Darf ich ruhig ein 80 Jahre altes Klavier kaufen?

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fuchs77

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17. Sep. 2010
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Hallo,
Bin auf der Suche nach einem gebrauchten Klavier. Bin auf ein Grotrian von ca. 1930 gestoßen. Klingt toll.

1. Gibt es stichhaltige Gründe, ein so altes Klavier nicht zu kaufen?
(Stimmstock ist einsichtig, Wirbel haben noch keine Fugen, keine hängt runter)

2. Der Verkäufer hat gesagt, die Hämmer hat er nur etwas abgezogen, weil sie noch OK waren. Hat mir aber angeboten, sie für einen guten Preis neu beziehen zu lassen. (Damit der wunderbar romantische Sound doch etwas mehr Punch hat).
Bringt also neue Hämmer gegenüber abziehen wirklich was?
Hat jemand Erfahrung?

Tausend Dank im Voraus!
Christian
 
Hallo Christian,
willkommen auf clavio!

Mal gleich zu deinen Fragen:

- Selbstverständlich gibt es, je nach Lage der Dinge, stichhaltige Gründe, ein Klavier zu kaufen oder nicht zu kaufen, gleich ob alt oder neu. 1930 ist übrigens kein besonders hohes Alter. Mein eigenes Klavier ist von 1929, nahezu 100%ig Originalsubstanz, und exzellent. Werde es niemals hergeben.

- Vor wenigen Wochen habe ich ein Grotrian-Klavier von 1906 überarbeitet, ebenfalls weitestgehend Originalsubstanz. Tolles Klavier!

- Neuer Hammerfilz bringt in der Regel viel. Ist aber häufig oder sogar meistens nicht nötig. "Abziehen" allein ist nicht wirklich das Gelbe vom Ei. Eine wirklich gute Hammerkopfbearbeitung ist um ein bis drei Welten komplexer.

- Der Gedanke, die Hämmer neu beziehen zu lassen, ist mir prinzipiell sympathisch. Bei dieser vorgehensweise bleibt alles, bis auf den Hammerfilz, original. Weniger sympathisch wäre mir (persönlich/Ansichts- und Geschmacksache) das Entfernen der alten Hammerköpfe und Ersetzen durch neue.

Ob jemand hier Erfahrung hat?
Na wart mal ab, was du noch alles gesagt kriegst...;)

Wichtiger Tipp: Check auf jeden Fall gründlich die Vertrauenswürdigkeit deines Anbieters und suche unabhängige Referenzen für seine Leistungsqualitäten. Nimm dir dafür Zeit und/oder eine/n unabhängige/n Berater/in mit klavierklanglichen und -technischen Fachkenntnissen. Wenn du im Ergebnis davon ein gutes "Bauchgefühl" kriegst, wirst du ein auf lange Sicht hochwertiges und erfreuliches Instrument erwerben.

Gruß
Martin
PianoCandle


... und aus Krach wird Klang
 
Hallo Christian,

Ich würde das Klavier vermutlich kaufen, denn es
und damit ist die wichtigste Bedingung schon mal erfüllt.

Das Klavier wird bei sorgsamer Pflege wahrscheinlich noch viel Jahrzehnte überdauern.

2. Der Verkäufer hat gesagt, die Hämmer hat er nur etwas abgezogen, weil sie noch OK waren. Hat mir aber angeboten, sie für einen guten Preis neu beziehen zu lassen. (Damit der wunderbar romantische Sound doch etwas mehr Punch hat).
Bringt also neue Hämmer gegenüber abziehen wirklich was?
Eine Komplett-Änderung der Befilzung oder Montage neuer Hämmer würde ich nie machen, wenn der Klang gut ist und der Kopf in Ordnung.

Alleine die Ankündigung, dass er es zu einem "guten Preis" macht, würde mich skeptisch machen, denn woran soll gespart werden? Am Filz? Beim Intonieren? Der Klang könnte hinterher so verändert sein, dass er Dir nicht mehr gefällt und die Grundbedingung "Klingt toll" sich ins Gegenteil schlägt, sind doch Geschmäcker oder Hörerlebnisse sehr vage und individuelle Begriffe woran man hinterher viel streiten kann.

LG
Michael
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hammerköpfe

Danke euch beiden schon mal für eure Tipps.

