Der Kasper auf dem Klavierschemel – Bewegung beim Klavier spielen

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31. Jan. 2008
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Hallo alle miteinander.

Kennt Ihr das: hinreissende Aufnahmen des Pianisten XY auf CD, aber im Konzert oder auf youtube gesehen – unmöglich!?

Was meint Ihr? Gehört zu einem guten Klaviervortrag viel Bewegung des Interpreten: kreisende Bewegung des Oberkörpers bis zum Fast-vom-Stuhl-Fallen oder eher das Beispiel Bachs: fast stoische Ruhe auch bei den schwersten Stellen?
Bin total gespannt, was Ihr dazu wisst!

Walter
 
Das ist sicherlich Geschmackssache.
Viele Leute sagen, dass es um die Musik geht und nicht um den Pianisten und sein Gebahren. Anderen Leuten wiederum ist ein Pianist der steif vorm Klavier sitzt und spielt zu "langweilig".
Sicherlich muss man unterscheiden zwischen Pianisten wie Lang Lang, dessen Mimik und Gestiken teils schon unfreiwillig komisch wirken und Pianisten wie Martin Stadtfeld, die sehr ruhig und bedächtig spielen.


Oder nehmen wir Mitsuko Uchida, die meist mozartinterpretierende Pianistin neigt auch zu theatralischen Gesten wie Lang Lang.

Es geht dabei um UNTERHALTUNG. Der Pianist als Entertainer.
Sicherlich hat Lang Lang einen höheren Unterhaltungswert als Stadtfeld
oder Horowitz.

Ich persönlich habe nichts gegen etwas Theatralik am Klavier, etwas
Emotion und Show. Solange die Musik nicht leidet und ich denke, das tut
sie weder bei Uchida oder Lang Lang.

Wobei ich glaube aber auch, dass diese Theatralik und diese Gesten teils echt sind. Ich als Anfänger merke jetzt schon dass ich dazu neige, bei bestimmten Passagen "mitzugehen" auch körperlich. Und ich sehe auch nicht ein, dass zu unterdrücken, schließlich geht es ja um Emotionen.

Und man darf auch nicht vergessen: Es gibt zigtausend begnadete Pianisten, die sehr jung und sehr gut sind. Von daher braucht es auch etwas show um aufzufallen. Martin Stadtfeld sieht beispielsweise ziemlich gut aus, auch ein Vorteil. Wer weiß, wenn er klein und dick wär, würd er vielleicht auch nicht so erfolgreich sein. Musik ist immer auch Entertainment. Das war auch schon bei Mozart und Beethoven so. Gerade Beethoven soll ja sehr exzentrisch gewesen ein, Mozart geradezu dreist.

Trotzdem, und da gebe ich Dir Recht, müssen Leuten wie Lang Lang aufpassen, dass sie nicht in die Clownerie abdriften, wie in diesem Video von Lang Lang:
http://youtube.com/watch?v=b85hn8rJvgw

bei diesem Lang Lang Video hingegen glaube ich, dass diese Gestik absolut echt ist und nicht gespielt:
http://youtube.com/watch?v=yuiQ0Ihn8Go
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Es geht dabei um UNTERHALTUNG. Der Pianist als Entertainer.
Sicherlich hat Lang Lang einen höheren Unterhaltungswert als Stadtfeld
oder Horowitz.

Es geht ganz bestimmt nicht um Unterhaltung.
Es geht darum, die Musik dem Publikum begreiflich zu machen. Und Bewegung ist ein Mittel, um das zu tun. Die falsche (oder eine zur Groteske übertriebene) Bewegung bewirkt natürlich manchmal das Gegenteil dessen, was beabsichtigt ist. Und es ist auch eine Sache der Persönlichkeit, ob jemand eher beherrscht und "rationell" oder überschwenglich und mit großen Gesten spielt.
 
>Es geht darum, die Musik dem Publikum begreiflich zu machen

Aber das ist doch Unterhaltung, oder nicht? Es ist eine "unterhaltende Art".
Sonst könnte man dem Publikum ja auch einen Flyer in die Hand drücken, wo drauf steht, wie das Stück wirken soll, bzw. wie es zu interpretieren ist.

Das ist genauso wie bei einem Schriftsteller:
Der kann seine Geschichte erzählen, von A bis Z. Sachlich und nüchtern.
Er tut dies aber nicht, weil das nicht unterhaltsam wäre. (in der Regel).
Also schmückt er die Geschichte aus, Spannung, Zeitsprünge usw.
Das ist Unterhaltung.
 
Dazu hat ein Pianist die musikalische Interpretation.
 
