Chopin-Wettbewerb 2025

Ich habe wirklich noch nie eine Plattform erlebt, auf der
soviel Unwissen (mit Überzeugung!) breitgetreten wird.
Ich habe wirklich noch nie jemand Neues hier erlebt, bei dem ich spüre, dass er hier nicht alt wird - jetzt schon.

Man kann es riechen.

CW
 
Zuletzt bearbeitet:

Kaum jemand fährt zu so einem Wettbewerb ohne professionelle Unterstützung. Die Kosten werden vom Chopin Institut nicht übernommen und sie gehen definitiv in die Tausende, wenn man nicht in der ersten Runde rausfliegt.

Man kann natürlich alleine anreisen - aber die Wahrscheinlichkeit, dass man dann weit kommt, ist sehr gering.
 
Schon erstaunlich, welche Länder mit welchen Anteilen vertreten waren und woher die Preisträger kommen. Wäre noch zu eruieren, wo sie ihre Ausbildung erhalten haben - in ihrem Heimatland, in Europa oder den USA. Bei aller Hochachtung vor der Leistungsbereitschaft dieser jungen Menschen stellt sich mir dann doch die Frage: Was läuft in Europa (und nicht nur hierzulande) falsch? Und warum tun wir nichts dagegen? Sind wir zu bequem, zu satt oder einfach nur ignorant?
Ich habe Ahnung in Bezug auf diesem Thema! Aber ich weiß nicht, ob die anderen Leute in Forum auch Interesse für meine Erklärung haben !

Was ich ziemlich genau erklären kann, ist der Grund, warum Koreaner (bzw. Ostasiaten) mit den großen internationalen Klavierwettbewerben besessen sind. Und auch diesbezüglich der Grund warum die Deutschen nicht.



LG, HSC
 

Ja bitte, @HomoSineCruribus !
Danke schön!


Eigentlich sollte ich sehr lang schreiben. Da ich noch einmal Beitrag schreiben will, und jetzt in Bett gehen will, schreibe ich nur ein paar Dinge kurz.

Ich bin zwar nur ein Amateur, aber ich weiß ein wenig über dieses Thema, nämlich warum Studenten aus europäischen Ländern für die großen internationalen Klavierwettbewerben der Spitzenklasse nicht besonders besessen sind. Das liegt daran, dass ich selbst Koreaner bin und an einer deutschen Musikhochschule Musik studiere und an Musikschule Kindern Klavierunterricht gegeben habe, wodurch ich einige Erfahrungen sammeln konnte. Wenn man sich ansieht, warum Korea so versessen darauf ist, bei den großen internationalen Wettbewerben Preise zu gewinnen, dann gibt es dafür folgende Gründe.

Sozialer/historischer Hintergrund
1. Im Vergleich zu Deutschland verfügt Korea über eine äußerst unzureichende Infrastruktur für klassische Musik im Allgemeinen. Die deutlichsten Beispiele hierfür sind Chöre und Orchester, Kirchenmusik(insbesonders Orgel). In Korea gibt es im Vergleich zu Deutschland viel weniger Chöre, und auch das Niveau der Orchester, selbst der städtischen und nationalen, ist deutlich niedriger als in Deutschland. Besonders gravierend ist das Problem bei den Blechblasinstrumenten. Die Infrastruktur für klassische Musik in Korea ist also im Vergleich zu Europa insgesamt sehr unzureichend.
(Ich meine MusikerInnen nicht. Die koreanischen MusikerInnen sind wunderbar. Aber die anderen Dingen fehlen bei uns)

Korea war im Gegensatz zu Japan kein Land, das klassische Musik aktiv und eigenständig importieren konnte. Japan hat während seiner imperialistischen Phase (1868–1945) westliche Institutionen und Kultur übernommen und absorbiert, um stärker zu werden. Mit diesem Ziel vor Augen hat es nicht nur Musik, sondern auch Literatur, Wissenschaft, Technologie und Institutionen aus dem Westen eingeführt und eigenständig große Fortschritte erzielt. Sony und Yamaha sind japanische Unternehmen, die auf dem Markt für klassische Musik großen Einfluss haben. Korea hingegen, das eine Kolonie Japans war(1910-1945), war nach seiner Unabhängigkeit 1945 bis in die 1970er Jahre hinein sehr arm.