Neubezug: Da hab ich ja gleich zwei konträre Meinungen bekommen. Gemein. ;)
Woran kann er sparen bei einem "guten" Preis? Er macht das gar nicht selbst. Er sagt, Neubezug machen nur noch eine Handvoll Handwerksbetriebe auf der Welt, und alle in Deutschland. Er schickt sie weg. Schätzte er würde es ohne Gewinn für sich machen. Statt 1000 für 500€. Ich mag den Mann. Macht nen guten Eindruck auf mich.
Es würde übrigens Abel raufkommen.

Seine Meinung zu Neubezug: Wenn man die Hammerköpfe austauscht, nimmt man vermutlich mehr Charakter vom jetzigen Sound weg, da es nun mal alles eine Einheit bildet. Beim Bezug wäre das nicht so.

Ja, es klingt toll, aber da ich auch Jazz spiele, könnte es, besonders im Diskant, etwas mehr Punch haben.

Sind nach 80 Jahren die Filze nicht doch schon etwas zusammengedrück?

Danke ,
Christian
 
Ich bin kein Klavierbauer, nur klavierbauinteressiert. Wenn ich die Informationen hier im Forum richtig verstehe, ist die damalige Filzqualität nicht mit der heutigen zu vergleichen. Die heutigen Filze sind erheblich härter Sie benötigen einen sehr großen Zeitaufwand eines in der Intonation sehr erfahrenen Klavierbauers , um sie klanglich (einigermaßen) "passend" herzurichten. Tausende an Intoniernadelstichen.....Diese Kosten sind im "guten Preis" sicher nicht enthalten. Und ob dann der Klang noch mit dem derzeitigen vergleichbar ist?? I c h würde n i e die Hammerköpfe eines älteren Instruments, wenn der Filz nicht völlig verbraucht ist, neu befilzen lassen, sondern stets versuchen, einen kundigen Intonateur zu finden, der die vorhandenen angemessen bearbeitet....
 
@Gubu und alle anderen:
Aber sind nicht nun mal die Filze die Teile, die verschleißen?
Die Filze werden doch mit den Jahrzehnten zusammengedrückt. Der gleiche Filz gibt also mit den Jahren immer weniger her zum intonieren, selbst von einem geübten Mann.
Oder täusche ich mich da?
 
@Gubu und alle anderen:
Aber sind nicht nun mal die Filze die Teile, die verschleißen?
Die Filze werden doch mit den Jahrzehnten zusammengedrückt. Der gleiche Filz gibt also mit den Jahren immer weniger her zum intonieren, selbst von einem geübten Mann.
Oder täusche ich mich da?

.... wohl ja. Doch die Fachleute können das sicher differenzierter beantworten. Verschlissen sind sie, wenn sie total plattgedrückt/abgespielt sind (Substanzverlust) . Das sieht man. Doch selbst dann lassen sie sich meistens wieder "in Form" bringen....

Plattgespielte H. siehst Du hier (nach ungefähr einer Minute)

http://www.youtube.com/watch?v=6dXUgPVjnD0

Und die sind auch erhalten worden.....
 
Danke!
Das bedeutet, dass in der Regel bei "überarbeiteten" Klavieren aus nahezu allen Jahrzehnten die Hammerköpfe immer,oder meist nur nachinotiniert werden?
Also "neue Filze", was man ja sehr häufig liest, meint nicht die Hammerfilze?
 
Im Klavier/Flügel gibt es Massen an Filz. Dämpferfilze, Hammerfilze, Garnierungsfilz, etc.pp.
Neue Filze, sagt erst mal gar nichts.

Ob man Hammerköpfe austauscht, neu befilzt, abzieht oder "nur" nachintoniert, entscheidet der Klaviertechniker. Daher sollte dieser höchst vertrauenswürdig sein!!!

Ich bin übrigens "der" mit den plattgeklopften Filzen (Video). Der Flügel war Bj. 1977 und der Vorbesitzer wohl ein Berserker. So pallte Filze haben viele Klaviere mit doppelt so langer Lebensdauer nicht.
Dennoch hat Micha nicht ausgestauscht, sondern die Filze fachmännisch abgezogen, was hier nicht soooo einfach war. Das Ergebnis ist höchst zufriedenstellend.

