Czerny muß wohl mal einen Sonderposten Tinte erhascht haben und wollte ihn unbedingt aufbrauchen, anders ist dieser Etüden-Meteorismus kaum zu erklären. Kein Mensch kann die zahllosen Etüdchen alle üben, versuchte er es doch, müßte er verblöden. Neuhaus Rat, dieses ganze Zeugs durch Präludien aus dem WTK zu ersetzen, ist nicht der schlechteste. Stücke, an denen man seine Technik erweitern kann, gibt es jedenfalls genug andere, und wenn man die Wahl hat zwischen guter Musik und diesem Pseudo-Kram, dann wählt man natürlich die gute Musik.
Das heißt selbstverständlich nicht, daß man keine Technik üben müßte, aber es gibt kurzweiligere, geistreichere und effektivere Wege dafür. Hin und wieder kann man trotzdem natürlich auch etwas von den Etüden-Produzenten spielen, wenn man die wertvolleren Stücke herauspickt. Auch mein obiger Kommentar zu Clementi ist so zu verstehen, daß man von ihm durchaus Stücke findet, die musikalischen Reiz haben. Jeder weiß, daß Musik und Technik sich nicht trennen lassen, und ohne die Motivation durch die Musik wird man Technik nur sehr halbherzig und deswegen wenig nutzbringend üben. Wo es darum geht, eine technische Schwierigkeit isoliert zu trainieren, kann man die Übungen hierfür leicht selber erfinden, z.B. indem man ein Arpeggio aus einem Stück durch alle Tonarten transponiert oder sich ähnliche Varianten erdenkt oder vom Lehrer zeigen läßt. Und selbstverständlich muß man sich gewisse Grundspielformen erarbeiten wie Tonleitern, Akkorde, Akkordzerlegungen, Oktaven, Doppelgriff-Skalen etc. etc.
WAS man übt, ist ansonsten nicht wichtig, wenn es nur ein gesundes Gemisch ist und nicht einseitig auf allzu wenige Spielformen beschränkt ist. DASS man übt und WIE man übt, ist viel entscheidender.