Daher gab es nur sehr wenige Menschen, die sich teure klassische Instrumente leisten, üben und regelmäßig Unterricht nehmen konnten(eher damals gab es sehr wenige richtige MusiklehrerInnen!). Das heißt, klassische Musik war in Korea ausschließlich den Reichen vorbehalten. Man kann davon ausgehen, dass es nach der Unabhängigkeit Koreas mindestens 40 Jahre gedauert hat, bis klassische Musik für die Mehrheit der Bevölkerung zugänglich wurde. In den 1990er und 2000er Jahren, als Studenten, die ihr Studium im Ausland(Europa, USA) abgeschlossen hatten, nach Korea zurückkehrten und begannen, dort Schüler zu unterrichten, wurden die Zugangsbarrieren allmählich niedriger.


Daher ist der Markt für klassische Musik in Korea selbst sehr klein, während 1950-1970's. Es gab nur wenige Konzerte, und selbst wenn Konzerte stattfanden, war es schwierig, klassische Musikaufführungen außerhalb der großen Konzertsäle in bestimmten Großstädten (Seoul, Busan, Incheon usw.) zu veranstalten(jetzt viel viel besser geworden). In diesem kleinen Markt konnten nur Genies oder sehr reiche Menschen als professionelle Musiker ihren Lebensunterhalt verdienen.

Daher brauchten die Musiker etwas, um das Publikum anzulocken. Das mag in jedem Land und zu jeder Zeit so gewesen sein, aber in Korea war dieser Trend besonders ausgeprägt und ist es auch heute noch.

Da klassische Musik in Korea überhaupt nicht als „Kultur” etabliert war, verfügte das Publikum über keinerlei „ästhetisches Urteilsvermögen” in Bezug auf Musik. Eine Möglichkeit, die Aufmerksamkeit von Menschen zu gewinnen, die keinerlei Gefühl dafür hatten, welche Interpretation gut und welche schlecht war, bestand darin, einen „Titel” zu erwerben, was in einem Land wie Korea besonders wirksam war.

Es ähnelt dem "Ikonoklasmus" in der europäischen Geschichte. So wie die römische Kirche, die sich gegen Leo III. auflehnte, weil sie ohne Ikon das Evangelium nicht an die Germanen weitergeben konnte, war es für koreanische Musiker schwierig, der Öffentichkeit das „Evangelium“ der klassischen Musik zu vermitteln, wenn sie keinen Titel von Wettbewerben gewonnen hatten.
(Ich meine nicht, dass die koreanischen MusikerInnen ohne Wettbewerb Titel nocht gut musizieren können. Es handelt sich darum, wie man in dem Herzen des Publikums das Interesse für "Konzert Ticket kaufen" wachsen lassen kann)

Da es für die Germanen schwierig war, das Konzept eines „formlosen und allmächtigen Herrn” zu verstehen, wurden sichtbare Ikonographien geschaffen, um das Christentum zu verbreiten. Ebenso waren für koreanische Musiker das „Ikon” in Form von Wettbewerbserfolgen ein Mittel zur Verbreitung ihrer Kunst.

2. Im Bereich des Sports herrscht in Korea die starke Tendenz, dass das Gewinnen von Medaillen bei Olympischen Spielen oder verschiedenen Weltmeisterschaften die Ehre des Landes erhöht. Dies ist eindeutig ein Produkt des Totalitarismus, da es eine Denkweise ist, die die Ergebnisse individueller Anstrengungen zum Eigentum der gesamten Gruppe machen will. Diese Situation in Korea ist witzigerweise ein Bild, das man auch in der Sowjetunion oft sehen konnte. Und das, obwohl Korea ein Land der Ersten Welt ist (denkt daran, dass die Sowjetunion während des Kalten Krieges bei den Olympischen Spielen immer mit den USA um Medaillen konkurrierte!), Korea ist eindeutig ein Land mit stark Totalitarismus. Seit der Zeit, als es eine Kolonie des japanischen Kaiserreichs war, war Japan ein militaristischer Staat, und leider konnte Korea diese schlechten Gewohnheiten nach der Unabhängigkeit nicht ablegen. Erst mit dem Beginn der Corona-Ära begann sich die Situation ernsthaft zu verbessern, wirklich.

Aus dem gleichen Grund hängt Korea so sehr an den Siegen bei internationalen Klavierwettbewerben. Das gilt nicht nur für die Musik. Auch in den Bereichen Film, Wissenschaft und Literatur ist dieses Verhalten in Korea häufig zu beobachten. Bis in die späten 2000er Jahre hinein neigte die koreanische Gesellschaft dazu, Preise für koreanische Filme bei internationalen Filmfestivals als Ruhm für die gesamte Gesellschaft zu betrachten. Heute ist das nicht mehr so wie früher. Daher wurde sowohl in der Gesellschaft als auch im Staat, im Sport und in der Musik dazu ermutigt, an Wettbewerben teilzunehmen und Preise zu gewinnen. In solchen Momenten betrachtet Korea klassische Musik nicht als Kunst, sondern als Sport.