Ok, nehmen wir mal an, das "Gebahren" hat keine Unterhaltungszwecke.
Wozu ist es dann? Die Intentionen der Komponisten können doch genauso gut musikalisch ausgedrückt werden. Und sei es durch simples Laut/Leise spielen oder durch Rubato?
 
@ Haydnspaß:
Ich habe ehrlich gesagt noch nie darüber nachgedacht, ob zur Interpretation von Musik dazugehört, wie der Interpret aussieht/ sich verhält.
Eigentlich ging ich immer davon aus, dass Interpretation ausschließlich die Musik betrifft.
Auf CDs hört man ja auch nichts anderes bzw. sieht nichts.

Mein Beitrag war auf das hier bezogen:
Das ist genauso wie bei einem Schriftsteller:
Der kann seine Geschichte erzählen, von A bis Z. Sachlich und nüchtern.
Er tut dies aber nicht, weil das nicht unterhaltsam wäre. (in der Regel).
Also schmückt er die Geschichte aus, Spannung, Zeitsprünge usw.
Das ist Unterhaltung.

Martin bringt als Beispiel, dass man einen Text auch nicht monoton liest, sondern gestaltet, sehr richtig.
Analog beschrieb er die Bewegung beim Musizieren.
Ich finde aber, dass die Entsprechung zum gestalteten Lesen die musikalische Gestaltung beim Spielen ist.
Auch beim Lesen kann man sich ja bewegen :p
 
Ich finde aber, dass die Entsprechung zum gestalteten Lesen die musikalische Gestaltung beim Spielen ist.
Auch beim Lesen kann man sich ja bewegen :p

Ja, das stimmt :)

Ich finde bei der Musik besonders das tänzerische Element sehr wichtig. Ich kann zwar garnicht tanzen, aber ein gewisses tänzerisches Körpergefühl hilft unglaublich viel beim Spielen von tänzerischen Stücken (und das sind ja die meisten).
 
... aber ein gewisses tänzerisches Körpergefühl hilft unglaublich viel beim Spielen von tänzerischen Stücken...
Für dich als Pianisten mag das ja bis zu einem gewissen Grad helfen; aber meinst du wirklich, dass für den Rezipienten und seine Entschlüsselung der Botschaft (was auch immer das eigentlich sein soll) die Körperaktion des Interpreten so von Bedeutung sein sollte?
 
Ich verbuche das Alles unter Gestik und Mimik (wie es auch beim Lesen vorkommt). Ist von Person zu Person unterschiedlich und in allen Fassetten völlig legitim.
 

Man muß wohl unterscheiden, ob das "tänzerische" Element aus dem eigenen Naturell kommt oder ob es sich um Show handelt.

Wer den Drang hat, sich zur Musik zu bewegen, hat sicherlich mehr Arbeit damit, diesen Drang einzudämmen als ihm freien Lauf zu gewähren. Was körperlich unökonomisch wirkt, ist insgesamt möglicherweise sehr ökonomisch. Wer den Drang nicht hat, konzentriert sich ja auch nicht darauf, wie er sich nicht bewegt. Wie es aussieht, ist eine andere Frage, zunächst kommt es ja darauf an, wie es sich anhört.

Wer den Drang hat, sich selbst darzustellen, der baut halt Showelemente ein. Dann ist beim Vortrag aber nicht mehr die Musik der Mittelpunkt, sondern der Pianist (so haben leider viele auch meinen Beitrag zu den goldenen Regeln des Klavierspielens verstanden) - er trägt sich selbst vor, mit Hilfe der Musik.

Es kommt noch eine weitere Frage auf: Wieviel Bewegung verträgt das Publikum ohne daß der Musikeindruck geschmälert wird? Ich glaube, je mehr Show in der Bewegung ist, desto schlechter wird das Verhältnis. Wenn aber die Bewegung aus dem Affekt heraus entsteht, wird quasi der emotionale Gehalt der Musik unterstrichen. Das wird nur dann zum Problem, wenn ein Zuhörer eine andere Vorstellung von der Musik hat, aber dann wird ihm der rein akkustische Eindruck auch nicht zusagen.

Fragt sich nur noch, ob man Affektbewegungen nicht in die Finger umleiten kann, um dadurch noch schöner zu spielen. Horowitz war ja z.B. ziemlich regungslos aber auch ein Bündel von emotionaler Energie, die bei manchen Interviews auch körperlich zum Ausdruck kam (selbst am Klavier), aber meines Wissens praktisch nie, wenn er ernsthaft Musik machte (das Video, wie er ein Orchester vom Klavier aus dirigiert schließe ich mal aus, ich glaube da war nicht mal Publikum und während er gespielt hat, war er wie immer).
 
