Der Kasper auf dem Klavierschemel – Bewegung beim Klavier spielen

Ich kann mir den Beginn der D-dur Fuge aus dem WTC I z.B. nicht ohne wildes Kopfschütteln vorstellen :)

:D:D
Bei dieser Fuge sitze ich stattdessen äußerst kerzengrade da, mit stolzgeschwellter Brust. Diese Fuge empfinde ich so, als würde ein König würdevoll und festlich/feierlich entlangschreiten.:)

Aber zurück zu den Bewegungen. Es gibt schon Bewegungen, die eine bestimmte Dynamik auslösen. Zum Beispiel wenn es eine Anneinanderreihung einer sich wiederholenden Tonfolge gibt, der man eine bestimmte Dynamikabstufung, immer wiederkehrend, verpassen will, dann ist es gut, wenn man immer die gleichen Bewegungen macht. Dadurch wird die Phrasierung auch gleichmäßiger.
Beispiel: bei der Berceuse gibt es eine Passage mit 4 x 32tel Noten, die auf anderen Tönen immer wiederholt wird. Zur Phrasierung dieser Passage möchte meine Klavierlehrerin, dass ich das Handgelenk anhebe und wieder absenke. Wenn ich dies fortwährend so tue, bekomme ich den gewünschten Effekt hin.

D.h., das sind eben solche Bewegungen, die die Musik beeinflussen und nicht umgedreht. Und diese plane ich sehr wohl, ich will ja kein Zufallsergebnis erzielen, sondern etwas, was ich aktiv beeinflusse, damit es in die gewünschte Form kommt.
 
In der h-moll Sonate von Liszt gibt es vor der großen Schlusssteigerung (direkt vor cantando espress. senza slentare) zwei mysteriöse Noten: über einer Ganzen und einer Halben sind für die Notenwerte jeweils ein crescendo und ein decrescendo vorgeschrieben. Da dies auf dem Flügel natürlich musikalisch nicht realisierbar ist, fragt man sich natürlich was das soll. Alfred Brendel meinte hierzu, das an dieser Stelle nur über die Bewegung des Pianisten das subjektive Gefühl einer Zu- und Abnahme der Lautstärke so erreichen sei. Für das Crescendo bewegt sich der Oberkörper des Pianisten auf das Klavier zu, beim Decrescendo wieder weg. Brendel betonte im Nachhinein auch die Wichtigkeit dieser Stelle. Komponierte Bewegung also.

Das hat natürlich nichts mit dem Thema zu tun, aber ich finde es schon interessant.
Als Glenn Gould noch Konzerte gab, wurde ihm in Rezensionen seine "Klavierclownerie" immer wieder vorgeworfen. Als Experiment konzentrierte er sich einmal darauf, diese Bewegungen zu unterlassen. In der anschließenden Rezension wurde sein Spiel als weniger durchsichtig als sonst beurteilt. Manchmal sind Marotten eben keine Schauspielerei sondern über die Jahre Bestandteil des Bewegungsablaufs geworden. Aber das ist letztlich einerlei. Was zählt ist das Ergebnis. Und das Visuelle ist ein Nebenprodukt. Richter ging in späteren Konzerten dazu über, den Raum völlig abzudunkeln; nichts sollte von der Musik ablenken. Wenn jemand meint, er müsse auf dem Klavierhocker nebenbei turnen, ist mir das soweit egal, wie mich seine Interpretationen überzeugen. Wenn ich Showbiz will, schaue ich mir Dudley oder Igudesman and Joo an:

http://www.youtube.com/watch?v=GazlqD4mLvw
http://www.youtube.com/watch?v=ifKKlhYF53w

In diesem Sinne

LG Marcel
 
... Als Experiment konzentrierte er sich einmal darauf, diese Bewegungen zu unterlassen...

Genau das ist ja das Problem der "unnötigen" Bewegungen. Wenn man sich darauf konzentriert, hat man weniger Konzentration für das Wesentliche. Deswegen halte ich auch nichts davon, wenn einem ein Klavierlehrer vorschreiben will, daß man sich zur Musik bewegen soll. Entweder es kommt von selbst oder es kommt eben nicht. Der richtige Ansatz wäre wohl eher, dem Schüler von entsprechenden Hemmungen zu befreien. Mir schwebt dabei gerade das Bild eines Zuhörers vor Augen, der ganz versonnen anfängt, mit dem Fuß zu wippen und knallrot wird, als er sich dabei ertappt fühlt.
 