Kultureller Hintergrund

1. Koreaner neigen dazu, in jedem Bereich eine Rangordnung aufzustellen. Z. bs: Alter. Jüngere Menschen müssen sich gegenüber „älteren Menschen“ bedingungslos höflich verhalten. Das ist zwar in jedem Land mehr oder weniger so, aber in Korea ist diese Tendenz besonders ausgeprägt. Es ist in Korea undenkbar, einen Professor mit „duzen“ anzusprechen. Nicht nur nach dem Alter, sondern auch zum Beispiel an der Universität wird eine Rangordnung aufgestellt. Auch in Deutschland gibt es eine Rangordnung zwischen den Universitäten, aber in Korea besteht das große Problem, dass in allen Bereichen eine Rangordnung besteht und diese Rangordnung tatsächlich mit den "Wertung" der Menschen in Verbindung gebracht wird.

Bei Wettbewerben wird die Rangordnung nach den Platzierungen der Preisträger festgelegt, was für Koreaner nichts Ungewöhnliches ist. Aus diesem Grund und aus den oben genannten Gründen hat sich Korea zu einem Land entwickelt, das sich intensiv um internationale Wettbewerbe bemüht.




Die Gründen sind nur ein Teil von mehreren Gründen. Ich habe jetzt keine Zeit, alles zu erwähnen!



Für China und Japan auch können wir so raten : die haben auch ähnliche Gründe. Ich kann länger erklären, aber ja ich möchte ins Bett gehen... viellichg nächtes mal!




Was nur für Südkorea speziell ist : alle koreanische Männer müssen Wehrdienst machen. Aber wenn man einen Preis in großen internationalen Wettbewerben (Chopin, Van Cliburn, etc) oder in Olympia medailliert wird, wird der Pflicht des Wehrdienstes aufgehoben. Auch deswegen !




Über Deutschland / Europa und Music Educafion System - darüber habe ich weniger "gerechtfertigt", weil ich tatsächlich Ausländer bin. Aber wir können auch noch später versuchen, darüber miteinander die Meinung zu tauschen.


Gute Nacht!




LG, HSC
 
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Seit der Zeit, als es eine Kolonie des japanischen Kaiserreichs war, war Japan ein militaristischer Staat, und leider konnte Korea diese schlechten Gewohnheiten nach der Unabhängigkeit nicht ablegen. Erst mit dem Beginn der Corona-Ära begann sich die Situation ernsthaft zu verbessern, wirklich.
Könntest Du - wenn Du Zeit und Muße hast - den Zusammenhang mit der Corona-Ära noch genauer erklären?

Ansonsten vielen herzlichen Dank für Deine Ausführungen! Ich fand die Darstellung sehr interessant, habe den Beitrag gerne gelesen und dazu gelernt!
 
Einen ganzen Konzertabend nur mit Werken von Chopin würde ich mir nicht freiwillig antun, weder als Zuhörer noch als Interpret.
Ich habe das einmal gemacht. Aber nur um Leute ins Konzert zu schleifen die noch nie in einem waren und da habe ich das gefälligste ausgesucht was ich finden konnte. Wirkung war sensationell „was habe ich bisher verpasst!“. Also für den Zweck mag das taugen. Aber ich habe die Pause für 2 Gläser Wein genutzt.
 
Korea besteht das große Problem, dass in allen Bereichen eine Rangordnung besteht und diese Rangordnung tatsächlich mit den "Wertung" der Menschen in Verbindung gebracht wird.
Super spannend! Bei uns gibt noch strikt hierarchisch organisierte Bereiche (Medizin z.B.) aber tendenziell weicht das immer weiter auf. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch absolut sinnvoll! nichts schlimmer als wenn Hierarchie der guten Lösung/Idee im weg steht, weil das Hinterfragen nicht gestattet ist. Letzteres ist ja auch ein Motor für Fortschritt aber eben nur zum Teil. Wenn es aber dazu führt dass man die Haltung vertritt „wenn ich gut bin reicht das“ und „ich muss ich es niemandem beweisen, es reicht dass es so ist“ dann ist das eine Falle in sich. Sie kann auf der einen Seite falsche Überzeugungen stärken (man ist nicht so gut wie man denkt) und verhindern dass man sich herausfordert (ich muss niemandem beweisen dass ich es kann). Ich habe manchmal das Gefühl das die gute Intention hinter dieser Haltung einen gesunden(!) Ehrgeiz erstickt. Den Stolz und die Zufriedenheit wenn man sich erstmals die Schuhe selber binden konnte den kennt glaube ich jeder. Heute wird der Anreiz etwas zu erreiche in Schulen und auch im Job oft genommen und damit sinkt Zufriedenheit und Leistung. Viele scheuen die Herausforderung weil sie nicht gelernt haben wie sie mit Rückschlägen umgehen. Und ich habe den Eindruck dass das in unserer Gesellschaft garnicht mehr wirklich gelernt werden kann.
 