Ich bin eigentlich eine "brave" Klavierspielerin, soll heißen, dass ich meine Fingerchen brav auf der Tastatur liegen habe, so wie ich es halt als Kind gelernt habe. Wie sehr jedoch Bewegung das Spiel beeinflusst, habe ich letzte Stunde erfahren. Ich muss die linke Hand weg von der Tastatur, nach oben und dann von oben her die Tasten jeweils kurz anschlagen, wieder nach oben, anschlagen usw. Mit der rechten Hand muss ich "normal" spielen. Da ich so noch nie gespielt habe, ist das sehr anstrengend für mich und es hat zwei Tage gedauert, bis ich statt zweier Bewegungen nur eine quasi Kurvenbewegung gemacht habe. Ich weiß nicht, ob es für diese Spielart eine Bezeichnung gibt, aber die Töne klingen völlig anders als zuvor.

Ich bin überzeugt davon, dass jede Bewegung die Musik beeinflusst, sowohl in technischer Hinsicht als auch optisch, da die Musik dadurch besser vermittelt werden kann.

Ich muss mich trotzdem ein wenig überwinden mich dafür zu öffnen, aber ich werde das schon schaffen :cool:.
 
Obwohl ich zugeben muss, dass mich die (von mir übertrieben empfundene) Mimik und Gestik von z.B. Lang Lang eher nervt, bin ich auch einer von denen, die am Klavier "herumhampeln" und die ein oder andere Bewegung nicht nur mit den Armen, sondern auch mit dem ganzen Körper begleiten. Das passiert allerdings nur, wenn ich "unbeobachtet" vor mich hinspiele. Wenn ich mal etwas vorspiele, was äußerst selten passiert, sitze ich doch eher recht steif (und kreideweiß:rolleyes:) da.

Ich habe dabei beobachtet, dass die Musik besser klingt, wenn ich mich dazu bewege. Das kann aber mit der klanglichen Gestaltung durch die Bewegung selbst nichts zu tun haben wie Horowitz und Co zeigen. Ich denke, dass das "Gehampel" eine Begleiterscheinung des musikalischen Ausdrucks ist, welche von den Pianisten unterschiedlich kontrolliert bzw. instrumentalisiert wird.
 
meinst du wirklich, dass für den Rezipienten und seine Entschlüsselung der Botschaft (was auch immer das eigentlich sein soll) die Körperaktion des Interpreten so von Bedeutung sein sollte?

Es steht nicht zur Diskussion, ob sie es sein sollte, sie ist es einfach. Das zeigen zig Jahre Unterrichtserfahrung. Schüler, die sich passend zur Musik bewegen, spielen besser. Es klingt besser. Den Unterschied würde man auch auf einer CD hören. Wie gesagt, ich rede nicht von den Auswüchsen, wie sie z.B. bei einem Lang Lang zu beobachten sind.
 
Ich selbst bewege mich auch zur Musik, wie ich finde aber noch in angemessenem Rahmen.
Ich spielte mal jemandem vor (der was von Musik versteht) und die Person wollte unbedingt, dass ich ruhig sitze.
Das war so dermaßen anstrengend, meine Güte! Sich sowas ganz abzugewöhnen wäre schon viel Arbeit.
 
Es steht nicht zur Diskussion, ob sie es sein sollte, sie ist es einfach. Das zeigen zig Jahre Unterrichtserfahrung. Schüler, die sich passend zur Musik bewegen, spielen besser. Es klingt besser. Den Unterschied würde man auch auf einer CD hören. Wie gesagt, ich rede nicht von den Auswüchsen, wie sie z.B. bei einem Lang Lang zu beobachten sind.

Dem stimme ich im Prinzip zu, vorausgesetzt, die Schüler haben entsprechendes Temperament. Oder würdest du sagen, Horowitz hätte noch besser gespielt, wenn er sich dazu bewegt hätte?

Wie gesagt, sollte man meiner Meinung nach die Bewegungen einfach zulassen und nichts forcieren - solange es in einem vertretbaren Rahmen bleibt (was auch immer das dann wäre). Hätte ich Schüler, würde ich ihnen sagen "du darfst dich bewegen" aber nicht "du mußt dich bewegen".
 
Dem stimme ich im Prinzip zu, vorausgesetzt, die Schüler haben entsprechendes Temperament. Oder würdest du sagen, Horowitz hätte noch besser gespielt, wenn er sich dazu bewegt hätte?

Ein bißchen hat er sich ja auch bewegt ;)

Auf jeden Fall klingt es bei ihm so, als würde er sich bewegen :p

Hätte ich Schüler, würde ich ihnen sagen "du darfst dich bewegen" aber nicht "du mußt dich bewegen".