PS. Ich habe schon einige (große, 130cm+) Grotrians aus den 20/30ern gespielt. Die waren alle spitze. Vielen Flügeln im Klang ebenbürtig. Schlag zu, wenn es für Dich toll klingt.

Die Filze werden doch mit den Jahrzehnten zusammengedrückt. Der gleiche Filz gibt also mit den Jahren immer weniger her zum intonieren, selbst von einem geübten Mann
Nicht die Jahre sind entscheidend, sondern wie viel und wie hart gespielt wurde. Und natürlich: Die Filzqualität! Und die ist bei alten Instrumenten oftmals deutlich besser als heute.Hängt mit dem Rohmaterial und der Aufbringung auf die Hämmer zusammen (Kosten).
 
Hallo Fuchs,

ich bin auch kein Fachmann, habe aber hier zwei Instrumente stehen, die beide etwas älteren Baujahres sind. Als Klavier und Flügel fällt der Klangvergleich zwischen beiden zwar immer etwas unfair aus, aber da das Klavier neue Hämmer hat (oder gar nur neu befilzt wurde) und der Flügel die original Hämmer und Filze, kann ich ein Lied, ein Loblied auf die Originalen singen!! Wenn diese von Expertenhand bearbeitet werden (in meinem Fall von Michael Klaviermacher), dann sind sie quasi der kostbarste Teil am ganzen Instrument und du wachst aufmerksam über jede einzelne Faser, auf dass den Goldstücken bloß nichts zustößt!
Kurzum, ich würde mir keine neuen Hämmer/Filze aufquatschen lassen. Nicht mal geschenkt (grad dann erst recht nicht!!)

LG, Sesam
 
Ich missbrauche den Thread, da es hier reinpasst :P

Mir wurde gerade ein Klavier von Neumeyer aus den 20zigern Jahren für Nichts angeboten, da es sonst wegen Umzug in den Ofen kommt.

Gibt es bei Neumeyer aus den 20zigern irgendwelche Bedenken? Ich werde es mir nachher anschauen und anhören und gucken, ob es grundlegend was taugt. Ich meine, für lau?

Klar, könnte absoluter Müll sein, könnte aber auch für den Preis ganz gut sein. Ist ja erstmal nur zum Üben.


Grüße
 

....Und wenn Du hier fleißig liest, weißt Du auch, dass ohne nähere Beschreibung, Fotos usw. niemand diese Frage einigermaßen seriös beantworten kann.
 
Es geht sich ja konkret um Neumeyer aus den 20ziger, vielleicht gab es dort Besonderheiten.

Versuch war's wert.
 
Danke euch beiden schon mal für eure Tipps.

Neubezug: Da hab ich ja gleich zwei konträre Meinungen bekommen. Gemein. ;)
Woran kann er sparen bei einem "guten" Preis? Er macht das gar nicht selbst. Er sagt, Neubezug machen nur noch eine Handvoll Handwerksbetriebe auf der Welt, und alle in Deutschland. Er schickt sie weg. Schätzte er würde es ohne Gewinn für sich machen. Statt 1000 für 500€. Ich mag den Mann. Macht nen guten Eindruck auf mich.
Es würde übrigens Abel raufkommen.

Seine Meinung zu Neubezug: Wenn man die Hammerköpfe austauscht, nimmt man vermutlich mehr Charakter vom jetzigen Sound weg, da es nun mal alles eine Einheit bildet. Beim Bezug wäre das nicht so.

Ja, es klingt toll, aber da ich auch Jazz spiele, könnte es, besonders im Diskant, etwas mehr Punch haben.

Sind nach 80 Jahren die Filze nicht doch schon etwas zusammengedrück?

Danke ,
Christian
Hallo Christian,

Befilzung von Hämmern bei Abel bedeutet, dass die Firma neuen Filz montiert und zwar auf die vorgegebenen und eingeschickten Hämmer. Wenn sie neu befilzt sind, werden sie an die Klavierwerkstatt zurück geschickt. Dazu entfernt man dort den alten Filz vom Hammerkern (Holzkern) und macht auf diesem Kern neuen Filz dran.

Die andere Variante - Abel erzeugt den ganzen Hammer (Holzkern und Filz darüber) in verschiedenen Größen mit oder ohne Bohrung für Stiele und man kann ihn hinterher sozusagen von Stange kaufen bzw. wählt welches Holz etc. Sonderformen, fabrikatsabhängige Spezifikationen, Farben des Unterfilzes etc. - vieles ist auf Lager - oder man kann den Kopf auch komplett nach eigenen Angaben fertigen lassen.