Da mußt du die Fuge aber extrem langsam spielen...

Nö, eigentlich nicht - ein festlicher Schreitschritt pro Viertel. Man spielt ja immerhin haufenweise 32tel Noten. Das kommt schon ganz gut so hin, ist keinesfalls sehr langsam. Aber stolz und festlich :)

Deswegen halte ich auch nichts davon, wenn einem ein Klavierlehrer vorschreiben will, daß man sich zur Musik bewegen soll. Entweder es kommt von selbst oder es kommt eben nicht. Der richtige Ansatz wäre wohl eher, dem Schüler von entsprechenden Hemmungen zu befreien. Mir schwebt dabei gerade das Bild eines Zuhörers vor Augen, der ganz versonnen anfängt, mit dem Fuß zu wippen und knallrot wird, als er sich dabei ertappt fühlt.

Guendola, man muß zwischen Zuhörer und Interpret unterscheiden. Grund: für den Zuhörer ist körperliche Bewegung immer Reaktion auf Musik. Beim Interpret kann es beides sein, Reaktion als auch Verursacher von bestimmten dynamischen Aktionen.

Für letzteres (Bwegungen als Katalysator bzw. Hilfe für einen bestimmten Klangausdruck) sind mir die Hinweise meiner Lehrerin schon sehr wichtig. Es kann eben einein Klangunterschied bedeuten, ob bei einer Passage das Handgelenk ruhig gehalten wird, oder auf und ab bewegt wird. Wenn man denn nun im Unterricht am Ausdruck arbeitet (und das passiert zu 90% meiner Unterrichtszeit, mindestens), hat das eben auch zur Folge, dass an den nötigen Bewegungen zur Erzielung dieses Ausdrucks gearbeitet wird. Es geht hierbei nicht um Bewegungen, die ich als Reaktion auf die Musik mache, sondern zur Erzielung des Ausdrucks, wohlgemerkt!
Und - Arbeit am Ausdruck bedeutet nicht, dass mir meine Klavierlehrerin vorschreibt, wie ich mich denn auszudrücken habe. Wir einigen uns auf den Charakter und was das Ziel der Passage ist usw., und danach geht es daran, wie man das realisiert. Dazu gehören unter anderem auch zum Beispiel geeignete Arm- oder Handgelenksbewegungen, die geeignete Fingerstellung (ob gestreckt oder gekrümmt) usw. Eben auch Bewegungen in den verschiedenen Teilen des Spielapparates, um den gewünschten Ausdruck zu erzielen.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
...Dazu gehören unter anderem auch zum Beispiel geeignete Arm- oder Handgelenksbewegungen, die geeignete Fingerstellung (ob gestreckt oder gekrümmt) usw. Eben auch Bewegungen in den verschiedenen Teilen des Spielapparates, um den gewünschten Ausdruck zu erzielen...

Gut, ich dachte eher an solche Dinge wie Rumpfkreisen, Kopf nach hinten werfen und fliegende Hände. Dann sind wir uns eigentlich einig :)

Hier übrigens noch der Beweis, daß Bewegung alleine nicht ausreicht, wenn man zu schnell spielt:

http://www.youtube.com/watch?v=-3WWZQyPs30&feature=related

Aber weniger Bewegung bringt es auch nicht umbedingt:

http://www.youtube.com/watch?v=9TVU76J_LjI

Nebenfrage: Benutzt Peskanov da überhaupt Pedal?
 
Hier übrigens noch der Beweis, daß Bewegung alleine nicht ausreicht, wenn man zu schnell spielt:

http://www.youtube.com/watch?v=-3WWZQyPs30&feature=related

Verstehe den Sinn deines Satzes in sich nicht. Was meinst du damit, dass diese Einspielung von Zimerman der Beweis sei, dass Bewegung alleine nicht ausreicht, wenn man zu schnell spielt? :confused:

Das ist von Zimerman wunderschön gespielt, und keinesfalls zu schnell. Stattdessen seeeehr gefühlvoll. Ja, danke für den schönen Link! Habe auch keine überflüssigen Bewegungen gesehen. Zimerman weiß genau, wann und warum er die Hand von den Tasten abstößt.