Ich war in wohl mitte der 50er in einem puren Chopin-Abend mit einem von mir nie wieder erlebten Erfolg. Der zum ersten Mal im Westen auftrende Pole Jakop Gimpel spielte in der Hamburger Musikhalle (heute Laeiszhalle). Der Saal war zusammen mit der ganzen Bühne ausverkauft. Ich meine zu erinnern, daß er vorher in Belin schon aufgetreten war. Zum Schluß umströmte das Publikum den Flügel und ließ den Pianisten nicht mehr aufstehen. So gab es eine Zugabe nach der anderen. Für mich als Jugendlicher unvergesslich.
 
@HomoSineCruribus
Auch von mir ein großes Dankeschön. Das sind wertvolle Einblicke, die man sonst nicht ohne Weiteres bekommt.
Das, was du beschrieben hast, ist ja letztlich auf eine rein extrinsische Motivation zurückzuführen. Gibt es denn deiner Meinung nach auch koreanische Musiker mit einer intrinsischen Motivation? Musiker, die z.B. den Wunsch haben, Musik zu studieren, um ihr geistiges Wesen in Verbindung mit ihrer sinnlichen Erscheinung zu durchdringen?
 
Der zum ersten Mal im Westen auftrende Pole Jakop Gimpel
Du meinst wohl Jakob Gimpel hat damals das erste Mal nach dem Krieg in Europa gespielt; er war vor dem Krieg nach Amerika ausgewandert.

Ansonsten habe ich auch nichts gegen einen Klavierabend nur mit Chopin. Aber beim Chopin Wettbewerb alles mehrfach anhören, da müsste man mich dann bezahlen.
 
Ich habe diesen künstlichen Gegensatz zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation nie so ganz verstanden. Man kann aus Lust und Liebe Klavier spielen und sich zugleich über Erfolg, Ruhm, Ehre und Beifall freuen, ja sogar danach streben!
 
Man kann aus Lust und Liebe Klavier spielen und sich zugleich über Erfolg, Ruhm, Ehre und Beifall freuen, ja sogar danach streben!
Jede normaler beruflicher Weg funktioniert im Idealfall so. Interesse->Motivation-> Ausbildung-> Karriere.

Glücklich der bei dem das im Kreis läuft. Wo im Verlauf der Karriere wieder neue Interessen angekurbelt werden. Das sind die die dann nicht auf die Pension warten.

Und bei wem in der obigen Kette Haken sind, der hat Hobbys.
 
Höre ich da ein leichtes Asiaten-Bashing oder diskreten antiasiatischem Rassismus heraus?

:018:

Hui ....

:008:
Du hast da mal so gar keine Ahnung.

Bevor du weiter so eine verflucht dicke, krass freche Lippe riskierst, LIES erstmal meine Beiträge.

Habe mich gelegentlich und öfter dazu geäußert, dass ich mit Asiaten, speziell auch viel mit Chinesen gearbeitet habe. Ich war mehrere Monate bei der Einrichtung einer großen Anlagen-Baustelle in Malaysia, die allermeisten ingenieurskollegen waren neben "unseren" Malaien und mehr noch Chinesen. Ich habe eine tiefe Achtung vor deren Fleiß und Loyalität (OK Familien-, Clan-Loyalität).

Und habe hier mehrfach (!) darüber geschrieben....

Wenn ich schreibe,dass das 21. Jhdt ein chinesisches werde, dann ist das, ganz im Gegensatz zu unserem Münchener Klaviertechnik-Haushoffnarr, absolut nichts mit Bashing, sondern lediglich Beschreibung - u.a. weil diese Jungs und Mädels in vielerlei Beziehung ziemlich anders ticken als unsere (neueren) Generationen.

Vor allem sind sie unfassbar lernbegierig und mittlerweile wohl seit Jaheren schon Weltmeister in den Patentanmeldungen. Was mich, Ingenieur, und keineswegs ein schlechter..., umtreibt, da ich Vater bin und mittlerweile Enkelkind habe, Nachwuchs, denen ich auch noch ein vernünftiges Leben wünsche.

Ich, und Rassist ... MEINE FREXXE - ich rate - letztmalig im Guten - sich dafür zu entschuldigen.
Ansonsten Dein Verbleib hier ein friedlicher nicht weiter sein kann.
 

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