Wird der alte Holzkern neu befilzt, spricht man von Hämmer befilzen. Wenn der Hammer erneuert wird spricht man von neuen Hammerköpfen. In beiden Fällen handelt es sich um das Rohmaterial. Da ist noch kein Klavier im Spiel.

Natürlich ist der Hammerkopffilz ein Verschleißteil. Leider wird aber allzu häufig viel zu früh neu befilzt oder der Hammer erneuert. Wenn das Klavier im Diskant zu weich klingt, ist es eher ein Indiz, dass man da noch mehr durch intonieren herausholen kann. Dazu ändert der Intoneur die Form des Hammers, eventuell den Anschlagspunkt und die Filzhärte. Klingt ein altes Klavier im Diskant viel zu hart, kann es sein, dass der Filz schon bis zum Holz durchgespielt ist - oder aber es wurde ein neuer Hammer montiert und nicht intoniert :rolleyes:

Die Klangarbeit, das Intonieren ist jene Arbeit, die an einem alten, gut intonierten Hammer sehr einfach zu korrigieren geht. Ein neuer Hammer oder auch neuer Filz gibt um ein vielfaches! mehr Arbeit. Es ist nicht der Erzeugungsprozess des Hammers welcher die Hauptkosten verursacht sondern die des Klaviertechnikers, Intoneurs, Klaviermachers oder Klavierbauers.

Ich würde jetzt nicht sagen, dass ein neuer Hammer oder allgemein der Filz nicht so gut ist wie der alte, denn es gibt auch bei Filz heute verschiedene Qualitäten (Filzdichte, Haarlänge, Fettanteil) für verschiedenste Anwendungen (historischer Charakter des Instrumententyps) und sie unterscheiden sich zuerst mal im Preis ;-). Eines ist Gewiss: Nur mit enorm viel Aufwand kommt man an das klangliche Ergebnis heran, welches ein alter Hammer hat.

LG
Michael
 
Hallo fuchs77/Christian,

mir scheint, es ist ein bisschen an der Zeit, für ausgleichende Gerechtigkeit der Standpunkte zu sorgen. Um zum Anfang zurückzukehren:
a) Auf meinem alten Klavier von 1929 sind die Original-Hammerfilze. Die habe ich selbstverständlich umfassend für meine sehr hohen Ansprüche bearbeitet. Aber ich spiele (leider) nur recht selten auf meinem Instrument. Täte ich das intensiv, dann wären die Hammerfilze schon aufbegraucht und entsprechend schon erneuert. Und sorgsam aufbereitet. Ohne Verlust - und mit viel Gewinn.
b) Vor geraumer Zeit habe ich einem sehr alten Blüthner-Klavier (ca. von 1890) neu befilzte Hämmer gegönnt. Der Klang hat dadurch sehr erheblich gewonnen. Mit entsprechender Einrichtung der Filze, versteht sich.
c) Ich habe diverse ältere Grotrian-Instrumente kennengelernt, deren Hämmer noch viel Filzsubstanz aufwiesen, doch diese war ziemlich weich geworden. In solchen Fällen muss man entweder viel Filzmaterial abtragen oder den Filz mit Härtungsmitteln tränken. Beides sind m. E. bestenfalls b-Lösungen - in solchen Fällen sind neue Filze (m. E., wie gesagt) eindeutig die bessere Wahl.
d) Die Abwägung zwischen alten und neuen Filzen sollte bedachtsam und ohne Voreingenommenheit erfolgen. Dass sie prinzipiell oder gar stets zugunsten der alten ausgeht, halte ich für ein Ammenmärchen. Dies werde ich demnächst ausführlich begründen... momentan bin ich unterwegs, sitze in einer zweckmäßigen Unterkunft, und es ist nachts viertel nach zwei. Um 10 muss ich beim nächsten Klavier sein :)
Nur so viel vorab: Du sprichst davon, dass dem Klang mehr "Punch" zu wünschen sei. Das ist gut nachvollziehbar - und geht mit neuen Filzen definitiv besser und auf lange Sicht zuverlässiger als mit alten. Begründung folgt...

Gruß
Martin
PianoCandle


... und aus Krach wird Klang
 

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