Dieses Zimerman-Video zeigt stattdessen schön, wie Hand- und Armbewegungen für gestalterische Dinge eingesetzt werden können, das Video ist ein gutes Beispiel, wie Bewegungen meisterhaft in resultierenden Klang umgesetzt werden.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Übrigens fiel mir heute beim Anschauen verschiedener E.S.T.-Aufnahmen auf, dass die Expressivität des körperlichen Ausdrucks im Jazz ganz oft – unabhängig von "Leistungsparametern" wie Tempo und Dynamik – mit dem Anteil an spontan kreativer Leistung korreliert. Eigentlich eine triviale Beobachtung, aber macht doch deutlich, wie eng physische und psychische Vorgänge gekoppelt sind. Hier z.B. so bei 2:40 im Solo von Svensson:

http://www.youtube.com/watch?v=7N2d1HehGmc&feature=related

(BTW: Auch sämtliche anderen E.S.T.-Videos auf YouTube sind ein Tipp für die langen Osterabende am Kamin mit Bratapfel und Glühwein. ;))
 
gesten

@ Haydnspaß:

Auf CDs hört man ja auch nichts anderes bzw. sieht nichts.

:p

Deshalb sollte man sich Cd´s möglichst von Künstlern anhören, die man auch gesehen hat - sonst fehlt was. die gesamte körpersprache transportiert doch immer einiges Wichtige vom Gehalt der musik
deshalb ist mir ein Beitrag in youtube auch wesentlich wichtiger als eine CD
 
Dass man nicht komplett steif beim spielen sein soll, weiß man ja, aber ich empfinde es als ablenkend wenn sich jemand übertrieben bewegt (und mit übertrieben meine ich dass es nicht mehr authentisch wirkt).
Aber im prinzip sollte es egal sein wie jemand am klavier sitzt, die werke sind dafür gedacht, durch musik etwas rüberzubringen, nicht durch körpergestik (durch körpergestig kann man doch keine musik übertragen, auserdem ist musik auch für blinde menschen da). bei lang lang sieht es aus als ob er für taubstumme spielen würde, aber das währe mir auch egal wenn mich seine interpretationen irgendwie ansprechen würden (ist wohl geschmack). Viel eher kommt zu mir etwas bei jemandem wie michelangeli rüber, auch wenn seine körpersprache beim spielen sehr eingeschrenkt war, warscheinlich ist es auch der grund weswegen ihn einige für einen gefühllosen calculator hielten.
ich frage mich auch ob man sich selbst beim spielen noch konzentriert zuhören kann wenn man sich so stark bewegt?
 

Es mag etwas geben, das villeicht noch schlimmer ist, als rumgezappel.
Hab mir kürzlich 'ne Aufnahme der Goldbergvariationen von Glenn Gould angesehn und meinen Ohren nicht getraut: Da hat der Kerl doch tatsächlich MITGESUNGEN, also ganz leise, aber genervt hats trotzdem, das hat mir die ganze Aria versaut. Nach wie vor isser natürlich ein hochkarätiger Pianist...
 
Aber er hat hoffnungsvolle Nachfolger. Bei Fazil Say hab' ich auch schon Geräusche nichtklavieriger Art gehört (nicht nur bei Youtube, auch auf CD).
 
keith jarett jodelt beim köln concert auch mit und ächzt und stöhnt - da passt es aber meiner meinung nach ganz hervorragend.
 
Wenn das Klavierspiel so einzigartig wie bei Glenn Gould ist, darf auch mitgesungen werden. Ich freue mich eigentlich immer wenn ich ihn höre. Für mich ist das ein Ausdruck tiefster Verbundenheit mit der Musik. Ich mag bsw. auch die lauten Atemgeräusche von Madame Grimaud. Und wenn man ganz aufmerksam hinhört, gibt sogar der gute Alfred Brendel ab und an mal einen Seufzer von sich. Mein persönlicher Höhepunkt vokaler Begleitung ist der 2. Satz von Beethovens op. 111 mit Glenn Gould; ohne dieses intensive Schnaufen, Singen und Ächzen wäre der Kampf mit diesem Satz weniger dramatisch. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, das Beethoven auf diese Weise den Satz gehört hat und auf ähnliche Weise beim Komponieren Geräusche von sich gab. Einfach herrlich.
 