"Du mußt" wird sicher auch niemand sagen. Ich bin jedenfalls dafür, es einfach mal so und so zu probieren, und dann macht man es so, wie es einem am besten gefällt und wie es sich am richtigsten anfühlt. Bewegung mit dem ganzen Oberkörper hat auch noch nebenbei den positiven Effekt, daß es einen von einer krampfhaften Fixierung auf die Fingerarbeit befreit, die ja oft die Ursache eines hämmernden Anschlags ist.

Oft liegt die Ursache für Nicht-Bewegen beim Spiel auch ganz einfach darin, daß der Schüler in den Hand- und Arm-Gelenken völlig verkrampft ist und sich schon aus diesem Grund garnicht bewegen kann.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Ich führe diese Diskussion auch mit Regelmäßigkeit mit meiner Klavierlehrerin, die mich zur Schauspielerei erziehen will. Da ich von Grund auf ein sehr kritischer Mensch bin, hinterfrage ich alles. Und einen erklärbaren Zusammenhang zwischen Bewegungen (anderen als denen der Fingerspitzen) und Klang sehe ich nicht. Alle anderen Bewegungen sind allenfalls nötig um genau diese (richtigen) Bewegungen der Fingerspitzen möglich zu machen. Ich würde grundsätzlich alle überflüssigen Bewegungen vermeiden, das hat einfach mit Effizienz und Zielstrebigkeit zu tun.

Eine andere Sichtweise ist die, dass alleine der Wunsch Musik zu machen aus Emotionen besteht, oder eben das Bestreben solche auszudrücken. Damit kommt der Spieler, der eine bestimmte Emotion beim Spielen tatsächlich erlebt, am autentischsten (vielleicht auch am besten) an.
Das Durchleben einer Emotion führt aber bei den meisten auch zu körperlichen Reaktionen (Bewegungen). Beides (Spielbewegung und sonstige Körperbewegungen) haben also die gleiche Ursache, nämlich die erlebte Emotion. Ob die eine von der anderen abhängt finde ich eher eine Typsache.

Ich erkläre damit auch, warum mir beim Erlernen eines Stücks solche Bewegungen eher unangenehm sind (daher die Diskussionen mit meiner Lehrerin), später, wenn das Stück "sitzt", führe ich unbewusst manche Bewegungen aus, die nichts mit dem Spiel oder der Erzeugung von Klang zu tun haben.

Daher gefällt mir auch die Beschreibung: "Du darfst dich bewegen, musst aber nicht".

Der Hartmut
 
Und einen erklärbaren Zusammenhang zwischen Bewegungen (anderen als denen der Fingerspitzen) und Klang sehe ich nicht. Alle anderen Bewegungen sind allenfalls nötig um genau diese (richtigen) Bewegungen der Fingerspitzen möglich zu machen. Ich würde grundsätzlich alle überflüssigen Bewegungen vermeiden, das hat einfach mit Effizienz und Zielstrebigkeit zu tun.

Ich denke schon, dass eben nicht nur die Fingerspitzen, sondern der gesamte Bewegungsapparat am Klang beteiligt ist. Die Fingerspitzen stellen nur das Ende dieses Bewegungsapparates dar.

Du hast sicher recht, dass man überflüssige Bewegungen vermeiden sollte aus Effizienzgründen, aber man sollte erstmal kritisch hinterfragen, ob die Bewegung wirklich überflüssig ist.

Ein Beispiel: bin immer noch an der Berceuse von Chopin zugange. Meine Klavierlehrerin hat mir sehr plausibel nahegebracht, die in diesem Stück ständig wiederkehrende Schaukelbewegung der linken Hand aus dem Arm heraus, mit Handgelenk auszuführen in Form von einer Pendelbewegung, bei der sich das Handgelenk immer beim 1. Ton und beim Akkord in der Taktmitte auf die Tasten absenkt. Dies führt zu einer natürlichen Betonung dieser Töne,wie es für das Stück nötig ist.
Ich habe für mich herausgefunden, dass es die kontinuierliche Pendelbewegung (der Wiege, es ist ein Wiegenlied) fördert und das Baby viel schöner in den Schlaf lullt, wenn ich mit dem Oberkörper diese Bewegung mitmache. Die Herausforderung bei diesem Stück ist "lediglich", dass die recht virtuosen Passagen der rechten Hand, mit unterschiedlichen Melodieschwerpunkten, unabhängig von diesem Schaukelgroove bleiben muß.

Mein Fazit: Bewegungen, die dem Klaviersound dienlich sind, sollte man nicht verhindern. Ich bin aber gegen Showbewegungen, die zum auditiven Erleben nichts beitragen. Für mich ist Musik in allererster Linie ein aurales Ereignis, kein visuelles. Allerdings sind Bewegungen dafür auch hilfreich.
 

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