von der Lautstärke beeinflussen läßt. Meiner Meinung nach läßt er sich nur über die Lautstärke (und natürlich über den Pedalgebrauch) beeinflussen. Alles andere erscheint mir mystisch und würde ich gerne im Blindversuch bewiesen sehen, wenn ich dran glauben soll. Messen konnte es bisher niemand.
Als ich in einem Klavier-Verkaufsraum einst einen Kaufinteressierten Instrumente ausprobieren hörte, lobte der Verkäufer seinen "schönen Anschlag". Ich war durchaus seiner Meinung und hätte den Spieler auch gelobt. Ich kann mit der Aussage "schöner Anschlag" aber herzlich wenig anfangen, weil ein einzelner Anschlag nicht schön oder häßlich sein kann. Ich hätte dem Verkäufer aber sehr wohl erklären können, warum es schön klang, allein anhand der Verteilung der Lautstärken. Selbst wenn es noch einen weiteren Effekt geben sollte, dürfte er ziemlich belanglos sein. Und ich bin sicher, der Verkäufer hätte den angeblich "schönen Anschlag" nicht gelobt, wenn der Kunde nur einen einzigen Ton gespielt hätte, mit welcher Bewegung auch immer. Und die Art, wie der Kunde die Taste losließ, hätte ihn wohl auch kaum beeindruckt.