Mir ist eigentlich im allgemeinen das ganze Rumgezappele egal, solange mich die Musik des Pianisten berührt.
Wenn ich spiele, und vor allem dann, wenn ich gered im "Flow" bin, dann habe ich auch manchmal den Drang, die Augen zu schließen, den Kopf nach oben zu heben, oder an den Kopf fast in die Tastatur zu legen.
Solange mich jemand sieht, beherrsche ich mich da aber;)

Jedenfalls kann ich das nachvollziehen, und es stört mich nicht.
Wenn mich was stört, dann wenn der Pianist ein trauriges Stück durchgehend mit Schmerzverzerrtem Gesicht spielt.

Zu Fazil Say: Ich finde, das was er macht, passt immer gut. Ich finds klasse, wie er z.B. bei den Paganini-Variationen seinen Mund bewegt, also mitsingt.
 
"Für mich ist das ein Ausdruck tiefster Verbundenheit mit der Musik." von MARCEL PETZOLD

Empfinde ich ganz genauso. Wahre natürliche, berufene Meister sind ganz und gar durchdrungen von ihrer Kunst. Diese Leidenschaft braucht ständig neue Räume, folglich ergeben sich auch neue Ausdrucksmittel. Ein Stück ist nie fertig. Gould, Brendel, Rubinstein, Grimaud ... uva. haben eine Berufung zur Musik. Das Handwerkszeug besteht nicht nur aus Noten und Tasten. Wenn man seine Sache ernst nimmt, werden alle Sinne automatisch angesprochen ohne dass man was dafür kann. Singen, Summen, Aufspringen und Atmen sind menschlische Begehren im Tun. Es wirkt nicht künstlich sondern einfach. Künstler sind Menschen. Sie sind in der Regel nur auf einem Gebiet herausragend.

Jedoch in der Öffentlichkeit bedenke man das Maß aller Dinge.

Kulimanauke
 
schlangengleich

Hallo,
Bewegungen beim Klavier spielen war das Thema. Hier habe ich mal ein typisches Beispiel:

http://www.youtube.com/watch?v=fJG769fTLUs&feature=related

Das Nocturne von Field ist nicht der absolute Höhepunkt der Klaviermusik, aber hier wird absolut sauber und schön vorgetragen.

Nur: Die schlangengleichen Bewegungen des süßen kleinen Püppchens kommen mir zu einstudiert und aufgesetzt vor, ich sehe darin die Bemühungen ihres Lehrers oder ihrer Lehrerin, hohe Musikalität schon mit 8 zu demonstrieren, ganz wie eine erwachsene, künstlerisch gereifte Persönlichkeit, was immer das auch ist.
„Schaut mal her, wie meine Schülerin mit wundervollem Anschlag so einfühlsam spielt“.

Hat der alte John mit seinem Stehkragen auch so gespielt?

Walter
 
Es besteht schon ein Unterschied zwischen unbewusstem Affekt und einstudierten Manierismen. Egal ob Gezappel oder Geräusche, wenn einen das Gefühl beschleicht sie werden willkürlich hinzugefügt und sind nur Schauspiel, dann sind sie auch kritikwürdig.

@ Hacon:
Wenn ich spiele, und vor allem dann, wenn ich gered im "Flow" bin, dann habe ich auch manchmal den Drang, die Augen zu schließen, den Kopf nach oben zu heben, oder an den Kopf fast in die Tastatur zu legen.
Solange mich jemand sieht, beherrsche ich mich da aber

Wenn du allerdings Konzentration darauf verschwenden musst, um derlei Sachen zu unterdrücken, wird dein Spiel darunter leiden. Wichtig sind nicht die Mittel, sondern nur was am Ende dabei herauskommt. Ich würde mich nicht beherrschen wollen.
 

Zurück
Top Bottom